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FrauenLesben gegen Zwangsarbeit: Wie entsteht ein gesamtösterreichisches Arbeitshaus?
Wer nicht kuscht und dient, ist draußen!

Menschen, die sich weigern, eine Arbeit anzunehmen oder eine „Maßnahme“ zu besuchen, haben keinerlei Anspruch auf Unterstützung durch öffentliche Gelder. Die Plattform FrauenLesben gegen Zwangsarbeit und strukturelle Gewalt entlarvt das neue „Grundsicherungsmodell“ für Österreich.

Gemein/nütziger Sozialdienst und Studiengebühren

Den widerständigen Studentinnen ist zu gratulieren, weil sie es gemeinsam mit politisch Aktiven aus unterschiedlichen anderen Gruppen geschafft haben, ihren Widerstand breit in die Medien und auf die Straße zu bringen. Gusenbauer erlebt ein böses Erwachen, weil er und seine Parteispitze sich mit den „Falschen“ angelegt haben: mit einer entschiedenen Intelligenz, die sich nicht nur gegen Wahlbetrug, Vereinnahmung und Missbrauch in der Wahlpropaganda, sondern auch gegen den allgegenwärtigen Trend der „forced work“, dem Arbeitszwang, erfolgreich wehrt. Ihr lasst Euch nicht so einfach in die Zwangsarbeit treten! Aber ihr seid die „Vorhut“ in einem beispiellosen „Pilotprojekt“ der Gefügigmachung aller Menschen, welche nicht über ein privates Budget verfügen, um ihr Leben genau so zu gestalten und zu planen, wie sie es möchten – jenseits von Existenzangst und totaler Kontrolle. Deshalb möchten wir in dieser so entscheidenden Situation, in der unserer Einschätzung nach nun ernsthaft und nachhaltig die politischen Weichen in eine Richtung gelenkt werden, die niemand von uns wollen kann, zur Situation von Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen Stellung nehmen.

Zwangsarbeit und „bedarfsorientierte Grundsicherung“

Die schöngefärbte „Grundsicherung“ ist dezidiert das Gegenteil von dem, was sie verspricht, und hat weitreichende Konsequenzen für alle Werktätigen im Land, und ganz besonders für jene, für die kein ausreichend bezahlter und arbeitsrechtlich intakter Lohnjob oder die Flucht in die (Schein)Selbständigkeit (mehr) in Aussicht stehen. Sie steht im krassen Widerspruch zur weit verbreiteten Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, welches Freiheit, freie Wahl von Ausbildung und Beruf, Kreativität und Kultur, politische Partizipation etc. zulässt.

Um in Zukunft überhaupt zu einer sogenannten Sozialleistung zu kommen, ist die Bereitschaft der Betroffenen, jeden erdenklichen „Job“ auf dem 1., 2. oder 3. Arbeitsmarkt zu sklavenhalterischen Bedingungen zu verrichten, Voraussetzung. Wer sich weigert, die zugewiesenen Arbeiten anzunehmen oder wer sich weigert, an einer vom  Staat zugewiesenen „Maßnahme“ teilzunehmen, hat keinerlei Anspruch auf Unterstützung durch öffentliche Gelder, die bis jetzt noch Rechtsanspruch sind (Arbeitslosenversicherungsgeld, Notstandshilfe, Sozialhilfe). Daran ändern auch schönfärberische Slogans wie „soziale Wärme“, „neue Fairness“, „neue soziale Frage“, „Gerechtigkeit“ und „Vollbeschäftigung“ nichts. Es ist einfach stupid, wenn seitens der PolitikerInnen verkündet wird, dass hier Wahlfreiheit oder Freiwilligkeit bestünde, ganz nach dem Motto: „Sie  wollen nicht essen? Dann brauchen Sie auch nicht zu arbeiten!“

Das AMS – die Zentralanstalt für Arbeitseinsatz

Laut AMS-Geschäftsbericht 2005 waren 800.000 „KundInnen“ mindestens einmal im Jahr von Erwerbslosigkeit betroffen. Durch die geplante „Grundsicherung“ wird sich die Kundschaft des AMS vermehren, denn SozialhilfeempfängerInnen und Pleite gegangene „neue Selbständige“ werden zur zusätzlichen Klientel der Arbeitszuweisungszentrale AMS. Alle sollen nun plötzlich mit Arbeit jeglicher Form versorgt werden!  Bei gleichzeitiger Ausdehnung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Überstundenabgeltung auf 60 Stunden und einen 12-Stunden-Arbeitstag – also einer Konzentration von immer weniger Beschäftigten auf die vorhandene Lohnarbeit! Während immer weniger Beschäftigte am sogenannten 1. Arbeitsmarkt bis zum Umfallen hackeln müssen, sollen die BezieherInnen dieser unsäglichen „Mindestsicherung“ den Frondienst für die „solidarische Gemeinschaft“ übernehmen. Denn unbezahlte Arbeit ist in Hülle und Fülle vorhanden, sie soll nun gratis von den Opfern dieses „Grundsicherungsmodells“ unter Strafandrohung und Kontrolle durch die Behörden erledigt werden – widrigenfalls sie aus dieser „solidarischen Gesellschaft“ ins soziale Out fliegen! Wer nicht kuscht und dient, ist draußen!

Feminisierung der Arbeit

Zynisch lässt die nun als Frauenministerin angelobte Doris Bures einer Erwerbsloseninitiative auf Anfrage nach den Verschärfungen der  Zumutbarkeit durch die „Grundsicherung“ mitteilen: „Die Zumutbarkeitsbestimmungen werden gerechter und praxisnäher gestaltet. Langzeitarbeitslose werden in gemeinnützige oder private Arbeitsprojekte eingebunden und zur Weiterbildung verpflichtet.“ (Susanna Enk, Presse und Kommunikation, SPÖ-Bundesgeschäftsführung am 3.1.2007)

Frau Bures wird als Frauenministerin starken Erklärungsbedarf haben:  Das Subsidiaritätsprinzip in diesem „Grundsicherungsmodell“ bedeutet für tausende Frauen die Abhängigkeit vom „Partner“. Denn ein Hauptunterstützter bezieht beispielsweise 800 Euro monatlich, die „Zusatzunterstützte“ bekommt nur mehr 400 Euro (Satz für 2 Erwachsene: 1.200 Euro. Ein Kind zusätzlich 240 Euro). Jegliches Zusatzeinkommen wird von der „Stütze“ wieder abgezogen. Weder 800 Euro noch 400 Euro können existenzsichernd sein (laut Berechnungen des Statistischen Zentralamtes ist ein Betrag von mindestens 900 Euro erforderlich, um nicht in die Armut abrutschen). Und trotzdem: sämtliche Einkommen einer Familie, mit Ausnahme der Familienbeihilfe, werden für die Berechnung der „Mindestsicherung“ laut Erwin Buchinger zusammengerechnet. Verdient der „Partner“ mehr als diese Berechnungsgrundlage, geht die Partnerin vollkommen leer aus und ist Teilnehmerin an der unbezahlten Reproduktions- sprich Hausfrauenarbeit. Zusätzliche ehrenamtliche Tätigkeiten sind selbstverständlich wegen der „neuen sozialen Wärme“ in dieser Gesellschaft erwünscht. Damit ist der Ausschluss der Frauen aus dem 1. Arbeitsmarkt programmiert.

Alleinerzieherinnen sind in diesem „Grundsicherungsmodell“ von der Zwangsarbeit bedingt ausgenommen. Es wird jedoch von der Zentralanstalt für Arbeitszuweisung (AMS) ständig überprüft, wie viele Stunden an gemeinnützigen Tätigkeiten doch noch verrichtet werden müssen. Bereits jetzt sind Frauen und MigrantInnen vorwiegend  in prekären bis unbezahlten Beschäftigungsformen zu finden, auch wenn zunehmend mehr Männer in diesen Sektor gedrängt werden. So wird  sich die Lohnschere noch weiter öffnen und eine Verarmung breitester Bevölkerungsschichten zur Folge haben. Frauen sind besonders von der Zerschlagung des „Sozialsystems“ betroffen, von einem „Rausholen aus der Armut“ kann überhaupt keine Rede sein.

Vollbeschäftigung durch Zwangsarbeit

Der Multimillionär und Arbeitsminister Bartenstein sinniert: „Die Arbeitslosigkeit weiter verringern hilft beispielsweise die Mindestsicherung, eine Art Übergang von der Hängematte zum Trampolin, also mehr Jobchancen für Sozialhilfeempfänger, indem wir sie beim AMS andocken.“ (Der Standard, 13.1.07) Das Trampolin verwandelt sich allerdings rasend schnell in ein Katapult als Endlösung der seit Jahren forcierten SchmarotzerInnenhatz.

Im selben Fahrwasser bewegt sich der Arbeitsspender und Kreateur [„Erschaffer“, Red. grundrisse] dieses verschärften Sozialhilfemodells für alle aus dem Buchinger-Clan, Erwin Buchinger, SPÖ: „Die meisten Leistungen des österreichischen Sozialsystems knüpfen an die Erwerbsarbeit an [...]  Entscheidende Voraussetzung für die bedarfsorientierte  Grundsicherung ist für alle arbeitsfähigen BezieherInnen bis zum Pensionsalter der Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Nur wer bereit ist zu arbeiten, kann Grundsicherung beziehen. Als Kriterium für die Bereitschaft sollen die Zumutbarkeitsbestimmungen des AMS [Anmerkung: Bisher wurden die Zumutbarkeitsbestimmungen durch das Gesetz und nicht durch das AMS bestimmt – zumindest auf dem Papier.] (sic!) herangezogen werden. Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten kann, muss diese Gründe nachweisen [...] Wer eine angebotene Arbeit nicht annimmt, kann die Grundsicherung verlieren. [...] wer arbeitswillig ist, für den soll sich das System auch lohnen [...] Die bedarfsorientierte Grundsicherung bezieht sich nicht auf die einzelne Person, sondern auf das Haushaltseinkommen. Bei einem Paar, bei dem ein/e Partner/in gut verdient und der/die andere nicht, geht die Grundsicherung davon aus, dass das Haushaltseinkommen ausreicht“ usw. (E. Buchinger, Die bedarfsorientierte Grundsicherung. Auf Basis des Papiers des SPÖ-Kompetenzteams Soziales und der Stellungnahmen dazu, Version 3, Stand 1.12.2006, nachzulesen als PDF-Download)

Je weniger die Lohnarbeit wird, umso vehementer wird gegen „Schmarotzer“ gehetzt. Die Spaltung in gute und böse Arbeitslose führt nicht nur zur völligen Entrechtung, sondern zur Entsolidarisierung und zu selbstverschuldeten Einzel-„Schicksalen“,  zur Verrohung und Verblödung einer ganzen Gesellschaft. Selbstverständlich rechnen die Versicherungsmathematiker schon jetzt  damit, dass sich zahllose Menschen diesem Arbeitszwang und dieser Total-Kontrolle und dem Anschlag auf ihre Menschenrechte auf ein gewaltfreies Leben nicht aussetzen werden. Zahllose Menschen werden versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen, um diesem Zwang zu entgehen. Schon bisher wurden Arbeitslose und NotstandshilfebezieherInnen durch Schikanen und sogenannte „Aktionen scharf“ dazu gebracht, sich „freiwillig“ vom Bezug abzumelden. Dieses kalkulierte „Einsparungspotenzial“ steht den Arbeitslosen-Kontrolloren zur Verfügung, um Druck auf jene auszuüben, die überhaupt keine Chance haben, sich dieser Zwangsbehandlung zu entziehen = aktive Arbeitsmarktpolitik!

Massive Gesetzesänderungen stehen bevor!

Um diese geplante lückenlose und flächendeckende Arbeitseinsatzpflicht in der österreichischen Gesellschaft zu implementieren, bedarf es massiver Eingriffe in das geltende Arbeitslosenversicherungsrecht und auch ins Sozialhilfegesetz, das Arbeitsrecht und die Menschenrechte und die massive Einschränkung des Rechtsanspruches auf Versicherungs- und Sozialleistungen. Ein zentraler Punkt in dieser gesetzlichen Änderung ist die Absicht zum Ausbau der sogenannten „aktiven Arbeitsmarktpolitik“, die Forcierung sogenannter „sozialökonomischer Betriebe“ sowie die „Forcierung der Zusammenarbeit mit gemein/nützigen und privaten Arbeitskräfteüberlassern und enge Verknüpfung von staatlicher und privater Arbeitsvermittlung“ (Regierungsvereinbarung) und vieles mehr. Die Tatsache, dass die Arbeitsvermittlung von Erwerbslosen im Zusammenhang mit dem Bezug von Versicherungsleistungen dem AMS alleine obliegt, soll gesetzlich abgeschafft werden! Damit ist der bisher schon tausendfach illegal praktizierten schikanösen Zwangsbehandlung, Vernaderung und Aussteuerung der Erwerbslosen Tür und Tor geöffnet: die Verramschung von Menschen kann hemmungslos beginnen.

Entrechtung, Entmündigung und das Geschäft mit den Arbeitslosen

Das AMS im Auftrag der „sozialen Fairnessverteiler“ war im Vorjahr massiv mit zahlreichen oberstgerichtlichen Urteilen des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes konfrontiert, die allerlei Praktiken des AMS als nicht zulässig feststellten [Weiterführende Informationen auf: www.soned.at]. So existieren beispielsweise Projekte bzw. Programme wie IT-Works, Integra, Trendwork und dergleichen mehr. Sie praktizieren Schulung, Coaching, Berufsorientierung, Praktikum und Arbeits- und Vermittlungsüberlassung in einem Brei, was gesetzwidrig ist, denn Vermittlung obliegt ausschließlich dem AMS. BezieherInnen von ALG und NH berichten permanent von der Willkür, dem permanenten Gesetzes- und damit Amtsmissbrauch, Nötigung, Erpressung, ungewünschte Einweisung in sinnlose Kurse und Maßnahmen, Aushöhlung und vorsätzliche Missachtung des Arbeitsrechts – über existenzvernichtende Maßnahmen des AMS im Namen der Staatsräson. Resultat: mindestens 30.000 Sperren des Bezuges von ALG oder NH pro Jahr, womöglich noch ohne Bescheid und sorgfältige Prüfung – pure Willkür. Die permanente Rechtsbeugung soll nun durch diese Regierungsvereinbarung lapidar in legale Praxis umgemodelt werden.

Dreht und beugt Haider das Verfassungsrecht im Ortstafelkonflikt, so führt dies zur Aufwallung und öffentlichen Empörung. Maria Berger, die neue Justizministerin, bezeichnet Haiders Frotzelei der Gerichte und der Minderheit in Kärnten als Skandal. Der VGH-Präsident Korinek fordert eine bessere „Qualitätssicherung“ für Gesetze. Wenn abertausende Menschen vollkommen illegal unter Androhung der existenziellen Vernichtung von österreichischen Behörden wie dem AMS schikaniert werden, so müsste darüber ebenso viel Empörung entstehen. Derzeit herrscht allerdings leider ein übler Konsens: SchmarotzerInnen an die Arbeit – unter allen Umständen und unter jeder Bedingung. Die „Grundsicherung“ ist ein Hartz-IV-ähnliches Konstrukt und ein Ausdruck der Menschenverachtung. Sie muss verhindert werden. Ebenso die Verschärfung der „Zumutbarkeitsbestimmungen“ und die Einweisung von Erwerbslosen in private und gemein/nützige Personalüberlassungsfirmen und „sozial“-ökonomische Betriebe.

Frauenrechte sind Menschenrechte – sie sind unteilbar. Es lohnt sich, für ihren Ausbau und ihr Fortbestehen zu kämpfen. Gehen wir's an! Widerstand, bevor es zu spät ist!

Kontakt: flgz@gmx.net

Homepage: www.die.undankbare.net.tf

 

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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