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Martin Birkner: Kampffeld ohne Kampf? Redaktionelle VorbemerkungDer Text von Johanna Klages rief in der grundrisse-Redaktion intensive Diskussionen hervor. Vor allem ihre Sicht auf das „politische Feld“, die Darstellung von „Besonderem“ und „Allgemeinem“ hinsichtlich politischer Repräsentation wurde von allen Redaktionsmitglieder nicht geteilt. Warum findet sich der Text aber dennoch in den grundrissen, wenn an zwei zentralen Aussagen sich keinerlei geteiltes Terrain ausmachen lässt? Zum einen, weil der Artikel gut strukturiert und nachvollziehbar ist, zum anderen – und das ist der Hauptgrund – weil er unseres Erachtens nach tatsächlich repräsentativ für die aktuell hegemoniale Strömung der zeitgenössischen Linken steht. Dabei ist Klages´ Argumentation weder so plump wie die mancher keynesianischer RomatikerInnen, noch so ignorant gegenüber den gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen wie die vieler traditionsmarxistischer AktivistInnen. „Kampffeld Repräsentation“ beschreibt mithin eine tatsächlich existierende Tendenz, den neoliberalen Umbau der kapitalistischen Gesellschaft, und weist sicherlich auf wichtige Einzelphänomene dieser Transformation hin, ABER. Genau dieses ABER soll im folgenden Text skizziert werden – in der Hoffnung auf eine produktive Weiterführung der Debatte, denn bei aller Kritik an neosozialdemokratischen – und als solcher muss Klages´ Text wohl bezeichnet werden – Theorieansätzen ist die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Strömungen der Linken notwendige Bedingung für die Rückgewinnung der Bedeutung linker Diskurse überhaupt. Kurzum: Alle Beteiligten können nur gewinnen, solang die Argumente der jeweils Anderen ernst genommen werden und die Debatten nicht zirkulär verlaufen. Im Folgenden wird vorerst grundsätzliche Kritik an Klages´ Aufsatz geübt, anschließend soll ein in Thesen gefasster Durchgang durch den Text die grundsätzlichen Kritikpunkte an konkreten Stellen plausibel machen. Wir hoffen auf die Weiterführung der Diskussion, steht doch nicht weniger als die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit emanzipatorischer Politik in ihrem Zentrum. KEINE POLITIK IST MÖGLICH! liest mensch in Wien allenthalben – auf Aufklebern der wertkritischen Streifzüge. Die Ableitung dieser nominativen Aussage fällt bei geteilter Ausgangsbasis – die angesichts des zu beobachtenden Spektakels durchaus plausibel erscheint – nicht schwer; und stellt doch die Möglichkeit, sich in soziale Bewegungen einzuschreiben grundsätzlich zur Disposition. Ein Denken, das sich aber als unhintergehbar in ebendiese Bewegungen – und seien sie noch so mikroskopisch – verstrickt begreift, hat ebenfalls keine Wahl: KEINE POLITIK IST UNMÖGLICH! Bleibt die Frage nach dem notwendigen(?) Zusammenhang der postulierten POLITIK und den nicht zufällig so genannten SOZIALEN Bewegungen. Es geht also um die Möglichkeit von Politik im Hier und Jetzt. Dies ist zugleich der erste methodische Kritikpunkt an Klages´ Text, der allerdings im Kern auszudehnen wäre auf mehr oder weniger alle sozialwissenschaftlich orientierten Theorieansätze: Politik als „relativ autonomes gesellschaftliches Feld“ wird zwar postuliert, nicht aber im Prozess historischer Veränderung betrachtet. Somit bleibt Politik einfach Politik, von Aristoteles über die US-Amerikanische Verfassung bis zur Realität gesellschaftlicher Auseinandersetzungen im neoliberalen Kapitalismus. Diese Enthistorisierung von Politik hängt mit einer weiteren Problematik aufs Engste zusammen, nämlich mit ihrem Verhältnis zur Ökonomie, zur materiellen Reproduktion der gesellschaftlichen Individuen mitsamt ihren Produktionsverhältnissen. Marxens Hauptwerk kritisiert nicht ohne Grund die politische Ökonomie, zeigt sich an und in ihr doch die untrennbare Verbundenheit von Polis und Oikos im modernen, d.h. in diesem Fall kapitalistischen Gewande. Dem entsprechend hat sich in den besseren Momenten der ArbeiterInnenbewegung diese jener Untrennbarkeit noch und gerade im Kampf dagegen vergewissert. Der Staat war nicht, ist nicht und wird eines niemals sein: Gegenpol zum Kapital. Die jeweils konkret-historische Situation kapitalistischer Gesellschaftsformationen hat somit Rücksicht zu nehmen auf die spezifische Art der Verbindung dieser zwei Aspekte eines Herrschaftsverhältnisses, ansonsten ist das historisch bekannte Zwillingspaar Politizismus – Ökonomismus mitsamt seinen unzureichenden theoretischen Ansätzen und politischen Konsequenzen nicht weit. Leninismus und Sozialdemokratie sowie Anarchosyndikalismus und traditionelle Gewerkschafterei führen uns tagtäglich ihre eigene Überkommenheit vor Augen. So gilt es, und das ist der dritte Aspekt der Kritik an Klages, in Zeiten beschleunigten gesellschaftlichen Wandels noch mehr als je zuvor, die Elemente und Verhältnisse dieser Transformation in den Blick zu bekommen. Aus einem Erkenntnisinteresse heraus, das dem Marxschen Imperativ, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ folgt, ist eine solche Analyse nur aus dem Anerkennen der Unhintergehbarkeit des eigenen Situiert-Seins in den diesem Imperativ gehorchenden Bewegungen möglich. Es wäre also von den Klassenkämpfen aus zu denken, nicht aber ohne der Uneinlösbarkeit der Ins-Werk-Setzung der Marxschen Forderung in toto ständig sich zu vergewissern. An dieser Stelle treten ganz wesentliche Fragen von Emanzipation in unser Gesichtsfeld, die hier nicht behandelt werden, deren Abwesenheit sowohl an dieser Stelle aber auch in Klages´ Text uns doch zu denken geben sollte: Was ist eigentlich das Gemeinsame all jener, die vielleicht den obigen Imperativ grundsätzlich ganz gut finden, ABER. Ist das Politik? Ist eine Überprüfung der Einlösbarkeit politischer Theorien anhand ihrer Kommensurabilität mit Theorie und Praxis von Feminismus und Antirassismus nicht schon ein großer, wenn nicht der größte Schritt (und es sind sicher viele, viele Schritte) zur Klärung der eingangs gestellten Frage? Bei Klages lässt sich diese Problematik sehr schön an ihrer Behandlung von Allgemeinem und Besonderem ablesen: Auf der einen Seite wird die Verwandlung der Sozialdemokratie von der Klassen- zur Volkspartei (d.h. die Bewegung vom Besonderen zum Allgemeinen) kritisiert, andererseits aber die Stärkung des politischen Feldes (als potenziell Allgemeines) gefordert. Und was ist dies letztendlich, wenn nicht der Staat erweitert um jene Sphäre, die in linksliberalen Diskursen so gerne zum Heil bringenden weil antitotalitären Allzwecksubjekt wird: die Zivilgesellschaft ...
KEINE POLITIK IST UNMÖGLICH! will nicht heißen, dass, wer „unpolitisch“ ist, „objektiv“ auf der „anderen“ Seite der Duldung ausbeuterischer Zustände steht. Die Schwäche jedoch, die die Positionen von WertkritikerInnen, K-Gruppen und Klages in eine bedenkliche Nähe zueinander rückt, ist das Verweigern der Theoretisierung sozialer, ökonomischer und politischer Veränderungen in ihrer gegenseitigen Verschränkung und Beeinflussung. KEINE POLITIK IST UNMÖGLICH! will nicht heißen, dass die Thematik der Repräsentation mit einem schlichten „Nein Danke!“ oder partizipativ-demokratischen Patentrezepten vom Tisch gewischt werden kann. Die Darstellung der Mehrgliedrigkeit repräsentativer Prozesse gehört zu den stärksten Teilen in Klages´ Text. Die Aussage des dritten Teiles ihrer Darstellung („Repräsentation als Stellvertretung“) aber tappt in die dem trotzigen Anarchismus entgegengesetzte Falle. In Verkennung sämtlicher disziplinierender Effekte des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates wird die notwendig antiemanzipatorische Seite von Stellvertretung völlig ausgeblendet, es bleibt nicht viel mehr als die Forderung nach der Rückkehr ins vermeintlich „goldene Zeitalter“ von Fabrik, Kleinfamilie, Wohlstandsnationalismus und der Befriedigung vermuteter Interessen „des Proletariats“ im Staat durch die sozialdemokratische Regierung. Dagegen gilt es auf den konstitutiven Anteil der sozialen Bewegungen an dem hinzuweisen, was so gern als „Neoliberalismus“ beschworen wird. Die Kämpfe um sexuelle Befreiung, künstlerischen Ausdruck, gegen Fabrikdisziplin und „Normalarbeitstag“, gegen den Mief der 1950er Jahre, gegen Kleinfamilie und Eliteuniversität wurden vom Kapital weniger ignoriert als von dessen sozialdemokratischen, kommunistischen und gewerkschaftlichen Mit-VerwalterInnen. Eingedenk dessen muss jede künftige Auseinandersetzung sich von den einstigen Gewissheiten (Arbeit! Wahl! Staat!) zumindest dahingehend verabschieden, dass gleichberechtigte Diskussionen ohne Paternalismus, ohne ödes Aneinander-Vorbeireden und Nichtreflektieren eigener Machtpositionen überhaupt möglich werden. Am Zug jedenfalls ist die „offizielle Politik“, denn ohne der oben genannten Voraussetzungen ist an ein „intelligentes Zusammenspiel“ zwischen Parteien und sozialen Bewegungen nicht zu denken. Die Parteien jedenfalls sollten endlich erkennen, dass sie stets am kürzeren Ast sitzen, so sie ihren emanzipatorischen Anspruch nicht von vornherein über Bord werfen würden. Dahingehend wäre hinsichtlich der postfordistischen Veränderung des sozialen Gefüges unser Stehsatz wie folgt umzuformen: POLITIK WIE FRÜHER IST NICHT MÖGLICH! IST REVOLUTIONÄRE POLITIK HEUTE MÖGLICH? Früher bedeutet in diesem Zusammenhang die, wenngleich auch beschränkte, Möglichkeit, aufgrund relativ stabiler gesellschaftlicher Großgruppen bzw. Klassen, via repräsentative Demokratie die sozialen Kämpfe zumindest partiell in rechtliche Strukturen zu gießen. Freilich wurden diese im „goldenen Zeitalter“ des Fordismus/Taylorismus vor dem Hintergrund der bipolaren Weltordnung durchsetzbaren Errungenschaften mit der Disziplinierung der ArbeiterInnenklasse teuer bezahlt. Die kapitalistische Antwort auf die Proteste dagegen löste die starren Beziehungen mitsamt der Zentralität der Fabrik, des Massenarbeiters und der patriarchalen Kleinfamilie auf. Aus einer Perspektive dieser Kämpfe ist also keine Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ des staatlich moderierten Klassenkompromisses denkbar. Gleichzeitig ist eine nicht-parlamentaristische und nicht-parteiförmige Politik offensichtlich weit weniger utopisch als das Festhalten am zunehmend sich spektakulär gebärdenden Politikzirkus. An dieser Stelle geht es um nichts weniger als um das Auffinden jener Orte, an denen sich die von den ohnehin verschwindenden Spielregeln offizieller Politik abwendenden sozialen Bewegungen mit den Tendenzen neuer Vergesellschaftungsmuster der Ökonomie treffen. Wenn Wissen, Kommunikation und gesellschaftliche Kooperation tatsächlich zur ersten Produktivkraft werden, dann wäre „zumindest“ jene Voraussetzung erfüllt, die den Kommunismus vom Staat abtrennen könnte – nämlich das Wegfallen jener für den Kapitalismus so wichtigen Verwaltung des Mangels. In Verbindung mit teilnehmenden Untersuchungen sozialer Prozesse und Kämpfe ist dies der Einsatz nicht nur jener ohnehin wirkenden möglichen Politik, sondern vielleicht gar jener mit dem Attribut revolutionär. Die Suche danach, die Diskussion darüber ist immer schon eröffnet. - Der kapitalistische Staat war niemals jenseits des Kapitalverhältnisses sondern vielmehr Garant seiner Aufrechterhaltung, Mediator des Klassenkampfes, selbst kapitalistischer Ausbeuter, Krieger und Ermöglichungsbedingung der Konstitution der herrschenden Klasse. Als solchem kommt ihm KEINERLEI emanzipatorisches Potenzial zu, im besten Fall verwandelte er Klassenkämpfe in sozialpolitische „Errungenschaften. - Im Fordismus zeitigte das Akzeptieren der ideologischen Trennung von Politik & Ökonomie noch reale Effekte für das Leben der Massen, heute ist das selbst bei bestem Willen nicht machbar. In diesem Sinne ist keine Politik möglich. -Mehr Politik bedeutet mitnichten mehr Demokratie, sondern auch und gerade im Zeitalter schwindender Repräsentationsmöglichkeiten mehr Verwaltung, mehr Kontrolle und letztlich mehr Repression. Deshalb muss sich ein emanzipativer Politikbegriff grundsätzlich davon unterscheiden. In diesem Sinne, als „Schaffung einer Distanz zum Staat“ (Alain Badiou), ist Politik nicht nur möglich, sondern auch notwendig. - Der gegenwärtige Kapitalismus ist die Antwort des Kapitals auf die sozialen Bewegungen, die den Ausschlag gegeben haben, dass die fordistisch-wohlfahrtsstaatliche Ordnung zusammengebrochen ist. Diese Bewegungen waren hoch politisch und im Endeffekt wirksamer als alle Parteien dieser Welt. - Dennoch konnte das Kapital die Einsätze der sozialen Bewegungen gegen ihre ProtagonistInnen selbst wenden. Der Kampf gegen die Auflösung sozialer Sicherungssysteme u.a. kann vom Standpunkt der Befreiung allerdings nur in Verbindung mit der Auflösung von Nationalstaaten, Migrationsbeschränkungen sowie der endgültigen Beseitigung der Verbindung von Lohnarbeit und Auskommen geführt werden. - Ein emanzipativer Politikbegriff muss sich aus den Erfahrungen sozialer Bewegungen herleiten, aus ihren Fortschritten und Erfolgen, aber und vor allem auch aus ihren Niederlagen und inneren Konflikten. Für ihn ist die Suche nach den Momenten der Befreiung und des Kommunismus im Hier und Heute konstitutiv. - Emanzipation ist nicht delegierbar! Bei aller Notwendigkeit von Repräsentation in arbeitsteiligen Gesellschaften ist der „Stellvertretungsaspekt“ von Repräsentation immer antiemanzipatorisch. - Ein Zusammenspiel von traditioneller und emanzipatorischer Politik ist vermutlich nur in Ausnahmefällen möglich, mit klar abgesteckten Grenzen und ohne Vereinnahmungstendenzen, sowie unter Akzeptierung aller Differenzen in den politischen Herangehensweisen. [1] Dieser Text ist eine subjektive Bilanz mehrerer Diskussionen in der grundrisse-Redaktion zum Artikel von Johanna Klages, besonders viel verdanke ich allerdings den Anmerkungen von Bernhard Dorfer. |
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