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Liebe Leserinnen und Leser! Die Artikel in dieser Ausgabe sind höchst unterschiedlich. Ebenso wie die Standpunkte differieren auch Stil und Rhetorik der einzelnen Texte. Auch wenn es innerhalb der Redaktion bestimmte Tendenzen zu postoperaistischen Standpunkten gibt, so wollen wir wie bisher eine strömungsübergreifende Zeitschrift sein und bleiben. Daher findet ihr in dieser Ausgabe nicht nur sehr verschiedene Positionen, auch der Typus der Texte variiert beträchtlich. Neben direkt in politische Auseinandersetzungen intervenierende Artikel findet ihr auch sehr abstrakt theoretische, die jedoch letztlich ebenso einen Aspekt gesellschaftlicher Konflikte darstellen. In „Die Intelligenz und die soziale Frage“ diskutiert Karl Heinz Roth die sich verändernde soziale Stellung der Intellektuellen sowie ihre Rolle und Funktion in der politischen Auseinandersetzung. Roth wendet sich sowohl gegen traditionelle Avantgardekonzeptionen als auch gegen die These, die Intellektuellen würden ihre spezifische Sonderstellung vollkommen verlieren. Brigitta Kuster, sie arbeitet unter anderem als Filmemacherin, diskutiert die „eigenwillige Freiwilligkeit der Prekarisierung“. Entgegen weit verbreiteten Auffassungen besitzen die neuen prekären Arbeits- und Lebensformen einen sehr ambivalenten Charakter. Sie können weder bruchlos als neue Formen der Freiheit und Selbstbestimmung gefeiert, noch als lineare Verschlechterung der sozialen Existenz begriffen werden. Hans-Peter Büttner führt uns in ein völlig anderes Theoriefeld. Schon aufgrund der Komplexität der Materie von der Linken oft weitgehend übersehen, findet eine akademische Auseinandersetzung um bestimmte Grundlagen des Marxschen Denkens, insbesondere um die Frage des sogenannten Transformationsproblems, statt. Büttner zeigt exakt die Defizite dieser akademisch-ökonomistischen Marxkritik auf. Da sein Text sehr einführend und erklärend geschrieben ist, ist er auch für NichtspezialistInnen ausgezeichnet lesbar. In seiner im Februar 2006 in Rom gehaltenen Rede – von Lars Stubbe behutsam übersetzt – zeigt John Holloway, dass nur wir selbst die Krise der abstrakten Arbeit sein können. Nur unser NEIN zu den Zumutungen der kapitalistischen Herrschaft kann die Krise der abstrakten Arbeit herbeiführen und die Perspektive auf eine freiere Gesellschaft eröffnen. Sehr breit in der Redaktion diskutiert wurde der Artikel von Johanna Klages „Kampffeld Repräsentation“. Im Vorspann zur Antwort von Martin Birkner auf diesen Text findet ihr einige Informationen zu dieser Debatte. Tatsächlich geht es um wesentliche Fragen, um Rolle, Funktion und Bedeutung von Politik und Repräsentation im allgemeinen sowie Staatsorientierung im besonderen. In einem Interview mit Mag Wompel, das Marcus Griesser geführt hat, informiert die Autorin über Kalkül und Auswirkungen jener Maßnahmen, die unter dem Begriff Hartz IV gegen Arbeitslose in Deutschland durchgeführt werden. Diese Debatte ist auch für Österreich relevant, im Detail unterscheiden sich zwar die Bestimmungen und Maßnahmen des AMS (Arbeitsmarktverwaltung, seit einigen Jahren euphemistisch Arbeitsmarktservice genannt), in der Summe sind die beabsichtigten Wirkungen jedoch sehr ähnlich. Der Artikel von Martin Birkner und Robert Foltin, „Autonomist & Open Marxism“ ist der Vorabdruck eines Kapitels aus „(Post)Operaismus. Von der Arbeiterautonomie zur Multitude. Geschichte und Gegenwart, Theorie und Praxis“, für das hier auch gleich ein wenig Werbung gemacht werden soll. Das Buch erscheint in der Reihe theorie.org im Schmetterling Verlag und stellt die Entwicklung der operaistischen und postoperaistischen Theorie dar, insbesondere das Denken von Michael Hardt und Antonio Negri, von John Holloway sowie von Paolo Virno. Ergänzt wird diese Einführung durch Kritik am Postoperaismus aus „klassisch“-operaistischem wie auch feministischem Blickwinkel. Dabei wird ebenso der Zusammenhang zwischen den Theorieentwicklungen und den entsprechenden sozialen Auseinandersetzungen herausgearbeitet. Da Geschichte und Vorgeschichte von Operaismus und Postoperaismus im angloamerikanischen Raum hierzulande wenig bis gar nicht bekannt sind, haben wir eben das Kapitel „Autonomist & Open Marxism“ für den Vorabdruck ausgewählt.
Den Abschluss des Heftes bilden die Buchbesprechungen, die diesmal etwas mehr Platz als üblich einnehmen. Der Themenbogen spannt sich von einer Trotzki-Anthologie, über einen Roman aus der autonomen Szene, einem Sammelband zur Praxisphilosophie bis zum bedeutendem Werk von Heide Gerstenberger zur Entstehung der bürgerlichen Staatsgewalt, das endlich in einer zweiten, erweiterten Auflage erschienen ist. Badiou-Lesekreis Da ein Teil der Redaktion mit dem inzwischen abgeschlossenen Virno-Lesekreis verbunden ist, soll die Nachfolgeveranstaltung ebenso beworben werden. Der zu diskutierende Text ist das Opus Magnum von Alain Badiou „Sein und Ereignis“. Das nächste Treffen ist am 31. Mai 2006 wie gehabt um 19 Uhr in der Martinstraße 46. Für weitere Termine, die entsprechenden Texte etc verweisen wir euch auf die Homepage: http://not.priv.at/keineuni/Alain_Badiou. Die Bildstreifen wurden dieses Mal von Lisbeth Kovacic gestaltet, der wir herzlich dafür danken. Sie ist Mitorganisatorin des underdog-Filmfestivals, das sich als permanente Plattform für unabhängige FilmemacherInnen versteht. Dieses Festival fand zuletzt im März 2006 statt und wird erneut im Mai nächsten Jahres durchgeführt. Mehr Informationen sind unter http://underdogfilmfest.org/2006/ abrufbar. Danken möchten wir weiters allen, die uns Artikel geschickt haben, auch jenen, deren Texte wir letztlich nicht abgedruckt haben. Besonders gefreut hat uns die Zusendung von Ulrike K., die auf unseren Aufruf in der letzten Nummer „Call for Textiles“ reagiert hat und uns einige wunderbare Bilder von Kleidungsstücken geschickt hat. Wir müssen erst diskutieren, ob diese für das Cover der Nr. 19 verwendet werden. Für die Nr. 18 ist die Grafik schon festgestanden.
Sommerseminar 2006: Widerstand, Aufstand & Konstituierende Macht, oder: Ist revolutionäre Politik möglich? Das grundrisse-Sommerseminar geht ins vierte Jahr. Nach Auseinandersetzungen mit den Problemfeldern „Klassentheorie“, „nachkapitalistische Vergesellschaftung“ und „Gender“ werden wir uns heuer einem sehr kontroversiellem Thema zu: Der Politik. Die Marxsche Theorie darf als kritische gelten, wiewohl seine Analyse durch die Gleichzeitigkeit von Kritik und positiver Darstellung erst die Schärfe erlangt, die ihn von vielen anderen kritischen DenkerInnen abhebt. Allerdings finden wir in der Theorie von Marx – wie auch in den meisten Spielarten des Marxismus – keine Anhaltspunkte für ein Denken „des Kommunistischen“. Nach der notwendigen Kritik der schlechten, weil unkonkreten oder „idealistischen“ Utopien muss jedoch Politik, die nicht nur auf die Überwindung des Kapitalismus, sondern auch auf die Konstitution kommunistischer Verhältnisse abzielt, neue Modi politischen Handelns finden. Spinoza ist deshalb ein so interessanter und wichtiger Denker, weil er die Bedingungen der Konstitution einer freien Gesellschaft darstellt. Es geht letztlich darum, die Merkmale der neuen Gesellschaft in der schlechten alten bestimmbar und sie zu einem Einsatz einer Politik zu machen, die vielleicht eine revolutionäre sein wird. Dabei ist dem Verhältnis von Revolution als Prozess und dem revolutionären Ereignis besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Wie können die emanzipatorischen Veränderungen im hier und jetzt mit der Selbstorganisation in der Revolte verbunden werden und dadurch über den Kapitalismus hinausweisen? Es sollen verschiedene theoretische Ansätze dargestellt werden, aber auch historische und eigene politisch-praktische Erfahrungen in die Diskussion eingebracht werden. Die Seminareinheiten werden möglichst wenig frontal organisiert. Dies soll uns ermöglichen, über einleitende Fragestellungen, die die TeilnehmerInnen gemeinsam erarbeiten, eine intensivere Beteiligung aller zu erreichen. Der/Die VorbereiterIn springt also nur in Notfällen als „ReferentIn“ ein und soll eher kommentierendeR ModeratorIn sein. Bisher wurden folgende Themen vorbereitet: Kritik am Revolutionsbegriff, insbesondere am Konzept der Spalten und Risse von Holloway, Badiou und Negri zum Begriff der Demokratie, zum Begriff der konstituierenden Macht bei Antonio Negri, Politik und Selbstverständnis von Collectivo Situationes, ZapatistInnen/Venezuela/Argentinien, Demokratie bei Spinoza. Das Sommerseminar findet vom 26. bis 30. Juli in Ungarn statt. Anmeldungen sind unter grundrisse@gmx.net noch möglich. Eure grundrisse – Redaktion
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