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Slave Cubela:
Bonjour, Tristesse... An Antworten auf die Frage, wie die einstmals gesellschaftlich und politisch so bedeutende Arbeiterbewegung mitsamt ihren Vertretern in eine derart tiefe Krise geraten konnte, wie wir sie gegenwärtig Tag für Tag miterleben, herrscht kein Mangel. Umso bemerkenswerter ist es da, wenn man in diesem Problemkontext auf ein Buch stößt, das sich in vielerlei Hinsicht positiv von den vereinfachenden und schnellschließenden Darstellungen abhebt, die dieses Themenfeld mit irritierender Häufigkeit provoziert. Warum dies nun im Falle von Stéphane Beauds und Michel Pialouxs Studie über die großen Peugeot-Werke in Sochaux-Montbéliard, die in ihren „besten Zeiten“ 1978 ca. 30 000 Arbeiter und 1998 immer noch ca.12 000 Arbeiter beschäftigten, so ist, lässt sich leicht vorneweg erklären. Die beiden ehemaligen Mitarbeiter Pierre Bourdieus kommen trotz der Krise der Arbeiterbewegung und ihrer Vertreter nie auf die so beliebte und doch falsche Idee, von einem Ende der Klassen oder gar von einem Ende kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse auszugehen. Das Buch ist geprägt von einer in wissenschaftlichen Kreisen selten gewordenen ehrlichen Anteilnahme am Schicksal der Peugeot-Arbeiter, was sowohl den ungewöhnlich langen Betrachtungszeitraum der Studie von knapp 20 Jahren erklären hilft als auch die detailreiche und doch nie detailverliebte Darstellung. Schließlich kommt die Studie zu einem im besten Sinne diskussionswürdigen Ergebnis, nämlich dem, dass die gegenwärtige Krise der Arbeiter und ihrer Organisationen die Folge eines Bruches der ,,kulturellen Übertragung des Familien- und Klassenerbes von einer Generation auf die nächste“ (S. 30) ist, der eine Arbeitergeneration entstehen ließ, die sich ihrer einfachen Herkunft schämt, der tradierte Widerstandspraktiken und Organisationsformen als veraltet erscheinen und die ihre Hoffnung auf individuelle Aufstiegschancen setzt. Fabrikgeschichten Wie sich dieser Prozess bei Peugeot darstellt, demonstrieren Beaud und Pialoux im ersten Teil ihres Buches, indem sie zunächst „Fabrikgeschichten“ (S. 26) erzählen, die, wie sie bemerken, ,,nur denen als zweitrangig scheinen, die davon nicht betroffen sind“ (ebd.) und die doch Ausdruck eines häufig unbemerkten Feldes kleiner Schlachten, versteckter Siege und Niederlagen, unmerklicher Prozesse und Veränderungen des Fabrikalltags sind, das den ,,großen“ Entscheidungen und Entwicklungen zu Grunde liegt. Spitzt man diese Geschichten zu, so lässt sich sagen: In den sechziger und siebziger Jahren gelang es den Arbeitern bei Peugeot, in der harten Welt der fordistischen Produktion eine Menge kleiner Siege zu erringen. Sei es, dass sie die Qualitätssicherung des Produkts häufig anderen überließen (,,Passt schon! Weiter! Der Kontrolleur wird´s schon richten“, S. 46), sei es, dass derbe Streiche und Scherze auf Kosten von Chefs, ,,Krawattenmenschen“ und ,,Schleimern“ zur Tagesordnung gehörten, sei es aber auch nur, dass die Arbeiter zum Ärger und Unverständnis der Vorgesetzten den ,,offiziellen“ Kaffeeautomaten beharrlich mieden – auf mannigfache Art und Weise, so die Autoren, dominierten die Peugeot-Arbeiter diesen ,,tagtäglichen Kleinkrieg“ (S. 44), und festigten damit ihr Selbstbewusstsein, integrierten neue Arbeiter und legten die Grundlage für erfolgreiche große Mobilisierungen. Das langsame, aber sichere Ende dieses für die Arbeiter vergleichsweise günstigen Zustands bei Peugeot und mit ihm die Abwertung der alten Arbeiterklasse auf der Ebene der Fabrik setzte ab Anfang der achtziger Jahre ein, und zwar mit dem Einstellungsstopp 1979 und dem großen Streik von 1981/1982. Drei Veränderungen beleuchten die Autoren zum Verständnis dieses Erosionsprozesse hierbei eingehender: erstens die Umstrukturierung der Arbeitsgruppen bei Peugeot, zweitens der Umzug in eine neue ,,menschliche“ Fabrik und drittens die zunehmenden Blockade der Aufstiegs- und gleichzeitig steigenden Abstiegschancen der Arbeiter bei Peugeot. Die Umstrukturierung der Arbeitsgruppen zum Zwecke der Produktivitäts- und Qualitätssteigerung, so Beaud und Pialoux, bedeutete für die Arbeiter ein schnelleres Arbeitstempo, komplexere Arbeitsvorgänge, steigenden Druck, bei der Arbeitsoptimierung mitzuwirken, stärkere Kontrolle und Konkurrenz der Mitarbeiter untereinander und durch spezielle Funktionsstellen sowie neue Sanktionsmöglichkeiten durch die Einführung eines individuellen Prämiensystems. Der Umzug in die neue Fabrik riss sie aus der vertrauten Umgebung und gab ihnen ,,das vage Gefühl, dass sie sich in dieser ,,sauberen“, „keimfreien“ Welt nicht mehr verhalten konnten wie zuvor“ (S. 73). Die Blockade der innerbetrieblichen Aufstiegsmöglichkeiten und die Angst vor dem sozialen Abstieg schließlich tat ein Weiteres, um den körperlichen Verschleiß zu erhöhen und die Arbeiter stetig zu demoralisieren. Als vor diesem angespannten Hintergrund nun ab Mitte der achtziger Jahre von Unternehmensseite immer stärker junge Arbeiter - häufig auf Zeitarbeitsbasis - eingestellt werden, da diese sich zumindest kurzfristig besser im neuen Arbeitsumfeld zurechtfinden, kommt es in den neunziger Jahren zum offenen Generationenbruch innerhalb der Fabrik. Auf der einen Seite, so die Autoren, „die Alten“, die kampferfahren sind und, so gut es geht, versuchen die alte Widerstands- und Kampfkultur der Peugeot-Arbeiter hochzuhalten, die aber auch von der jahrelangen schweren Arbeit verbraucht und angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in ihrer Fabrik – und nicht nur da - einen immer schwereren Stand haben. Auf der anderen Seite ,,die Jungen“, die - geprägt von den neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen - die individuelle Hoffnung auf eine Festanstellung durch Leistung antreibt und die auf die Enttäuschung dieser Hoffnungen häufig unpolitisch durch Flucht aus der Fabrik reagieren. Keiner der beiden Gruppen, das zeigen Beaud und Pialoux eindrucksvoll, gelingt es, auf die jeweils andere Gruppe zuzugehen. Die ,,Alten“ sehen in den Jungen ein ,,Symbol der Entwertung ihres Knowhows und ihrer Deklassierung“ (S. 57) und werfen ihnen politische Naivität sowie ihre devote Arbeitshaltung vor. Die „Jungen“ wiederum – eifrig, opferbereit, flexibel – verachten die Alten, denn: ,,Was sie an den Montagebändern erleben, empört sie: alte Arbeiter, die ihre Zeit damit verbringen „rumzumeckern“, „zu saufen“, und ihren Spaß daran haben, mit den Chefs Katz und Maus zu spielen oder womöglich gar die Arbeit zu sabotieren.“ (S. 278) Da ihnen dies lediglich als ein ,,Luxus von Privilegierten“ (ebd.) erscheint, suchen sie sich auf jede erdenkliche Art und Weise von diesen ,,alten“ Überbleibseln abzugrenzen, so dass Beaud und Pialoux konstatieren: ,,Die lange Kette der Arbeitergenerationen in der Fabrik ist auseinander gebrochen.“ (S. 284) Schulgeschichten Beaud und Pialoux bemerken, dass das Auftauchen dieser neuen „jungen“ Arbeitergeneration in der Fabrik die Frage nach ihrer Genese stellt. Deshalb stellen sie in den Mittelpunkt des zweiten Abschnitt ihrer Studie die „Formen der Primärsozialisation“ (S. 27), also jene Erfahrungen in Familie und Schule, die diese Arbeitergeneration vor dem Eintritt in ihr Berufsleben geprägt haben. Ihr Ergebnis ist gerade vor dem Hintergrund der sog. PISA-Debatte von besonderem Interesse, kommen sie doch zu dem Schluss, dass gerade die große Bildungsreform von 1985 in Frankreich - die mit dem Ziel durchgeführt wurde, 80 Prozent eines Schuljahrgangs zum Abitur zu führen (,,80% bac“) - wesentlichen Anteil am Generationenkonflikt innerhalb der Peugeot-Arbeiterschaft hat. Sie schreiben: ,,Man unterschätzt leicht die moralischen und gefühlsmäßigen Kosten, die für die Eltern aus der Arbeiterschaft anfallen, wenn ihr Kind in den Konkurrenzkampf auf dem College oder gar dem Gymnasium geworfen wird, und sie selbst eine Welt entschlüsseln sollen, die ihnen unverständlich ist. Und auch die Entwertung der beruflichen Bildung hinterlässt tiefe Spuren. Früher stand dieser Bereich nicht nur für einen schulischen Erfolgspfad, der sozialen Aufstieg verhieß. Die berufliche Bildung war das Feld, auf dem sich eine Kultur der Technik, des Arbeiterstolzes und der Widerständigkeit herausbildete und verdichtete. Das gegenwärtige System, die „schulische Flucht nach vorne“, bringt völlig andere Kulturmuster hervor. Aus der Sicht der Familien, insbesondere aus der Sicht der Arbeiterfamilien, verändert die unbestimmte Verlängerung der Schulzeit das Verhältnis der Generationen tiefgreifend.“ (S. 29) Um dies zu verdeutlichen und zu präzisieren, erzählen Beaud und Pialoux im weiteren Verlauf erneut „Geschichten“, diesmal Schul- und Familiengeschichten. Ihr Ergebnis lautet komprimiert: Jene Arbeiterkinder, die trotz Bildungsreform niedrige Facharbeiterschlüsse oder das Fachabitur anstreben, wissen sehr früh und sehr genau, wie wenig ihnen diese Abschlüsse für einen erfolgreichen Berufsweg bringen. Dementsprechend demoralisiert, „stößt alles, was auf das industrielle Leben, auf den beschwerlichen und monotonen Arbeitsalltag hinweist, bei den Schülern auf großes Misstrauen. Ein Elektrotechnikschüler sagte angewidert: 'Das ist Peugeot!' Damit bringt er die ganze diffuse Ablehnung gegen all das zum Ausdruck, was mit der Fabrik zusammenhängt: das Gefangensein, der Lärm, der Gestank, der Schmutz, das Düstere. (...) Früher war es einem Schüler möglich, stolz darauf zu sein, einmal ein guter Industriearbeiter zu sein. Diese Möglichkeit hat er heute allem Anschein nach nicht mehr.“ (S. 144) Fügt man dem dann noch die interessante Beobachtung der Autoren hinzu, dass die Lehrer sich ,,weitgehend die Sichtweise der Industrie zu eigen machen“ (S. 161) und deshalb darum bemüht sind, aus ihren Schülern selbständige „Innovatoren“ (S. 159) zu machen, so ergibt sich ein erstes wichtiges Element, um die Entstehung der ,,jungen“ Arbeitergeneration bei Peugeot verstehen zu können. Das andere wichtige Element bilden jene Arbeiterkinder, denen es gelingt, sich auf den Gymnasien zu platzieren, die also, wie die Autoren es nennen, nach vorne flüchten. Deren Werdegang ist geprägt von zwei zentralen Ambivalenzen. Erstens: Sie sind zwar gut genug, um ein Gymnasium zu besuchen, doch dort fallen sie nicht nur durch ihre Ausdruckweise, ihre Kleidung und ihre Wohngegend als Arbeiterkinder auf, es fällt ihnen infolge des fehlenden kulturellen Kapitals ihrer Klasse häufig schwer mitzuhalten, so dass sie „tricksen“ (S. 207), sich ihr Wissen auf jede erdenkliche Art und Weise „zusammenbasteln“ (S. 203), letztlich ein bloß ,,instrumentelles Verhältnis zur Schule“ (ebd.) entwickeln. Zweitens: Ihr Werdegang wird von ihren Eltern zwar auf jede erdenkliche Art und Weise unterstützt und ist deren ganzer Stolz, doch zugleich entfremdet sie das Gymnasium schleichend von ihrem Herkunftsmilieu, so dass sie dieses zu belächeln beginnen, ja sich für dieses schämen, während umgekehrt die Eltern den ,,Gymnasiasten-Snobs“ (S. 214) nur noch mit Kopfschütteln oder Spott begegnen können. Indem nun diese doppelte Ambivalenz, wie Beaud und Pialoux zeigen, zu einer doppelten Distanzierung dieser Schüler führt, und zwar einerseits gegen die etablierte Schulkultur, andererseits gegen ihre Familie und ihre soziale Klasse, überrascht es nicht, dass ihnen häufig doch der soziale Aufstieg verwehrt bleibt, sie also in die Fabrik müssen, dabei jedoch auf Distanz zu den überkommenen Widerstands- und Protestformen ihrer Eltern gehen. Und deshalb verwundert auch kaum, was am 17. März 1994 in Montbéliard am landesweiten Protesttag gegen die aktuelle Bildungspolitik geschieht: ,,Anders als andere Städte erlebt Montbéliard zwei getrennte Demonstrationszüge: Als sich der Zug der Gymnasiasten an einem Ende der Stadt auflöst., beginnt am anderen Ende der Stadt die Demonstration der Fabrikarbeiter. Das Koordinationskomitee der Gymnasiasten hatte das Angebot der Gewerkschaften, gemeinsame Aktionen durchzuführen, kategorisch abgelehnt. Die Gymnasiasten schlagen also die ausgestreckte Hand der alten Arbeiter aus, obwohl die meisten Teilnehmer an der Schüler-Demonstration aus den unteren Schichten stammen. Der Bruch zwischen der Arbeiter-Generation und der Gymnasiasten-Generation ist an diesem Tag symbolisch vollzogen worden.“ (S. 225) Krise der Gewerkschaftsaktivisten und Arbeiter-Rassismus Nachdem so eine Antwort für die Genese des Generationenbruchs innerhalb der Peugeot-Arbeiterschaft gefunden ist, suchen Beaud und Pialoux im letzten Teil das „Zusammenspiel dieser Veränderungen auf die Entwicklung der Arbeiterschaft“ (S. 33) zu erhellen. Obgleich dieser synthetisierende Schluss ihrer Arbeit nicht ohne Wiederholungen auskommt, fällt er analytisch nicht ab, da hier zwei weitere, bislang kaum beachtete Aspekte der Entwicklung bei Peugeot ausführlich beschrieben und diskutiert werden: zum einen ,,die Krise der politischen Arbeiterschaft im Betrieb“ (S.33) bzw. ,,die Ratlosigkeit und Verzweiflung der Gewerkschaftsvertreter“ (ebd.) und zum anderen die wachsende Anziehungskraft, die der rassistische Front National um Jean-Marie Le Pen auf das Arbeitermilieu ausübt. Die Krise der Gewerkschaftsaktivisten, die in den beschriebenen tiefgreifenden Veränderungen in der Fabrik fußt, führt, wie die Autoren zeigen, sukzessive auch bei ihnen zur Verzerrung der innerbetrieblichen Konfliktlinien, d.h. auch viele Aktivisten haben immer mehr das Gefühl, „dass die alten Widerstandsformen nutzlos geworden sind, dass sie den Zwang, sich um jeden Preis an moderne Strukturen anzupassen, nicht einfach von der Hand weisen können“ (S. 271), wenn sie nicht als ,,Motzer auf verlorenem Posten“ (S. 269) enden wollen. Doch, und das wird von den Autoren besonders hervorgehoben, dieser innerbetriebliche Druck zur Anpassung und zur Aufgabe der überkommenen Widerstandsmodelle könnte nicht so nahtlos funktionieren, wenn die gesellschaftliche Entwicklung ihn nicht flankieren würde. Insbesondere ,,der Fall der Berliner Mauer (1989) und der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa gruben sich tief ins Bewusstsein der Arbeiter ein, auch wenn die Aktivisten darüber nur sehr ungern reden. Denn, weil der Aktivist seit langem in einer politisch-gewerkschaftlichen Struktur agiert, trifft auch ihn die Kritik an den sozialistischen Utopien und wie sie in einem autoritären System degenerierten. Das führt schließlich dazu, dass er bestimmte Worte nicht mehr auszusprechen wagt und das Gefühl hat, ein Teil der eigenen Geschichte sei verloren gegangen.“ (S. 275f.) So beschleiche viele das Gefühl, „dass sie nicht mehr an etwas ,,Großem“ teilhaben, an etwas, das über die „enge“ Welt, in der sie leben, hinausweist“ (S. 273) und deshalb bleibe meist nichts ,,als die Hoffnung auf den vorzeitigen Ruhestand und das bittere Bewusstsein, der Gruppe bei ihrem ,Niedergang´ und bei ihrer ,Selbsterniedrigung´ zusehen zu müssen.“ (Ebd.) ,,Fast nichts“, muss man hinzufügen, denn gleichzeitig wählen in den neunziger Jahren immer mehr Peugeotarbeiter den rassistischen Front National, so dass dieser auf Wahlergebnisse von 20 bis 25 Prozent kam und kommt. Doch es wäre falsch, das betonen Beaud und Pialoux, all diese Arbeiter einfach als unverbesserliche Rassisten einzusortieren und abzuqualifizieren. Stattdessen schlagen sie vor, von einem spezifischen ,,Arbeiter-Rassismus“ (S. 315) zu sprechen, um damit dieses politische Phänomen genauer zu fassen, ohne es herunterzuspielen. Weshalb dies nötig ist, zeigen die beiden Autoren, indem sie auf den irritierenden Umstand verweisen, dass im gleichen Zeitraum einerseits die kommunistische CGT in Teilen des Peugeot-Werkes bei den Betriebswahlen erheblich an Boden zulegen konnte und sich andererseits rassistische Äußerungen bei vielen ihrer Gespräche mit den Beschäftigten vor allem ,,gegen die 'kleinen Migranten'" (S. 291) richteten, denn: ,,Während die Eltern wirklich „geschuftet“ hätten, wird den Jungen [Migranten/S.C.] vorgeworfen, herumzulungern und respektlos zu sein.“ (ebd.) Zudem, so Beaud und Pialoux, vollziehen viele Arbeiter ihren politischen Wechsel ,,von Zweifeln begleitet und mit schlechtem Gewissen“ (S. 309), oder wie es ein Arbeiter im Buch ausdrückt: ,,Manchmal kommt der Rassist in mir hoch... Und ich hasse mich dann.“ (S. 319) Warum kommt es aber trotz Differenzierung und schlechtem Gewissen zu den bedenklichen Wahlergebnissen? ,,Die Begründung dafür könnte so lauten: das „wir“ (die Arbeiter) am Nullpunkt angelangt sind und als ,,archaisch“ und „unverbesserlich“ gelten, und da ,,ihr“ (die ,,da oben“, die ,,Sozialisten“) uns ständig sagt oder spüren lasst, dass wir ,,dumm“ sind, dass unsere Kinder nicht ,,gebildet“, nicht ,,aufgeschlossen“ sind, und wir das nicht ungestraft weiter mit uns machen lassen, wollen wir euch mal zeigen, wozu wir fähig sind. Wir sind immer noch zahlreich. Das ist die einzige Kraft, die wir noch haben, und die werden wir einsetzen und Le Pen wählen oder zumindest drohen, es immer wieder zu tun. Man muss denen Angst einjagen, damit „wir“ Arbeiter endlich ernst genommen werden.“ (S. 309) Oder etwas prosaischer formuliert: ,,Viele Arbeiter haben den Eindruck gewonnen, dass sich die Vertreter der Linken für andere noblere oder 'humanistischere' Angelegenheiten (die Kultur, den Kampf gegen die Armut oder gegen den Rassismus) interessieren, wo doch die 'Volksklassen' vor ihren Augen leiden.“ (S. 311) Zukunftsfragen Gerade diese letzten Passagen provozieren beim Leser womöglich kritische Einwände. Denn auch wenn man in den Kapiteln vorher fragen mag, ob insbesondere die These vom Generationenbruch nicht zu sehr mit der durchaus progressive Züge tragenden französischen Bildungsreform von 1985 verknüpft wird, so scheinen Beaud und Pialoux doch an diesem letzten Punkt ihrer Darstellung den Bogen der Anteilnahme mit den Peugeot-Arbeitern zu überspannen. Bleibt ein „Rassismus mit schlechtem Gewissen“ oder wie auch immer modifiziert im Ergebnis nicht das Gleiche? Was hilft der Hinweis, dass sich dieser Arbeiterrassismus lediglich gegen die ,,jungen Migranten“ richtet? Müsste man außerdem die Behauptung der Autoren, dass die Kriminalität der Ausländerkinder ,,kein Mythos“ (S. 306) ist, nicht nur, wie es Beaud und Pialoux tun, durch den Aufweis der Gründe für die ,,Gegengewalt“ (S. 305) der jungen Migranten ergänzen, sondern auch durch exakte statistische Belege? Und schließlich: Handelt es sich bei den Zugewinnen der CGT in den neunziger Jahren tatsächlich um einen Linksschwung, oder vollzieht er sich mangels rechter Alternativen (ganz zu schweigen davon, dass er der Hauptthese des Buches widerspricht)? Definitive Antworten können und sollen hier nicht gegeben werden, aber es mag – auch um die Lektüre des Buches unbedingt jedem ans Herz und an den Verstand zu legen – sinnvoll sein, zum Abschluss zu verdeutlichen, dass sich mit und um diese Fragen herum ohne Zweifel das Feld der Zukunftsfragen linker Politik und Praxis gruppiert. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn Beaud und Pialoux den Arbeiter-Rassismus tatsächlich zu wohlwollend betrachten, wenn sie womöglich schon die ,,alte Arbeiterschaft“ und ihre linke Widerständigkeit verklären, worin besteht eine emanzipative, linke Alternative? Soll man sich endlich und konsequent von der Arbeiterschaft abwenden und auf die Suche nach neuen kämpferisch-widerständigen Subjekten begeben, wie dies viele Linke schon seit Jahren tun? Zweifel sind mehr als erlaubt, gerade mit Blick auf die schwierige Situation der Linken in fast allen westeuropäischen Ländern, insofern nicht nur in Frankreich die Linke für ihre Abwendung von der Arbeiterschaft mit einer sich stetig verschärfenden Marginalisierung ihrer selbst und der Herausbildung eines Bündnisses zwischen Arbeitern und konservativ-rassistischen Populisten bezahlt, wie dies kürzlich Tom Frank für die USA gezeigt hat (Tom Frank: "Sushi, Piercing und andere Besonderheiten. Krisenpopulismus in den USA", in: Le Monde diplomatique 2/2004; s. auch ders.: "What’s the Matter with Kansas? How Conservatives Won the Heart of America", New York 2004). Um diese Tendenz zu durchbrechen, täte jedoch zweierlei Not. Es wäre zum einen wichtig – gerade für den kulturell-akademischen Teil der Linken - endlich zu verstehen, dass ein Werben um die Arbeiter keineswegs die Rückkehr zu irgendwelchen Traditionalismen bedeutet, sondern dass dies der Kampf um ein strategisches Feld der Gesellschaft ist, ohne welches jede prinzipielle Veränderung unmöglich ist. Zum zweiten wiederum hätte man, wie dies Tom Frank so schön formuliert hat, einzusehen, dass niemand von Geburt an Linker ist, sondern dass man, wenn überhaupt, Linker wird, was unter anderem zur Folge hat, dass dieses Werben um die Arbeiter ein mühevoller und oft vergeblicher Prozess ist, der eben auch der Auseinandersetzung mit Rassismen und vielen Stereotypen anderer Art bedarf. Insofern ließe sich Beaud und Pialoux vielleicht eines Tages entgegnen, dass sie weniger die verlorene Zukunft der Arbeiter beschrieben haben als den zunächst verlustreichen und schwierigen Prozess des Gewinns einer neuen Zukunft - einer Zukunft, die sich nicht - wie viele Gewerkschaftslinke es möchten - im engen national-etatistischen Sozialstaat erschöpft, sondern die global und sozial angelegt ist; einer Zukunft, die nicht durch die standardisierte Massenproduktion des Fließbandes bestimmt wird, sondern durch die ungeheuren Potentiale der gegenwärtigen Flexibilisierung und Individualisierung von Kommunikation und Produktion. Leider jedoch ist dies die unwahrscheinlichere Variante. Vielmehr steht zu befürchten, dass die Gewerkschaftslinke weiterhin ihre Vergangenheit und die des Sozialstaates verklärt und sie phantasielos zum Maßstab der Zukunft macht; dass die akademisch-kulturelle Linke fortfährt, ihren Humanismus durch neue Widerstandssubjekte zu grundieren und jeden Verweis auf die Arbeiter als geschichtsphilosophisch-metaphysisch-traditionalistischen Quatsch zu entlarven, um so der intellektuellen Einsamkeit zu entfliehen; und dass diese Arbeiter - eventuell sogar in steigendem Maße - für die Einflüsterungen und Parolen ihrer gesellschaftlichen Ausbeuter und deren Ideologen empfänglich bleiben werden. Bonjour, Tristesse... |
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