| |
Editorial Nr. 15
Liebe LeserInnen,
eigentlich sollten hier Berichte über unser Sommerseminar „Kapitalismus,
Geschlechterordnung und Revolution“ stehen. Da es aber so verschiedene
Sichtweisen (und zurückgestellte Beiträge) dazu gibt, die noch diskutiert werden
müssen, werden die Berichte erst in den nächsten grundrissen zu lesen sein.
Die Texte sind diesesmal sehr
(post)operaismuslastig, was eine starke Tendenz in der Redaktion bestätigt.
Allerdings ist dies die erste Ausgabe der grundrisse, in der sich kein Text
eines Redaktionsmitglieds findet - was uns sehr freut. Weniger erfreulich ist
dagegen - auch darauf wird in der oben bereits angedeuteten Auseindandersetzung
im Gefolge unseres Gender-Seminars noch zurückzukommen sein - die rein männliche
Autorenschaft dieser Nummer.
Der Artikel von Martin Dieckmann beruht
auf seinem Referat am diesjährigen Buko-Kongress in Hamburg und stellt eine
erfrischende Perspektive auf das Themenfeld Prekarität und Prekarisierung vor.
Da diese Thematik bereits im Umfeld des Euromayday sowie im Beitrag von Gundula
Ludwig und Birgit Mennel in der vorigen Ausgabe der grundrisse einen hohen
Stellenwert einnahm und -nimmt, würden wir auch über weitere Beiträge zu diesem
Thema freuen. Wir laden alle Interessierten ein, uns Artikel (nicht nur) zu
diesem Thema zu schicken.
Da wir immer wieder versuchen, über den
deutschsprachigen Tellerrand hinauszublicken, findet ihr des weiteren einen
Artikel über die marxistische Diskussion im angloamerikanischen Raum von
Engelbert Stockhammer. Da es Widerspruch gegen die „mathematisierte“ Lesart von
Marx gab, sind auf den folgenden Seiten kritische Anmerkungen dazu von Karl
Reitter zu lesen. Max Henningers Beirag nimmt aus einer postoperaistischen
Sichtweise das Verhältnis von immaterieller Arbeit und Subjektivität in den
Blick und verknüpft seine Analyse mit der Ideologietheorie Louis Althussers.
Adolphs und Karakayali vergleichen die Kämpfe im Kapitalismus, wie sie von
Beverly Silver und Robert Castel gesehen werden, um anschließend die Sichtweise
von Hardt und Negri als diejenige zu bewerten, welche die Kämpfe der Multitude
am besten zum Ausdruck bringt. In der Rubrik „MIT NACHDRUCK“ freuen wir uns,
euch die deutsche Erstübersetzung eines Kapitels von Harry Cleavers Buch
„Reading Capital Polititcally“ zu präsentieren. Darin geht es um die Entwicklung
der Marxschen Wertformanalyse in ihrer Beziehung zum Klassenkampf.
Auf den folgenden Seiten findet ihr
außerdem Einladungen zu Aktivitäten, an denen die grundrisse aktiv sind: Ein
Arbeitskreis wird sich mit Paolo Virnos „Grammatik der Multitude“ beschäftigen,
außerdem beteiligen wir uns sowohl am Kongress zum Garantierten Grundeinkommen
in Wien als auch an der geplanten Erwerbsarbeitslosenkonferenz. Zu guter Letzt
möchten wir uns bei Clemens, Gerold und Roland für Übersetzungs- und
Lektoratsarbeiten bedanken und freuen uns wie immer über neue Abos.
die grundrisse-redaktion
Die Grammatik der
Multitude lesen: Eine Einladung
Der Begriff der Multitude (übersetzbar
mit „Menge“, „Die Vielen“) gewinnt in der gegenwärtigen Debatte immer mehr an
Bedeutung. Ursprünglich von Spinoza entwickelt, wurde er unter anderem durch die
Arbeiten von Michael Hardt und Antonio Negri in die Diskussion eingeführt. Was
unter Multitude zu verstehen sei, was dieser Begriff leistet und was nicht, in
welchem Verhältnis er zum Begriff der ArbeiterInnenklasse steht, diese Fragen
werden in der Auseinandersetzung äußerst kontrovers beantwortet.
Im Herbst dieses Jahres wird nun endlich
die nach der englischen auch die deutsche Übersetzung von Paolo Virnos „La
grammatica della moltitudine“, zu Deutsch: „Grammatik der Multitude. Zur Analyse
zeitgenössischer Lebensformen“ erscheinen. Dieser Text ist aus mehren Gründen
bemerkenswert. Virno, ein wichtiger Vertreter des italienischen Postfordismus,
hat darin mündlich vorgetragene Referate schriftlich festgehalten. Das
gesprochene Wort ist im Text noch zu spüren, er ist daher sehr präzise, fast
thesenartig vorgetragen, lebendig und anschaulich. Obwohl Virno sehr komplexe
philosophische Themen bemüht, können auch jene der Argumentation und Darstellung
folgen, die mit den Referenzen nicht so vertraut sind, die Grammatik der
Multitude ist kein InsiderInnentext. Auch der Umfang hält sich in Grenzen, er
umfasst kaum mehr als 100 Seiten. Einerseits stellt dieser Text eine präzise
Untersuchung des Begriffs der Multitude dar, nach dem Erscheinen von „Grammatik
der Multitude“ zielt der gerne erhobene Vorwurf der Schwammigkeit und Vagheit
endgültig ins Leere. Andererseits - der Untertitel „Zur Analyse zeitgenössischer
Lebensformen“ legt dies ja nahe - verknüpft Virno die philosophische
Untersuchung des Begriffs durchgehend mit der Analyse der postfordistischen
Arbeits- und Lebensverhältnisse. Der philosophische Diskurs ist mit
soziologischen und empirischen Befunden verknüpft. Ein Faktum, das diesen Text
zusätzlich für eine genaue Debatte prädestiniert.
Wir werden daher einen Lesekreis zu
diesem Buch initiieren. Struktur und Ablauf wollen wir nicht vorwegnehmen
sondern auf einem ersten Treffen mit all jenen gemeinsam bestimmen, die am
Arbeitskreis Interesse haben. Eine erste Zusammenkunft wird Ende Oktober
stattfinden. Informationen findet ihr nicht nur rechtzeitig auf unserer Homepage
www.grundrisse.net, es wird auch eine diesbezügliche Aussendung geben. Wer daher
in unseren Mailverteiler aufgenommen werden möchte, möge eine kurze Nachricht an
grundrisse/ at /gmx.net schicken.
Bemerkungen zum
Artikel von Engelbert Stockhammer
Vorweg möchte ich festhalten, dass es
Engelbert Stockammer in dankenswerter Weise gelingt, unseren LeserInnen, aber
auch der Redaktion einen Einblick in eine wenig bekannte, aber um so komplexere
Debatte zu geben. Die mathematisierte Rezeption der Marxschen Kategorien im
englischsprachigen Raum ist hierzulande wenig bekannt und kaum diskutiert. Aber
schon die Verwendung des Ausdrucks „Elfenbeinturm“ im Titel will ja wohl
anzeigen, dass diese Debatte insgesamt irgendwie schief liegt. Wenn es also ein
gemeinsames Defizit gibt, worin mag es bestehen?
Nach meiner Auffassung wird der mögliche
Gewinn, der sich aus der Formalisierung und Mathematisierung der Marxschen
Begriffe ergibt notwendigerweise durch massiven Verlust an Aussage- und
Analysekraft erkauft. Ich sehe mich dabei durchaus in Übereinstimmung mit dem
Autor, der etwa im Abschnitt zum so genannten Transformationsproblem schreibt:
„Es geht also ausschließlich um die quantitativen, nicht um den qualitativen
Aspekt der Werttheorie. Phänomene wie Warenfetischismus spielen daher keine
Rolle.“ Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Abstraktion von den
qualitativen Momenten nicht auch die quantitative Seite beschädigt und unter dem
Strich die Marxschen Begriffe einen völlig anderen Sinn erhalten, der mit dem
von Marx Gemeinten nur noch wenig zu tun hat. Der Verdacht, dass die
angelsächsische Elfenbeinturmdebatte mit Marxschen Begriffen nur kokettiert,
will sich nicht zerstreuen lassen.
Ein schematischer Überblick über den
Marxschen Wertbegriff mag da mehr Klarheit verschaffen und hilft uns zu
verstehen, auf welchem Feld die Quantifizierung lokalisiert ist.
Gebrauchswert |
(Tausch)Wert |
konkrete, sinnlich
wahrnehmbare Arbeit produziert Gebrauchswerte, die nichts Gemeinsames
besitzen |
Substanz:
abstrakte Arbeit |
Maß:
gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit |
Form: Verdopplung
in Ware und Geld |
So wie ich es sehe, bewegt sich die
mathematisierte Kapitalrezeption vorwiegend im Feld „Maß“, zudem existiert auch
eine starke Tendenz, alles aus Maß- und Größenverhältnissen abzuleiten und
definieren zu wollen. Als Illustration für diese beschränkende Methode bietet
sich der Wertbegriff selbst an. So weist der Autor etwa auf folgenden Einwand
hin: „Von vielen Kritikern, allen voran Steeman (1977), wird argumentiert, dass
man keine Werte benötigt um Preise zu berechnen.“ Wenn wir allerdings wissen,
dass damit eine „Arbeitswertlehre“ widerlegt werden soll, wird zugleich klar:
hier potenzieren sich die Missverständnisse. Um es klipp und klar zu sagen: Es
gibt bei Marx keine Arbeitswertlehre! Gerade in einem Milieu, wie das
angelsächsische universitäre, das Exaktheit, Wissenschaftlichkeit und strenge
Definitionen einfordert, ja Präzision bis zur Spitzfindigkeit fördert, ist ein
derartiger Ausdruck für die Marxsche Position unverzeihlich. Wie argumentiert
Marx tatsächlich? Die Substanz des Wertes, die abstrakte Arbeit, ist
geschichtliches Resultat der contrafaktischen Gleichsetzung der verschiedenen
konkreten Arbeiten. Gesellschaftlich wirksam ist diese Gleichsetzung erst in der
entfalteten kapitalistischen Produktionsweise. Die Substanz des Wertes, die
abstrakte, allgemein menschliche Arbeit trägt also einen geschichtlichen Index,
ihre „Vollgültigkeit“ (MEW 42; 39) erreicht sie erst in der kapitalistischen
Produktionsweise. Wenn seine komplexe Werttheorie mit einem Ausdruck
zusammengefasst werden soll, dann würde sich wenn schon der Terminus
gesellschaftlich-geschichtliche Wertlehre anbieten, niemals jedoch der Ausdruck
„Arbeitswertlehre“, denn dieser unterstellt ja, Arbeit käme immer und jederzeit
die Eigenschaft zu, Wert zu schaffen.
Mit der These: „dass man keine Werte
benötigt um Preise zu berechnen“ wird weiters eine Argumentation widerlegt, die
Marx nie benutzt hat. Marx begründet also die Substanz des Wertes, die so
missverständlich und irreführend als „Arbeitswertlehre“ bezeichnet wird, vor dem
Begriff der gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit. Wie das
„Wie viel“ des Wertes zustande kommt, ist bei der Ableitung der Wertsubstanz
noch gar nicht Thema! Wer also die Konzeption der Wertsubstanz widerlegen
möchte, muss unter anderem von folgender Begründung ausgehen: „Indem sie ihre
verschiednen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie
ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen
das nicht, aber sie tun es.“ (MEW 23; 88) Die Begründung und Ableitung der
Wertsubstanz erfolgt also völlig unabhängig von quantitativen Gesichtspunkten!
Marx begründet also die Wertsubstanz aus dem gesellschaftlichen Verhältnis
scheinbar unabhängiger Warenbesitzer und war keineswegs so tollkühn, die
Wertsubstanz wie auch die Wertform aus quantitativen Verhältnissen ableiten zu
wollen. Es ist zwar ein populäres Missverständnis zu behaupten, um die
Ausbeutung erklären oder beweisen zu können, müsse Marx eine „Arbeitswertlehre“
entwerfen. Mit der Marxschen Argumentation und Begriffsentwicklung hat diese
Fehlinterpretation freilich nicht das geringste gemeinsam.
Der Fokus auf quantifizierbare Größen
muss die Zweiseitigkeit von Gebrauchswert/Tauschwert, die die gesamte
kapitalistische Ökonomie kennzeichnet, ignorieren. Marx nennt diese
Entgegensetzung auch den „Springpunkt, um den sich das Verständnis der
politischen Ökonomie dreht“ (MEW 23; 56). Die Bedeutung dieser Entgegensetzung
kann hier nicht ausgeführt werden, sie ist jedoch kaum zu überschätzen. Ich
verweise bloß auf die damit gesetzten zwei unterschiedlichen und
widersprüchlichen Rationalitäten, die sich daraus ergeben und in ständigem
Konflikt zueinander stehen. Einerseits gibt es das Kalkül der Profitmaximierung,
kurzum aus Geld soll mehr Geld werden, Basis der Berechnung sind
mathematisierbare Preiszahlen. Die Produktion und Erhaltung von Gebrauchswerten
ist jedoch so variantenreich und unterschiedlich, wie es die Gebrauchswerte
sind. Es erfordert eine andere Ökonomie ein Buch herzustellen, wie ein Auto zu
produzieren, und diese wiederum haben mit Softwareproduktion ebenso wenig
gemeinsam, wie mit der Aufzucht von Hühnern. Denken wir noch an die Produktion
des Gebrauchswertes Arbeitskraft so lässt sich schlussfolgern: Alle diese
Gebrauchswerte folgen einer unterschiedlichen Logik/ Rationalität/Ökonomie.
Es ist tatsächlich ein bürgerlicher
Traum, Ökonomie als eindimensional, nur einem Kalkül folgend, darzustellen.
Daran beteiligten sich große Namen, Max Weber oder Jürgen Habermas zum Beispiel.
Geld und Geldvermehrung sei das einzige, legitime und rationale Steuerungsmedium
der Ökonomie, so könnte diese Position zusammengefasst werden. Spätestens beim
Abschnitt über den Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft – und es ist der
Gebrauch dieses so spezifischen Gebrauchswerts, auf dem die Mehrwertproduktion
beruht – sollte klar sein, dass dieser „Springpunkt, um den sich das Verständnis
der politischen Ökonomie dreht“ nicht folgenlos ignoriert und durch eine
eindimensionale Formalisierung ersetzt werden kann.
Zum so genannten Transformationsproblem
Insbesondere im Abschnitt „Das
Transformationsproblem und die neuen Lösungen FAQ – frequently asked questions“
hat Engelbert Stockhammer sehr klar und präzise Thema und Probleme des
Transformationsproblems herausgearbeitet. Alle, die mit dieser Frage nicht sehr
vertraut sind empfehle ich die Lektüre dieser Passage, denn meine Einwände bauen
sozusagen auf dem dort dargestellten Kenntnisstand auf. Sowohl bei Stockhammer,
aber auch bei Michael Heinrich, der in seinem Buch „Die Wissenschaft vom Wert“
ebenfalls recht ausführlich diese Probleme erörtert, fällt auf, dass die
Marxsche Lösung sehr rasch zurückgewiesen wird. Marx geht davon aus, dass auf
der gesamtgesellschaftlichen Ebene die Summe der Werte gleich der Summe der
Preise, sowie die Summe des Mehrwerts gleich der Summe der Profite ist. „Und in
dieser Weise ist in der Gesellschaft selbst – die Totalität aller
Produktionszweige betrachtet – die Summe der Produktionspreise der produzierten
Waren gleich der Summe ihrer Werte.“ (MEW 25; 169) Auf der Ebene der gesamten
Gesellschaft existiert also weder eine Abweichung der Preise von den Werten noch
der Mehrwertmasse von der Profitmasse. Wenn ich jetzt etwas vereinfachend sowohl
die Argumentation von Michael Heinrich als auch von Engelbert Stockhammer
zusammenfasse so läuft ihre Kritik an Marx darauf hinaus, dass diese Annahme
selbst in Zweifel zu ziehen sei. Anders gesagt, sollte tatsächlich auf der
gesamtgesellschaftlichen Ebene die Profitmasse gleich der Mehrwertmasse und die
Preissumme gleich der Wertsumme sein, dann, aber nur dann existiere tatsächlich
kein Transformationsproblem. Daher schreibt auch Stockhammer: „In der Debatte um
das Transformationsproblem geht es vor allem darum, ob die Invarianzpostulate
korrekt sind oder nicht. Dies ist nicht immer der Fall.“ Auch Michael Heinrich
stellt die Invarianzpostulate in Frage: „Dann kann aber auch nicht mehr ohne
weiteres unterstellt werden, dass die allgemeine Profitrate des
Produktionspreissystems mit der Durchschnittsprofitrate des Wertsystems
übereinstimmt.“ (Heinrich 1999; 270)
Während Marx klar davon ausgeht, dass
sowohl im Wertesystem als auch im Produktionspreissystem die gesellschaftliche
Gesamtproduktion in einer angenommenen Zeiteinheit als c + v + m darstellbar ist
und die Transformation von Werten zu Produktionspreisen an dieser Formel nichts
ändert, scheinen jene, die darin ein Problem sehen, dieses zu bestreiten. Die
Diskussion müsste sich eigentlich um den Charakter der Marxschen Annahmen
überhaupt drehen. Das ist hier nicht debattierbar, nur so viel: Roman Rosdolsky
hat in seinem seinerzeit viel beachteten Werk „Zur Entstehungsgeschichte des
Marxschen Kapital“ die These vertreten, es gäbe einen methodischen Bruch
zwischen den ersten beiden Bänden und dem dritten Band des Kapitals. Während
Marx sich methodisch zuerst auf die „Analyse des Einzelkapitals“ beschränken
würde, ginge er (teilweise bereits im II. Band) im dritten endgültig „Zur
Betrachtung des Kapitals in seinen gesellschaftlichen Zusammenhängen über.“ (Rosdolsky
1974; 88)
Im ersten Band des Kapitals scheint es
so, als ob die Ausbeutung im Unternehmen A nichts mit der Ausbeutung im
Unternehmen B zu tun hätte, insbesondere wenn beide Kapitale in völlig
unterschiedlichen Sphären agieren. Der Profit, den Kapitalist A erreichen kann,
scheint sich allein durch interne Faktoren, wie etwa die Höhe der Produktivität,
die individuelle Mehrwertrate usw., zu ergeben. Marx kann allerdings zeigen,
dass gerade durch die Konkurrenz die einzelnen Kapitale zu kommunizierenden
Gefäßen werden. Einen vorläufigen Abschluss der Analyse der kapitalistischen
Kumpanei findet sich eben im Abschnitt zur Transformation vom Wertesystem zum
Produktionspreissystem.
Im Gegensatz zum ersten Band hat sich
nun die Betrachtungsweise gedreht. Der Kapitalismus erscheint nun nicht mehr als
eine Summe zahlloser verstreuter und aufsummierter Kapitalverhältnisse, sondern
als „Gesamtexploitation der Arbeit durch das Gesamtkapital“ (MEW 25; 80) der
ständige Werttransfer durch den Ausgleich der Profitrate schmiedet aus
vereinzelten Kapitalisten die Klasse der Bourgeoisie. Was Marx also zeigen will
ist, dass gleich große Kapitale gleich große Profitmassen realisieren. Anders
gesagt, mit dem Begriff Produktionspreis soll gezeigt werden, wie der
Werttransfer innerhalb der Kapitalisten – trotz und gerade wegen ihrer
Konkurrenz – funktioniert.
Noch anders ausgedrückt: Marx zeigt uns,
wie aus den vereinzelten Kapitalisten auch ökonomisch eine Klasse geschmiedet
wird. Während also im I. Band vom individualisierten Kapitalisten und seiner
Stellung in der Ökonomie ausgegangen wird, ändert Marx diese Perspektive und
geht – etwas salopp gesagt – im III. Band vom gesellschaftlichen Gesamtkapital
aus. Ich vermute, dass jene, die auf dem Transformationsproblem beharren, nicht
bereit sind, diesen Schritt mitzugehen und stattdessen die gesellschaftlichen
Größen wie Gesamtprofitmasse oder gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate aus
den Einzelkapitalen errechnen und erschließen wollen. Dass sich bei dieser
Methode massive Probleme ergeben, glaube ich gerne. Aber auch in diesem Falle
ist auf den Doppelcharakter zu verweisen: Es ist nicht einzusehen, warum die
Summe der produzierten Waren und Dienstleitungen sich wie durch Zauberhand
vergrößern oder verkleinern könnte, wenn sie einmal in Werten, das andere mal in
Produktionspreisen ausgedrückt werden. Was sich ändert ist die Verteilungsgröße
für das Einzelkapital, und genau das will Marx zeigen.
Karl Reitter
In Planung:
Konferenz zur Erwerbsarbeitslosigkeit
Kurz nachdem einige Medien über
neuerlich steigende Zahlen in der Arbeitslosenstatistik berichtet und Maßnahmen
gefordert hatten, zauberte auch schon Wirtschafts- und Arbeitsminister
Bartenstein eine neuerliche Beschäftigungsinitiative aus den Hut. Das Problem
dabei: Nach jeder Beschäftigungsinitiative dieser Regierung stiegen die Zahlen
der Erwerbsarbeitslosigkeit weiter, und das obgleich ständig an den Statistiken
herumgedreht wird. Ganz offensichtlich dienen diese Initiativen nicht der
Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern bedienen die Klientel der
Regierungsparteien in Wirtschaft und in der Oberschicht. Tatsächlich ist die
Regierung tatkräftig mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen beschäftigt (so
etwas nennt mensch schlanken Staat), mittels Pensionsreformen, 0-Defiziten,
einer Sparefroh-Politik bei Investitionen und Steuererleichterungen für Reiche
usw.
In dem Maße, wie einerseits
Arbeitsplätze vernichtet werden, ist andererseits die Regierung damit
beschäftigt, jenen, die davon betroffen sind zu vermitteln, dass es in ihrer
individuellen Verantwortung liegt, dass sie erwerbsarbeitslos sind. Waren dafür
noch vor 20 Jahren gesellschaftliche Begründungen wie Wirtschaftsentwicklung,
geographisch-strukturelle Probleme etc. selbstverständlich so hat sich das
grundlegend geändert. Dazu wurde ein System einer Ethik der Arbeitszentriertheit
entwickelt (workfare statt welfare) und über ständige Wiederholungen
naturalisiert – wirklichkeitsmächtig gemacht. Wir begegnen heute unzähligen
Aufmerksamkeitstechnologien, die uns alle das gleiche vermitteln: Arbeit,
Leistung, Wettbewerb. Dies entspricht einer ideologischen Verkoppelung zwischen
Neoliberalismus und Neokonservatismus. Hier verknüpft sich scheinbar
widersprüchliches, liberales mit konservativem, bis hin zu rechtsextremen und
totalitären Formen von Politik. Es sei nur daran erinnert, dass es liberale und
sozialdemokratische Parteien waren, die besonders tiefe Schneisen in die soziale
Realität rissen (Clinton, Blair, Schröder).
Die Arbeitszentriertheit umfasst mehr
eine Strategie des Reagierens (ein ständiges „verbessern“ und anpassen) als ein
fixes Konzept. Die Generallinie ist die des Arbeitszwanges, der
Arbeitszwangsprogramme. Diesen Sinn haben die „Aktivierungskurse- und maßnahmen“.
Es geht darum, für einen Arbeitsmarkt zu aktivieren, der immer kontingenter,
schlechter bezahlt, unsicherer, kurz prekärer wird. Es geht um die
Konstituierung einer Klasse von working poor. Das ist der eigentliche Sinn der
Arbeitszentriertheit. Dafür wird die Ethik der Arbeit bemüht, die beinahe an
totalitäre Regime erinnert.
Aus diesen und noch vielen anderen
Punkten haben wir (autonome Erwerbsarbeitslosengruppen und Einzelpersonen) uns
entschlossen eine Konferenz zum Thema Erwerbsarbeitslosigkeit einzuberufen. Es
geht uns dabei nicht darum ein exklusives Treffen zu arrangieren, gerade weil
wir wissen, dass unsere Situation aufs Engste mit der aller anderen Untergruppen
verbunden ist.
Deshalb rufen wir alle Interessierten
auf, sich an einer solchen Konferenz zu beteiligen, unabhängig davon, ob sie
erwerbsarbeitslos sind oder noch in Erwerbsarbeit stehen, ob prekär beschäftigt
oder neu selbständig - weil wir glauben, dass Widerstand gegen ein System der
Perspektivlosigkeit und Verelendung eine Sache der Vielfalt, der Pluralität („Multitude“)
sein könnte.
Die Konferenz zur
Erwerbsarbeitslosigkeit wird vom 15. und 16. Oktober 2005 im Amerlinghaus,
Stiftgasse 8, 1070 Wien, stattfinden. Ein genaues Programm ist in Ausarbeitung.
Walter
Weitere Informationen gibt es auf
folgenden Webseiten:
www.amsand.at.tt,
www.zum-alten-eisen.org,
www.arbeitslosensprecherin.at,
www.grundrisse.net
|