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Roland Atzmüller: Arbeit an der Veränderung
Überlegungen zur Staatstheorie im Postfordismus

I. Einleitung – Postfordistische Staatsbegriffe

Die kapitalistischen Gesellschaften befinden sich seit den 1970er Jahren in einer Periode grundlegender Veränderungen und Übergänge (Hirsch 2002, Jessop 2002). Traditionelle Gewissheiten über wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen scheinen obsolet geworden. Stabile Entwicklungsmodelle und dominante Konfigurationen der Vergesellschaftung unterliegen einem wachsenden Anpassungs- und Veränderungsdruck. Eine Reihe von Begriffen der sozialwissenschaftlichen und neomarxistischen Auseinandersetzungen um die Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften – wie etwa Postfordismus, Postmoderne, postindustrielle Gesellschaft – versucht die Veränderungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu erfassen. Das Florieren der „Postismen“ in den (kritischen) gesellschaftstheoretischen Debatten verweist auf die (immer noch) grundlegende Uneindeutigkeit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse in der krisenhaften Ablösung des Fordismus (Brand/Raza 2003).

Die Frage von Veränderung und Innovation bestimmt spätestens seit den 1990er Jahren auch die neomarxistischen Auseinandersetzungen um den kapitalistischen Staat im Übergang zum Postfordismus, für die etwa die Arbeiten von Bob Jessop (1990, 2002) oder Joachim Hirsch (1990, 2002) stehen. Im krisenhaften Übergang zum Postfordismus wird die permanente (Selbst-)Transformation des Staates notwendig, um die Fähigkeit zu Innovation und Veränderung in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen durch die Schaffung neuer staatlicher Aufgaben und Politikfelder zu sichern. Bob Jessop bezeichnet die postfordistische Staatsform als „Schumpeterian Workfare (bzw. seit kurzem Competition) State“ (1992, 2002).

Der Schumpeterianische Workfare-Staat „kann als ein Modus makroökonomischen Wachstums definiert werden, der auf der Dominanz eines flexiblen und ständig innovativen Musters der Akkumulation beruht" (Jessop 1992: 251H). Mit dem Verweis auf Joseph A. Schumpeter, den Jessop als „emblematic thinker“ (und „Nachfolger“ von  John M. Keynes) des postfordistischen Kapitalismus bezeichnet, sollen wesentliche Dimensionen einer sich herausbildenden Akkumulationsstrategie und die damit verbundenen Vorstellungen von Wettbewerbsfähigkeit und Prosperität betont werden (Jessop 2002). Veränderungs- und Innovationsfähigkeit werden zum zentralen Inhalt staatlicher Wirtschafts- bzw. Standortpolitik zur Erhaltung und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit.

Zu durchaus ähnlichen Schlussfolgerungen kommt Joachim Hirsch, der ebenfalls auf die veränderte Rolle des Staates verweist, die er in der Durchsetzung des permanenten Strukturwandels zu Sicherung nationaler und regionaler Standorte sieht. Grundlegend für Standortsicherung ist die Unterordnung außerökonomischer Bedürfnisse und Verhältnisse unter die Zwänge des Marktes.

„Eine auf Wachstum und Beschäftigung zielende staatliche Wirtschaftspolitik muss sich darauf konzentrieren, neben der direkten Unterstützung investitionsbereiter Unternehmen deren ökonomisch-soziales Umfeld so zu entwickeln, dass optimale Voraussetzungen für technologische Innovations- und systemische Rationalisierungsprozesse bereitstehen. Dazu kann durchaus auch die Förderung eines Geflechts innovativer Kleinunternehmen und ‚Risikokapitale‘ gehören, denen als Bestandteil industrieller ‚Cluster‘ eine wachsende Bedeutung zukommt“. (Hirsch 2002: 113)

Die Bedeutung von Veränderungsfähigkeit und innovatorischem Unternehmertum wird in einer Reihe staatlicher Strategien reflektiert, zu denen u.a. Technologie- und Strukturpolitik, aber auch die Entstehung neuer Politikfelder wie eben Innovationspolitik zu zählen sind. Der Schumpeterianische Wettbewerbsstaat sammelt und schafft technologisches Wissen, um die produktiven Kapazitäten zu sichern und permanent zu erneuern, die notwendig sind, um in der internationalen Konkurrenz bestehen zu können. Er fördert Innovationsbereitschaft, technische Kompetenzen und Technologietransfers, um die Diffusion von Prozess- und Produktinnovationen in der Ökonomie zu sichern und die Unternehmen bei der Anpassung zu unterstützen. Unternehmerische Aktivitäten werden durch eine Reihe neuer Institutionen und Policy-Instrumente gefördert (Jessop 2002).

Jessop nennt exemplarisch „venture capital provision, subsidies, business parks, technology transfer mechanisms and technical assistance, investment in knowledge production through public R&D[i] or locally oriented R&D consortia, industry service centres, local and regional development funds and public procurement policies“ (2002: 127f).

Die Konzeption des (Schumpeterianischen) Wettbewerbsstaates wie sie von Bob Jessop (2002) oder Joachim Hirsch (2002) vorgeschlagen wird, bleibt aber aus zwei Gründen, die eng miteinander verknüpft sind, für eine Theoretisierung des Staates im Übergang zum Postfordismus unzureichend. Meines Erachtens weisen diese Ansätze zwei interessante Leerstellen auf. Obwohl Jessop wie auch Hirsch sich in ihren Arbeiten ausführlich mit Nicos Poulantzas beschäftigt haben, versuchen sie die Herausbildung des Schumpeterianischen Wettbewerbsstaates kaum mit Veränderungen der (kapitalistischen) Arbeit zu verknüpfen. Darüber hinaus verstellt die fehlende Analyse der Veränderungen der Arbeits- und Produktionsverhältnisse sowie des Problems der Durchsetzung der Fähigkeit zu Innovation und Veränderung den Blick auf den autoritären Charakter der erkennbar werdenden postfordistischen Staatsform (s.u.).

Im ersten Abschnitt dieses Beitrages möchte ich daher auf die staatstheoretischen Arbeiten von Nicos Poulantzas eingehen und einige Überlegungen zu Veränderungen der Arbeit im Postfordismus präsentieren, die ich als Grundlage für eine Konzeptualisierung der gegenwärtigen Staatsform betrachte (I.). Obwohl Jessop wie auch Hirsch Veränderungsfähigkeit als zentrale Dimension postfordistischer Staatlichkeit kennzeichnen, verfügen beide über ein enges Verständnis des Konzepts der Innovation. Diese wird zwar als wesentliche Funktion des Unternehmertums erkannt und es wird – gegen individualistische Konzeptionen des Entrepreneurs – auch auf die soziale Konstituiertheit innovatorischer Prozesse verwiesen. Eine Diskussion der so genannten „Paradoxien“ von Innovation erfolgt jedoch nicht. Diese ergeben sich, weil Innovationen auf Bedingungen beruhen, die vorab nicht gewusst werden können und sich daher rationaler Planung entziehen. Dadurch werden Innovationen, wie schon Schumpeter hervorstrich, zu einem Problem der Entscheidung, was letztlich die politische Frage aufwirft, wem die Fähigkeit zukommt, zu entscheiden und wem nicht.

Im zweiten Abschnitt möchte ich genauer auf den Innovationsbegriff eingehen (II.). Auf Grundlage der Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Transformationen der Arbeits- und Produktionsverhältnisse und Transformationen des Staates sowie einer kritischen Annäherung an den Innovationsbegriff möchte ich schließlich auf die Herausbildung des autoritären Etatismus eingehen. Joachim Hirsch hat in seinen Arbeiten immer wieder auf den (potentiell) autoritären Charakter der entstehenden postfordistischen Staatsform hingewiesen. Auch viele Untersuchungen zu hegemonialen Projekten des Neoliberalismus und Neokonservatismus (exemplarisch Offe 1997) haben auf die Durchsetzung eines „starken Staates“ verwiesen, was etwa am Rückbau demokratischer Institution und dem Bedeutungsgewinn der Exekutive u.ä. festgemacht wurde. Es wird jedoch nur selten versucht, diese Entwicklungen des Staates mit der Restrukturierung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse zu verknüpfen.

Bevor ich einige Hinweise geben werde, wie der Zusammenhang zwischen Innovation, Veränderungen der Arbeit und postfordistischem Staat gedacht werden könnte, möchte ich kurz auf das Konzept des autoritären Staates, das von Nicos Poulantzas (2002) in die Diskussion eingebracht wurde, eingehen (III.). Die Durchsetzung von Veränderungs- und Innovationsfähigkeit unter Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung und die damit verbundenen unternehmerischen wie staatlichen Strategien müssen meines Erachtens mit der Herausbildung autoritärer Formen von Staatlichkeit im Übergang zum Postfordismus zusammengedacht werden. Die sozialen Auseinandersetzungen um die Fähigkeit zur Veränderung sind Auseinandersetzungen darum, wer entscheiden kann, was Veränderungen und Innovationen sind. Es sind daher zuallererst Kämpfe um die Fähigkeit, „Ausnahmen“ von der Norm zu erzeugen, die eine grundlegende Umgestaltung des Staates wie auch der ökonomischen Verhältnisse erfordern. Bezogen auf die Herausbildung autoritärer Staatsformen im Übergang zum Postfordismus können diese Entwicklungen mit Antonio Gramsci als „passive Revolution“ verstanden werden (Gramsci 1991ff, Röttger 1997). In den Auseinandersetzungen um die Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften ist das Problem der Veränderung selbst zum zentralen Feld sozialer Kämpfe um die Sicherung und Wiedererlangung staatlicher Handlungsfähigkeit geworden.

Die Notwendigkeit umfassender Veränderungen der bürgerlichen Gesellschaft zur Überwindung ihrer Krise verweist auf die Frage der Entscheidung über Ausnahmen/den Ausnahmezustand (Schmitt 1990). Dies betrifft nicht nur den Umbau des Staates, sondern auch die Veränderung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse zur Förderung des Unternehmertums und der Wettbewerbsfähigkeit. Wie ich argumentieren will, könnte dies nicht nur die Attraktivität des Dezisionismus Carl Schmitts für Neokonservative, die sich davon eine Überwindung der Krise des Regierens erhoffen, erklären, sondern auch die Attraktivität Joseph A. Schumpeters und seiner Konzepte zur unternehmerischen Fähigkeit zur Innovation. Im vierten Abschnitt werde ich versuchen, einen kurzen Überblick über den Zusammenhang von Innovation, Veränderungen der Arbeit und autoritärer Staatlichkeit im Postfordismus geben (IV.)

II. Staat und Arbeitsteilung

Wie eingangs festgestellt, weisen die Theoretisierungsversuche des postfordistischen Staates bei Bob Jessop (2002) wie auch bei Joachim Hirsch (2002) eine interessante Leerstelle auf. Weder Jessop noch Hirsch verknüpfen die Analyse der Veränderungen des kapitalistischen Staates mit Veränderungen der Arbeitsteilungen bzw. Arbeits- und Produktionsverhältnisse, die für die Bestimmung des Staates bei Nicos Poulantzas, auf den sich beide Autoren in ihren Arbeiten immer wieder ausführlich bezogen haben, fundamental war (2002). Dies wäre aber notwendig, um folgende Überlegung für die kritische Analyse historisch spezifischer Formen des kapitalistischen Staates fruchtbar zu machen.

„Die Transformationen des Staates verweisen zuallererst auf Transformationen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die ihrerseits Transformationen dieser Trennung zur Folge haben und damit auf die Klassenkämpfe.“ (Poulantzas 2002: 80)

Es ist daher notwendig zu verstehen, wie historisch spezifische Formen der kapitalistischen Arbeits- und Produktionsverhältnisse mit spezifischen Formen des kapitalistischen Staates verknüpft sind. Für Poulantzas war die Frage der Besonderung des Staates von den Arbeits- und Produktionsverhältnissen zentral. Der Staat darf bei ihm jedoch nicht als Überbauinstanz missverstanden werden, die erst im Nachhinein zu den ökonomischen Prozessen hinzutritt, um bestimmte Funktionen, die sich aus den „ehernen Bewegungsgesetzen des Kapitals“ ergeben würden, zu erfüllen. Poulantzas betont vielmehr, dass die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise nicht auf die ökonomischen Verhältnisse zu beschränken ist, sondern die Gesamtheit „ökonomischer, politischer und ideologischer Bestimmungen“ (Poulantzas 2002: 46) erfassen muss. Daher ist die Analyse der Arbeits- und Produktionsverhältnisse und ihrer Transformationen nicht ohne Bezug auf den Staat und dessen Trennung von ersteren zu verstehen. „Diese Trennung ist nur die bestimmte Form, die im Kapitalismus die konstitutive Präsenz des Politischen in den Produktionsverhältnissen und ihrer Reproduktion annimmt.“ (Poulantzas 2002: 47)

Die Besonderung des Staates von der Ökonomie, die zur Aufrechterhaltung der (nicht nur) kapitalistischen Arbeitsteilungen immer aufs neue herzustellen ist, wird Medium, Gegenstand und Ergebnis der sozialen Kämpfe auf den verschiedenen Ebenen der bürgerlichen Gesellschaft. Sie ist stets aufs Neue als die historisch konkrete Beziehung zwischen Staat und Produktionsverhältnissen zu entziffern. Unterschiedliche, historisch dominante Staatsformen, wie etwa der sogenannte Nachtwächterstaat des 19. Jahrhunderts, der sozialdemokratische Interventionsstaat oder der schlanke Staat des „Rückzugs aus der Wirtschaft“ und der Deregulierung sind historisch spezifische Realisierungen der Trennung von Staat, Gesellschaft und Ökonomie.

Bei Poulantzas bleibt jedoch zum einen die Begründung des Staates aus den Produktionsverhältnissen bzw. der (kapitalistischen) Arbeitsteilung/-organisation stark im Metaphorischen. (Die Arbeitsteilung „führt“ zur Trennung von Staat und Ökonomie, der Staat „verkörpert“ die Arbeitsteilung). Zum anderen sind seine Überlegungen in ihrem historischen Kontext zu verstehen. Der Gegenstand seiner „Staatstheorie“ (Poulantzas 2002) ist der fordistische Staat und dessen krisenhafte Entwicklung in den 1970er Jahren. Folgerichtig konzentriert Poulantzas die Begründung des Staates v.a. auf die tayloristischen bzw. fordistischen Formen der Arbeitsteilung und Arbeitsprozesse.

Als Hintergrund dieser Überlegungen können die Debatten der 1970er Jahren zum kapitalistischen Arbeitsprozess gesehen werden (Burawoy 1985, Knights/Willmott 1990). Kern der Debatten zum kapitalistischen Arbeitsprozess ist das Problem des Unternehmens, den Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft – also ihre (lebendige) Arbeit – tatsächlich zu realisieren. Die Kapitalseite kauft im Arbeitsvertrag Arbeitskraft nur als Potential und muss nun die Lohnabhängigen dazu bringen zu arbeiten, was das sogenannte Kontrollproblem der Unternehmen begründet. Das Management muss nämlich befürchten, dass ohne adäquate Strategien der Planung, Kontrolle und Überwachung des Arbeitskräfteeinsatzes die Beschäftigten das Verhältnis zwischen Input Arbeit und Output Lohn durch verschiedene Formen der Verweigerung zu ihren Gunsten verändern würden. Management-Strategien zur Bearbeitung dieses Widerspruchs zielen daher einerseits auf die Zerlegung der Arbeitsprozesse in unzählige Einzelschritte (Taylorismus) und die damit verknüpfte Enteignung des Wissens der unmittelbaren Beschäftigten über den Produktionsprozess (Dequalifikation) sowie dessen Konzentration und Kontrolle in rational-bürokratischen Organisationsformen. Andererseits haben gerade die Probleme der Umsetzung der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Taylor (wachsende Monotonie der Arbeit und damit verbundene Demotivation der Beschäftigten etc.) zur Entwicklung von Managementstrategien beigetragen, die den Konsens und die aktive Beteiligung der Beschäftigten in den Produktionsabläufen herstellen sollen. Dies kann durch Qualifizierung, Rücknahme tayloristischer Formen der Arbeitsteilung, Mitbestimmung und Beteiligung der Beschäftigten an Unternehmensabläufen und Erträgen, Einführung betrieblicher Mitbestimmung u.ä. erreicht werden.

In diesen Prozessen wird die kapitalistische Arbeitsorganisation als Herrschaftsprozess auf der Mikroebene sichtbar, der auch in Bezug auf seine politischen und ideologischen Dimensionen zu analysieren ist, soll die konstitutive Anwesenheit des Staates in den Produktionsverhältnissen adäquat erfasst werden (Burawoy 1985, Poulantzas 2002)[ii]. Für Poulantzas ergibt sich der herrschaftsförmige Charakter der kapitalistischen Arbeitsprozesse aus der Teilung der Arbeit in mentale/intellektuelle – also planende – und manuelle oder ausführende Tätigkeiten. Diese Arbeitsteilung beruht auf der Aneignung des unmittelbaren ProduzentInnenwissens durch das Management und seiner Materialisierung in der rational-bürokratischen Unternehmensorganisation sowie daraus resultierenden Prozessen der Dequalifizierung der Beschäftigten.

Die Auswirkungen der Arbeitsteilung sind jedoch auch in Bezug auf den Staat und dessen Besonderung als spezifischer Apparat von entscheidender Bedeutung.

„Der Staat verkörpert in der Gesamtheit seiner Apparate, d.h. nicht nur in seinen ideologischen, sondern auch in seinen repressiven und ökonomischen Apparaten, die geistige Arbeit in ihrer Trennung von der manuellen Arbeit. (...) Dieser von den Produktionsverhältnissen getrennte Staat befindet sich auf der Seite der geistigen Arbeit, die ihrerseits von der manuellen Arbeit getrennt ist. Er ist das Produkt dieser Teilung, auch wenn er eine spezifische Rolle in ihrer Konstitution und Reproduktion spielt.“ (Poulantzas, 2002: 83)

Die Trennung der geistigen von der manuellen Arbeit besitzt materiellen Charakter und schlägt sich in konkreten Praktiken und Institutionen nieder. Auch die Metapher, dass der Staat in der Gesamtheit seiner Apparate die Arbeitsteilung verkörpere, ist materiell zu verstehen. In den Apparaten werden Wissen und Diskurse umgesetzt und beherrscht, die im wahrsten Sinn des Wortes exklusiven (also ausschließenden) Charakter besitzen. Der Staat „ist (...) das Abbild der Beziehungen zwischen Wissen und Macht, wie sie sich innerhalb der geistigen Arbeit reproduzieren. Von den hierarchischen, zentralisierten und Disziplinarbeziehungen bis zu den Stufen und Knotenpunkten der Entscheidung und Ausführung, von den Ebenen der Delegation der Autorität bis zu den Formen der Verteilung und Verheimlichung des Wissens je nach der gewählten Ebene (das bürokratische Geheimnis) und den Formen der Qualifikation und Rekrutierung der Staatsagenten (...) verkörpert der Aufbau des kapitalistischen Staats bis in die kleinsten Details die innerhalb der geistigen Arbeit induzierte und verinnerlichte Reproduktion der kapitalistischen Teilung zwischen geistiger und manueller Arbeit.“ (Poulantzas, 2002: 86)

Die subalternen Gruppen sind zwar von der Verfügung und Kontrolle über das in den staatlichen Apparaten verdichtete Wissen ausgeschlossen. Aufgrund der Konflikthaftigkeit der sozialen Verhältnisse bürgerlicher Gesellschaften existieren jedoch auch Repräsentationen der Lebensverhältnisse und der sozialen Kämpfe dieser Gruppen in den staatlichen Wissensformen, was sich etwa in konkreten Regierungsprogrammen und -formen ausdrücken oder im juridisch-politischen Diskurs (z.B. Arbeitsrecht) manifestieren und in bestimmten Institutionen (z.B. Sozialministerium) niederschlagen kann.

Veränderungen der Arbeit

Für eine an Poulantzas orientierte Analyse des Staates im Übergang zum Postfordismus ist es notwendig, näher auf damit verbundene Veränderungen der Arbeitsverhältnisse und Arbeitsteilungen einzugehen. Diese Veränderungen werden oft als Durchsetzung des wissensbasierten Kapitalismus (Jessop 2002) oder der Informationsgesellschaft (Lundvall/Borras 1997, Papouschek et al. 1998, Schmiede 1996) zu fassen versucht. Diese Konzepte beziehen sich auf „die Durchdringung aller Sektoren und Branchen mit informationsbezogenen Aktivitäten sowie Informations- und Kommunikationstechnologien (...). Damit entstehen nicht nur neue Aufgaben und Berufe in neuen Wirtschaftsbereichen, sondern auch der Anteil der ‚Informationsarbeit‘ steigt auf Kosten manueller Tätigkeiten in einer großen Zahl von Aufgabenfeldern und Berufen.“ (Papouschek et al. 1998: 30f) Auch Hardt/Negri (2000: 364) nehmen mit Verweis auf das marxsche Konzept des General Intellect, das eine Verschmelzung der Fähigkeiten der lebendigen Arbeit mit Wissenschaft, Kommunikation und Sprache prognostiziert, auf diese Veränderungen bezug.

Die „immateriellen“ Fähigkeiten der Lohnabhängigen, die spätestens seit den 1980er Jahren als neue Qualifikationsanforderungen kodifiziert und eingehegt werden (Lazzarato 1998), haben demgemäß zur Durchsetzung des postfordistischen Kapitalismus beigetragen. Auf der Basis einer umfassenden Informatisierung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen und der wachsenden Bedeutung sogenannter Wissensarbeit – also der Analyse und Bearbeitung von Symbolen – sind sie zu den „dominanten“ Bestimmungsmerkmalen der Arbeit und der damit verbundenen Subjektformen geworden.

Der behauptete Übergang zur Informations- und Wissensgesellschaft wird nicht nur in der emphatischen Bezugnahme auf netzwerkartige Formen der Produktion bei Hardt/Negri (kritisch: Hermann 2003) oft mit Hoffnungen bezüglich der Veränderung der Arbeitsverhältnisse verknüpft. Informationsarbeit soll „zum Vorbildtypus der Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeit (werden), denn diese Arbeit wird weniger in Befehlshierarchien eingebunden, also autonomer, zudem weniger belastend, statt dessen kreativer, insgesamt humaner sein.“ (Schmiede 1996: 111)
Diesen Hoffnungen liegt die krisenhafte Ablösung des tayloristisch-fordistischen Paradigmas der Produktion zugrunde. Während die tayloristische Organisation der Arbeit auf eine weitgehende Ausschaltung oder zumindest Einhegung der Subjektivität der Beschäftigten und ihrer Fähigkeit zur eigenständigen Organisation von Arbeitsabläufen abzielte, sollen die Kapazitäten der „lebendigen Arbeit“ durch eine (partielle) Rücknahme der Arbeitsteilung im produktiven Sinne nutzbar gemacht werden.

Prozesse der Anreicherung von Arbeitsaufgaben (Job Enrichement, Empowerment) und der Schaffung eigenständiger Entscheidungsprozesse, aber auch die Gewährung von Autonomie und die Verlagerung von Verantwortung nach unten sowie die Einführung von Gruppenarbeit (exemplarisch Brandt 1990, Papouschek et al. 1998) können als Beispiele neuer Managementstrategien der Vernutzung von Arbeitskraft im Übergang zum Postfordismus genannt werden.

KritikerInnen haben gegen die These vom Ende der Arbeitsteilung darauf verwiesen, dass zentrale Entscheidungsfunktionen weiterhin beim Management verbleiben bzw. die Kontrollpotenziale der neuen Technologien sehr wohl genutzt werden (exemplarisch Elam 1994). Außerdem erfassen die skizzierten Prozesse nur einen Teil der Beschäftigten, Polarisierungen der Arbeitskräfte finden, wenn auch unter den veränderten Bedingungen informatisierter Produktion, weiterhin statt. Darüber hinaus wurden viele der genannten Entwicklungen v.a. für hochtechnologische Bereiche zukunftsträchtiger Industrie- und Dienstleistungsbranchen diagnostiziert und sind damit eher auf Kernschichten der Lohnabhängigen fokussiert. Hier ist aber anzumerken, dass auch im Bereich einfacher Dienstleistungen Arbeitsformen vorherrschen, die mit Blick auf  Hardt/Negri (2000) als immaterielle Arbeit bezeichnet werden könnten (affektive, kommunikative Arbeit etc). Darüber hinaus werden in den letzten Jahren auch Tendenzen einer Re-Taylorisierung der Produktionsarbeit (Dörre 2001) konstatiert, die sich nunmehr in Restrukturierungsprozessen innerbetrieblicher Hierarchien und Entscheidungsabläufe, die auf Partizipation und Selbstorganisation angelegt sind, entfalten. Hier wird die „aktive Beteiligung von Beschäftigten an betrieblichen Optimierungen mit einer marktgetriebenen Dezentralisierung der Unternehmens- und Betriebsorganisationen kombiniert.“ (Dörre 2001: 87) Was in postfordistischen Managementkonzepten als Gewährung von Autonomie und Verantwortung erscheint, zielt auf die Einbindung und Mobilisierung der nichtkodifizierbaren, „verschwiegenen“ Fähigkeiten und Wissensformen der Individuen, die sich einer tayloristischen Systematisierung verweigerten, in einen neuen hegemonialen Kompromiss auf der Ebene der Produktion. Früher standen diese Fähigkeiten der Beschäftigten im beständigen Kampf mit rational-bürokratischen Organisationsstrategien des fordistischen Managements um die Kontrolle über die Produktionsprozesse. Nun wird versucht, (zumindest) Teile der Belegschaften über die Förderung und direkte Anrufung dieser Fähigkeiten in den Produktionsprozess einzubinden, um „Unternehmungsgeist, Innovation und letztlich die Produktivität des post-tayloristischen Systems“ (Lazzarato 1998: 52) zu sichern.

II. Innovation und Entscheidung

Bob Jessop und Joachim Hirsch verweisen zwar auf die zentrale Bedeutung von Innovationsfähigkeit für die Herausbildung des postfordistischen Staates, versuchen jedoch keine kritische Analyse des Innovationskonzepts. Orientiert an neoschumpeterianischen Ansätzen (exemplarisch Dosi et al. 1988, Freeman 1986) hebt Jessop (2002: 120) hervor, dass Innovation die grundlegende Funktion des Unternehmers sei, die darin bestehe, neue Dinge zu tun, um Extraprofite lukrieren zu können.

„Entrepreneurship can be exercised at any moment in the overall circuit of capital and the articulation of these moments. Moreover, although it is common to equate the entrepreneur with the individual business dynamo, the function(s) of entrepreneurship can be exercised through various types of agency.“ (Jessop 2002: 120)

Dieses Innovationskonzept lässt zwar das klassische schumpeterianische Verständnis des individuellen Unternehmertums, in dem Innovationsfähigkeit als besondere Qualität von einzelnen Individuen aufgefasst wurde, hinter sich . Jessop und Hirsch heben vielmehr die organisatorischen, gesellschaftlichen und nicht zuletzt staatlichen Rahmenbedingungen der Innovationsfähigkeit hervor, wie sie auch in jüngsten innovationstheoretischen Auseinandersetzungen diskutiert wurden (exemplarisch Lundvall/Borras 1997, Atzmüller et al. 2000). In schumpeterianischen Wettbewerbspolitiken muss demnach die individuelle wie kollektive Fähigkeit zur Innovation erst geschaffen werden, was auf eine Reihe außerökonomischer Bedingungen bzw. „sozio-kulturelle(r) Standortfaktoren“ (Hirsch 2002: 111), in denen Innovationsprozesse eingebettet sind, verweist.

Für eine kritische Analyse reicht dies jedoch nicht aus, da die Reduktion von Innovation auf die Ausübung unternehmerischer Funktionen ihren sozialen und politischen Gehalt verstellt. Die Fähigkeit zur Entwicklung und Durchsetzung von Veränderungen ist vielmehr relational zu konzipieren. Sie ergibt sich aus spezifischen Handlungspotenzialen von Personen oder Organisationen, die in den sozialen Verhältnissen, in denen die verschiedenen ökonomischen Agenten eingebettet sind, erst entstehen. Innovation ist demnach als Effekt des Prozessierens der Widersprüchlichkeit der sozialen Verhältnisse im Kapitalismus zu verstehen. Diese können sich nur in und durch Veränderung reproduzieren. Innovationen sind demnach Medium und Ergebnis sozialer Kämpfe um die Reproduktion des Kapitalismus.

„As for innovations, these too are nothing other than structures of domination, but more precarious ones, because the conflict, the struggle and the refusal to work have been, at their origin stronger. These conflicts, a paradigm shift, a qualitative transformation. (...) In effect, capitalist innovation is always a product, a compromise or a response, in short a constraint which derives from workers‘ antagonism. (...) Because the more radical the innovation is, the more profound and powerful were the antagonistic proletarian forces, which have determined it, and therefore the more extreme was the force which capital had to put in motion to dominate them. Every innovation is a revolution which failed – but also one which was attempted.“ (Negri 1992: 80)

Wenn die Möglichkeit und Fähigkeit zur Innovation als Effekte des Prozessierens der sozialen Verhältnisse aufgefasst werden, erfordert dies, den Blick auf die gesellschaftlichen Arbeits- und Produktionsverhältnisse und ihre Veränderungen zu richten. Die besondere Bedeutung des Innovationsbegriffs im Übergang zum Postfordismus ergibt sich aus einer Interpretation der Krise des fordistischen Kapitalismus seit den 1970er Jahren, die diese als Ablösung einer langen Welle des Aufschwungs und Produktivitätswachstums sieht, die auf einer Reihe von Schlüsseltechnologien und -produkten (Fließbandfertigung, Auto-, Petro- und chemische Industrie etc.) beruhte. Nach umfassenden Veränderungen der sozialen, wirtschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen, der Arbeits- und Produktionsprozesse sowie der Produkte und Dienstleistungen soll eine neue lange Welle der Akkumulation (exemplarisch Lundvall/Borras 1997, Dosi et al. 1988) auf Basis einer Reihe neuer Technologien und radikaler Innovationen – wie etwa Mikroelektronik, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie damit verbundene Produkte und Dienstleistungen – die Dynamik und Produktivität des Kapitalismus wiederherstellen. In diesem Kontext ist insbesondere die Fähigkeit von Unternehmern, ihre Rolle als innovatorische „Entrepreneure“ wahrzunehmen, zentral.

Als Innovationen gelten im neoschumpeterianischen Diskurs (vgl. Dosi et al. 1988: 222) die Suche und Entdeckung, das Ausprobieren, Entwickeln, Imitieren und Übernehmen neuer Produkte, Produktionsprozesse und organisatorischer Set-ups.

Innovationen führen jedoch zu Unsicherheit, da die zu suchenden, zu entwickelnden und zu realisierenden Neuerungen/Problemlösungen und deren Konsequenzen nicht vor dem Prozess des Innovierens gewusst werden können, da es sich sonst definitionsgemäß nicht mehr um Innovationen handeln kann. Dies mach m.E. den politischen und sozialen Gehalt von Innovationen als sozialem Verhältnis erkennbar, die von Dieter Sauer und Christa Lang (1999) als „Paradoxien“ bezeichnet werden. Da Innovationen auf Bedingungen angewiesen sind, die zum Zeitpunkt der Innovation, also der Erzeugung von etwas Neuem, nicht erfüllt sein können, ist die Möglichkeit rationaler Kalkulation und Abwägung von Risiken und Zielen für die unterschiedlichen ökonomischen und politischen Akteure eingeschränkt, wodurch neoschumpeterianische Ansätze zu einer Kritik des neoklassischen Konstrukts des rational agierenden Homo Oeconomicus kommen.

„Innovation is in many respects a phenomenon that is incompatible with basic assumptions made in standard economics. It is (...) difficult to argue that agents can engage in rational calculation around phenomena not yet defined (innovations). (...) purely instrumental and strategic behaviour will be self-defeating for the parties involved.“ (Lundvall/Borras 1997: 34f)

Auf der einen Seite sollen Innovationen die Handlungsmöglichkeiten ökonomischer oder gesellschaftlicher AkteurInnen erweitern, Unsicherheit in gesellschaftlichen Interaktionen reduzieren und die Reproduktion gesellschaftlicher Zusammenhänge und ökonomischer Prozesse (Extraprofite) garantieren. Auf der anderen Seite wird durch die Entscheidung für eine Innovation auch die Zahl alternativer Handlungsmöglichkeiten reduziert, sodass alternative Entwicklungen erschwert und verhindert und Gesellschaften auf bestimmte Entwicklungspfade, die sich aus den technologischen und damit verbundenen institutionellen Umwälzungen ergeben können, gezwungen werden.

Wie bereits angedeutet, wird in den meisten neoschumpeterianischen Ansätzen der politische und soziale Gehalt von Innovationen nicht oder nur wenig angesprochen, sodass auch die in den „Paradoxien“ der Innovation angedeutete Frage der Entscheidungsfähigkeit über durchzusetzende Veränderungen und damit über die Reproduktion der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und Vergesellschaftung in ihrer vollen Tragweite nicht erfasst werden kann.. Zu diesem Zweck ist m.E. ein Blick auf Joseph A. Schumpeter notwendig, der sich zwar wenig mit Arbeit im Kapitalismus auseinandersetzte, dafür umso mehr mit der Funktion und Rolle des Unternehmers als Innovator.

Bei Schumpeter werden Innovationen als das Resultat individuellen und organisatorischen Handelns aufgefasst, die als „produktive Zerstörung“ zur Durchsetzung von Neuem dienen. Innovation ist im schumpeterschen Verständnis eine eigenständige Funktion des Unternehmers. Sie ist nicht eine Leistung des Verstandes, der rationalen Planung, sondern des „Willens“ und der „Entscheidung“. Innovation zielt bei Schumpeter auf „Führung“ ab, die wesentlich darin besteht, die erkannten Neukombinationen der Produktionsmittel durchzusetzen (Schumpeter 1987: 60, 1952: 128f). Innovation bedeutet definitionsgemäß, Dinge zu tun, die vorab nicht bekannt sind (siehe auch Dosi et al. 1988: 222). Für Schumpeter besteht die Funktion unternehmerischer Führung daher in der Revolutionierung der Ökonomie (Schumpeter 1957: 130), also in der Erhaltung der kapitalistischen Ordnung durch Veränderung. „Das Wesen der Führerschaft ist Initiative, nicht (...) im Sinn gedanklicher Initiative, also etwa der Konzeption neuer Ideen, sondern im Sinne praktischer Initiative, also über Entscheidung über das, was geschehen soll und von Durchsetzung dieser Entscheidung“ (Schumpeter 1987: 149).

Innovatorisches Handeln der Unternehmer bzw. unternehmerischer Organisationen soll die „Erkenntnis und Durchsetzung (...) neu(er) Kombination(en) vorhandener Produktionsmittel“ und „bisher in der Praxis unerprobte(n) Verwendungen“ (Schumpeter 1987: 59) der produktiven Ressourcen ermöglichen (vgl. auch Schumpeter 1952: 100f).

Dies verweist nicht nur auf den Einsatz neuer Technologien, sondern auch auf die Erhöhung der Möglichkeiten, den Faktor Arbeitskraft mit anderen Produktionsmitteln zu kombinieren. Ohne Bezugnahme auf die Adaptierung der Arbeitsteilungen und Arbeitsprozesse sind die Bedingungen, etwas außerhalb der Norm Stehendes zu tun, „schöpferisch zu reagieren“, nicht zu verstehen.

„(S)chöpferisches Reagieren (hat) (...) etwas zu tun (a) mit den Qualitäten der in einer Gesellschaft lebenden Menschen, (b) mit den relativen Qualitäten der Menschen, d.h. mit den für einen bestimmten Tätigkeitsbereich verfügbaren Qualitäten relativ zu gleichzeitig für andere Bereiche verfügbaren Qualitäten, und (c) mit individuellen Entscheidungen, Handlungen und Verhaltensmustern.“ (Schumpeter, 1987: 184)

Der innovatorische Unternehmertyp pflegt dem schumpeterschen Verständnis gemäß keinen „rationalen und hedonischen Einzelegoismus“ und produziert nicht, um zu konsumieren. Dies würde die unternehmerische Funktion bedrohen, da ein Zustand der Bedürfnisbefriedigung den Anreiz für weitere Unternehmungen reduzieren würde. „Der typische Unternehmer frägt sich nicht, ob jede Anstrengung, der er sich unterzieht, auch einen ausreichenden ‚Genussüberschuss‘ verspricht. (...) Er schafft rastlos, weil er nicht anders kann, er lebt nicht dazu, um sich des Erworbenen genießend zu erfreuen.“ (Schumpeter 1952: 137) Der in diesem Verständnis nicht nachvollziehbare Wusch nach Genuss wird als „Erlahmen“ und „Vorbote des physischen Todes“ gesehen (ebda.).

III. Überlegungen zum autoritären Staat im Übergang zum Postfordismus

In den Debatten um die Entwicklung des Staates in der Krise des Fordismus bzw. unter den Bedingungen einer seit den 1980er Jahren durchgesetzten neoliberalen und neokonservativen Hegemonie wurde immer wieder auf die Herausbildung einer autoritären Staatsform (exemplarisch Hirsch 1990, Demirovic 1997) hingewiesen. Der Rückbau wohlfahrstsstaatlicher Rechte, die Zurückdrängung der Gewerkschaften und der gegen die „Exzesse der Demokratie“ gerichtete Abbau liberaler Freiheitsrechte bei gleichzeitiger Stärkung der exekutiven Funktionen und repressiven Arme des Staates wird als Rückkehr zum starken Staat verstanden. Diese in der Krise des Fordismus entstehende Staatsform wird demnach um ihre Fähigkeiten zu materiellen Kompromissen mit den Ansprüchen der ArbeiterInnen- und der Neuen Sozialen Bewegungen abgeschlankt.

Nicos Poulantzas (2002) hatte Ende der 1970er Jahre, in „Ermangelung eines besseren Terminus“, den Begriff des „autoritären Etatismus“ in die Debatten um die Veränderung des Staates eingebracht. 

„(E)in gesteigertes Ansichreißen sämtlicher Bereiche des ökonomisch-gesellschaftlichen Lebens durch den Staat artikuliert sich mit dem einschneidenden Verfall der Institutionen der politischen Demokratie sowie mit den drakonischen und vielfältigen Einschränkungen der sogenannten ‚formalen‘ Freiheiten (...). Obwohl einige dieser Veränderungen seit langem im Gange sind, stellt der gegenwärtige Staat verglichen mit früheren Formen, einen eindeutigen Wendepunkt dar.“ (Poulantzas 2002: 232)

Zur Erfassung des autoritären Etatismus verweist Poulantzas zwar auf die wachsende ökonomische Rolle des Staates und die permanente hegemoniale Instabilität. Er hebt hervor, dass die Entstehung dieser Staatsform auf beträchtliche Veränderungen der Klassenverhältnisse verweist, die aus Veränderungen der Produktionsverhältnisse, der Arbeitsprozesse und der gesellschaftlichen Arbeitsteilungen, wie sie seit den 1970er Jahren manifest geworden sind, resultieren und die bei der Analyse der institutionellen Veränderungen des Staates näher zu beachten seien. Bob Jessop stellt jedoch fest:

„Indeed, Poulantzas account of ‚authoritarian statism’ is essentially descriptive (…): it fails to develop (…) possible explanatory factors in any detail and leaves them both as bald assertions.  (…) it lends itself to the unfortunate technique of subsuming a large number of disparate, contradictory and unevenly developed tendencies under one loosely specified concept.” (Jessop 1990: 71)

In den staatstheoretischen Debatten um die Krise des keynesianischen Wohlfahrtsstaates seit den 1980er und 1990er Jahren (Hirsch 2002, Jessop 2002), die viele Impulse der Konzeptionen Poulantzas aufnahmen, wurde die Analyse der Herausbildung des autoritären Etatismus erweitert. Insbesondere wurde hervorgehoben, dass im krisenhaften Übergang zum Postfordismus der Anspruch des fordistischen Wohlfahrtsstaates keynesianischer Prägung, durch (oftmals langwierige und komplexe, im Ausgang offene) Aushandlungsprozesse gesellschaftliche Konflikte beilegen oder regulieren zu können, delegitimiert und aufgegeben wird (exemplarisch Offe 1997). Der Umbau des Staates setze vielmehr die Kernfunktionen des Staates in bürgerlichen Gesellschaften wieder in Kraft, die von den Trägern der neoliberalen und neokonservativen Projekte in der Fähigkeit verortet werden, durch Regierung und moralische, intellektuelle und politische Führung zu allgemein verbindlichen Entscheidungen zu kommen und die gesellschaftlichen Krisen beizulegen, (Saage 1983, Negri/Hardt 1997).

In jüngster Zeit haben v.a. Michael Hardt und Antonio Negri (2000) in Empire einige interessante Hinweise gegeben, die zu einer Weiterentwicklung der Analyse des autoritären Etatismus beitragen könnten. Sie nehmen zwar im Gegensatz zur früheren Texten auf dieses Problem nicht explizit bezug, stellen jedoch ihre Überlegungen zur Veränderung des (National-)Staates, die sich im krisenhaften und widersprüchlichen Übergang zu der neuen Form von transnationaler Souveränität, die sie Empire nennen, manifestiert, in den Kontext umfassender Veränderungen der Arbeits- und Produktionsverhältnisse, wie sie sich in den sozialen Kämpfen der letzten Jahrzehnte manifestierten. Sie betonen, dass in der Veränderung der Souveränität, die sich im Empire aus einer Synthese der verschiedenen Regierungsformen (Atzert/Müller 2003) ergebe, eine „Maschinerie“ entstehe, die kontinuierlich nach Autorität verlange.

Die Beobachtung, dass der (schlanke) Staat des Neo-Liberalismus in der krisenhaften Ablösung des Fordismus seine vermittelnde Funktionen in den sozialen Konflikten verliert, interpretieren sie missverständlich als Niedergang des Nationalstaates, wodurch auch die die gesellschaftlichen Konflikte und Herrschaftsverhältnisse vermittelnde Zivilgesellschaft und auch die relative Autonomie des Politischen obsolet werde.

„Today a notion of politics as an independent sphere of the determination of consensus has very little room to exist. Consensus is determined more significantly by economic factors, such as the equilibria of the trade balances and speculation on the value of currencies. Control over these movements is not in the hands of the political forces that are traditionally conceived as holding sovereignity, and consensus is determined not through the traditional political machine but by other means. Government and politics come to be completely integrated into the system of transnational command. (…) This is equally true for the mechanisms of political mediation, which really function through the categories of bureaucratic mediation and managerial sociology rather than through the traditional political categories of the mediation of conflicts and the reconciliation of class conflict.” (Hardt/Negri 2000: 307)

Diese These des Niedergangs des Nationalstaates, gegen die jedoch aus Perspektive der hegemonialen Sicherung kapitalistischer Herrschaft und der Konstruktion eines zunehmend transnationalen Raums des Politischen einige Einwände vorgebracht werden können (exemplarisch Hirsch 2002, Scherrer 2003), sollte nicht mit einem Bedeutungsverlust des Staates verwechselt werden. Dies wird z.B. deutlich, wo Hardt und Negri auf Analogien zwischen dem nationalen und dem entstehenden supranationalen Recht verweisen. Da die Transformation des Nationalstaates, die als Niedergang einer bestimmten Konfiguration staatlicher Funktionen verstanden werden kann, und die Entstehung einer supranationalen Form der politischen Souveränität (Empire) als krisenhafter Prozess aufzufassen ist, stellen sie – unter expliziter Bezugnahme auf Carl Schmitt – fest, dass sich die Entwicklung des Rechts auf dem Terrain der „Ausnahme“ bewege.

„The function of exception here is very important. In order to take control of and dominate such a completely fluid situation it is necessary to grant the intervening authority (1) the capacity to define, every time in an exceptional way, the demands of intervention, and (2) the capacity to set in motion the forces and instruments that in various ways can be applied to the diversity and the plurality of the arrangements in crisis. Here, therefore, is born, in the name of the exceptionality of the intervention, a form of right that is really a right of the police.“ (Hardt/Negri 2000: 16f)

Das Problem der skizzierten Debatten um die Herausbildung einer autoritären Form des Staates besteht m.E. darin, dass ihr Fokus fast ausschließlich auf die Durchsetzung von Recht und Ordnung und die damit verbundenen ideologischen und politischen Mobilisierungen, den Abbau demokratischer Institutionen zugunsten der Exekutive und der repressiven Funktionen des Staates gerichtet ist. Die Herausforderung besteht darin, die Herausbildung des autoritären Staates mit Veränderungen in den kapitalistischen Arbeits- und Produktionsverhältnissen zu verknüpfen. Die genannten Konzeptionen verweisen zwar immer wieder zumindest intuitiv auf mögliche Zusammenhänge damit, der Autoritarismus des neoliberalen und neokonservativen Staates wird jedoch tendenziell bloß als Seitenstück der Befreiung der kapitalistischen Marktkräfte, die sich in Deregulierungs- und Flexibilisierungspolitik kristallisiere, präsentiert. Darüber hinaus besteht eines der wesentlichen Probleme der Debatte darin, dass Poulantzas das Konzept des autoritären Staates in Auseinandersetzung mit dem fordistischen Interventionsstaates entwickelte, was einen sehr spezifischen Blick auf die wachsende ökonomische Rolle des Staates und den Bedeutungszuwachs der Exekutive bedingte. Auch in den Verweisen auf dieses Konzept etwa bei Joachim Hirsch (1990) scheint eher eine Verfallsgeschichte des fordistischen Staates präsentiert zu werden, in der die (hegemonialen) Krisen der kapitalistischen Produktionsweise durch autoritäre Maßnahmen zur Sicherung der gesellschaftlichen Kohäsion und Durchsetzung des Wertgesetzes/Befreiung der Marktkräfte gelöst werden.

IV. Veränderungen der Arbeit, Innovation und autoritärer Staat

Die oben entwickelten Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Transformationen der Arbeits- und Produktionsverhältnisse und des kapitalistischen Staates sowie die vorläufige Analyse der Widersprüche des Innovationskonzeptes werfen natürlich die Frage nach der konkreten Konfiguration des Staates im Übergang zum Postfordismus auf. In neoschumpeterianischen Diskursen wird hier meist auf neue Politikfelder wie etwa Innovations- und (nicht ganz so neu) Technologiepolitik verwiesen. Im Kontext dieses Beitrages möchte ich jedoch eher auf die veränderten Beziehungen des Staates zu den Arbeits- und Produktionsverhältnissen, wie sie in neoliberalen und neokonservativen Projekten durchgesetzt werden, eingehen. Darin sehe ich eine Möglichkeit, den gesellschaftlichen Kern des autoritären Charakters des Staates im Übergang zum Postfordismus sichtbar zu machen.

Unter den Bedingungen einer fundamentalen Formveränderung der Arbeit – die aus der wachsenden Bedeutung der kommunikativen, kooperativen, affektiven und selbsttätigen Fähigkeiten der Beschäftigten und der zentralen Rolle von Wissensarbeit und Qualifikationen im postfordistischen Kapitalismus und der damit verbundenen Rücknahme der (tayloristischen) Arbeitsteilung in intellektuelle und ausführende Arbeit resultiert – versucht das Kapital, seine Position im Produktionsprozess durch die Fähigkeit zur Durchsetzung von und Entscheidung über Innovationen und die darin angelegten Widersprüche (Unsicherheit etc.) zu erhalten und die neuen Qualitäten der Arbeitskraft zur Durchsetzung permanenter Veränderungsfähigkeit nutzbar zu machen und dergestalt dem Verwertungsprozess unterzuordnen.

Aus der zentralen Bedeutung der Fähigkeit zur Entscheidung über Veränderungen und Anpassungen der Produktionsprozesse ergibt sich m.E. der potentiell autoritäre Charakter der damit verbundenen Veränderungen der Arbeits- und Produktionsverhältnisse und ihre Verdichtung in den Transformationen des kapitalistischen Staates im Übergang zum Postfordismus.

In den schumpeterschen Auseinandersetzungen mit der Funktion des Unternehmertums ist die Nähe zur dezisionistischen Politikkonzeption seiner Zeit – etwa bei Carl Schmitt – frappierend, aber nicht zufällig[iii]. Geht es bei Schmitt, der der liberalen Konkurrenzvorstellung Verachtung entgegenbrachte, um die Entscheidung über den Ausnahmezustand jenseits jeglicher normativer Gebundenheit, was er liberal-demokratischen Formen der Interessenaushandlung und Kompromissfindung entgegenstellt, so zielt der schumpetersche Innovationsbegriff auf die Fähigkeit einzelner Unternehmer, etwas außerhalb der Norm stehendes zu tun, was als wesentliches Bestimmungsmerkmal von Führung gesehen wird. Formen rationaler Planung, wie sie in den bürokratisch organisierten Unternehmen des Fordismus institutionalisiert wurden, erscheinen den schumpeterschen Diskursen als Quellen von Misserfolgen, welche die Unternehmerfunktion – Führung und Entscheidung – beeinträchtigen und bedrohen.

Die neoliberale Förderung von Unternehmertum und Innovationsfähigkeit der letzten Jahrzehnte enthüllt daher den autoritären Charakter des damit verbundenen Umbaus der Arbeits- und Produktionsverhältnisse, der Liberalisierung und Deregulierung der Arbeitsmärkte, des Um- und Rückbaus der sozialen Sicherungssysteme und der Kommodifizierung öffentlicher Dienstleistungen (Röttger 1997). Diese können nicht auf eine Befreiung de Marktkräfte reduziert werden, sondern müssen auch als Restrukturierung der Klassenherrschaft aufgefasst werden, die in der Reorganisation der Arbeits- und Produktionsprozesse im Übergang zum Postfordismus, deren Reproduktion an die Fähigkeit zur permanenten Veränderung gebunden wird, durchgesetzt wird.

Die verschiedenen Strategien der neoliberalen Arbeitspolitik und die damit verbundene „Verbetriebswirtschaftlichung“ (Bernd Röttger) sozialer Beziehungen stellen ein wesentliches Instrument dieser Prozesse dar. Die Befreiung des Unternehmertums und die Förderung von Innovationsfähigkeit ist mit der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und den damit verbundenen „Reformen“ aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik, die unter dem Begriff „workfare“ zusammengefasst werden können (Peck 1996), verknüpft. Durch diese Maßnahmen sollen die Kombinationsmöglichkeiten des Faktors Arbeitskraft – also die numerische Flexibilität der Unternehmen – erhöht und vollständig der Verfügungsgewalt des Kapitals untergeordnet werden.

Aber auch die Mobilisierung der neuen Qualitäten der Arbeitskraft, die sich in der Ablösung der tayloristisch-fordistischen Formen der Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation herausgebildet haben, wird der Durchsetzung der Innovations- und Veränderungsfähigkeit des Kapitals untergeordnet. Durch die Forderung nach Höherqualifikation und permanenter Weiterbildung, durch die Betonung der Lern- und Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten und die Schaffung „lernender Organisationen“ sollen die funktionalen Einsatzmöglichkeiten der Arbeitskräfte für einen auf permanente Innovation ausgelegten Kapitalismus erreicht werden.

In den meisten neoschumpeterianischen Ansätzen wird folgerichtig auf die zentrale Bedeutung von Ausbildung und Qualifikation im Übergang zum Postfordismus verwiesen und darüber versucht – auch gegen neoliberale Konzeptionen –, die Rolle des Staates im Übergang zum Postfordismus neu zu begründen (exemplarisch Lundvall/Borras 1997, kritisch Coates 2000). Ausbildung und Qualifikationen seien nämlich als öffentliche Güter aufzufassen, deren Produktion nicht dem Markt überlassen werden kann. Da Qualifikationen einen nicht-exklusiven Charakter besitzen – also in verschiedenen Unternehmen eingesetzt werden können –, hätten einzelne Unternehmen kein Interesse, in (breit angelegte) Qualifizierung zu investieren, da sie befürchten müssen, dass konkurrierende Betriebe, die sich die Ausbildungskosten sparen, höherqualifizierte Arbeitskräfte abwerben. Marktversagen wäre die Folge, die produktive Verwertung der durch Bildung zu schaffenden Potentiale der Arbeitskraft wäre bedroht. Aus dieser Konzeption ergibt sich der Versuch einer Neubegründung der Rolle des Staates im Übergang zum Postfordismus, die bezogen auf die Rekonstruktion der Ware Arbeitskraft nach Bob Jessop entlang einer doppelten Bewegung  charakterisiert werden kann.

„On the one hand the state is reasserting the importance of education in the realization of national economic interests; an on the other hand, it is conceding greater autonomy to education institutions in how they serve this interests (...). But this autonomy is being exercised in the context of the hegemony of the knowledge-based accumulation strategy, the increasing participation of the bearers of this strategy in the shaping of education mission statements and the increasing financial dependence of further and higher education on third-party revenues deriving neither from the state nor from students.“ (Jessop 2002: 167)

Die schulischen und beruflichen Aus- und Weiterbildungsinstitutionen sowie die Qualifizierungsprozesse und Lernbedürfnisse der Individuen werden an die Erfordernisse des Marktes und die Schaffung von Innovationsfähigkeit gebunden bzw. diesen untergeordnet.

„Education has become integrated into the workfarist project that downgrades the Keynesian state’s commitment to full employment and now emphasizes its contribution to creation conditions for full employability. Thus responsibility for becoming employable is devolved to individual members of the labour force (…) They may be largely responsible for this as enterprising individuals investing in their own human capital “ (Jessop 2002: 165).

Im autoritären Staat des Postfordismus stehen daher auf der einen Seite arbeitsmarktpolitische Programme, welche Polarisierungstendenzen der (immateriellen) Arbeit verstärken und den Einsatz niedrig qualifizierter Arbeitskräfte in prekären Beschäftigungsverhältnissen sicherstellen. Diese Maßnahmen zielen jedoch nicht nur auf die Durchsetzung des Zwangs, Arbeit anzunehmen, der durch die Reduktion von Transferleistungen erreicht werden soll. Vielmehr geht es in der postfordistischen Arbeitsmarktpolitik auch um die Herstellung und Sicherung des Arbeitsethos, also um die biopolitische Erzeugung jener individuellen Dispositive, die Menschen erst die mentale wie körperliche Befähigung zur Lohnarbeit geben (Hardt/Negri 2000).

Auf der anderen Seite werden jene institutionellen Kapazitäten und politische Maßnahmen geschaffen, durch die hochqualifizierte Wissensarbeiter und Symbolanalytiker, Ich-AGs oder neue Selbstständige für den permanent innovationsfähigen Kapitalismus aktiviert werden. Dazu zählen Maßnahmen zur Förderung des Unternehmertums, der an Wettbewerbsfähigkeit und Marktförmigkeit ausgerichtete Umbau der Bildungseinrichtungen (Universitäten) und die auf individuelle Verantwortlichkeit ausgerichtete Kommodifizierung der sozialen Sicherungssysteme (steuerliche Förderung der Eigenvorsorge im Pensions- und Gesundheitssystem etc.).

Die Unternehmerfunktion Innovation wird so zum Inhalt staatlicher Politik. Die staatlich vermittelte Rekonstruktion der Ware Arbeitskraft und ihrer Reproduktion wird im auf permanente Innovationsfähigkeit ausgerichteten Kapitalismus im Übergang zum Postfordismus grundlegend der Nicht-Voraussagbarkeit und Nicht-Steuerbarkeit der Prozesse der Erneuerung und der Transformation der Ökonomie ausgesetzt.

Abschließende Bemerkungen: Marxismus und schumpeterianischer Kapitalismus

In den (mehr oder weniger kritischen) Sozialwissenschaften wir die Fähigkeit, „einen Unterschied herzustellen“ (Giddens 1988: 66, Görg 1994)), eine Veränderung zu bewirken, als wesentliches Bestimmungsmerkmal sozialen Handelns aus relationaler Perspektive erkannt. Diese ist aber nicht von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen und ihren Widersprüchlichkeiten zu trennen. Die Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus kann folgerichtig nicht auf die Wiederherstellung der „objektiven sozialen Positionen“ (Lohnarbeit, Kapital) am Ende eines Produktionskreislaufes reduziert werden, was die Analyse kapitalistischer Gesellschaftsformen letztlich auf die Entlarvung des ewig Gleichen reduzieren würde. Mit dieser Konzeption könnten weder „Varieties of Capitalism“ oder die historischen Unterschiedlichkeiten nationaler Entwicklungsmodelle verstanden werden, noch die fundamentale Veränderbarkeit der kapitalistischen Produktionsweise und die konstitutive Offenheit der kapitalistischen Geschichte, auf die nicht zuletzt neoschumpeterianische Ansätze abzielen. Aus diesem Blickwinkel wäre individuelles oder kollektives Handeln durch die strukturellen Erfordernisse der sozialen Verhältnisse – ob widersprüchlich oder nicht – determiniert oder aus diesen ableitbar (Lipietz 1998), die Frage der Emanzipation auf das Problem adäquater Welterkenntnis und daraus zu ziehender praktischer Schlussfolgerungen reduziert..

Obwohl kritische Ansätze, wie etwa die Regulationstheorie, ursprünglich ein anderes Programm verfolgten, entwickeln sie in der Analyse konkreter Gesellschaftsformationen und dort, wo sie konkrete Politikberatung zu sein beanspruchen, rasch eine an Stabilität und Gleichgewicht orientierte Perspektive (Brand/Raza 2003). Dies ist in letzter Konsequenz nicht nur gegen emanzipatorische Bestrebungen gerichtet, sondern verstellt auch den Blick auf die konfliktgetriebene Dynamik und Instabilität gesellschaftlicher Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse.

In dieser Vorstellung werden die Kräfte der Veränderung – die sozialen Kämpfe, die durch die Wissenschaften induzierte Entfaltung der Produktivkräfte, die als Ergebnis der sozialen Kämpfe aufzufassen wäre – zu  exogenen Faktoren der Entwicklungen der bürgerlichen Gesellschaft. Die Antwort auf die Frage, warum der Kapitalismus sich trotz oder wegen seiner Widersprüche und der damit verbundenen sozialen Konflikte reproduzieren kann, wurde daher nicht nur aus Perspektive der Regulationstheorie als eine Stilllegung und Abwehr der sozialen Konflikte sowie Integration der antagonistischen Kräfte (Neue Soziale Bewegungen, ArbeiterInnenbewegung etc.) verstanden (Demirovic 2003: 46).

Es stellt sich jedoch die Frage, wie das Projekt der Emanzipation im postfordistischen Kapitalismus, der permanente Veränderung und Innovation, die radikale Umwälzung der Produktionsverhältnisse zur zentralen Dimension seiner Reproduktion werden lässt und die Kreativität, das Wissen und die Lernfähigkeit der Arbeitskräfte zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit nationaler Wirtschaftsstandorte zu fördern behauptet, rekonstituiert werden kann. Auf jeden Fall führt ein statisches Verständnis der Reproduktion der sozialen Verhältnisse in bürgerlichen Gesellschaften zu inadäquaten Analysen der skizzierten Dynamiken des Kapitalismus im Übergang zum Postfordismus. Dadurch gehen auch die emanzipatorischen und politischen Dimensionen der Marxschen These verloren, wonach Menschen ihre Geschichte selbst machen, wenn auch unter vorgefundenen Bedingungen.

Ja mehr noch, in den ideologischen Auseinandersetzungen um diese Veränderungen gelingt es den organischen Intellektuellen (Gramsci) des postfordistischen Kapitalismus (Unternehmens- und Managementberater, Human Ressource Manager etc.), zentrale Vorstellungen und Begriffe (Partizipation, Selbstorganisation, Kreativität, Veränderung etc.) zu besetzen und in ein neues hegemoniales Projekt zu gießen, das auf der Bereitschaft zu permanenter Anpassung und Innovation beruht. Kontingenz und Veränderung sind zu einer neuen Herrschaftstechnik geworden.

E-Mail: rolandatzmuller/ at /hotmail.com

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[i] R&D = Research and Development

[ii] Die „Labour Process Debate“ im angelsächsischen Raum beschäftigt sich seit den frühen 1980er Jahren mit dieser Problematik (exemplarisch Knights/Willmott 1990).

[iii] In letzter Konsequenz gilt dies auch für die schumpetersche Demokratietheorie. Demokratie besteht demgemäß in einem Verfahren zur Auswahl der Führung. Die Funktion der derart bestimmten führenden Politiker besteht in der allgemein verbindlichen Entscheidung (Schumpeter 1975)

 

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