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Martin Birkner:
„Autonomie der Migration” vs. „Imperialer
Rassismus” „[E]s geht darum, die Grenzen und Segmentierungen, die der neuen kollektiven Arbeitskraft auferlegt werden, zu überschreiten und niederzureißen; es geht darum, diese Widerstandserfahrungen zu sammeln und sie konzertiert gegen die Nervenzentren der imperialen Befehlsgewalt einzusetzen.“ (Michael Hardt / Toni Negri) „Vielleicht gilt es, politische Philosophie, ausgehend von der Figur des Flüchtlings, neu zu begründen.” (Giorgio Agamben) Drei Vorbemerkungen und eine kurze Einleitung Vorab drei Bemerkungen/Thesen, die auch das Problemfeld Migration/Rassismus in Hardt/Negri´s breit rezipierten Buch Empire (Hardt/Negri 2003) abstecken sollen: 1. Migration ist ein Wesensmerkmal der Konstitution des Empire und insofern auch im gesamten Buch präsent. Ohne die Berücksichtigung dieser Problematik kann die Transformation in Richtung Empire nicht verstanden werden. Die dezentrale Zentralität der Subjektivität „Menge” (so wird in der deutschsprachigen Ausgabe von Empire der von der Philosophie Spinozas übernommene Begriff Multitude übersetzt) ist ontologisch durch Bewegung und Deterritorialisierung bestimmt und befindet sich somit in einem Raum relativer Ununterscheidbarkeit von und mit migrantischen Subjektivitäten. 2. Migration bzw. Rassismus wird in zwei Teilen von Empire explizit zum Thema: im zweiten, „Passagen der Souveränität” und im vierten und letzten, „Untergang und Fall des Empire”. Auch im „Gegen-Empire” benannten „Intermezzo”, an den oben bereits genannten zweiten Teil anschließend, ist ein Unterkapitel der Thematik gewidmet. Setzen sich die Erläuterungen im zweiten Teil mit der „Erzeugung von Alterität” oder konkreter, dem „imperialen Rassismus”, also den Formen der modernen Identitäts- und somit Exklusions-Konstruktion auseinander, so sind die weiter hinten angesiedelten Kapitel hauptsächlich der Bewegung gegen das Empire gewidmet, eben „Nomadismus, Desertion, Exodus” (vgl. 222[i]). 3. In Empire nicht zu finden ist hingegen weder eine ausgearbeitete Theorie der rassistischen Ideologie, oder eine explizite Theoretisierung migrantischer Bewegungen noch das Verhältnis beider Aspekte zueinander (vgl. zu diesem Verhältnis Pühretmayer 2002, 292 ff.) oder dasjenige zur Transformation von Ökonomie und Arbeit (Stichworte: „Postfordismus”, „immaterielle Arbeit”). Nicht zuletzt diesem Manko ist geschuldet, dass die vertikalen Segregationen und hierarchischen Spaltungen sowohl von Migrationsbewegungen als auch die politische Zusammensetzung der Multitude als Klasse wenig bis gar nicht problematisiert werden. Genau diese Problematisierung wäre aber notwendig, wenn jenseits von euphemistischen Zuschreibungen (MigrantInnen „[a]ls die wahren Helden der Befreiung der Dritten Welt”, 370) und „identitären Abkürzungen” („Der Arme selbst ist die Macht”, 170) ein zeitgemäßes, hegemoniefähiges Projekt revolutionärer Politik in Angriff genommen bzw. theoretisch fundiert werden soll.[ii] Nun zur Thematisierung der einzelnen Punkte: Nach einer kurzen Einführung in Problematik und Begriffe von Empire soll ausgehend von der diesen Text anleitenden These 1 die unter Punkt 2 genannten Stellen, deren Bemerkungen ansonsten im ganzen Buch verstreut sind, je nach Wichtigkeit für den Gesamtkontext, vorgestellt werden, wobei auch die Bezüge zu den von Hardt/Negri behandelten AutorInnen – vor allem Etienne Balibars Ausführungen zum „Neorassismus” (vgl. Balibar 1998a, 1998b) und die Thesen Yann Moulier Boutangs zur „Autonomie der Migration” (vgl. Moulier Boutang 2002) - kritisch reflektiert werden sollen. Die kritische Analyse der Behandlung von Rassismus und Migration unter dem Gesichtspunkt der These 3 geht sowohl auf die historischen Wandlungen des Rassismusbegriffes als auch auf die Möglichkeiten und Grenzen der Theorie von Hardt und Negri im Hinblick auf die Möglichkeit revolutionärer und antirassistischer Politik ein. Neben den explizit unserer Thematik gewidmeten Teilen werden vor allem Aspekte des Subjektivierungskonzeptes „Multitude“ und die Frage nach der Notwendigkeit einer Hegemonietheorie behandelt. In einem abschließenden Resümee möchte ich auf die politischen Konsequenzen (sowohl in Empire selbst als auch in politisch-antirassistischen Zusammenhängen) der vorher beschriebenen Problemfelder eingehen. Ein Gesamtüberblick über Empire kann hier nicht gegeben werden,[iii] dennoch soll kurz der theoretisch-historische Rahmen beleuchtet werden, in dem sich die Theorie des Empire bewegt: Empire ist eine postmoderne „große Erzählung” Das Empire als globale postmoderne Herrschaftsform wird, so Hardt und Negri, von der Multitude produziert[iv], es lebt von der herrschaftlichen Verwendung der Widerständigkeit der Menge und ist deshalb – und hier liegt der wunde Punkt des Empire - von ihr abhängig. Die spezifischen Wirkungen dieser neuen Form imperialer, eben nicht mehr imperialistischer, Herrschaft, konstituieren sich durch die Verbindung zweier Bewegungen: einerseits jener (ökonomischen) des Übergangs der hegemonialen Form von Arbeit von der materiellen zur immateriellen/affektiven, andererseits der Transformation des politischen Regimes von der Disziplinar- hin zur Kontrollgesellschaft. Die imperiale Herrschaft kann keine politisch-kulturellen Hegemonien entwickeln und vermitteln[v], ihre Dominanz verkommt zunehmend zu einem „hohlen Kommando“. In der Analyse dieser Bewegungen zeigt sich das operaistische Erbe von Empire: nicht das Kapital als „automatisches Subjekt” ist die entscheidende Triebkraft des kapitalistischen Systems, sondern die Klassenkämpfe selbst, die jedoch stets (wenn gleich auch „im Nachhinein”) in das ausbeuterische System integriert werden.[vi] So ist denn auch das Empire nicht eine aus einer (für Hardt/Negri nicht existierenden) Eigengesetzlichkeit „des Kapitalismus” hervorgegangene neue Herrschafts- und Gesellschaftsform, sondern die mehr oder weniger defensive Antwort des Kapitalismus auf die Bedürfnisse und die Widerstände der ArbeiterInnenklasse. Historisch festmachen lässt sich dies am Bruch mit dem fordistischen Vergesellschaftungsmuster: dieser ist nicht bewusste Strategie der Herrschenden – wenngleich dieser Bruch auch erst durch die Verbindung mit der durchaus strategischen Vorbereitung der neoliberalen Ideologie wirk- und somit herrschaftsfähig wurde[vii] – sondern in erster Linie die Konsequenz der Klassenkämpfe der 60er und 70er Jahre. Diese, so Hardt/Negri, waren in erster Linie nicht Kämpfe um Anerkennung, Gleichberechtigung und höhere Löhne, sondern ein Aufbegehren gegen die Ordnung der Disziplinargesellschaft. Diese, und hier knüpfen Hardt/Negri (teils sehr eigenwillig) an die Arbeiten von Foucault (u.a. Foucault 1976, 1994, 2000) und Deleuze/Guattari (u.a. Deleuze 1993) an, gliederte mit ihren Institutionen wie Familie, Schule, Partei, Gefängnis, Psychiatrie, Fabrik, die Individuen disziplinierend in eine gesellschaftliche Ordnung ein, während das nunmehr vorherrschende Muster der „Kontrollgesellschaft” die Widerstände der oben genannten Kämpfe (wie jene des Mai 1968 oder auch die militanten Bewegungen in Italien der 70er Jahre) aufgegriffen hat und nun – mehr oder weniger erfolgreich – versucht, die Effekte dieses Aufbegehrens gegen die disziplinierenden Institutionen selbst im Sinne eines postfordistischen Akkumulationsregimes produktiv zu machen. Begleitet ist diese Transformation von einer Verschiebung hin zu Mechanismen der Selbstkontrolle, die auch vor den Körpern der Individuen nicht halt machen, sondern vielmehr durch sie hindurch gehen (von der berühmt-berüchtigten „Flexibilität” über den Fitnesskult bis hin zum Hardt/Negrischen Bespiel von Körperbearbeitung durch Piercings, ...). Hardt/Negri versuchen diese Aspekte der postfordistischen Transformation mit dem Begriffspaar „Biopolitik/Biomacht” in den Griff zu bekommen. Wenngleich auch diese – wiederum von Foucault entliehenen – Begrifflichkeiten durchaus dafür geeignet erscheinen, werden sie von Hardt/Negri des Öfteren in einer Art und Weise verwendet, die letztlich mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet.[viii] Vor diesem Hintergrund möchte ich nun die thematischen Felder von Migration und Rassismus in und im Empire näher beleuchten. Der Nationalstaat erfindet sein Volk – und die „Anderen” gleich dazu Um die aktuelle Transformation staatlicher Souveränität zu beschreiben, zeigen Hardt und Negri vorerst einmal die Konstitutionsbedingungen der modernen nationalstaatlichen Souveränität auf. Der „ständisch-feudale Patrimonialstaat” war gottgegebenes „Eigentum des Monarchen” (107), das feudale Eigentum Teil seines Körpers. Im Prozess von ursprünglicher Akkumulation und bürgerlicher Revolution „wurde die theologische Begründung territorialer Herrschaft durch eine neue Begründung, die in gleicher Weise transzendent war, ersetzt. Nicht mehr der göttliche Körper des Königs, sondern die geistige Identität der Nation bestimmte nunmehr Territorium und Bevölkerung als ideale Abstraktionen.” (108) Im Gegensatz zu landläufigen Meinungen ist es nicht das „Volk”, welches quasi-natürlich der Nation und „ihrem” Staat vorangeht, vielmehr „ist der moderne Begriff des Volkes in Wahrheit ein Produkt des Nationalstaates ...” (116). Hiermit ist bereits ein zentrales Wesensmerkmal der nationalistischen Ideologie angezeigt, in welcher eben „das Volk” substantialisiert und naturalisiert wird und dem obendrein noch ein homogener Wille oder gar ebensolches „Gemüt und Geblüt” (vgl. Morgenstern 2002, 217) unterstellt wird. Die Menge hingegen, jene Individuen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einem bestimmten Territorium leben, müssen von dieser Ideologie erst eingehegt und vereinheitlicht werden. „Jede Nation muss deshalb die Menge zu einem Volk machen.” (117) Der europäische Kolonialismus - mit seinen ökonomischen Beziehungen zu den kolonialisierten Erdteilen – führte die Notwendigkeit mit sich, bei zunehmender ökonomischer Abhängigkeit von den Kolonien über rassistische Konstruktionen das „eigene Volk” beständig neu zu konstituieren. Der bzw. die „Andere” waren erfunden. „Das kolonisierte Subjekt wird in der metropolitanen Vorstellung als Anderer konstruiert [...]” (137). Diese elementare, binäre Spaltung in „Eigenes” und „Fremdes” ist – durch alle historischen Transformationen hindurch – bis heute das Wesensmerkmal rassistischer (und auch anderer, vor allem sexistischer) Ideologien. Bei der Auseinandersetzung mit aktuellen rassistischen Ideologien wird uns dieses Muster wiederholt begegnen. Am Beispiel von Edward Said´s bahnbrechender Studie über den Orientalismus (Said 1994) zeichnen Hardt und Negri die diskursive Konstruktion des „Anderen” nach: „Der Orientalismus ist nicht einfach eine Forschungsrichtung, die genauere Kenntnis über ein reales Objekt, nämlich den Orient, gewinnen will, sondern vielmehr ein Diskurs, der sich im Zuge des Diskurses sein eigenes Objekt schafft.” (138) Der – aus herrschaftlicher Sicht durchaus praktikable – Effekt ist stets der gleiche: diskursive Hegemonie via Essentialisierung und Naturalisierung des „Anderen”, in deren Ideologie sich die so angerufenen „Eigenen” und im „Optimalfall” auch die „Anderen” wiedererkennen zu meinen: „Genau so ist es und nicht anders!” Die „wissenschaftliche“ Anthropologie des 19. Jahrhunderts konstruierte aus vermeintlichen und tatsächlichen Unterschieden nicht-europäischer Bevölkerungen schließlich Rassenmerkmale, an denen nicht zuletzt die Rassenbiologie des frühen 20. Jahrhunderts anknüpfen konnte, waren es doch naturwissenschaftlich eindeutig bewiesene und somit „objektive” Tatsachen.[ix] Vom modernen zum imperialen Rassismus Entgegen ideologischer Aussagen, wonach der Rassismus im Verlauf der neueren Geschichte ständig abgenommen habe (nicht zuletzt mit dem Ende des Südafrikanischen Apartheidregimes), zeigen die Autoren in Empire, „dass der Rassismus in der heutigen Welt keineswegs zurückgegangen ist, sondern sich im Gegenteil weiter ausgebreitet hat, und zwar sowohl räumlich wie auch hinsichtlich seiner Intensität” (202). Jedoch ist mit dem Übergang vom biologischen Rassismus zu den kulturellen Neorassismen „ohne Rassen” auch eine Veränderung weg von „manichäischen Aufteilungen” (ebd.), wie eben früher in Südafrika oder im Südosten der USA, hin zu postmodernen Formen rassistischer Segregation einher gegangen. In der Darstellung dieser für unsere Thematik zentralen Transformation rassistischer Ideologie folgen Hardt und Negri im Wesentlichen den Theorien eines „(Neo-)Rassismus ohne Rassen” von Etienne Balibar (Balibar/Wallerstein 1990). Hier ist jedoch eine Zwischenbemerkung grundsätzlicher Natur angebracht: Da im Argumentationsgang von Hardt und Negri bekanntlich in einer an den italienischen Operaismus anknüpfenden methodischen Art und Weise gesellschaftliche Bewegungen weder Selbstbewegungen von Strukturen (Kapital als automatisches Subjekt, Verblendungszusammenhang, etc.), noch bewusst produzierte Wirkungen im Sinne verschwörungstheoretischer (oder auch vulgärmarxistischer) Denkmuster, darstellen, ist auch die Transformation der rassistischen Ideologie vom biologischen zum kulturellen Rassismus als Reaktion auf moderne antirassistische Kämpfe, d.h. jene gegen „die Vorstellung von einem biologischen Essenzialismus” (203) gerichteten, zu verstehen. Die Ausgangshypothese dieser, an den Operaismus anknüpfenden Theorie, lässt sich mit Deleuze wie folgt zusammenfassen: „Das letzte Wort der Macht lautet, daß der Widerstand primär ist.” (Deleuze 1992, zit. n. Empire 368, Herv.i.O.) Ob und in wie weit den Autoren bei der sehr grundsätzlichen politisch-epistemologischen Grundannahme zuzustimmen ist, sei vorerst dahingestellt. Unterstellungen, wie, dass Hardt und Negri in Empire sich in nihilistischer Art und Weise von hegemonialen Kämpfen absentieren und „Attentismus” zelebrieren (und somit dem Neoliberalismus in die Hände arbeiten), wie dies z.B. die Kritik von Becker, Fischer und Jäger (Becker, Fischer, Jäger 2003, 148) nahe legt, sind sicher ungerechtfertigt. Wenn Hardt und Negri aber schreiben: „Der imperiale Rassismus und der moderne Antirassismus sagen somit so ziemlich das Gleiche [...]” (203), so mag dies eine gerechtfertigte Spitze gegen die Multikulti-Ideologie eines hilflosen Antirassismus (vgl. dazu Zizek 1998, 71-81) darstellen, zweierlei scheint jedoch bedenklich: Zum Einen bedeuten derartige Generalisierungen, und diese finden sich in Empire nicht bloß vereinzelt, dass das Empire tatsächlich mit dem Vermögen ausgestattet ist bzw. wird, alle Kämpfe und Widerstände der Menge in sich aufzunehmen und in seinem Sinne produktiv zu machen, zum Anderen muss, nicht zuletzt um die Perspektive der Befreiung nicht fallen zu lassen, die Menge als alleinige Trägerin von Macht, von welcher das Empire vollständig abhängig ist, ausgewiesen werden. So wird in diesem Falle zwar das dem Spinozismus geschuldete strenge Immanenzdenken konsequent durchgehalten, ob dies jedoch einer realistischen Annäherung an die tatsächlichen Bewegungen der Menge – selbst aus deren eigener Perspektive - dienlich ist, bleibt eine offene Frage. Frieder Otto Wolf ist in seinem Text „‚Empire’ oder was?” (Wolf 2004) insofern zuzustimmen, als das er klar und prägnant auf die „von Hardt und Negri vernachlässigten ‚relativ autonomen’ Effekte der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, welche zumindest wie eine historische Initiative ‚wirken’ können [...]” (Wolf 2004, 77) hinweist. Die Kenntnis der aktuellen konkreten Wirkungen von Herrschaftsverhältnissen sind ein nicht unwichtiger Bestandteil der Strategie der Menge. Nicht ohne Grund entwickelte der operaistische Marxismus in Italien die Begriffe technische bzw. politische Klassenzusammensetzung sowie jenen des Kampfzyklus. Sie dienen dem Ausloten der Verhältnisse zwischen ArbeiterInnen und Kapital und berücksichtigten durchaus jene „technischen” Aspekte wie z.B. Änderungen im technischen Ablauf der Produktion oder Abteilungsumstrukturierungen, die oft, aber nicht immer und ausschließlich aus ArbeiterInnenkämpfen resultierten. Der Affront gegen die Theorien der Mainstream-Politikwissenschaft ist jedoch die oben bereits angesprochene epistemologische Umkehrung der polischen Kausalität im operaistischen Denken. Die Verschiebungen gesellschaftlicher Strukturen von der modernen zur imperialen Souveränität stellen die Figur der Migration ins Zentrum einer postoperaistischen politischen Theorie. Yann Moulier-Boutang, an den Hardt und Negri anknüpfen, entwarf ein dem entsprechendes Konzept mit seinen Thesen zur „Autonomie der Migration” (hier und im Folgenden Moulier-Boutang 2000, vgl. auch Bojadzijev/Tsianos (2002)). Erst ein grundsätzlicher „Perspektivenwechsel” macht es möglich, Migration nicht mehr funktionalistisch als Resultat von „Pull-” und „Push-Effekten”, sondern als Bewegung gesellschaftlicher Individuen, die sich zu „Strömen und Netzwerken der Migration” verbinden. „Die Autonomie der Migration zeigt sich in ihrer Selbständigkeit gegenüber den politischen Maßnahmen, die darauf zielen, sie zu kontrollieren. Migration unter dem Gesichtspunkt ihrer Autonomie zu betrachten, bedeutet, die sozialen und subjektiven Dimensionen der Migrationsbewegungen zu betonen.” Moulier-Boutang zeigt, dass trotz der verschlechterten rechtlichen Situation in den Zielländern, trotz der zunehmend prekären Situation auf den Arbeitsmärkten und trotz rassistischer Gegenmaßnahmen die Bewegungen der Migration bestehen und sich sogar verstärken, nicht zuletzt deshalb, weil sich ebendiese Migrationsbewegungen mit den ökonomischen Umstrukturierungen der Zielländern (Mobilität, Flexibilität, aber auch zunehmende Entrechtung der ArbeiterInnen) verbinden. Obwohl auf politischer Ebene Moulier-Boutangs Alternativvorschläge die Ebene rechtlicher Konsequenzen (Bleiberecht) und somit das Terrain des „modernen” Antirassismus nicht verlassen (obwohl sie sicherlich bestrebt sind, dieses zu ändern), sind seine Thesen dennoch als wichtiger Anknüpfungspunkt für einen neuen Antirassismus zu bezeichnen, einen Antirassismus, der fähig ist, sich mit anderen sozialen Bewegungen gegen das Empire zu verbinden. Dabei darf jedoch nicht die grundsätzliche Kritik an rechtlicher und somit notwendig herrschaftlich verfasster staatlicher Vergesellschaftung vernachlässigt werden. Dass dabei, d.h. bei einem Denken allein aus der Perspektive des Widerstands und der „Autonomie“, wie sie Moulier-Boutang und eben auch Hardt & Negri betreiben, all zu leicht die angemessene Analyse der „Gegenseite” in ihrer „relativen Autonomie” aus dem Blick gerät, soll abschließend an einem Beispiel aufgezeigt werden, allerdings ex negativo, da es in Empire nicht vorkommt: Auch die „Konkurrenz der Kapitale” besitzt eine innere Logik, die den verschiedenen Bedürfnissen der einzelnen Kapitalfraktionen und den nicht allein auf Klassenkämpfe reduzierbaren Bewegungen des Weltmarktes Rechnung tragen müssen: „Was die Konkurrenz, zunächst in einer Sphäre, fertigbringt, ist die Herstellung eines gleichen Marktwerts und Marktpreises aus den verschiednen individuellen Werten der Waren. Die Konkurrenz der Kapitale in den verschiednen Sphären aber bringt erst hervor den Produktionspreis, der die Profitraten zwischen den verschiednen Sphären egalisiert. Zu dem letztren ist höhere Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise erheischt als zu dem frühern.” (MEW 25, 190, Herv. MB, vgl. auch ebd. 203) An diesem Beispiel lässt sich ablesen, dass durchaus eben auch „hinter den Rücken der Menschen“ (Marx) ablaufende Prozesse kapitalistischer Reproduktion existent sind, die nur über die Analyse ihrer „Eigengesetzlichkeiten“, d.h. eben unter dem Vorzeichen ihrer „relativen Autonomie“ erkannt werden können und eben nicht allein aus der Perspektive des Klassenkampfes. Womit wir wieder beim Thema „Imperialer Rassismus” im Empire wären. Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen biologischem und kulturellem Rassismus scheint die Pluralität des zweiteren zu sein: „Alle kulturellen Identitäten sind im Prinzip gleich” (204), jedoch nur „solange wir unsere Rasse spielen” (ebd.). Neorassismus wirkt also weniger über eine binäre Differenzierung a priori („wir”/”die Anderen”), sondern um vielfältige Abstufungen „unterschiedlich weit reichender Inklusion” (205), die noch dazu aus einem Gemenge von „kulturellen” Differenzierungen und „ökonomischer” Leistungsfähigkeit resultiert.[x] „Der imperiale oder unterscheidende Rassismus integriert Andere in seine Ordnung und orchestriert dann diese Differenzen im Rahmen eines Kontrollsystems” (206) Besonders „fortschrittliche” Institutionen und Unternehmen sind im Rahmen von „diversity management” ganz erpicht auf die vielfältige Art und Weise, vielfältige (Distinktions-)Gewinne aus dieser Vielfältigkeit zu schöpfen. Spätestens aber bei der „wirklichen“ Bedrohung der vermeintlich „eigenen kulturellen Identität“, die stets mit einer Verkettung ideologischer Muster einhergeht (wie. z.B. „Kopftuch-Unfreiheit“, oder derzeit in Österreich: „Schwarzafrikaner/Nigerianer-Drogendealer“), setzt dann auch die wirkliche Bedrohung dieser „Vielfältigkeit” ein. Der nach wie vor wirksamen Logik der binären Spaltung in „Eigenes” und „Fremdes” ist also eine Ebene kultureller Pluralität und Diversität vorgelagert, die jedoch im „Anlassfall” der zugrunde liegenden Logik der Spaltung, des „rassistischen Imaginären“ (Sarasin 2003, 67 ff.), Platz macht, diese jedenfalls nie völlig suspendiert. Die Nicht-Offensichtlichkeit der Ausschlussmechanismen, oft nur über die Art der Inklusionen erkennbar, führt nur in Ausnahmefällen zu Verbesserungen für die „zu Inkludierenden”, grosso modo jedoch zu einer noch flexibleren Anpassung der Individuen an die Bedürfnisse von Institutionen und postmodernen Arbeitsmärkten. Die Wirkungen der Macht nehmen mit zunehmender Unsichtbarkeit und Differenzierungen tendenziell zu- und nicht ab - so ließe sich die „Haupthürde”, welche einer Perspektive der Befreiung in der Postmoderne entgegensteht, zusammenfassend umreißen. An dieser Stelle sei mit einem etwas längeren Zitat nochmals auf die enge Verknüpfung der Transformation von Migrations- und Arbeitsregime hingewiesen, die eine Scharnierstelle möglicher Allianzen zwischen migrantischer, antirassistischer und ArbeiterInnenbewegung andeutet, aber auch die Verortetheit dieser Bewegung innerhalb des Kapitalismus aufzeigt: „Die Revolten der Bauern gegen ihre Enteignung im Spätmittelalter, die Kämpfe der Bettler und mobilen Arbeiter gegen die Vagabondagegesetze bis zur französischen Revolution und der Klassenkampf der Arbeiterbewegung haben sich eingeschrieben in die Geschichte der Herrschaft. Die permanente Rekonfiguration und Weiterentwicklung staatlicher Unterwerfungspraktiken, der sich stets auf andere Weise neu herstellende Kompromiss mit den Subalternen, der Machtblock mit immer neuen Koalitionen - diese Bewegung erhält ihre Dynamik aus den Bewegungen gegen sie. Will man aber die Materialität dieser Bewegung, wie sie sich heute in der Migration artikuliert, verstehen, ist es nicht ausreichend, nur einen der beiden Pole des Migrationsregimes zu fassen. Die “Autonomie” der Migration, wie sie von Hardt und Negri betont wird, existiert offensichtlich nicht ohne Politiken der Kontrolle, deren Extremform des Lagers Agamben zum Paradigma erklärt hat. Das Verhältnis zwischen beiden, ihre Bewegungsform, kann man nur bestimmen, wenn man den modus operandi des Migrationsregimes in den Blick nimmt. Dieser kreist um die Frage der Arbeit.“ (Bojadzijev, Karakayali, Tsianos 2003) Intermezzo: „Schau schau, die Multitude geht um ...” An den 2. Teil des Buches schließt ein Intermezzo an, welches den viel versprechenden Titel „Gegen-Empire” trägt. Hier werden die verschiedenen Aspekte des Angriffes auf das Empire, diesen weltumspannenden Ort „leeren Kommandos”, aufgezeigt, Von der historischen Rückblende auf die Industrial Workers of the World – die Wobblies – Anfang des 20. Jahrhunderts (219), über „Dagegen-Sein: Nomadismus, Desertion, Exodus” (so der Titel des Unterkapitels, 222) bis hin zur an die Bedrohung des Empire durch die „neuen Barbaren”, die „neue Lebenswege durch ihre eigene materielle Existenz” (227) bahnen, wird die multiple Bedrohung der postmodernen Souveränität durch die Menge entworfen. Der Ankündigung entsprechend, ist dieser Abschnitt der Passage von der Konstitution des Empire und ihren Bedingungen hin zu den Möglichkeiten der Überwindung, zu einer neuen „Repubblica Costituente” (vgl. Negri 1998b) gewidmet. Einer sich auf Marxexegese konzentrierenden Spur folgend, ist das „Dagegen- Sein”-Kapitel sicher das überbestimmteste; findet sich doch unter anderem auch die Paraphrase des berühmten Einleitungssatzes des Kommunistischen Manifests: „Ein Gespenst geht um in der Welt, und sein Name ist Migration. Alle Mächte der alten Welt haben sich vereint und kämpfen gnadenlos dagegen an, aber die Bewegung ist nicht aufzuhalten. Neben den Armutsflüchtlingen aus der so genannten Dritten Welt haben wir es mit Strömen von politischen Flüchtlingen und intellektueller Arbeitskraft zu tun; dazu kommen die massiven Wanderungsbewegungen des Proletariats aus Landwirtschaft, verarbeitender Industrie und dem Dienstleistungsbereich. Die legalen und offiziell erfassten Bewegungen werden von der verborgenen Migrationen weit übertroffen: Die Grenzen nationaler Souveränität sind durchlässig wie ein Sieb, und jeder Versuch, die Migrationsbewegungen vollständig zu regulieren, scheitert am gewaltsamen Druck.” (225) Und kurz darauf: Desertion und Exodus sind eine machtvolle Form des Klassenkampfes in der imperialen Postmoderne und zugleich gegen sie. Diese Mobilität bildet jedoch nur eine spontane Ebene des Kampfes und führt […] heute zumeist in eine neue entwurzelte Existenz in Armut und Elend. (ebd.) Auch über den Vergleich des im Empire vorherrschenden „postmodernen” Kontrollregimes mit seinem „modernen” Vorläufer „Disziplinargesellschaft” wird auf die Zentralität des Phänomens Migration verwiesen: „Während im Zeitalter der Disziplin Sabotage als die Grundform von Widerstand galt, ist es im Zeitalter imperialer Kontrolle die Desertion.” (224, Herv.i.O.) Während, so Hardt/Negri, in der Moderne sich die Konfliktparteien noch diamentral oder wenigstens dialektisch gegenüberstanden, wäre die postmoderne (Flucht)Bewegung eine transversale. Diese, aus dem Theorieuniversum des französischen Poststrukturalismus „geborgte” Formbeschreibung postmoderner Widerständigkeit steht in Empire aber doch selbst in „Schieflage” zu den von Hardt/Negri gerne verwendeten Begriffen „Exodus” und „Evakuierung”. Wenn Hardt und Negri schreiben, „[d]ie Desertion verfügt über keinen Ort; sie ist die Evakuierung der Orte der Macht” (224), dann wird schnurstracks aus der Transversalität, aus der Durchquerung, eine Entleerung, und schwuppdiwupp ist die Macht verschwunden, und „Biomacht und Kommunismus, Kooperation und Revolution [bleiben] in Liebe, Einfachheit und auch in Unschuld vereint” (420). Hier wird aus einer durchaus brauchbaren und weitgehend verallgemeinerungsfähigen theoretischen Konstellation eine Utopie im schlechten Sinn des Wortes gebastelt. Dennoch sollte es meines Erachtens nach darum gehen - und ich meine, dass dies auch ohne Zerstörung fundamentaler Strukturen des Hardt/Negrischen Denkgebäudes möglich ist - die für eine adäquate Theoretisierung von Migration und Rassismus brauchbaren Aspekte in Empire herauszuarbeiten. So zeigt die vorgestellte Bewegung der Desertion an, dass es heute im Allgemeinen nicht mehr möglich ist, soziale Kämpfe als Kampf (im „Normal”fall) zweier sich gegenüberstehender Parteien zu denken. Dies bringt zweierlei Konsequenzen mit sich: - eine Wendung von der Zentralität des Widerstandes GEGEN zur notwendigen Kombination der Widerstände mit einer POSITIVEN Konzeption, die das Vermögen/Begehren der Menge zum Ausdruck bringen kann; - eine Verschiebung von der identitären Subjektivierung (ArbeitER, Frau, MigrantIn) hin zu einer nicht-synthetisierenden Kollektivität von Singularitäten, die – als Menge, nicht als Masse – zu einer neuen Form von Gemeinsamkeit, einer Konstitution jenseits von Gemeinschaft und Gesellschaft, kommt (vgl. Negri 2004). Bezogen auf die Thematik von Migration und Rassismus bringt diese philosophische Konzeption jedoch große politisch-praktische, aber auch theoretische Probleme mit sich. Die Realität der Migration lässt sich auch mit dem offensten und breitesten Konzept nicht auf einen einheitlichen Nenner bringen, es sei denn um den Preis einer – stets unterdrückerischen - Vereinheitlichung der Vielfalt. Außerdem gilt es nach wie vor, die keineswegs verschwundenen, lediglich durch postmoderne bzw. postfordistische Muster überformte Weisen der „modernen” Migration in ihrem Verhältnis zu den neuen Formen im Blick zu behalten.[xi] Wie schon im Konzept der Menge, welches als widerständige Subjektivität die ArbeiterInnenklasse ablösen sollte, zeigt sich auch hier, auf dem Terrain der Migration, dass das konsequente Einziehen einer aus dem Denken des Bruchs stammenden Denktradition in die strenge Immanenz eines spinozistischen Monismus letztlich zu vereinheitlichenden Effekten führt, die Auseinandersetzungen um Subjektivität, aber auch um materielle Positionen, außer Acht lässt. In Wirklichkeit aber toben innerhalb der Menge selbst ein, zwei, viele Kämpfe. Die von Hardt und Negri praktizierte Vereinheitlichung der Menge qua Außer-Acht-Lassen der wirklichen Unterschiede, sagen wir, zwischen einem aus einem türkischen Bergdorf stammenden, geringfügig beschäftigten Putzmann und einer freiberuflichen Datenbankprogrammiererin aus Norwegen, droht jedenfalls ständig, über die implizite Konstruktion einer absoluten „Autonomie der Bewegung”, diese Klassenkämpfe (im angenommenen Fall zwischen den Interessen des Putzmanns und der Programmiererin) zu ignorieren. Das Ignorieren von Klassenkämpfen, und hier würden Hardt und Negri wohl zweifelsohne zustimmen, ist immer reaktionär. Dieses hin und her zieht sich durch das ganze Buch und macht es oft schwer, aus den teilweise widersprüchlich problematisierten Themen eine auch nur relativ einheitliche theoretische Konsequenz zu ziehen. So wechseln sich Passagen differenzierter Analysen mit poetischen Manifestationen oft äußerster Drastik ab: Wird einige Zeilen zuvor noch - kurz - über das Zusammenspiel von „Push-“ und „Pull-Effekt” (225) in den Bewegungen der Migration reflektiert, so ist kurz darauf folgendes erstaunt zur Kenntnis zu nehmen: „Eine neue Horde von Nomaden, eine neue Rasse von Barbaren wird kommen und ins Empire einfallen oder es evakuieren.” (ebd.) Mir erscheinen beide Konstellationen heikel: Während die Begriffe „Push-“ bzw. „Pull-Effekt” ein Ausgeliefertsein der Menge an „dunkle Mächte” implizieren, verallgemeinert die Barbaren-Aussage auf der anderen Seite die Autonomie der Migration, die einerseits eine „relative” ist, da es durchaus auch relativ „eigengesetzliche” Bewegungen der herrschaftlichen Apparate gibt (s.o.), und zum Anderen die Frage nach der Kollektivität migrantischer Bewegungen als bereits gelöst unterstellt. Anzuerkennen bleibt, dass, trotz aller Probleme, Begriffe wie Exodus oder Desertion eine produktive Verallgemeinerung in Hinblick auf eine zu erfindende revolutionäre Politik dennoch zulassen. Zwei perspektivische Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: Einerseits der notwendige Bruch mit den modernen staatsbezogenen politischen Konzeptionen, andererseits die Vorgängigkeit sozialer Kämpfe. Den ersten Punkt umreißt Giorgio Agamben wie folgt: „Denn die kommende Politik ist nicht mehr der Kampf um die Eroberung oder Kontrolle des Staates, sondern der Kampf zwischen dem Staat und dem Nicht-Staat (der Menschheit); sie ist die unüberwindbare Teilung in beliebige Singularitäten und staatliche Organisation.” (Agamben 2003, 79) Aus der fruchtbaren Perspektive der Vorgängigkeit der sozialen Kämpfe wiederum könnten in Verbindung mit den oben genannten Konzepten durchaus produktive politische Ansätze entstehen. In jedem Fall wäre dabei die zentrale Problematik von materiellen und Machtungleichgewichten innerhalb der neu entstehenden widerständigen Kollektivsubjektivitäten zu reflektieren und auch zu bearbeiten. Ansonsten ist die Menge genauso wenig von Vereinheitlichungs- und Repräsentationstendenzen geschützt wie das „gute” alte Proletariat. Gerade in der Verbindung von migrantischen und nicht-migrantischen Subjektivitäten bzw. Kämpfen liegt hier eine besondere Herausforderung, allzu gegenwärtig sind sowohl Vereinnahmungsversuche als auch Verdrängungsmomente der potentiellen BündnispartnerInnen („Die Rassisten sind immer die Anderen!”). Lamento: Das Fehlen von Ideologietheorie in Empire & das Problem (mit) der Hegemonie Da in Empire zwar Migrationsbewegungen als wirksame Kräfte ständig präsent sind, aber eine Theoretisierung von Rassismus als ideologische Formation weitgehend ausbleibt (ausgenommen der oben bereits angesprochenen Teile, in denen die Autoren in aller Kürze im Wesentlichen den Theorien Etienne Balibars folgen), soll kurz auf die weit reichende Problematik des Fehlens einer Hegemonie- bzw. auch Ideologietheorie in Empire eingegangen werden; nicht zuletzt, weil damit ein meines Erachtens weit größeres Problem des Buches in den Blick genommen werden kann: die mangelhafte Auseinandersetzung mit der Frage nach einer neuen politischen Theorie, einer strategischen Intervention in die neu zu erfindenden Artikulationen im Kampf um gesellschaftliche Hegemonie. Nicht, dass das Fehlen von auf die repräsentativ-politische Ebene der bürgerlichen Politik bezogenen Aspekte ein Problem politischer Handlungsfähigkeit darstellen würde; gerade das Sich-Abwenden von diesen Aspekten schafft erst die Voraussetzung für die Überwindung der ansonsten notwendig an Staat und somit Kapital gebundenen Formen von Politik. Hardt und Negri siedeln jedoch die Aktivität der Menge in einem „vorpolitischen“ Nicht-Raum an, in welchem „das Soziale”, „das Politische” und „das Ökonomische” unmittelbar in Eins fallen. Dies ist wiederum der Theorie von der „reellen Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital” geschuldet, die – ursprünglich von Marx als „reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital” (Marx 1969, 60ff.) – eigentlich den Übergang von frühkapitalistischen zu heute als „fordistisch” bezeichneten Formen des Kapitalismus, d.h. jenen der Hegemonie der großen Fabrik, des Fließbandsystems und der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ anzeigen sollte. Hardt und Negris kreativ an Marx anschließende Konzeption der „reellen Subsumtion der GESELLSCHAFT unter das Kapital“ ist ein wesentliches theoretisches Fundament des „glatten Raumes” Empire, jener post-souveränen Herrschaftsform, die kein Außen mehr kennt. Dadurch würden auch politisch-analytische Konzeptionen wie jene der „Zivilgesellschaft” des italienischen Marxisten Antonio Gramsci obsolet. War es für Gramsci noch die „societa civile”, auf deren Terrain sich die gegnerischen Klassen(bündnisse) einen Kampf um die kulturelle Hegemonie lieferten, so ist im Zeitalter des Empire jede Unterscheidung zwischen ökonomischer, staatlich-repressiver und eben zivilgesellschaftlicher Sphäre hinfällig. Diese aus dem theoretischen Setting von Empire notwendig folgende Konsequenz birgt aber sowohl theoretische als auch politische Probleme mit sich. Obgleich die relativ stabilen Repräsentationsformen des Fordismus (und somit auch der historische Raum, in dem Gramsci seine Hegemonietheorie entwarf) zunehmend verschwinden, kann nämlich nur unter Absehung sowohl von der relativen Autonomie seitens des herrschenden Blocks an der Macht (auch wenn sich dieser zunehmend als hohles Kommando artikuliert) als auch von den Hierarchien und Asymmetrien innerhalb der Multitude auf eine zeitgemäße Hegemonietheorie verzichtet werden. Dieser Verzicht würde vielmehr insofern zu einer politischen Entwaffnung führen, als dass die FunktionärInnen der herrschaftlich verfassten Apparate sehr wohl über Strategien zur Absicherung von Herrschaft gerade in Transformationsperioden verfügen bzw. an solchen arbeiten. Diese Tatsache kann unmöglich übergangen werden, soll nicht auf die Entwicklung antiherrschaftlicher politischer Strategien – die sich immer auch auf herrschaftlich verfasstem Terrain bewegen müssen – verzichtet werden. Die Schwierigkeit ist vielmehr Strategien zu entwickeln, um den postfordistischen Vergesellschaftungsformen adäquate Bündnis- oder vielmehr Politikformen zu finden, die tatsächlich einen Handlungsspielraum jenseits der doch stets staatsbezogenen Dialektik von Reform und Revolution eröffnen. Gerade für antirassistische Bewegungen ist es notwendiger denn je, über die modernen Konfigurationen von Antirassismus hinaus zu neuen Theoretisierungen zu kommen; nicht nur zum besseren Verständnis neorassistischer Ideologien, sondern auch zur Verbindung dieses Verständnisses mit offensiven Theorien wie jener der „Autonomie der Migration” (vgl. Boutang 2002). Erst eine Verbindung dieser Elemente kann m.E. zu einer erfolgreichen Auseinandersetzung um gesellschaftliche Hegemonie führen. Alleine sich auf die „neue Rasse von Barbaren” (225) zu verlassen, die „ins Empire einfallen oder es evakuieren” (ebd.), scheint doch ein bisschen vermessen zu sein. Vielmehr wären sowohl Yann Moulier-Boutangs Thesen über die „Autonomie der Migration” als auch z.B. Etienne Balibars Theoretisierung der Ideologie eines „Neo-Rassismus” ohne Rassen (vgl. Balibar 1998a, 1998b) in ihrem Auf-Einander-Verwiesen-Sein zu thematisieren und nicht bloß nebeneinander stehen zu lassen, wie dies aber in Empire der Fall ist. Bevor das Empire fällt: Pfingstfest und WeltbürgerInnenschaft Im letzten Teil des Buches, „Untergang und Fall des Empire” betitelt, versuchen die Autoren die Bewegung des Niederganges imperialer Herrschaft mit einer unmittelbaren politischen Perspektive zu verbinden. Was ansonsten eher verpönt ist, wie etwa das Aufstellen von „Tagesforderungen”, wird plötzlich völlig unvermittelt in den Raum, oder vielmehr in den Nicht-Ort, den das Empire darstellt, gerückt. Das Recht auf WeltbürgerInnenschaft, auf einen sozialen Lohn und jenes auf Wiederaneignung werden explizit gefordert, im Prozess der Durchsetzung dieser Forderungen realisiert sich das Begehren der Menge „im und gegen das Empire”: „Den metaphysischen und transzendenten Vermittlungsinstanzen, der Gewalt und der Korruption wird somit die absolute Konstitution von Arbeit und Kooperation gegenüber gestellt, der irdische Staat der Menge.” (403) Wertkritisch inspirierte Menschen werden sich an dieser Stelle entsetzt abwenden, werden doch gleich beide Übel, aus denen ihrer Meinung nach das Übel des Kapitalismus sich zusammensetzt, nämlich Arbeit und Staat, zu Grundpfeilern einer kommunistischen Ordnung gemacht. In der Tat steckt in der Formulierung eine weitere Problematik, die Hardt und Negri jede Menge Kritik eingebracht hat, nämlich jene des Produktivismus bzw. der „Arbeiterverherrlichung“. Diese bereits am „klassischen” Operaismus geübte Kritik war zur Hochzeit des fordistischen Massenarbeiters durchaus angebracht, in Anerkennung des Übergangs zur Hegemonie des Postfordismus läuft sie allerdings ins Leere: genau die damit einher gehende Transformation der Arbeit, von der materiellen hin zur immateriellen, durch Affektivität mitbestimmten, zeigt nämlich auch eine Verschiebung des Begriffes „produktiv” an. Bereits Negris Theoretisierung des „gesellschaftlichen Arbeiters” in den 70er Jahren war ja dem Auftauchen neuer kämpfender Subjekte geschuldet. Nicht zuletzt diese Kämpfe von Frauen, Homosexuellen oder subkulturellen Zusammenhängen forderten - letztlich auch erfolgreich - eine Re-Definition der modernen Differenzierung von Produktion und Reproduktion (vulgo „Haupt- und Nebenwiderspruch”) ein. Insofern ist der „Produktivismus” in Empire nicht ein „Arbeits-„ oder auch „Arbeiterfetischismus“, sondern vielmehr der ontologischen Zuschreibung der Menge geschuldet: Die Individuen sind kreativ und realisieren sich in ihren (vergegenständlichenden) Wirkungen. Ähnliches gilt auch für den etwas unglücklich gewählten Begriff „Staat”. Wie ich schon oben versucht habe zu zeigen, ist das Negri bereits in „Repubblica Costituente” (Negri 1998b) vorschwebende kommende Gemeinwesen eine in Konstitution bleibende (=sich konstituierende) Republik, in der sich nicht ein Staat im modernen Sinne (=konstituierte Macht) herausbildet (vgl. Agamben 2003). Problematischer sehe ich hingegen die ungebrochene Bezugnahme von Hardt und Negri auf das bürgerliche Formprinzip Recht. Auf dieses zentrale Problem werde ich abschließend noch zurückkommen. Vor der Auseinandersetzung mit dem „politischen Programm” in Empire noch kurz zurück zu einem kleinen Kapitel, das sich ebenfalls im letzten Teil des Buches findet. In „Nomadismus und Métissage” wenden sich die Autoren erneut der Thematik Migration zu, wenngleich in philosophisch/theologischem Duktus, der – wie auch andere Stellen in Empire – direkt aus der lateinamerikanischen Befreiungsphilosophie stammen könnte.[xii] So wird das „ontologische Gewebe des Empire [...] durch die jenseits des Maßes liegende Tätigkeit der Menge und ihrer virtuellen Mächte gebildet. Die virtuellen, konstituierenden Mächte stehen in einem endlosen Konflikt mit der konstituierten Macht des Empire. Sie sind vollkommen positiv, weil ihr ‚Dagegen-Sein’ ein ‚Dafür-Sein’ ist, d.h. ein Widerstand, der zu Liebe und Gemeinschaft wird.” (369) In diesem Kapitel findet sich auch ein weiterer wesentlicher politischer Aspekt, der auch in den Diskussionen innerhalb der globalen Protestbewegung eine zentrale Rolle spielt, nämlich die Ablehnung des Prinzips „global Denken – lokal Handeln“. Dem Empire als Nicht-Ort ohne Außen muss sich eine absolut universale Macht der Menge entgegenstellen, sonst droht jederzeit die erneute Einhegung und Vereinheitlichung der Singularitäten, aus denen sich die Menge zusammensetzt, droht also Herrschaft. „Die heutige Betonung des Lokalen kann rückschrittlich und sogar faschistisch sein, wenn sie sich der Zirkulation und Vermischung widersetzt, und somit die Mauern von Nation, Ethnizität, Rasse, Volk und ähnlichem verstärken.” (370) Nur im Prozess des Aufbrechens der Mauern um das Lokale liegt die Chance, das Lokale „unmittelbar mit dem Universellen [zu] verbinden” (ebd.). Dieser Ort/Nicht-Ort ist jener des Nomadismus[xiii] und der Vermischung, nach dem die Menge verlangt: „In einer Art säkularem Pfingstfest vermischen sich die Körper, und die Nomaden sprechen eine gemeinsame Sprache”. (ebd.) An dieser Stelle warnen Hardt und Negri erneut vor dem „vergifteten Geschenk der nationalen Befreiung” (vgl. 145), welches all die investierten Energien, das Begehren der Menge schließlich abriegelt und autoritär wendet. „Postkolonialer Held” ist vielmehr, wer „fortwährend territoriale und rassistische Grenzen überschreitet, [...] Partikularismen zerstört und auf eine gemeinsame Zivilisation verweist.” (ebd.) Die Differenz zwischen modernem Antikolonialismus und postmodernem Nomadentum machen die Autoren an dieser Stelle mit Hilfe der - laut Hardt und Negri - bereits von Marx in Zur Judenfrage (Marx 1844) getroffenen Unterscheidung von Emanzipation und Befreiung fest: „Emanzipation heißt, dass neue Nationen und Völker in die imperiale Kontrollgesellschaft [...] eintreten; Befreiung hingegen bedeutet die Zerstörung von Grenzen und Mustern erzwungener Migration, die Wiederaneignung des Raums sowie die Macht der Menge, die globale Zirkulation und Vermischung von Individuen und ganzen Bevölkerungen zu bestimmen.” (371) Die Menge zirkuliert. Das Empire braucht diese Zirkulation der Menge[xiv], möchte sie jedoch in geregelten Bahnen sehen, also „orchestrieren”. Um dieser „Orchestrierung”, zu der auch die Teilung und Isolation der Individuen gehört - und nicht zuletzt die „Verwahrung” im Lager, in dem das Individuum, jeglicher „Rechtssicherheit” beraubt, auf „nacktes Leben” reduziert wird (vgl. Agamben 2002), Paroli bieten zu können, muss die Menge sich gegen das Empire politisch konstituieren. An dieser Stelle betritt die Forderung nach WeltbürgerInnenschaft die Bühne, nicht ohne von einem donnernden Rundumschlag gegen jeglichen Reformismus eingeleitet zu werden: „Das Handeln der Menge wird zuallererst dann politisch, wenn es sich unmittelbar und in angemessenem Bewusstsein gegen die zentralen Unterdrückungsaktionen des Empire richtet” (406) und „es geht darum, die Grenzen und Segmentierungen, die der neuen kollektiven Arbeitskraft auferlegt werden, zu überschreiten und niederzureißen; es geht darum, diese Widerstandserfahrungen zu sammeln und sie konzertiert gegen die Nervenzentren der imperialen Befehlsgewalt einzusetzen.” (ebd.) Offensichtlich selbst erschrocken vor derart viel Pathos legen Hardt und Negri die Latte im Anschluss deutlich tiefer. Nach eingestandener Ratlosigkeit in Sachen „konkreten Praktiken” bieten sie „eine[n] erste[n] Baustein zu einem politischen Programm der globalen Menge” (ebd.) an, eben die Forderung nach einer WeltbürgerInnenschaft. 1996 durch die Bewegungen der sans papiers in Frankreich bekannt geworden, kann und muss diese Forderung tatsächlich zentraler Bestandteil antirassistischer Praxis sein. Ob die in Empire auf Grundlage moderner Verfassungsprinzipien eingeforderte, durchaus „moderne” Verbindung von Arbeit und Recht jedoch in Richtung Befreiung weist, sei dahingestellt. So ist Hardt und Negri zuzustimmen, wenn sie schreiben: „Das allgemeine Recht, ihre eigenen Bewegungen zu kontrollieren, ist letztlich die Forderung der Menge nach einer Weltbürgerschaft.” (407, Herv.i.O.), dennoch muss hier die Frage nach dem Adressaten bzw. der Adressatin dieser Forderung aufgeworfen werden. Ist nicht die internationale Rechtsordnung, die auf einer Dialektik von Menschenrechten und nationalen Staatsbürgerschaften basiert in denen, wie Giorgio Agamben gezeigt hat (vgl. Agamben 2002, 2004), der Ausnahmezustand ständig präsent ist, ein Auslaufmodell? Im Auslaufen dergestalt, dass sich, über die zunehmende Entgrenzung von Nationalstaatlichkeit bei gleichzeitiger Wirkmächtigkeit rassistischer und anderer Segregationsmechanismen, eine Art Ausnahmezustand in Permanenz herstellt, in dessen Nicht-Ort anstatt „Rechtssicherheit” vielmehr der biopolitische Zugriff auf das „nackte Leben” zur Normalität wird[xv], zur Normalität über die Realität von Weltordnungskriegen wie im Irak, von „rechtsfreien” Kriegsgefangenenlagern wie etwa dem „juristische[n] schwarze[n] Loch von Guantánamo” (vgl. Conchiglia 2004) und europäischen Abschiebelagern hinaus und eben hinein in das nicht-lokale postmoderne lokale, das in Kürze jedeN in die USA EinreisendeN in ein biometrisches Raster einpassen wird. In seiner Verankertheit im „Lokalen” wäre also das Noch-Recht gegen die Tendenzen seiner Auflösung nicht zu verteidigen, sondern höchstens strategisch einzufordern und somit eben diese Auflösung selbst durch die Menge wiederanzueignen. Entgegen den jüngsten, „politikberaterisch” anmutenden Ausführungen von Etienne Balibar zu diesem Thema (Balibar 2003) und den „staatsphilosophischen” (Zizek) Interventionen eines Jaques Derrida (vgl. Derrida 1991) ist nach wie vor oder vielleicht gar mehr denn je seit 1945 mit Walter Benjamin die „Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustandes” (Benjamin 1965, 84) auf die Tagesordnung zu setzen. Toni Negri zeigt in einem kleinen Text diese Grenzüberschreitung an, wenn er über die Kämpfe der sans papiers schreibt: „Ein radikaler Antrag auf das Bürgerrecht für jene, die ihren Aufenthaltsort ändern, die für die staatliche Rechtsordnung ein subversives Element in dem Maße darstellen, in dem dieser Antrag eine nunmehr global gewordene Situation zum ersten Mal in politische Begriffe überträgt.” (Negri 1998a, 50) Empire fußt auf einer vor unseren Augen ablaufenden Transformation der Gesellschaft. Die Offenlegung unterirdischer, nicht auf den ersten Blick sichtbarer Ströme einer sich ankündigenden „kommenden Gemeinschaft” (Agamben 2003) ist das große Verdienst von Michael Hardt und Toni Negri. Dass dabei die Bewegung der Menge um eine Schraubendrehung zuviel gezeichnet wird, nimmt den Thesen einiges an Plausibilität. Rückwirkend muss aber auch gesagt werden, dass gerade die rücksichtslose Radikalität Empire zu einem derart vielrezipierten Buch gemacht und nichts geringeres geleistet hat, als die Diskussion um den Kommunismus wieder „salonfähig“ zu machen, der transformatorischen Linken also ihre Sprache zurück bzw. überhaupt eine neue Sprache zu geben, in der sich über die Möglichkeit radikaler Befreiung überhaupt wieder streiten lässt. Trotz aller Probleme zeigt Empire also in die „richtige” Richtung, wahrscheinlich in die einzige, in welcher Befreiung als unmögliche Möglichkeit zu erwarten ist, seit die Hoffnung auf die moderne 2-Schritte-Taktik „erst Eroberung der Staatsmacht, dann Veränderung der Welt” sowohl in der Variante der Sozialdemokratie als auch in jener des Parteikommunismus und der nationalen Befreiungsbewegungen endgültig zu begraben ist. (vgl. Wallerstein 2002) In bezug auf unser Themenfeld, Migration und Rassismus, ist die Kritik hauptsächlich dort anzusetzen, wo (neo)rassistische Konfigurationen und Migration als (zentrale) Bewegungsform der Menge nahezu unvermittelt nebeneinander stehen. Dies weist jedoch auf ein grundsätzlicheres Problem in Empire hin: die weitgehende Nicht-Berücksichtigung des Politischen, einerseits in seiner überkommenen, aber immer noch wirksamen „modernen” Form, andererseits als – wenn auch neu zu (er)findende – Terrain der politischen Artikulation der Menge. Dieses Manko lässt in Empire die gerade in Hinblick auf die „Behandlung” von Migration nicht unwesentlichen Unterschiede zwischen politischen Akteuren samt und sonders im Spektakel untergehen: „Der politische Diskurs artikuliert Sonderangebote, und politische Partizipation reduziert sich darauf, unter Konsumbildern auszuwählen. Wenn wir von der Manipulation der (gemeint ist hier wohl „durch die“, Anm. MB) Medien sprechen, die im Spektakel auf öffentliche Meinung und politisches Handeln übergreift, dann soll das keineswegs heißen, dass hinter dem Vorhang einer die Strippen zieht, der große Wizard of Oz, der alles, was gesehen, gedacht und gemacht wird, kontrolliert. Es gibt keine zentrale Kontrolle im Spektakel. Das Spektakel funktioniert aber gerade so, als ob es diese zentrale Kontrollstelle gibt (sic!).” (332 f.) Sätze wie die eben zitierten verdeutlichen, wie Hardt/Negri das Kind mit dem Bade ausschütten, denn obwohl zwar außer AnhängerInnen von Verschwörungstheorien ohnedies niemand an einen „Wizard of Oz” glaubt, so sterben dennoch in Österreich regelmäßig Migranten aus Afrika an der „Behandlung”, für welche im konkreten Fall sehr wohl der jeweilige „Wizard” des Innenministeriums zur Rechenschaft zu ziehen wäre. Wenn Hardt und Negri in dieser Hinsicht recht haben, dann eher dahingehend, dass genau diese Verantwortlichen überhaupt keine Anstalten machen, aus den „Todesfällen” auch nur irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Die Einseitigkeit der Betrachtungsweise und das Ignorieren einer relativen Autonomie der Politiken der Herrschenden in Empire tendieren jedenfalls zu einer Romantisierung der Menge und erschweren es, sowohl erzwungene Migration als auch alltäglichen Rassismus adäquat, d.h. letztlich auch als Handlungsanleitung, zu begreifen. Die folgende kurze Passage aus einem Streitgespräch anlässlich des von 7. bis 9. Mai 2004 in München stattfindenden 2. Antirassistischen Forums soll dies verdeutlichen. In ihr diskutiert Martina Pech vom Arbeitsschwerpunkt „Arbeit, Migration, Prekarisierung” mit Sunny Omwenyeke von „The Voice” bzw. der „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen”: Martina Pech: Ich verstehe euer Beharren darauf, dass die eigentlichen Ursachen nicht aus dem Blickfeld geraten dürfen. Aber ich sehe auch die Gefahr, dass eure Kritik an der Rede von der „Relativen Autonomie der Migration” bzw. der „Globalisierung von unten” einfach nur ins Gegenteil kippt. In meinen Augen ist es ein wichtiger Schritt, sich nicht nur auf die Opfer-Perspektive zu konzentrieren, sondern auch die subjektiven Aneignungsprozesse stark zu machen. Hierin steckt durchaus subversives und emanzipatorisches Potenzial. Sunny Omwenyeke: Für mich ist es Ausdruck der Lausigkeit der europäischen Linken, das Leben von MigrantInnen und Flüchtlingen derart zu romantisieren. Für die meisten von uns sind Flucht und Migration schlicht Horror![xvi] Was meines Erachtens hier deutlich wird, ist die Distanz zwischen antirassistischen Praktiken „vor Ort” und den neueren Theorien zur „Autonomie der Migration“. Dies soll weder heißen, dass „früher alles besser war”, noch dass diese Distanz in irgendeine Richtung hin einseitig zu verkürzen wäre, in jedem Fall ist aber auch innerhalb des antirassistischen Diskurses auf die existierenden Machtasymmetrien hinzuweisen, auch hier gibt es kein Außen. Die neueren Bemühungen z.B. aus dem Umfeld der antirassistischen Gruppierung kanak attak, Rassismus und Migration wieder verstärkt in Konzeptionen grundsätzlicher Kapitalismuskritik (vgl. Karakayali, Tsianos 2003) unter Bezugnahme auf das operaistische Konzept der Klassenzusammensetzung zu thematisieren (vgl. Bojadzijev, Karakayali, Tsianos 2003), könnten dahingehend in eine konstruktive Richtung weisen. Ein intensiver Diskurs zwischen den AkteurInnen hier und dort ist jedoch unabdinglich, sowohl im Sinne der Bekämpfung von Alltags- und Staatsrassismus, als auch für die damit einhergehende notwendige Erarbeitung politischer Zukunftsperspektiven: „Es müßte gelingen, sich die Tatsache, Weltbürger zu sein, in der vollen Bedeutung des Wortes vorzustellen und nicht mehr die Internationale der Arbeiter zu verwirklichen, sondern eine Gemeinschaft aller Menschen, die frei sein wollen.” (Negri 1998a, 51) Agamben, Giorgio (2001): Jenseits der Menschenrechte, in: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik, Berlin -ders. (2002): Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt a.M. -ders. (2003): Die kommende Gemeinschaft, Berlin -ders. (2004): Ausnahmezustand, Frankfurt a.M. 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[iv] bzw. von deren Vermögen, das im Zeitalter der Hegemonie der immateriellen Arbeit das „soziale Leben“ direkt zu produzieren, d.h. ohne der Vermittlung zivilgesellschaftlicher bzw. politisch/repräsentativer Instanzen, aber dennoch unter dem Vorzeichen kapitalistischen Kommandos. [v] Im Gegensatz zum Fordismus, wo sich - zumindest im Westen – die kulturell hegemoniale Leitideologie eines „american way of life“ zumindest in Form von TV-Geräten, Autos und Pauschalurlauben materialisieren konnte und so zu einer mehr oder weniger starken aktiven Zustimmung zum herrschenden Regime führte. Der politische Raum der Hegemonie wird zunehmend dem Spektaktel überanwortet (vgl. 331 ff.) [vi] zur Klassentheorie des Operaismus vgl. Birkner (2003) [vii] Dieser Aspekt einer relativen Autonomie der Politik des Kapitals wird bei Hardt und Negri in operaistischer Tradition vernachlässigt und führt so auch zu den uns immer wieder begegnenden Verengungen und Einseitigkeiten ihrer Theorie. Für eine staatstheoretische Sichtweise, die ausgehend von der oben bereits genannten „relativen Autonomie“ der verschiedenen Sphären des gesellschaftlichen Überbaus den Staat als „ein Verhältnis, genauer als die materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zwischen Klassen und Klassenfraktionen“ begreift, „das sich im Staat immer in spezifischer Form ausdrückt“ siehe Poulantzas 2002 (S. 159). [viii] Die Auseinandersetzung um die Bedeutung zentraler Begriffe der aktuellen politischen Theoriebildung (wie z.B. „Gouvernementalität” oder „Biopolitik”) und ihre zumindest inkonsistente, teilweise aber auch ideologische Verwendung im politikwissenschaftlichen Mainstream (aber auch in Empire – vgl. Lemke 2002) sei an dieser Stelle nur erwähnt, aufgeführt kann sie hier nicht werden. Aber auch unter kritischen WissenschafterInnen sind Verwendungsweise und die historische Zu- und Einordnungen dieser Begriffe oft sehr unterschiedlich (vgl. u.a. Agamben 2002, Lemke 1997). Zum Verhältnis von Biopolitik und Rassismus vgl. Sarasin 2003.
[ix] Die modernen Formen von Rassismus konnten jedoch auf durch den europäischen Kolonialismus bereits vorbereitete Muster zurückgreifen (vgl. Sarasin 2003, 74f.) [x] Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag unterschied bereits 1982 vier „Ausländergruppen” in Deutschland: „Menschen mit einer fremden Staatsangehörigkeit, aber deutscher Sprache und Kultur” („verursachen keinerlei Integrationsprobleme”), „Ausländer” aus „dem europäischen Kulturkreis” („gemeinsame christliche[...] Wurzel der europäischen Kultur”, „zu assimilieren[...] ist möglich”), „Türken” („vom Islam, einer anderen Hochkultur – ich betone: Hochkultur – geprägt”, „Mentalitätsunterschiede”), und – last and least – „Menschen aus den asiatischen und den afrikanischen Ländern” („“bei weiterer Zunahme nicht lösbare Integrationsprobleme”) (Morgenstern 2002, 286 ff.) [xi] vgl. Raunig (2003), der die „unproduktive Zusammenführung zweier Begriffe von Deleuze/Guattari”, nämlich „der ‚nomadischen’ und der ‚migrantischen Linie’”, kritisiert, was zur folgenschweren Auslöschung der „Differenz von intentionaler und erzwungener Migration” führt. [xii] Vgl. Dussel (1989), eine nähere Beforschung des Verhältnisses von Hardt´s und vor allem Negri´s Theorien zu jenen der Befreiungsphilosophie bzw. -theologie steht noch aus, würde aber mit Sicherheit nicht uninteressante Sachlagen zu Tage fördern. [xiii] Wenngleich auch die Analogisierung etwa von Exodus und Nomadismus nur unter Abstraktion von wesentlichen Merkmalen der beiden Begriffe durchführbar bleibt. So impliziert Nomadismus nordafrikanischer Stämme stets das nomadisieren zwischen zwei fixen Orten, die ständiger Bezugspunkt der Wanderungsbewegung bleiben. (für den Hinweis danke ich Hakan Gürses) [xiv] „Wo wären die großen innovativen Bereiche immaterieller Produktion, vom Design bis zur Mode, von der Elektronik bis zur Naturwissenschaft, in Europa, in den USA und in Asien ohne die ‚illegale Arbeit’ der großen Massen [...]?” (404) [xv] „Die gesamte Frage wurde so in die Hände der Polizei und der humanitären Organisationen übergeben.” (Agamben 2001, 26) [xvi] Das ganze Gespräch ist zu finden unter: http://www.contrast.org/borders/kein/forum/text01.html
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