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Franz
Naetar Vorstellung
und Diskussion von Beverly
J. Silver:
Das
Fernand Braudel Center der Binghampton University, bekannt durch
die Arbeiten von Immanuel Wallerstein über die Entwicklung des Kapitalismus als
Weltsystem, startete in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein kollektives
Forschungsprojekt über ArbeiterInnenkämpfe (genaugenommen über die Kämpfe
aller Lohnabhängigen) von 1870 bis 1990. Berverly
Silvers Buch versucht - basierend auf gesammeltes Datenmaterial - die zur Zeit weltweit vorsichgehenden Entwicklungen einzuschätzen und in
einen historischen Kontext zu stellen. Auf diese Art und Weise hofft sie, die
neuen und nicht so neuen Aspekte der Globalisierung besser verstehen zu können. Der konzeptionelle RahmenBeverly Silver’s Arbeit hat zwei theoretische Wurzeln: · Die Theorie des Kapitalismus als Weltsystem – vor allem repräsentiert in den Arbeiten von Wallerstein[ii] – die davon ausgeht , dass die Entwicklung des Kapitalismus nur als Weltsystem richtig verstanden werden kann. · Die Sichtweise des italienischen Operaismus, welcher die Entwicklung des Kapitalismus durch der Kämpfe der ArbeiterInnenklasse gegen die Ausbeutung durch die Kapitalistenklasse bestimmt sieht. Zur
Charakterisierung von Arbeitskämpfen und zur Begründung ihrer Stärke / Schwäche
und ihres Erfolgs / Misserfolgs führt Silver folgende Begriffe ein: Die Arbeitskraft ist keine Ware wie jede andere – „Polanyi- und Marx- ArbeiterInnenunruhen“ In
der Beschreibung historischer Prozesse versucht Silver zwei Sichtweisen zu
verwenden, und sie bestimmten Phasen von Klassenkämpfen zuzuordnen. Sie nennt
sie die „Polanyi Sichtweise“ und die „Marx Sichtweise“. Für
Polanyi wiederum zeige sich der fiktive Charakter der Ware Arbeitskraft schon am
Arbeitsmarkt selber, da Land und Arbeitskraft entweder überhaupt nicht – wie
das Land – oder nicht für den Arbeitsmarkt produziert würden – wie die
Arbeitskraft. Arbeit und Land seien nichts anderes als die Menschen und ihre natürliche
Umgebung selber, wie sie in jeder Gesellschaft existieren müssen. Für
Marx dagegen sei eine phasenförmige Entwicklung des Verhältnisses zwischen
Proletariat und Kapitalistenklasse kennzeichnend. Der Kapitalismus produziere
gleichzeitig zunehmendes Elend und zunehmende proletarische Macht. „Der
Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die
Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die
Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation“ (Marx:
Kommunistisches Manifest). In der Analyse der Langzeitbeziehungen zwischen Kapital und Arbeit versucht nun Silver auf eine Kombination von Pendelbewegung und Phasenentwicklung zu achten. Den Abwehrkampf der ArbeiterInnen gegen den sich ausdehnenden Markt sowie neue und geänderte Produktionsformen, die „von oben“ eingeführt werden, bezeichnet sie als „Polanyi-ArbeiterInnenunruhen“ (labor unrest). Als „Marx–ArbeiterInnenunruhen“ bezeichnet sie den Kampf der sich neu bildende ArbeiterInnenschichten, welche durch die historische Entwicklung der Produktionsformen des Kapitalismus entstehen. Der Einfluss von Rasse, Ethnie[vi], Geschlecht und Nationalität auf die KlassenbildungEin weiteres Element des konzeptionellen Rahmen der Studie stellt die Berücksichtigung von Rasse, Ethnie, Geschlecht und Nationalität auf die Klassenbildung dar. Im Gegensatz zu Marx, der meinte, dass der Proletarisierungsprozess mit der Zeit eine zunehmend homogenisierte ArbeiterInnenklasse mit gemeinsamen Erfahrungen, Interessen und Bewusstsein hervorbringen werde, stellt sie die historischen Erfahrungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die zeigen würden, dass diese lineare Entwicklung so nicht stattfindet. Sie
unterscheidet dabei zwei Situation: Die eine wird durch das Faktum bestimmt,
dass für das Kapital jede Arbeitskraft unabhängig von Alter,
Geschlecht, Rasse und Nationalität als Ausbeutungsobjekt gleich viel zählt,
oder besser so viel zählt wie sie Profit bringt. Dass sich aber die Objekte
dieses Prozesses keinesfalls so sehen. Die ArbeiterInnen selber
sind keinesfalls bereit, auf ihre Identität außerhalb der Klassenbeziehung zu
verzichten. Gerade der Druck des auf sie lastenden Kapitals bringt sie dazu auf
Nationalität, Rasse und Geschlecht zu achten, um - wie sie meinen - der alles
zersetzenden Ausbeutung Grenzen zu ziehen. Die
zweite Situation trifft dann zu, wenn sich durch die technische Umwälzung neu
bildende ArbeiterInnenschichten auf Ausgrenzungen und Barrieren stoßen, die vom
Staat und der Kapitalistenklasse – oft unter Mithilfe der bessergestellten
ArbeiterInnen - aufrechterhalten werden, um diesen neuen Schichten die
Errungenschaften der „alten“ ArbeiterInnenschichten zu verwehren,
letztlich um so besser alle beiden Schichten ausbeuten zu können. Diese
Situation trifft neben den Auseinandersetzungen in Kolonien und Halbkolonien
auch auf die Migrationsströme innerhalb und nach Europa sowohl Anfang wie Ende
des zwanzigsten Jahrhunderts zu. Pendeln zwischen Profit und LegitimationsproblemenDie
Gesamtsicht des Systems „Welt“ zeichnet für Silver ein einfacher
Widerspruch aus. Es ist das „system level problem“, wie es auch Wallerstein
beschreibt, dass nämlich über einen längeren Zeitraum betrachtet, entweder
die geringe Profitabilität des Kapitals ein Problem darstellt oder die
Legitimität des kapitalistischen Systems. Diese Legitimität werde nämlich
durch die Zweifel an der Fähigkeit des Kapitalismus, ein menschenwürdiges
Dasein zu ermöglichen, untergraben. Die DatenquellenBevor wir uns den empirischen Daten und ihrer Interpretation zuwenden noch ein Wort über den Aufbau und die Erstellung der Datenbank. Ein
Projekt, wie das von Silver, steht vor dem Problem, dass über
ArbeiterInnenunruhen und Klassenkämpfe keine oder ungenügende Statistiken
gibt. Streikstatistiken erfassen eben nur diese, und es gibt sie auch nur für
einen kleinen Teil der Länder. Die Arbeitskämpfe in der Autoindustrie und in der TextilindustrieUm geographische und zeitliche Muster der Klassenauseinandersetzungen feststellen zu können, konzentriert sich Silver vorerst auf die führenden Industrien des 19. und des 20. Jahrhunderts, nämlich die Textil- und die Autoindustrie. Die geographische / zeitliche Entwicklung der Kämpfe in der Autoindustrie
Die Grafik zeigt ein interessantes Muster: während in den 30er und 40 Jahren des 20. Jahrhunderts sich die Kämpfe vorwiegend auf die USA und Kanada konzentrierten, verschob sich das Zentrum der Kämpfe in den 50er und 60er Jahren nach UK, Frankreich und Deutschland, um danach Italien, Spanien und Argentinien und zuletzt in Brasilien, Südafrika, Mexiko vor allem aber auch Südkorea stark zu werden. Dieser durch die Welt wandernde Welle von ArbeiterInnenkämpfen gibt Silver folgende Interpretation: Am
Anfang steht eine produktionstechnische Lösung (product fix), die erlaubt, die
Produktion weniger abhängig von der Arbeitskraft und ihrer Qualifikation zu
machen. Konkret die Einführung der Fließbandproduktion für Autos. Diese
gestattete es, weniger qualifizierte ArbeiterInnen einzusetzen. Ein wesentliches Faktum war die starke workplace bargaining power der AutoarbeiterInnen. Die hierarchische Struktur der Fließbandproduktion ermöglichte einer relativ kleinen Gruppe von entschlossenen ArbeiterInnen, die gesamte Produktion stillzulegen. Die starke workplace bargaining power ist ein wesentliches Kennzeichen der Autoindustrie. (Im Gegensatz zur führenden Industrie des 19. Jahrhunderts der Textilindustrie, die wesentlich weniger hierarchisch organisiert war – siehe dazu die Anmerkungen weiter unten.) Für Silver bewirkte die erstarkende Stellung der AutomobilarbeiterInnen in den USA steigende Löhne und abhängig von der Situation im Produktzyklus – siehe dazu weiter unten – mehr oder weniger sinkende Profitraten. Das Automobilkapital reagiert darauf mit weiteren Versuchen, die Produktion zu rationalisieren und die Bedeutung der Arbeitskraft in Bezug auf Kosten zu verringern. In den 60er Jahren schließlich begann sie mit Verlagerungen der Produktion. Im Fall der USA zuerst in den gewerkschaftlich unorganisierten Süden mit seinem geringen Lohnniveau. Nachdem sich die UAW auch dort durchsetzen konnte, verringerte sich die Investitionsbereitschaft in den USA selber zunehmend. Die neuen Märkte Europa und Südamerika wurden bevorzugtes Ziel der Investitionen der großen Autokonzerne General Motors und Ford, Produktionsstätten für die USA wurden nach Mexiko verlegt (spatial fix). Die Investitionen der US-Autokonzerne in Europa führten zu einer von Staaten und europäischen Kapital geförderten Gegenoffensive im expandierenden Automarkt in den 50er, 60er und 70erjahren. Diese Übernahme der fordistischen Produktionsweise in der europäischen Autoindustrie führte, ähnlich wie in den USA vorerst zu einer Verringerung der Bedeutung qualifizierter Arbeit, zu einem massiven Zustrom wenig qualifizierter ArbeiterInnen aus dem Süden in die Autofabriken des Nordens und zu einer Neuauflage der Kämpfe der AutomobilarbeiterInnen der USA um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in Europa. Wie die Grafik zeigt, waren zuerst England, Frankreich und Deutschland und kurz darauf Italien, Spanien und Argentinien Zentrum der Kämpfe, um sich dann in den 80er, 90er Jahren nach Brasilien, Südafrika, Mexiko und vor allem Korea zu verlagern. In allen diesen Ländern kam es zu ähnlichen Entwicklungen mit einem zeitweiligen Sieg der ArbeiterInnen und der nachfolgenden Schwächung der Position der Beschäftigten durch Produktionsumstellungen und Produktionsverlagerungen. Für Silver stellt diese durch die Welt wandernde Welle von Arbeitskämpfen die Grundstruktur der Klassenauseinandersetzungen dar. Folgerichtig erwartet sie die nächste Welle von Arbeitskämpfen in der Autoindustrie in China und Mexiko, wo sich in wenigen Jahren die Autoproduktion auf ca. 2 Millionen produzierten Autos im Jahre 2002 vervielfacht hat. Modifizierender Faktor: Technologisch – organisatorische RestrukturierungAuffallend an den Tabellen ist eine bemerkenswerte Ausnahme in Bezug auf Arbeitskämpfe in der Automobilindustrie: Japan. Im allgemeinen wird die japanische Sonderstellung auf die Einführung des postfordistischen, toyotistischen Produktionsmodell der „lean and mean production“ zurückgeführt. Diese Produktionsform mit der Auflösung der klassischen, zentralistischen Strukturen des Fordismus, der Auslagerung eines Großteils der Zulieferproduktion in eigene Firmen, einer flachen Hierarchie, der Einführung der „just in time Produktion“, Gruppenarbeit und Qualitätszirkeln solle dieses Ausbleiben von Arbeitskämpfen in Japan erklären. In der Darstellung von Silver muss dieses Bild aber modifiziert werden. Laut ihrer Einschätzung muss man die Vorgeschichte des Toyotismus betrachten. Die japanische Automobilindustrie begann ihren Aufstieg in den 50er Jahren in einer Zeit, die von Massenkämpfen japanischer ArbeiterInnen in vielen Industrien und gescheiterten Versuchen mit fordistischen Modellen geprägt war. Das japanische Modell verringerte nun die Zahl der in den eigentlichen Autofirmen beschäftigten ArbeiterInnen bedeutend und verringerte vor allem ihre Zunahme in den Zeiten des Booms. Diesen an den zentralen Schaltstellen der Produktion sitzenden ArbeiterInnen wurden nicht nur relativ gute Löhne bezahlt, sie erhielten auch die Garantie auf einen „lebenslangen“ Arbeitsplatz. Durch die geringen Auswirkungen von Krise und Boom auf die Anzahl der benötigten ArbeiterInnen war diese Garantie möglich geworden. Diese (spalterische) Sonderstellung erreichte nun tatsächlich das Ziel großer Produktivität und geringer Arbeitsunruhe.[vii] Die Übernahme der organisatorischen Methoden des Toyotismus in anderen Ländern ging aber ohne diese Beschäftigungsgarantie einher. Diese sei aber entscheidend für das Ausbleiben des Kampfzyklus in Japan gewesen. In anderen Ländern bewirkte der Toyotismus daher keine Abnahme der Arbeitskämpfe und es zeigt sich auch, dass die „Just in Time“ Produktion die workplace bargaining power nicht nur nicht verringert sondern sogar erhöht hatte. Modifizierende Faktoren: Der ProduktzyklusGanz offensichtlich ist diese durch die Welt gehende Welle von Arbeitskämpfen nicht die Wiederholung des Immergleichen. Diese Grundstruktur wird auf technologischer Ebene erst einmal überlagert durch einen Produktzyklus. Abbildung
2
: Der Automobil Produkt Lebenszyklus und die
ArbeiterInnenunruhen (Silver S 78) Als Produktzyklus wird hier die Entwicklung des Produktes Autos und der Formen der Produktion dieses Produktes insgesamt betrachtet. Die Annahme ist dabei, dass in der Innovationsphase die Möglichkeit, Extraprofite zu machen, besonders groß ist.[viii] Die
Sonderstellung der US-Autoindustrie, die in den 30er Jahren begann und durch die
Weltwirtschaftskrise und den zweiten Weltkrieg bis in die 60er Jahre verlängert
wurde, gestattete es den ArbeiterInnen trotz eines geringen Organisationsgrades
(associational bargaining power) ganz wesentliche Verbesserungen ihrer Situation
zu erringen. Ähnliche Kämpfe in Europa und noch viel mehr in Südamerika und
Korea mussten mit mehr Härte und Konsequenz geführt werden und führten auch
viel schneller zu Gegenmaßnahmen der Kapitalisten. Die TextilindustrieIn
einem Vergleich der Hauptindustrie des 19. Jahrhunderts der Textilindustrie mit
der Hauptindustrie des 20. Jahrhunderts der Automobilindustrie zeigen sich –
wie Silver meint – viele Ähnlichkeiten. Beide lösen eine Welle von
ArbeiterInnenunruhen aus, die sich durch die Welt fortpflanzt. Beide führen
erst einmal zur Zurückdrängung der qualifizierten Arbeit zugunsten weniger
qualifizierter ArbeiterInnen, inklusive Kinder und Jugendliche. In jeweils führenden
Ländern in beiden Industrien gelang es der ArbeiterInnenbewegung sich nach der
Niederlage der qualifizierten Arbeit zu Beginn des Produktzyklus neu zu
organisieren und nach harten Kämpfen ein relativ stabiles Verhältnis zwischen
Kapital und Arbeit zu erreichen. Allerdings
bewirkten die Geschichte und Struktur dieser Industrie doch bedeutende
Unterschiede: Die Textilindustrie war schon vor dem Aufkommen des industriellen
Kapitals in vielen Ländern der Welt verbreitet. Die Eintrittshöhe für eine
neue Produktion war wesentlich geringer. Beides führte dazu, dass die
Ausbreitung der Textilindustrie nicht nur auf die Länder des Zentrums plus
einiger Schwellenländer, wie bei der Automobilindustrie, beschränkt blieb.
Abbildung
: Textilprodukt Lebenszyklus und die ArbeiterInnenunruhen
(Silver S 84) Was ist die nächste führende Industrie des Weltkapitalismus?In der Interpretation von Silver ergibt sich die Struktur der Arbeitskämpfe aus der Überlagerung zweier Zyklen. Einerseits der geographischen Verlagerung der Produktion in Länder mit (noch) höherer Ausbeutungsrate, andererseits der Ablösung eines führenden Produktes durch ein anderes und der Verlagerung des Kapitals von einer Industrie in eine andere. Die führende Industrie des 19. Jahrhunderts, die Textilindustrie, wurde so durch die führende Industrie des 20. Jahrhunderts, die Automobilindustrie, abgelöst. Silver stellt sich die Frage, welche Industrie im 21. Jahrhundert die Rolle von Textil und Auto übernehmen könnte und muss diese Frage offen lassen. Zwar sieht sie Südostasien und insbesondere China als den Ort, an dem ein Kandidat für die führende Industrie, nämlich die Halbleiterindustrie und Elektronikindustrie ihre wichtigsten Auswirkungen auf neue Proletarisierungstendenzen hat, und erwartet daher dort steigende „Marx ArbeiterInnenunruhen“ neben den zur Zeit vorherrschenden Abwehrkämpfen in den staatlichen Betrieben. Eine neue führende Industrie sei aber damit nicht gefunden. Auch bei weiteren Kandidaten für die „führende Industrie des 21. Jahrhunderts“ deren Beschäftigung sich in den letzten Jahrzehnten ausgedehnt hat: den Dienstleistungen, persönlichen Services und dem Ausbildungsbereich stellt sie zwar eine steigende Anzahl von Arbeitskämpfen fest, muss aber die Frage nach den dabei führenden Industriebereichen offen lassen. Übersicht über ArbeiterInnenunruhen von 1870 bis 1990Wenn
die Zeitreihen aller Arbeitskämpfe von 1870 bis 1990 verfolgt werden, ergibt
sich folgendes Muster: Abbildung 4: Weltweite ArbeiterInnenunruhen 1870 – 1996 (Silver S 126) Bemerkenswert
dabei ist, dass sich sowohl die expansive imperialistische Politik der Staaten
vor dem ersten Weltkrieg und zweiten Weltkrieg in Zusammenhang mit den
zunehmenden ArbeiterInnenunruhen sehen lässt, wie auch das fast vollständige
Verschwinden der Auseinandersetzungen in den ersten Kriegsjahren mit dem relativ
erfolgreichen Einbinden der ArbeiterInnenbewegung und Gewerkschaften in das
„nationale Projekt“. Weiters zeigen die weltweiten Zeitreihen ein bedeutendes Abklingen der Arbeitskämpfe seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts an. Ein Faktum, das Silver als die Krise der Arbeit und der ArbeiterInnenbewegung des späten 20. Jahrhunderts bezeichnet und deren Ursache herauszufinden, eines der Ziele der Untersuchung ist. Einschätzung der derzeitigen EntwicklungAbschließend
versucht Silver im Lichte der Berichte über die zwei führenden Industrien der
vergangenen beiden Jahrhunderte und dem Einfluss von Staat und Krieg die
derzeitigen Entwicklungen der Klassenauseinandersetzungen und Arbeitskämpfe
einzuschätzen. · Der voranschreitende Produktzyklus gibt dem Kapital in den Ländern der Peripherie weniger Spielraum als den Ländern des Zentrums. Nur in der ersten Phase des Produktzyklus sind die Extraprofite vorhanden, die es auch den noch nicht so gut organisierten ArbeiterInnen gestattet, Verbesserungen ihrer Situation zu erkämpfen. · Die workplace bargaining power, die im Laufe des 20. Jahrhunderts sich zu erhöhen schien, scheint seit den 80er Jahren wieder abzunehmen, trotz der Ausnahmen in den Transportindustrien. Die Situation erinnere mehr an die Zeiten der Neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts in der Textilindustrie. Insgesamt
meint Silver, dass die Durchsetzungsfähigkeit der ArbeiterInnenklasse wieder
mehr von ihrer associational bargaining power und von möglichen Bündnissen mit
anderen Schichten, oft innerhalb ihrer Community[ix],
abhinge und es gäbe auch Anzeichen dafür, dass die Thatcher Phrase TINA („there
is no alternative“) zunehmend in Frage gestellt würde. Was können wir aus dieser Darstellung lernen?Obwohl
die Autorin das Bild des Operaismus aufnimmt, dass der Klassenkampf und nicht
einfach die Selbstbewegung des Kapitals der Motor der Geschichte ist, überwiegt
nach der Lektüre des Buches der Eindruck, dass der Klassenkampf, so wie ihn
Silver begreift, den Charakter einer Kreis- oder Spiralbewegung hat, aus der es
kein Entrinnen gibt. Das
Buch zeigt plastisch, dass der Kapitalismus ein Weltsystem war und ist und dass
man die Entwicklungen aus der Sicht eines Landes nicht verstehen konnte und
jetzt erst recht nicht verstehen kann. Es zeigt aber auch, dass diese Prozesse
der kämpfenden Bewegung selbst weitgehend unbekannt geblieben sind. Dieses den
vor sich gehenden Prozessen Ausgeliefertsein ergibt dann eben jenen Eindruck der
hoffnungslosen Tretmühle der Klassenkämpfe. Nur
wenn wir die Geschichte der Klassenkämpfe als eine Geschichte der (bisher
gescheiterten) Versuche Kapitalismus und Unterdrückung abzuschütteln
begreifen, können wir erfolgreich die Frage stellen, was die gegenwärtige
Situation auszeichnet und was aus den fehlgeschlagenen Versuchen, eine
kommunistische Gesellschaft zu errichten, gelernt werden kann. Nach
der Lektüre vieler theoretischer Dokumente der deutschsprachigen Linken, welche
die Klassenkämpfe und die bisherigen Versuche des Sturzes des Kapitalismus als
eine Geschichte des falschen Denkens behandeln, so als ob es quasi genügt hätte,
damals den richtigen Durchblick zu haben, um erfolgreich den Kapitalismus überwinden
zu können, bringt einem Silver’s Buch auf den harten Boden der Arbeitskämpfe
zurück. Es konfrontiert die LeserInnen mit der Tatsache der Krise der
Arbeiterbewegung und der Verringerung der Arbeitskämpfe, wie sie im 20.
Jahrhundert sonst nur in Zeiten des Krieges stattfand. [i] Resultate dieser Datenerhebung sind (unter anderen) veröffentlicht in „World-Scale Patterns of Labor-Capital Conflict: Labor Unrest, Long Waves, and Cycles of World Hegemony.” Review (Fernand Braudel Center), 18(1), Winter 1995, 155-92 und in „Turning Points of Workers’ Militancy in the World Automobile Industry, 1930s-1990s.“ Research in the Sociology of Work, 6, 43-71, 1997. [ii] Wichtige Arbeiten sind: „The Modern World System I. Capitalist Agriculture and the Origins of the European World-Economy in the Sixteenth Century.“ New York: Acadmic Press, 1974 und “The Capitalist World-Economy.” Cambridge: Cambridge University Press, 1979 [iii] Marx macht sich über den Vulgärekonomen und Apologeten des Kapitalismus Bentham lustig und schreibt: „Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit“ „Das Kapital“, MEW 23, Seite 189 [iv] Silver beschäftigt sich nicht mit der Wert und Mehrwert produzierenden Seite des Arbeitsprozesses sondern betrachtet nur die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Beziehungen zwischen den Klassen. [v] Laut Silver lässt Polanyi die Frage aus, welches die Kräfte der Gesellschaft sind, die dieses Pendeln zwischen Verringerung und Verstärkung der Warenform der Arbeitskraft erzeugen und warum sie das tun. [vi] Da der Begriff „Rasse“ in den letzten Jahren als unwissenschaftlich und als ohne jede Basis in den biologischen Wissenschaften gebrandmarkt wurde, ersetzt seit einiger Zeit der Begriff der „Ethnie“, der sich nicht festlegt, ob der „Unterschied“ biologisch oder kulturell begründet wird, den Platz der „Rasse“. [vii] Die Energiekrise in den 70er Jahren bestärkte das japanische Management in der Entscheidung, den (wenigen) Arbeitern in den Zentralen den Arbeitsplatz zu garantieren, da sie auf diese Weise leichter Zugeständnisse auf der Lohnseite in Krisenjahren erreichen konnten. [viii] Natürlich gibt es auch innerhalb jeder dieser Phasen Innovation, Reifung und Standardisierung auf Basis technologischer Entwicklungen. Dennoch lässt sich sowohl in der Textilindustrie wie auch in der Automobilindustrie ein historischer Trend zur Verflachung dieser Innovationszyklen feststellen. Innovationen z.B. in der Textilindustrie haben heute eine wesentlich geringere Bedeutung als im 19. Jahrhundert [ix] Ein wesentlicher Teil der neuen Arbeiter rekrutiert sich aus Immigranten. Die zum Teil ethnische Gemeinschaft spiele daher oft eine wichtige Rolle, wie die erfolgreichen Kämpfe der Reinigungsarbeiter mexikanischer Abstammung in Kalifornien – the Janitors - zeige. |
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