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Ingo
Elbe:Warenform, Rechtsform, Staatsform. Der folgende Text ist Teil einer umfangreicheren Untersuchung[i] über die Entwicklung der sowjetischen Rechts- und Staatsdebatte hin zu einem Konzept des ‚adjektivischen Sozialismus’, einer Position, die, bei allen Ambivalenzen, bereits in Lenins und Petr Stutschkas rechtssoziologisch-staatsinstrumentalistischen Ansätzen angelegt ist und in Stalins und Andreij Wyschinskis offen sozialtechnologischen Rechts- und Staatsvorstellungen zu sich selbst kommt. Nicht die Aufhebung der kapitalistischen Formbestimmungen, sondern ihre alternative Nutzung, nicht die Dechiffrierung der Reichtums- und Zwangs-Formen als historisch-spezifische, sondern ihre Naturalisierung kennzeichnen den adjektivischen Sozialismus und seine ‚sozialistische politische Ökonomie’. Was mit Engels’ prämonetärer Werttheorie beginnt und im absurden Theorem eines originär sozialistischen Wertgesetzes endet, das setzt sich auch auf rechts- und staatstheoretischem Gebiet durch: Die Kritik an Recht und Staat wird - wie die der Ökonomie - in eine Affirmation derselben umgearbeitet. Die einzige radikale zeitgenössische Gegenposition zu diesem Paradigma formuliert Eugen Paschukanis, dessen Ansatz bis in die 1960er Jahre hinein als einzigartig gelten darf und der im Folgenden kursorisch dargestellt werden soll. I. In seinem zuerst 1924 veröffentlichten Werk ‚Allgemeine Rechtslehre und Marxismus’ beansprucht Paschukanis, den paradigmatischen Bruch des Marxschen praktisch-kritischen oder gesellschaftstheoretischen Materialismus mit ‚bürgerlich’-fetischistischen Deutungsmustern auf rechtstheoretischem Gebiet herauszuarbeiten. Analog zur Differenz zwischen politischer Ökonomie und Kritik derselben lässt sich demnach zeigen, dass Marx, im Gegensatz zur Rechts- bzw. politischen Philosophie, die Phänomene Recht und Staat selbst zum Gegenstand einer ‚kritisch-genetischen’ Wissenschaft macht, sie als gesellschaftliche Verhältnisse unter bestimmten Bedingungen dechiffriert, statt sie zu enthistorisieren: Geht es jenem um die Klärung der Frage, „kraft welcher Ursachen sich der Mensch als zoologisches Individuum in ein juristisches Subjekt verwandelt“, so geht diese „vom Rechtsverkehr als von einer fertigen, von vornherein gegebenen Form aus.“[ii] Im ahistorischen, kategorialen Rahmen der bürgerlichen Ansätze kann sich Rechtskritik zudem nur als Konfrontation positiven Rechts mit dem (in der Vernunft oder Natur fundierten) Rechtsbegriff vollziehen. Der Rechtsbegriff selbst ist dort „kein Objekt der Rechtskritik“.[iii] Rechts- und politische Philosophie sind also, Paschukanis zufolge, als Theorien sozialer Verhältnisse in bestimmten Formen dem historischen Materialismus als Theorie dieser Formen als (historisch-spezifischer) Formen selbst radikal entgegengesetzt. Der Untertitel von Paschukanis’ Werk, „Versuch einer Kritik der juristischen Grundbegriffe“, ist bewusst an den des ‚Kapitals’ angelehnt. Kritik bedeutet für ihn Dechiffrierung und Kontextualisierung der rechtlichen Form, die juristischen „Kategorien analysierend, ihre wirkliche Bedeutung dartun, d.h. [...], die historische Bedingtheit der Rechtsform aufdecken.“[iv] Paschukanis will sich aber nicht mit der Dechiffrierung des Rechts als historisch-spezifischer Vergesellschaftungsweise zufrieden geben. Wie Marx zielt er zugleich auf die Beantwortung der Frage, wie diese Form ihre Verkennung als Form, ihre Deutung als allgemein-menschlich und natürlich, selbst spontan hervorbringt. Doch auch das sich etwa gegen die neukantianische Transzendentalisierung des Rechtsbegriffs wendende, traditionsmarxistisch-rechtssoziologische Paradigma verfällt Paschukanis’ Kritik. So wendet er explizit gegen Petr Stutschkas Rechtsdefinition[v] ein, diese „deck[e] zwar den in den juristischen Formen beschlossenen Klasseninhalt auf, erklär[e] [...] aber nicht, warum dieser Inhalt eine solche Form annimmt.“[vi] Im bisherigen marxistischen Rechtsdenken bleibt also „die rechtliche Regelung selbst [...] als Norm unanalysiert."[vii] Aber nicht nur ‚methodisch’, auch inhaltlich knüpft Paschukanis an die Kritik der politischen Ökonomie an. Er versteht seine Darlegungen als Rekonstruktion der Marxschen Thesen über den Zusammenhang von Warenform und Rechtsform.[viii] Ausgangspunkt seiner Bestimmung des Rechtsbegriffes ist weder, wie z.B. bei Kelsen, der „Begriff der Norm als äußeres autoritatives Gebots“[ix] noch, wie bei Stutschka, der Begriff des gesellschaftlichen Verhältnisses überhaupt.[x] Auch die isolierte Charakterisierung als Willensverhältnis reicht ihm zur Erfassung des Rechts nicht aus.[xi] Erst unter spezifischen historischen Vergesellschaftungsbedingungen der Arbeit nehmen gesellschaftliche Verhältnisse rechtlichen Charakter an, so Paschukanis.[xii] Die Willensverhältnisse von Akteuren erhalten eine juristische Form nur im Warentausch. So wird z.B. nicht das (Klassen-) Verhältnis zwischen Sklavenhalter und Sklave, sondern erst das zwischen Kapitalist und doppelt freiem Lohnarbeiter in der rechtlichen Form des Vertrags geregelt.[xiii] Der gesellschaftliche Zusammenhang stellt sich unter privat-arbeitsteiligen Produktionsverhältnissen zugleich im Wert (der ‚Werteigenschaft’ der Produkte) und im Recht (der ‚Subjekteigenschaft’ der Individuen) dar, der ‚ungeheuren Warensammlung’, als die der Reichtum im Kapitalismus erscheint, entspricht eine „unendliche Kette von Rechtsverhältnissen“.[xiv] Dieses Prinzip der Rechtssubjektivität, der freien, gleichen und zurechnungsfähigen Persönlichkeit,[xv] ist nicht nur ideologisches Betrugsmanöver der Bourgeoisie, wie es bei Lenin meist erscheint, sondern reales Prinzip der Verrechtlichung menschlicher Beziehungen in der auf universalisiertem Warentausch beruhenden kapitalistischen Produktionsweise.[xvi] Tatsächlich stellen sich ihre ökonomischen Verhältnisse unter dem Aspekt der Übereinstimmung der Willen, der wechselseitigen Anerkennung als Freie und Gleiche, die nötig ist, um ihre Produkte als Waren auszutauschen (und nicht etwa als Güter bloß gewaltsam anzueignen), als Rechtsverhältnisse dar.[xvii] Wie in solchen Ware-Geld-Beziehungen faktisch vom Gebrauchswert der Waren abstrahiert wird, tritt in ihnen an die Stelle des konkreten Individuums mit seinen mannigfaltigen Eigenschaften die „Abstraktion des Menschen überhaupt“,[xviii] das Rechtssubjekt als „Wertform des Menschen“.[xix] Das Recht nimmt auf dieser Grundlage seine spezifische abstrakt-allgemeine Form der universellen Anwendbarkeit und Geltung ohne Ansehen der (konkreten) Person an.[xx] In der zivilrechtlich fundierten Rechtsauffassung Paschukanis’ fallen damit die Form Recht und die bürgerliche Rechtsform zusammen: Nur der Kapitalismus bringt „die am höchsten entwickelte, allseitigste und vollendetste rechtliche Vermittlung“[xxi] hervor. Nur „unentwickelte und rudimentäre Formen“[xxii] derselben sind in vorkapitalistischen Produktionsweisen zu finden. Im Feudalismus beispielsweise „wird jedes Recht nur als Zubehör eines gegebenen konkreten Subjekts oder einer begrenzten Gruppe von Subjekten gedacht.“[xxiii] Es existiert kein Recht im ‚ausgebildeten’ Sinne, sondern nur ein ‚Vorrecht’, ein Privileg, das Mitgliedern einer (meist verwandtschaftlich verbundenen) Gruppe anderen gegenüber zukommt. Hier gibt es nur Stadtbürger, Leibeigene, Belehnte, Grundherren usw., nicht ‚den Staatsbürger’ oder gar ‚den Menschen’ als Träger von Freiheiten und Adressaten von Pflichten.[xxiv] Nun bringt das Rechtsverhältnis aber, wie das Tauschverhältnis, zugleich seine eigene Verkennung hervor. Die Notwendigkeit, mit der der Mensch im Kapitalismus zum Rechtssubjekt wird, kann der bereits im Warenfetischismus befangenen Vorstellung nur als Naturnotwendigkeit erscheinen.[xxv] „Von diesem Standpunkte aus ist es dem Menschen als beseeltem und mit einem vernünftigen Willen ausgestatteten Wesen eigen, Rechtssubjekt zu sein.“[xxvi] Das gesellschaftliche Phänomen der „Herrschaftssphäre, die die Form des subjektiven Rechts angenommen hat“,[xxvii] also Privatautonomie, exklusive Verfügung über Gegenstände als Eigentum und Gleichheit der Akteure, erscheint als Eigenschaft der Individuen als (‚zoologischer’) Individuen, wie der Wert als Sacheigenschaft der Waren erscheint, womit der „Warenfetischismus [...] durch den Rechtsfetischismus ergänzt“[xxviii] wird. Von dieser fehlenden Reflexion auf die (historische Spezifität) warengesellschaftlicher Fundiertheit des Menschen als Verträge schließendes, privatautonomes Willenssubjekt, schließt Paschukanis auf eine „allen bürgerlichen Rechtstheorien bewusst oder unbewusst [...] [zugrundeliegende] naturrechtliche Doktrin.“[xxix] Er intendiert dagegen eine Ideologiekritik der Rechtsvorstellungen durch Vermittlung der klassischen Rechtskategorien mit der Totalität warenförmiger Vergesellschaftung. Diese Kritik impliziert nicht nur den Versuch einer Historisierung der Rechtsform, sondern auch eine Reflexion auf den Zusammenhang derselben mit gesellschaftlicher Unfreiheit. Bereits auf der begrifflichen Ebene der einfachen Zirkulation ist die Konstituierung des Individuums zum Rechtssubjekt durch die eigentümliche Dialektik privatautonomer Freiheit gekennzeichnet: Der Herrschaft des Menschen über die Sachen, dem privatautonomen Eigentumsverhältnis, liegt die Herrschaft der Ware über den Menschen zugrunde: „Nachdem er in eine sklavische Abhängigkeit von den hinter seinem Rücken in der Gestalt des Wertgesetzes entstehenden ökonomischen Verhältnissen geraten ist, erhält das wirtschaftende Subjekt, sozusagen als Entschädigung, nunmehr als juristisches Subjekt eine seltene Gabe: den juristisch unterstellten Willen, der ihn unter den anderen Warenbesitzern [...] frei und gleich macht.“[xxx] Dieses Ineinander von Freiheit und Unfreiheit wird nun perpetuiert und durch eines von Gleichheit und Ungleichheit erweitert, wenn staatlich regulierte Klassenverhältnisse in die Betrachtung einbezogen werden. Auch auf staatstheoretischem Gebiet formuliert Paschukanis als erster Marxist, gegen die auf den bloßen Klasseninhalt des (bürgerlichen) Staates abzielenden, instrumentalistischen Positionen Lenins, die Grundfrage einer Formanalyse des Staates: „ [...] warum wird der Apparat des staatlichen Zwanges nicht als privater Apparat der herrschenden Klasse geschaffen, warum spaltet er sich von der letzteren ab und nimmt die Form eines unpersönlichen, von der Gesellschaft losgelösten Apparats der öffentlichen Macht an?“[xxxi] Nach Marx macht der Widerspruch zwischen Eigen- und Allgemeininteresse im Prozess der Wertvergesellschaftung eine besondere Instanz notwendig, die das gemeinsame Interesse der Tauschenden repräsentiert und eventuell auch gewaltsam durchsetzt. Ausgehend vom Warentausch lässt sich auch Paschukanis zufolge auf die Notwendigkeit einer außerökonomischen, Recht setzenden/fixierenden (legislative Funktion) und garantierenden (exekutive Funktion) Zwangsgewalt schließen. Er konstatiert, dass „von zwei Tauschern auf dem Markte keiner das Tauschverhältnis eigenmächtig regeln kann, sondern dass hierfür eine dritte Partei erforderlich ist, die die von den Warenbesitzern als Eigentümer einander gegenseitig zu gewährende Garantie verkörpert und dementsprechend die Regeln des Verkehrs zwischen den Warenbesitzern personifiziert.“[xxxii] Außerökonomisch ist die Gewalt, weil der Zwang, den sie auf die Rechtssubjekte ausübt, außerhalb der sachlichen Zwänge der Zirkulation (wechselseitige Abhängigkeit der Akteure in arbeitsteiliger Privatproduktion, objektive Reduktion von individuell-konkreter Arbeit auf das gesellschaftliche Durchschnittsmaß abstrakter Arbeit, Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft usw.) situiert ist und sein muss, damit von Zirkulation, also Austausch, noch die Rede sein kann.[xxxiii] Die Aneignung darf also nicht selbst gewaltvermittelt verlaufen, die Gewalt muss sich jenseits des Verfügungsbereichs der einzelnen Warenhüter in einer gesonderten Instanz monopolisieren und die Gewaltsubstitution in der Ökonomie notfalls gewaltsam erzwingen. Die generelle Norm, das allgemeine Gesetz (im Gegensatz zum Privileg im Feudalismus) fungiert dabei als staatliches, den anonymen faktischen Rechtsverhältnissen der Zirkulationssphäre, in der sich die Individuen nur als Repräsentanten gleichwertiger Waren aufeinander beziehen, adäquates Formprinzip: Staatliche Maßnahmen und Regeln müssen eine abstrakt-allgemeine Form annehmen, Gesetze ohne Ansehen der Person gelten.[xxxiv] Erst eine solche, durch Enteignung personalen Herrschaftsbesitzes[xxxv] gekennzeichnete, mittels abstrakt-allgemeiner Normen sich vollziehende Staatsmacht kann ‚öffentliche Gewalt’ genannt werden, „d.h. eine[...] Gewalt, die keinem im besonderen gehört, über allen steht und sich an alle richtet.“[xxxvi] So wie Freiheit und Gleichheit (das Prinzip der Rechtssubjektivität) in der einfachen Zirkulation reale Bestimmungen menschlichen Handelns darstellen, garantiert auch der Rechtsstaat[xxxvii] tatsächlich „im Interesse aller am Rechtsverkehr Beteiligten“ mittels „einer objektiven unparteiischen Norm“[xxxviii] die faktischen Anerkennungsverhältnisse der Warenbesitzer. Das bürgerliche (!) Klassenverhältnis impliziert diese rechtsstaatliche Form notwendig: „Insoweit das Ausbeutungsverhältnis formell als Verhältnis zwischen zwei ‚unabhängigen’ und ‚gleichen’ Warenbesitzern verwirklicht wird [...], kann die politische Klassengewalt die Form einer öffentlichen Gewalt annehmen.“[xxxix] Da sich die einfache Zirkulation als abstrakte Sphäre der kapitalistischen Produktionsverhältnisse entpuppt, Rechtsgleichheit und ‚freier Wille’ – die spezifische Handlungsfreiheit der Vertragsschließenden – sich als Vollzugsform von Ausbeutung und strukturellen Zwängen erweisen, lässt sich leicht einsehen, wie die staatliche Garantie der faktischen Rechtsverhältnisse der einfachen Zirkulation zugleich eine Garantie der Reproduktion der kapitalistischen Produktionsbedingung schlechthin, des Klassenverhältnisses an der Arbeit, darstellt. Der Klassencharakter des bürgerlichen Staates erweist sich also prinzipiell nicht zuerst an der gewaltvermittelten Repression der ArbeiterInnen und ihrer Organisationen oder an der Einflussnahme von Kapitalisten und ihren Verbänden auf die Politik, sondern an der Garantie des Privateigentums, der Sicherung der Rechtsgleichheit und Wahlfreiheit aller Individuen, der Verhinderung physischer Gewalt im Tauschakt. Der „bürgerliche Staat kann gerade als eine ‚neutrale’ Anstalt ein bestimmtes Klassen- und Herrschaftsverhältnis sichern.“[xl] Trotz dieser Hervorhebung der Form und Funktion bürgerlicher Staatsgewalt äußert Paschukanis, ähnlich wie Stutschka[xli], fundamentale Bedenken gegen eine Repressionstheorie des Rechts, die den Aspekt der äußeren Zwangsnorm als dessen Grundzug unterstellt.[xlii] Paschukanis behauptet dagegen ein Primat der Rechtsverhältnisse bzw. implizit im Alltagsleben praktizierten Rechtsnorm vor der als Staatsgesetz kodifizierten, mit Zwangsandrohung versehenen Rechtsordnung. Ein formelles Gesetz bzw. die ‚Rechts’norm als ausdifferenzierte, reflexiv organisierte Ordnung ist demnach noch lange kein wirkliches Recht: „Haben sich gewisse Verhältnisse tatsächlich gebildet, so heißt das, dass ein entsprechendes Recht entstanden ist; ist aber nur ein Gesetz oder Dekret erlassen worden, aber kein entsprechendes Verhältnis in der Praxis entstanden, so ist wohl ein Versuch zur Schaffung eines Rechts gemacht worden, aber ohne Erfolg.“[xliii] Hier folgt Paschukanis durchaus den Ausführungen Stutschkas. Im Verhältnis von objektivem („äußere[...] autoritäre[...] Regelung“) und subjektivem Recht („private[...] Autonomie“)[xliv] gebührt letzterem der Vorrang, da es im von der staatlichen Regulation unabhängigen „materiellen Interesse“[xlv] gründet. Die rechtliche Verpflichtung unterscheidet sich zwar von der moralischen dadurch, dass sie als äußere Forderung an das Subjekt herantritt, diese stellt aber zuerst eine „von einem konkreten Subjekt, das zugleich [...] auch Träger eines entsprechenden materiellen Interesses ist, ausgehende Forderung“[xlvi] dar. Das objektive Recht als staatliche Zwangsnorm regelt nur nachträglich den Verkehr zwischen vorstaatlich als Rechtssubjekte bestimmten Akteuren. Die „Idee der unbedingten Unterwerfung unter eine äußere normsetzende Autorität“[xlvii] ist, Paschukanis zufolge, dem Begriff der Rechtsform sogar vollkommen äußerlich. Der rechtliche Charakter von Normen wird einzig durch ihren Bezug auf privat-isolierte Akteure hergestellt, die sich nur ‚indirekt’, über ‚gesellschaftliche Sachen’ aufeinander beziehen und dabei ausschließlich ihren eigenen Bedürfnissen folgen.[xlviii] Je weiter sich ein soziales Verhältnis von diesen Bestimmungen entfernt, desto weniger kann ihm ein Rechtscharakter zugebilligt werden: Ist z.B. das Verhältnis zwischen ArbeiterIn und Kapitalist ein nur vertraglich herzustellendes zwischen privatautonomen Warenbesitzern, so kann das durch eine Zwangsnorm geregelte Verhältnis zwischen Sklavenhalter und Sklave kaum als Rechtsverhältnis bezeichnet werden. Hier haben wir es nicht mit der wechselseitigen, freiwilligen Anerkennung, sondern der gewaltvermittelten Unterordnung eines Willens unter einen anderen zu tun. Ja, der Sklave gilt seinem Herrn als Werkzeug seiner Willkür, als „belebtes Besitztum“.[xlix] Je konsequenter also „das Prinzip der autoritären, jeden Hinweis auf einen gesonderten autonomen Willen ausschließenden Regelung durchgeführt ist, desto weniger Boden [bleibt] für die Anwendung der Kategorie des Rechts“.[l] Hier offenbart sich, Paschukanis zufolge, eine grundlegende Differenz zwischen Recht und technischer Regel. Besteht ersteres in der Übereinstimmung der ‚autonomen’ Willen von privat-isolierten Warensubjekten, so unterstellt letztere eine vorab koordinierte Einheit des Zwecks oder die (repressive) Unterordnung unter einen einzigen Willen.[li] Die technische Regel dient in Form der Anweisung oder Anleitung der Verwirklichung einer Zwecksetzung ohne Berücksichtigung eines anderen Willens. Sie bezieht sich entweder manipulativ auf andere Akteure oder auf Sachen bzw. gegenständliche Prozesse. Sie ist „kein Gesetz im formellen Sinne“. Paschukanis begreift sie vielmehr als Wissen um Gesetzmäßigkeiten, die sich aus der Struktur technischer und sozialer Institutionen ergeben, und dessen Transformation zu Zweck-Mittel-Empfehlungen.“[lii] Auch der Sozialismus zeichnet sich nach Paschukanis durch das Absterben von Recht und Staat zugunsten der technischen Regelung von Produktionsprozessen gemäß einem einheitlichen, sozial definierten Ziel aus. Grundlage dafür ist die Aufhebung antagonistischer ökonomischer Interessen und der selbstzweckhaften Kapitalverwertung.[liii] In der sozialistischen Übergangsepoche existiert allerdings noch die rechtliche Form der Koordination gesellschaftlicher Produktionsprozesse.[liv] Eine Charakterisierung dieser Rechtsverhältnisse als ‚proletarische’ oder genuin sozialistische, wie sie sich bei Lenin oder Stutschka findet[lv], lehnt Paschukanis jedoch kategorisch ab. Gemäß seiner radikalen Rechtsformkritik und Identifizierung von Recht mit bürgerlichem Recht konstatiert er gegen einen adjektivischen Sozialismus, der mittels einer positiven proletarischen Rechtslehre naturalisierte soziale Formen alternativ in Dienst nehmen will, dass das „Absterben gewisser Kategorien [...] des bürgerlichen Rechts [...] keineswegs ihre Ersetzung durch neue Kategorien des proletarischen Rechts [bedeutet], genau so wie das Absterben der Kategorien des Wertes, Kapitals, Profits usw. bei dem Übergang zum entfalteten Sozialismus nicht das Auftauchen neuer proletarischer Kategorien des Werts, Kapitals usw. bedeuten wird.“[lvi] II. Kritik an Paschukanis Im folgenden soll ein kursorischer Blick auf zwei charakteristische Kritikpunkte an Paschukanis’ Rechtsbegriff geworfen werden.[lvii] · ‚Reduktion des Rechtsbegriffs’ (Radbruch): Gustav Radbruch würdigt zunächst Paschukanis’ Bestreben, entgegen den traditionsmarxistischen Versuchen, „den Rechtsinhalt auf das Interesse der herrschenden Klassen oder den Rechtszwang auf bestehende Machtverhältnisse zurückzuführen“, die „ökonomisch-soziale Bedingtheit der Rechtsform selber“[lviii] auszuweisen. Auch der Entwicklung des Prinzips der Rechtssubjektivität aus dem Warentausch folgt Radbruch zunächst weitgehend.[lix] Dennoch zeichnet sich ihm zufolge Paschukanis’ Ansatz durch eine folgenschwere Reduktion des Rechtsbegriffs auf das individualistische Privatrecht der bürgerlichen Epoche aus: Recht entsteht nach Radbruch grundlegend qua Erfassung „aus der ökonomischen Sphäre emporsteigende[r]“ Interessen durch die universalhistorische „Kulturform der Allgemeinheit und Gleichheit“.[lx] Diese Transformation bewirkt zugleich eine sich verselbständigende Eigendynamik des Rechts, das damit zum relativ autonomen Machtfaktor und Gestaltungsinstrument gesellschaftlicher Verhältnisse wird, schließlich durch seine Mediatisierung von Interesse und Gewalt in der (abstrakt-) allgemeinen Form als Stützpunkt und Schutzfunktion gerade für die Subalternen wirken kann.[lxi] Wird eine partikulare Forderung der Herrschenden in Form eines Rechtsanspruchs formuliert, kann dessen universelle Form zugleich von den Beherrschten gegen den partikularen Inhalt mobilisiert werden. Diese können damit ein rationales Interesse an der Verwirklichung eines von jenen gesetzten Rechts haben, womit dem Klassenkampf eine juristische Form gegeben wird. Die politischen Vertreter der Bourgeoisie unterliegen sogar einer List der juristischen Vernunft, denn „wer sich im eigenen Interesse auf eine [Rechts-]Idee berufen hat, [ist] genötigt [...], sie zu verwirklichen, auch wenn sie aufhört, ihm zu dienen.“[lxii] Obwohl Radbruch Recht als Einheit verschiedenster Elemente begreift, die zueinander in einem widersprüchlichen Verhältnis stehen (generalisierende Gerechtigkeit vs. individualisierende Zweckmäßigkeit; Relativismus der Zwecksetzung vs. universelle Geltung der Norm; positive Setzung mittels Willkür und Macht vs. überpositive Gleichheitsidee),[lxiii] gilt ihm der unableitbare, „absolute[...] Wert“[lxiv] der Gerechtigkeit als Gleichheit als „artbestimmende Idee des Rechts“,[lxv] denn „Recht ist nur, was der Gerechtigkeit zu dienen wenigstens bezweckt“.[lxvi] Gerechtigkeit fungiert also als formbestimmendes Element, als alleiniges Abgrenzungskriterium zwischen Recht und Nicht-/ Unrecht, während über den Charakter der Rechtsinhalte Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit mitentscheiden.[lxvii] Im Gegensatz zu Paschukanis versteht Radbruch die Rechtsform als überhistorische, transzendentale Rechtsidee.[lxviii] Paschukanis gelingt es nun, Radbruch zufolge, nur, die historische Formung der Rechtsidee in der ‚liberalkapitalistischen’ Epoche zu erfassen. Er glaube aber, damit die Rechtsform als solche soziologisch abgeleitet zu haben, was ein Irrtum sei. Paschukanis’ zivilrechtlicher Reduktionismus blende demzufolge das Phänomen des öffentlichen Rechts aus, sein ‚Rechtsnihilismus’ behaupte mit dem Untergang der abstrakt-allgemeinen Rechtsform des „individualistischen Zeitalters“[lxix] zu Unrecht ein Absterben der Rechtsform überhaupt.[lxx] Das individualistische Recht entspricht der ‚liberalen Phase’ des Kapitalismus, manifestiert sich im Zivilrecht und repräsentiert den ‚bürgerlichen Rechtshorizont’. Vorherrschend ist darin die Vorstellung des Privateigentums als Naturrecht und das reale Prinzip der exklusiven Verfügungsgewalt, der Abtrennung des Einzelnen von der Gesellschaft. Das Individuum als unterschiedsloser, egoistischer, isolierter Eigentümer gilt als Objekt rechtlicher Regelungen wie als Subjekt von Rechtsansprüchen. Das Rechtsverhältnis nimmt die abstrakt-allgemeine Form der Geltung ohne Ansehen der Person an und abstrahiert von weiteren sozialen Bestimmungen als der des Wareneigners, damit auch von sozialer Ungleichheit.[lxxi] Es herrscht das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit.[lxxii] Paschukanis blendet nun aber die Rechtsform des „soziale[n] Rechtszeitalter[s]“[lxxiii] aus, die sich bereits im ‚organisierten’ Kapitalismus und dessen öffentlichem Recht bzw. als Tendenz zur „Publizierung des Privatrechts“[lxxiv] ankündigt. Diese Form, deren Paradigmen das Arbeits- (‚Stützung sozial Ohnmächtiger’) und Wirtschaftsrecht (‚Beschränkung sozialer Übermacht’)[lxxv] sind, vertritt die Vorstellung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und versteht Rechte prinzipiell als staatlich verliehene Rechte auf Widerruf. Gegenstand rechtlicher Regelungen ist das Individuum als ‚Kollektivmensch’: Das Recht „kennt [...] nicht mehr nur Personen, sondern Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Arbeiter und Angestellte“,[lxxvi] es vollzieht eine Angleichung an den Rechtsinhalt, indem es das ‚Klassenschicksal’ der Akteure berücksichtigt. Die Gerechtigkeitsidee des ‚sozialen Rechts’ ist keine begriffliche Abstraktion des äquivalenten Tauschs[lxxvii], ist nicht komutative, sondern distributive Gerechtigkeit: „Ausgleichende Gerechtigkeit bedeutet die Forderung absoluter Gleichheit beim Austausch von Leistungen, z.B. Gleichheit zwischen Arbeit und Lohn, Schaden und Ersatz, [...]; austeilende Gerechtigkeit bedeutet die Forderung relativer Gleichheit in der Behandlung von Personen, Verteilung von Lasten und Vorteilen nach Tragfähigkeit und Bedürfnis, nach Schuld und Verdienst. Dort ein Verhältnis zwischen zwei Personen, unter denen ein Austausch stattfindet, hier ein Verhältnis mindestens zweier Personen zu einer dritten, die unter ihnen eine Verteilung vornimmt. Die ausgleichende Gerechtigkeit gilt für den Verkehr zwischen rechtlich gleichgeordneten, d.h. für das Privatrecht, die austeilende Gerechtigkeit dagegen im Verhältnis der Über- und Unterordnung: im öffentlichen Recht.“[lxxviii] Als gleiche Behandlung von Gleichen, ungleiche Behandlung von Ungleichen, ist die ‚soziale’ Rechtsform für Radbruch nun geradezu das Spezifikum entwickelter sozialistischer Vergesellschaftung,[lxxix] die damit immer auch als staatlich regulierte gedacht werden muss. Radbruchs Kritik am zivilrechtlichen Reduktionismus Paschukanis’ trifft ein zentrales Problem seines Werks. Nicht nur bleibt in diesem der zunehmende Maßnahmecharakter von Gesetzen im ‚organisierten’ Kapitalismus unterbelichtet, es wird auch die Frage nach dem Rechtscharakter dieser Gesetze nicht gestellt, da Recht primär als Willensverhältnis privatautonomer Warensubjekte aufgefasst wird. Paschukanis scheint sogar wesentliche Aspekte des öffentlichen Rechts (Maßnahmecharakter, Subordinations- und Zwangsaspekt) mittels der Kategorie der technischen Regel per se aus dem Rechtsbegriff auszuschließen.[lxxx] Dennoch ist Radbruchs Kritikmodus nicht unfragwürdig. Zunächst wirft seine Ausweitung des Rechtsbegriffs immanente Probleme auf: Der überpositive Rechtsbegriff, den er gegen die Rechtspositivisten ins Feld führt[lxxxi], konterkariert seine Äußerungen über das Recht als Stützpunkt und Appellationsinstanz der Subalternen, weil er sich weitgehend vom ‚individualistischen’ Recht und seiner abstrakt-allgemeinen Form der Geltung ohne Ansehen der Person abgrenzt. Das distributive Gerechtigkeit („jedem das Seine“[lxxxii]) in den Mittelpunkt stellende Rechtskonzept kann für die vom öffentlichen Recht als ‚Ungleiche’ Eingeteilten durchaus zynische Konsequenzen haben und möglicherweise nicht mehr gegen einen partikularen Inhalt gewendet werden, weil es diesem ja gerade juristische Weihen verleiht. Schließlich kann auch distributive Gerechtigkeit das Prinzip äquivalenter Leistung und Gegenleistung, das Radbruch einseitig der komutativen Gerechtigkeit zuordnet, zum (freilich staatlichen) Verteilungsprinzip erheben. Genau gegen diese Form eines radikalisierten Leistungsprinzips, wie gegen den Gedanken staatlicher Zuteilung überhaupt, richtet sich Marx’ Kritik in den ‚Randglossen’ zum Gothaer Programm. Nicht nur vor diesem Hintergrund wirken Radbruchs Assoziationsketten ‚Privatrecht – ausgleichende Gerechtigkeit – bürgerlicher Rechtshorizont’ vs. ‚öffentliches Recht – austeilende Gerechtigkeit – sozialistische Rechtsform’ naiv. Er geht sogar so weit, die zunehmende ‚Publizierung des Privatrechts’ und die Tendenzen eines fortschreitenden Staatsinterventionismus als „auf dem Wege vom Kapitalismus zum Sozialismus“[lxxxiii] liegend zu betrachten. Drei klassische Denkfehler der traditionellen Sozialdemokratie liegen dieser Haltung zugrunde: 1. Die etatistische Tendenz der Identifizierung von Verstaatlichung mit Sozialisierung des Privateigentums.[lxxxiv] 2. Der vulgäre Evolutionismus, der den Sozialismus bereits im Kapitalismus ‚heranreifen’ sieht. So folgert Radbruch, „dass Sozialismus und Kapitalismus nicht durch eine revolutionäre Kluft voneinander unterschiedene Gesellschaftszustände, sondern Bewegungen innerhalb der Gesellschaft sind, die als sozialistische Aufwärtsbewegung und kapitalistische Abwärtsbewegung untrennbar ineinandergeflochten sind.“[lxxxv] Diese Entwicklung gilt ihm als geschichtsphilosophisch verbürgte „Selbstverwirklichung einer überbewussten geschichtlichen Notwendigkeit“.[lxxxvi] 3. Die „undurchschaute Ambivalenz der [proletarischen] Rechtsforderungen und der Gesetzgebung des bürgerlichen Staates“,[lxxxvii] die die Erfolge der ArbeiterInnenbewegung im Kampf um soziale Rechte (z.B. des Normalarbeitstages, des Tarifsystems usw.) nicht in ihrer systemstabilisierenden Funktion durchschaut und sie statt dessen als Schritte zur Überwindung des ‚bürgerlichen Rechtshorizonts’ feiert. Die Einsicht in die juristische Form des Klassenkampfs wird damit zur Illusion der graduellen rechtsförmigen Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise. In diesem Zusammenhang lässt sich auch Radbruchs Stadienmodell kapitalistischer Entwicklung bezweifeln. Von einer zunehmenden Substituierung des privaten durch das öffentliche Recht kann keine Rede sein. Vielmehr setzen auch die von ihm als Paradigmen ‚sozialen Rechts’ angeführten arbeits- und wirtschaftsrechtlichen Maßnahmen das Privatrecht ebenso voraus, wie sozialstaatliche Eingriffe das Privateigentum nicht grundlegend in Frage stellen können[lxxxviii], sondern gerade als konstitutiv für dessen Bestandssicherung gelten müssen. · ‚Zirkulationsfixiertheit’ (Negt, Tuschling): Nicht der Vorwurf des Absehens vom öffentlichen Recht, sondern der der Nichtberücksichtigung der Produktionssphäre bei der Rechtsbestimmung steht im Mittelpunkt von Oskar Negts und Burkhard Tuschlings Auseinandersetzung mit Paschukanis. Dieser Kritik zufolge verortet Paschukanis den Gegenstand und die Quelle des Rechts „ausschließlich in der Zirkulation“.[lxxxix] Seine Rechtstheorie ist damit nicht nur unfähig, den rechtlichen Überbau in seiner relativen Autonomie zu erfassen[xc], sie verfängt sich auch in einem ‚krypto-naturrechtlichen’ Argumentationsmuster, indem sie das Recht von Verträge schließenden Einzelnen aus konzipiere, sein Wesen im freien Vertrag zwischen unabhängigen Subjekten verorte.[xci] Paschukanis erklärt nicht die Differenz zwischen bürgerlichen und vorbürgerlichen Rechtsverhältnissen, weil er unterschiedslos von der „Warenform für sich genommen“[xcii] ausgeht. Diese existiert aber als marginales Verhältnis schon vor der kapitalistischen Produktionsweise. Die Begründung für die Universalisierung der Warenform und damit die „Ausbildung der Rechtsform zu einer allgemeinen und notwendigen Form“[xciii] gesellschaftlicher Verhältnisse bleibt Paschukanis schuldig. Dies beruht, Negt zufolge, auf einem Missverständnis des systematischen Stellenwerts der ersten drei Kapitel des ‚Kapital’, denen die Warenform-Rechtsform-Theorie wesentlich entnommen ist. Paschukanis isoliert die Bestimmungen der Warenbesitzer als freie und gleiche Eigentümer von ihren weiteren sozialen Formbestimmungen als klassenspezifische Produktionsagenten. Werden diese berücksichtigt, wird nicht nur deutlich, dass sich erst auf Grundlage des kapitalistischen Klassenverhältnisses die Warenform zum charakteristischen Sozialverhältnis entwickelt, es lässt sich nur noch der „produktionsvermittelte[...] Austausch“[xciv] zwischen Lohnarbeitern und Kapitalisten als Grund der Rechtskonstitution angeben: „Nicht alle Waren, auch nicht der durch Verträge vermittelte Warenverkehr, sondern ausschließlich die Ware Arbeitskraft ist deshalb Bezugspunkt der [...] Erklärung des Rechts.“[xcv] Demgemäß ist auch der Rechtsfetischismus nicht so sehr vom Warenfetisch, als vielmehr vom Fetischismus der Lohnform her zu begreifen.[xcvi] Im Gegensatz zum quasi-‚naturrechtlichen’ Bezugssystem Paschukanis’ werden so die „wechselseitigen Bedingungs- und Abhängigkeitsbeziehungen zwischen kapitalistisch organisierter Produktion und Recht“[xcvii] , die Vermitteltheit der Rechtsverhältnisse durch die Totalität kapitalistischer Produktionsverhältnisse wie die systematische Kontamination des Rechts durch Herrschaft und strukturelle Zwänge berücksichtigt. Im Unterschied zu Radbruchs Kritik steht hinter den Vorwürfen Negts und Tuschlings kein konkurrierendes Rechtsverständnis, sondern eine bestimmte Deutung der Methodik Paschukanis’. Dem Warenform-Rechtsform-Theorem wird eine historizistische oder empiristische Reduktion auf ein Modell zweier Tauschender im Sinne der Fiktion ‚einfacher Warenproduktion’ unterstellt[xcviii], mithin eine naive Konzeptualisierung von Ware und Recht unter Absehung ihrer repressiven Konstitutionsbedingungen. Tatsächlich kann sich eine solche Interpretation auf uneindeutige methodologische Bemerkungen in ‚Allgemeine Rechtslehre und Marxismus’ beziehen: etwa wenn von der Skizzierung der „Grundzüge der historischen und dialektischen Entwicklung der Rechtsform“[xcix] die Rede ist. Dennoch ist Harms gegen Negt zuzustimmen, dass bei Paschukanis der Begriff der „Rechtssubjektivität und der produktionsvermittelte Austausch [...] implizit zusammen[fallen]“.[c] Trotz historizistischer Andeutungen lässt sich ‚Allgemeine Rechtslehre und Marxismus’ nämlich in methodologischer Hinsicht als ‚verschwiegene Heterodoxie’ kennzeichnen: Eine logische Rekonstruktion der Rechtsform aus der Warenform ist hier Programm. Demnach geht Paschukanis auch nicht von der ‚einfachen Warenproduktion’ aus, sondern legt seiner Analyse „die voll entwickelte Rechtsform zugrunde“[ci] und blendet deren Zusammenhang mit kapitalistischen Produktionsverhältnissen – wie oben gezeigt – keineswegs aus: Der „praktische Zweck der rechtlichen Vermittlung“ besteht im „ungehinderte[n] Gang“ der kapitalistischen „Produktion und Reproduktion“.[cii] Gegen den Vorwurf der Zirkulationsfixiertheit lässt sich mit Harms zusammenfassend vorbringen: „Wenn die Rechtsbegriffe als Begriffe der Zirkulation erscheinen, ist dies die spezifische Zirkulation der kapitalistischen Warenproduktion, nicht jedoch einer einfachen [...] Dies gilt ebenso für die Begriffe Rechtssubjekt und Rechtsverhältnis. Er [Paschukanis] versteht diese nicht als apriorische Begriffe, welche durch eine spezifische Denkform des Rechts vorgegeben sind, sondern als Begriffe, die sich nur in der Totalität des gesellschaftlichen Zusammenhangs klären.“[ciii] Schließlich fügt die Kritik der Zirkulationsfixiertheit Paschukanis’ Rechtsbegriff nichts hinzu. Auch sie muss die Zirkulationssphäre als spezifischen Ort der Rechtsgenese verstehen, da sie kein etatistisches Zwangskonzept des Rechts vertritt. Eine Verortung des Rechts im unmittelbaren Produktionsprozess dagegen liefe auf eine Theorie der „personal gebundene[n] Funktionalität des Rechts“[civ] hinaus, die dieses ohne Betrachtung seiner spezifischen Form „auf das Partikularinteresse der Kapitaleigner“[cv] zurückführen müsste. Paschukanis’ Entwurf ist weit davon entfernt, eine umfassende Rechtskritik zu liefern und bietet oft eher Problemaufrisse als definitive und zufriedenstellende Antworten. Dennoch darf seine Rechtskritik nach wie vor als Herausforderung für eine Linke gelten, die nicht erst seit gestern mit den Formen Recht und Staat ihren theoretischen wie praktischen Frieden geschlossen hat. Nicht zuletzt deshalb galt sein Werk noch im poststalinschen Realsozialismus als unbrauchbar und keiner Diskussion wert. Ein Staat war mit ihm nicht zu machen ... e-mail: ingoelbe/ at /compuserve.de Literatur Aristoteles (1989): Politik. Schriften zur Staatstheorie, Stuttgart Blanke, Bernhard/ Jürgens, Ulrich/ Kastendiek, Hans (1975): Das Verhältnis von Politik und Ökonomie als Ansatzpunkt einer materialistischen Analyse des bürgerlichen Staates. In: dies. (Hg.): Kritik der politischen Wissenschaft. Analysen von Politik und Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft, 2 Bde., Ff/M.- New York, S. 414-444 Böhm, Andreas (1998): Kritik der Autonomie. Freiheits- und Moralbegriffe im Frühwerk von Karl Marx, Bodenheim Bruhn, Joachim (1994): Unmensch und Übermensch. 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[ii] Paschukanis (1969), S. 89. [iii] Maihofer (1992), S. 51. Eine solche Rechtsinhaltskritik findet sich auch noch in den junghegelianischen Schriften des frühen Marx. Vgl. dazu Heinrich (1999), S. 88-93 sowie Böhm (1998), Kapitel 1. [iv] Paschukanis (1969), S. 37. [v] Recht wird von diesem begriffen als “’System [...] gesellschaftlicher Verhältnisse, das den Interessen der herrschenden Klasse entspricht und von ihrer organisierten Gewalt aufrechterhalten wird.’” (Stutschka (1969), S. 65) [vi] Paschukanis (1969), S. 59. [vii] Paschukanis (1969), S. 26. [viii] Vgl. Paschukanis (1969), S. 10. [ix] Paschukanis (1969), S. 72. [x] Vgl. Paschukanis (1969), S. 58. [xi] Vgl. Paschukanis (1969), S. 57. [xii] Vgl. Paschukanis (1969), S. 53. [xiii] Vgl. Paschukanis (1969), S. 88. [xiv] Paschukanis (1969), S. 60. [xv] Vgl. Paschukanis (1969), S. 11f. [xvi] Vgl. Paschukanis (1969), S. 12. [xvii] Vgl. Paschukanis (1969), S. 132: “Damit sich menschliche Arbeitsprodukte zueinander verhalten können wie Werte, müssen sich Menschen zueinander verhalten wie unabhängige und gleiche Persönlichkeiten.” [xviii] Paschukanis (1969), S. 91. [xix] Bruhn (1994), S. 96. [xx] Vgl. Paschukanis (1969), S. 100. [xxi] Paschukanis (1969), S. 16. [xxii] Paschukanis (1969), S. 16. [xxiii] Paschukanis (1969), S. 98. [xxiv] Vgl. Paschukanis (1969), S. 98f. [xxv] Vgl. Paschukanis (1969), S. 41. [xxvi] Paschukanis (1969), S. 95. [xxvii] Paschukanis (1969), S. 96. [xxviii] Paschukanis (1969), S. 60. [xxix] Paschukanis (1969), S. 42. Diese sich auf die Verdinglichung des subjektiven Rechts beziehende Fetischismus-Diagnose kann allerdings den Ansatz Hans Kelsens nur bedingt treffen. Vgl. dazu Harms (2000), S. 88f., 171. [xxx] Paschukanis (1969), S. 92. [xxxi] Paschukanis (1969), S. 120. [xxxii] Paschukanis (1969), S. 130. [xxxiii] Vgl. Paschukanis (1969), S. 123: “Der Tauschwert hört auf, Tauschwert zu sein, die Ware hört auf Ware zu sein, wenn die Tauschproportionen von einer außerhalb der immanenten Gesetze des Marktes stehenden Autorität bestimmt werden.” Vgl. auch Blanke/ u.a. (1975), S. 479 (Anm. 13). [xxxiv] Vgl. Paschukanis (1969), S. 97, 124 u.a. Vgl. auch Blanke/ u.a. (1975), S. 421. [xxxv] Vgl. Gerstenberger (1990), S. 525f. [xxxvi] Paschukanis (1969), S. 126. [xxxvii] ‚Rechtsstaat’ bedeutet hier keinesfalls ‚parlamentarische Demokratie’. Diese ist aus der Warenform nicht ableitbar. [xxxviii] Beide Zitate: Paschukanis (1969), S. 124. [xxxix] Paschukanis (1969), S. 121. [xl] Heinrich (1999), S. 266. [xli] Vgl. dazu Elbe (2002), S. 9. [xlii] Vgl. als Beispiele für einen solchen Ansatz: Kelsen (1931), S. 464, 516 oder Wesel (1979), S. 235, 251. [xliii] Paschukanis (1969), S. 63. [xliv] Beide Zitate: Paschukanis (1969), S. 73. [xlv] Paschukanis (1969), S. 75. [xlvi] Paschukanis (1969), S. 145. Von daher stellt sich ihm auch das Privatrecht als “Prototyp der Rechtsform überhaupt” dar (ebd.). [xlvii] Paschukanis (1969), S. 78. [xlviii] Vgl. Paschukanis (1969), S. 77. [xlix] Aristoteles (1989), 1254a. [l] Paschukanis (1969), S. 78. Vgl. auch Anatol Rappoports Formulierung: “Der Gedanke der Gleichberechtigung ist, was das Recht kennzeichnet.” (Rappoport (1972), S. 151). [li] Vgl. Paschukanis (1969), S. 55f., 78. [lii] Harms (2000), S. 146. [liii] Vgl. Paschukanis (1969), u.a. S. 34, 111f. [liv] Paschukanis folgt in deren Begründung Marx’ ‚Kritik des Gothaer Programms’. Vgl. Paschukanis (1969), S. 34-36. [lv] Vgl. Elbe (2002), S. 6f., 11f. [lvi] Paschukanis (1969), S. 33. [lvii] Dabei kann nicht ansatzweise das gesamte Spektrum der Kritiken an Paschukanis’ Werk berücksichtigt werden. Dennoch kreist eine Reihe von Stellungnahmen, wenn auch vor dem Hintergrund verschiedenster Rechtskonzeptionen, um die hier skizzierten Kritikpunkte ‚Rechtsnihilismus’, ‚zivilrechtlicher Reduktionismus’ und ‚Zirkulationismus’. Eine Übersicht über die Paschukanis-Rezeption bietet Harms (2000). [lviii] Beide Zitate: Radbruch (1930), S. 617f. [lix] Vgl. Radbruch (1930), S. 618. [lx] Beide Zitate: Radbruch (1929), S. 77. [lxi] Vgl. Radbruch (1929), S. 76f. [lxii] Radbruch (1929), S. 77. Es ist allerdings bereits jetzt darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmungen ausschließlich für bürgerliches, abstrakt-allgemeines Recht gelten und von Radbruchs späterer Ausweitung des Rechtsbegriffs konterkariert wird, ohne dass er diese generalisierenden Äußerungen zurücknähme. [lxiii] Vgl. Radbruch (1993b), S. 462-465. [lxiv] Radbruch (1993b), S. 461. [lxv] Radbruch (1993b), S. 462. [lxvi] Radbruch (1993b), S. 462. Vgl. auch die bei Harms ((2000), S. 73, FN 345) zitierte ‚Radbruchsche Formel’: “’[...] wo die Gleichheit [...] bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges Recht’, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.’” [lxvii] Vgl. Radbruch (1993b), S. 465. [lxviii] Vgl. Radbruch (1993a), S. 453. [lxix] Radbruch (1993a), S. 455. [lxx] Vgl. Radbruch (1930), S. 619. [lxxi] Vgl. Radbruch (1993a), S. 455 und (1993d), S. 486f. [lxxii] Vgl. Radbruch (1993b), S. 462. [lxxiii] Radbruch (1993c), S. 472. [lxxiv] Radbruch (1930), S. 619. [lxxv] Vgl. Radbruch (1993d), S. 490. [lxxvi] Radbruch (1993d), S. 488. [lxxvii] Wie Paschukanis ((1969), S. 143) für die Gerechtigkeit schlechthin unterstellt. [lxxviii] Radbruch (1993b), S. 462. [lxxix] Vgl. Radbruch (1929), S. 79. [lxxx] Vgl. Harms (2000), S. 148. [lxxxi] Vgl. Radbruch (1993b), S. 460, 466. [lxxxii] Radbruch (1993b), S. 462. [lxxxiii] Radbruch (1930), S. 619. [lxxxiv] Vgl. Radbruchs Andeutungen (1993d), S. 488f. [lxxxv] Radbruch (1930), S. 619f. [lxxxvi] Radbruch (1993d), S. 495. [lxxxvii] Negt (1975), S. 58. [lxxxviii] Vgl. Blanke/ u.a. (1975), S. 429ff., 434ff. [lxxxix] Tuschling (1976), S. 12. [xc] Vgl. Negt (1975), S. 47, Korsch (1969), S. Xf. sowie Poulantzas (1972), S. 181f. [xci] Damit wiederholt sich aus marxistischer Perspektive eine Kritik, die schon Hans Kelsen an Paschukanis geübt hat (vgl. Kelsen (1931), S. 486ff.). Freilich geht es Negt et al. nicht, wie Kelsen, primär um die Betonung des staatlichen Zwangscharakters des Rechts, als vielmehr um dessen Klassenspezifik und Beziehung auf ökonomische Zwänge. [xcii] Tuschling (1976), S. 14. [xciii] Tuschling (1976), S. 14. [xciv] Negt (1975), S. 50. [xcv] Negt (1975), S. 52. Vgl. auch ebd., S. 48. [xcvi] Vgl. Negt (1975), S. 54f. [xcvii] Tuschling (1976), S. 14. [xcviii] Vgl. Harms (2000), S. 121. [xcix] Paschukanis (1969), S. 18. Vgl. auch ebd., S. 31. [c] Harms (2000), S. 121. [ci] Paschukanis (1969), S. 45. [cii] Alle Zitate: Paschukanis (1969), S. 16. Vgl. auch ebd., S. 10, 91f., 121, 123, 160. [ciii] Harms (2000), S. 122. [civ] Harms (2000), S. 123. [cv] Harms (2000), S. 124. |
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