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Robert Foltin: Soziale Bewegungen in Österreich: Differenzierung der Szenen Im folgenden handelt es sich wieder um einen Ausschnitt aus einem größerem Text; durch meine eigene Vergangenheit ist er stark auf die Ereignisse in Wien bezogen. Nach dem Abflauen der 1968er-Bewegung kam es zur Herausbildung leninistischer Gruppen (K-Gruppen), die in der ersten Hälfte der 1970er die linke Szene auch hier dominierten. Schon parallel dazu, aber mit einem Höhepunkt in der zweiten Hälfte der 1970erJahre, vervielfältigten sich die Szenen. Um diese Entwicklung geht es in diesem Abschnitt. Diskussionsbeiträge, kritische Ergänzungen, Details, Korrekturen, insbesonders von damals Beteiligten, sind erwünscht, der Text ist als Entwurf zu verstehen (und außerdem gekürzt). Schon parallel zum leninistischen Intermezzo entwickelten sich die Strukturen einer vielfältigen Bewegung. Aus der Identifizierung mit einer Partei wurde die Identität mit einem Ausschnitt der Gesamtgesellschaft. Aus dem Wunsch nach einem anderen Leben entstand eine Reihe von Projekten, die Identifikation erfolgte mit der eigenen Kommune, Gruppe, „Familie“. Durch den Feminismus erkannten sich Frauen als Subjekt. Schwule und Lesben begannen zu ihrer Identität zu stehen. Parallel dazu entwickelte sich die Anti-Zwentendorf-Bewegung, die durch den Erfolg bei der Volksabstimmung Österreich zu einem wichtigen Zentrum der Ökologiebewegung machte. Der „politische“ Teil dieser vielfältigen Szene waren die so genannten Spontis. Die wichtigsten Auseinandersetzungen verschoben sich in die Reproduktionssphäre – die Arena, gefordert als Kultur- und Kommunikationszentrum, war der lebhafteste Ausdruck davon. Anders lebenVersuche, das eigene Leben anders zu organisieren, hauptsächlich in Kommunen und Wohngemeinschaften, aber auch in Projekten wie dem ersten und zweiten Kinderkollektiv, entstanden bereits Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre, während die leninistischen Gruppen ihren Höhepunkt erreichten. Ein Kommuneprojekt soll genauer behandelt werden, weil es seinen Ursprung hauptsächlich in Wien hatte und auch die dortige Szene beeinflusste: die von dem Aktionisten Otto Mühl gegründete AAO (Aktionsanalytische Organisation)[1]. Die AAO hatte grundlegende Prinzipien: Gemeinschaftseigentum und freie Sexualität als Befreiung von der Unterdrückung als Kleinfamilienmensch, damit die Ablehnung der Zweierbeziehung. Im Zentrum stand die Selbstdarstellung als Kern der Aktionsanalyse, vor der Gruppe sollte versucht werden, schreiend, spuckend, schlagend etc. die eigenen Verklemmungen, den Körperpanzer zu überwinden. Begonnen wurde dieses Projekt in der Wohngemeinschaft des Aktionskünstlers Otto Mühl. 1972 wurde der Friedrichshof im Burgenland erworben, wo nach dem Ausbau 1974 eine Tischlerei, ein Transportunternehmen, Viehzucht und Landwirtschaft betrieben wurden. Es entstanden eine regelmäßige Zeitung (AA-Kommune-Nachrichten), ein Verlag und eine Reihe von Projekten in mehreren europäischen Städten. 1977 existierten neben dem Friedrichshof 18 Kommunen mit 15 bis 40 Mitgliedern. Auffällig waren die Kommunarden durch ihr Aussehen, die Haare waren geschoren, die Kleidung einheitlich, um die sexuellen Wünsche gleichwertig und ohne Äußerlichkeiten entstehen zu lassen. Das Konzept wurde zu einem großem Teil von Wilhelm Reich übernommen, einschließlich seiner Genitalfixiertheit und Homosexuellenfeindlichkeit. Innerhalb der Kommune herrschte eine strenge Hierarchie entsprechend der „Bewußtseinsklasse“. Mühl stand an der Spitze, um ihn eine autoritäre Elite (der „12er“-Rat), die hauptsächlich aus Frauen bestand. 1978 wurde die AAO aufgelöst, das Gemeinschaftseigentum abgeschafft, Lohn und Geld wieder eingeführt, auch die „freie Sexualität“ wurde eingeschränkt. Der Friedrichshof schloß sich ab da für Jahre von der Szene ab, 1988 heiratete Otto Mühl. 1991 wurde Mühl verhaftet, wegen Mißbrauchs von Kindern angeklagt und zu fünf Jahren verurteilt (vgl. Danneberg 1998, S. 274ff). Die AAO war (bis 1978) keineswegs isoliert. Sie machte nicht nur über ihre Veröffentlichungen Werbung, sondern ihr Konzept wurde in der Spontiszene diskutiert. So kamen AAO-Frauen auf Frauenfeste, und Feministinnen besuchten den Friedrichshof, weil sich innerhalb der Kommune eine eigene Gruppe namens Frauenforderung gebildet hatte. Daraufhin gab es einen kritischen Artikel in der Spontizeitung „Springinkal“ (Nr. 3 Juli 1976, S. 15ff), wo über die trotzdem bleibende Männerdominanz geschrieben wird, alles weibische, verniedlichende, humane werde dort als schwul bezeichnet. Zur erfolgreichsten Zeit 1977 gab es eine Abspaltung, die BBO, die teilweise das autoritäre Konzept kritisierte, sich außerdem weitergehend engagierte, als sie ein regelmäßiges Wiener WG-Treffen organisierte. Schon von Anfang an bestand der Verdacht, daß es der BBO bei den Treffen auch nur um die Gewinnung neuer TeilnehmerInnen ging. Die Abschaffung des Eigentums und die freie Sexualität wurde akzeptiert, aber der Sektencharakter der AAO kritisiert. 1977 gründete sich auch eine WG mit einem gemäßigteren Modell der Selbstdarstellung, sie mußte nicht aggressiv sein, im Gegenteil, sie durfte auch Spaß machen. Außerdem wollten die teilweise schwulen TeilnehmerInnen nicht von der Homosexualität geheilt werden, sondern sahen auch das homosexuelle Leben und Erleben als Bereicherung („die AAO hat noch immer Schwulenangst wie Papa Reich“, ZB 14, Nov 1977, S. 11). Die größte Wirkung erreichten sie in der Zeit, wo auch bei Polit-AktivistInnen wieder die Veränderung des eigenen Lebens im Zentrum stand, die Spontis auftauchten und die daraus entstehende Alternativbewegung. Längerfristige Nachwirkungen, z.B. der AAO-Abspaltungen gibt es nicht mehr, sie sind heute von der Bildfläche verschwunden. Die indirekte Wirkung erfolgte über das soziale Feld aus WGs (Wohngemeinschaften) und Projekten, in denen nicht so radikal experimentiert wurde und deren Lebenskonzept nicht so stark ideologisiert war. Die ersten WGs, damals teilweise noch Kommunen genannt, entstanden schon 1968 / 1969. So berichteten mehrere Tageszeitungen 1969 über das Leben in einer der ersten Kommunen am Nestroyplatz (vgl. den Nachdruck eines Kurierartikels von Elfriede Hammerl in Danneberg et. al. 1998, S. 304ff). Es wurde zwar über “freie Sexualität” diskutiert und sie wurde auch gelebt, aber nicht so radikal wie z.B. in der AAO. Sexualität war selbstverständlicher als in späteren Phasen: Karin: [...] Da ging das Vögeln kreuz und quer los, ich weiß gar nicht, wie ich sie überlebt habe, diese Zeit ... (lacht) ... so wenig Ordnung. Aber andererseits dieses intensive Gefühl zu leben, das war auch wieder sehr schön. Sissi: Hatte das Herumvögeln in der Wohngemeinschaftsszene etwas Erotisches für dich? Karin: Ja, für mich hatte es das. Das war wirklich sexuelle Befreiung, ich meine, ich habe in diesen Beziehungen meine ganze sexuelle Empfindungsfähigkeit kennengelernt.[2] (Holzinger/ Spielhofer 1998, S.315) Um 1970 war die Szene noch so klein, daß alle sich gekannt haben, die in einer WG wohnten, bis 1977 hat sich das dann verbreitert und aufgesplittert. Erste Frauen-WGs gründeten sich, es entstanden WGs mit verschiedenen ideologischen Ansprüchen, teilweise in der Lebensführung, teilweise gespalten nach politischen Organisationen. Immer mehr entstanden auch nur als billige Form des Zusammenlebens (Zweck-WGs), sie gründeten sich, weil sich Studierende aus den Bundesländern zusammenschlossen oder weil sie die gleiche Studienrichtung hatten (ArchitekturstudentInnen, KunststudentInnen....). Heute sind WGs ohne ideologischen Anspruch eine Lebensform unter vielen, der Einfluß der typischen Kleinfamilie hat sich reduziert und nimmt weiter ab. Die damaligen Kindergärten waren hauptsächlich Aufbewahrungsanstalten für Kinder. Für die AktivistInnen um und nach 1968, besonders Frauen (aber auch Männer) mit Kindern, war es aus diesem Grund wichtig, eine andere Umgebung für die Kinder zu schaffen. Über die Kinderladenbewegung und antiautoritäre Erziehung wurde diskutiert, Bücher über Summerhill und auch andere Projekte gelesen. 1969 entstand im Kritischen Klub, in den Räumen des „Neuen Forum“ (die wichtigste Zeitung der damaligen Linken) das erste Kinderkollektiv als antiautoritärer Kindergarten, das aber bald wieder eingestellt wurde. Das zweite Kinderladenkollektiv wurde 1971 gegründet, hatte aber erst ab 1973 feste Räumlichkeiten, eine alte Konsumfiliale. An den Umgang mit Kindern wurden hohe Ansprüche gestellt, die Diskussionen und die Ansprüche scheiterten an der Überforderung der Erzieher – Ausgeflippte aller Bundesländer -, an den äußeren Bedingungen: Wir belebten Wohnungen und Abbruchhäuser, Abenteuerspielplätze und provisorische Unterkünfte aller Art (Holzinger 1991, S. 41). 1974 wurde der Kinderladen Tempelgasse gegründet, der aber nach zwei Jahren scheiterte, die Eltern resignierten und brachten ihre Kinder zum Großteil in Regelkindergärten unter. Ab 1976 entstanden dann mehrere Kindergruppen, die sich weniger an ideologischen Konzepten orientierten, sondern vor allem alternative Möglichkeiten zu den öffentlichen Einrichtungen suchten. Ab 1977 gab es gemeinsame Aktivitäten der Wiener Kindergruppen und 1978 wurde die „Wiener Elterninitiative“ gegründet, die versuchte, verstärkt auch Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben (Weber 1991, S.14ff). Damit war die Grundlage zur Ausbreitung der Kindergruppen gelegt (1981 gab es in Wien 14, 1983 26 und 1991 40, Fischer-Kowalski et.al. 1991, S. 18). Die Kindergruppen waren ein permanentes schlechtes Gewissen für die Regelkindergärten, deren Rigidität und Disziplin sich nicht allein wegen der Kindergruppen, aber auch, abgeschwächt hat. FeminismusAuch die Frauenbewegung entstand bereits zu einer Zeit, als noch die K-Gruppen dominierten. Die zentrale Organisation der autonomen Frauenbewegung in den 1970ern war auf jeden Fall die AUF (Aktion Unabhängiger Frauen), die informell am 4. November 1972 entstand und am 29. September 1973 offiziell als Verein konstituiert wurde. In Österreich gab es keine spektakuläre Gründungsaktion wie die Tomaten auf Männer des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) in Frankfurt am 13. September 1968 („Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen“). Von einzelnen Frauen und Männern wurden bereits damals die internationalen Entwicklungen rezipiert. Schon 1969 machten Frauen im VSM (Verband Sozialistischer Mittelschüler) ein Flugblatt gegen die eigenen Männer „Wir wollen nicht länger Tast- und Tapsobjekt flaumbärtiger Jungrevolutionäre sein!“ (Keller 1983, S. 122). Im Neuen Forum 212 vom August 1971 erschien ein Block über die internationale Frauenbewegung. Neben einem Artikel des unsäglichen Günther Nenning „Wir Männer sind Schweine“ wurde ein Text über die US-Frauenbewegung von Germaine Greer („Warum hassen uns die Männer?“) veröffentlicht, eine Antwort von Heidi Pataki auf Nenning und eine Zusammenfassung über feministische Literatur von Trautl Brandstaller. In der nächsten Nummer (213, Sept / Okt 1971) wurde versucht, eine Diskussion über den vaginalen und klitoralen Orgasmus auszulösen, allerdings mit dem Artikel eines Mannes, Norman Mailer, der die Dominanz des vaginalen Orgasmus in Frage stellte (die Diskussion in den USA war schon um einiges weiter): Vagina : Klitoris 1:0. Die Anerkennung des Klitoris-Orgasmus als Tatsache würde die Institution der Heterosexualität bedrohen. Auch die Feministin Ti-Grace Atkinson wird zitiert: Die große Mehrheit der Frauen, die vorgibt, einen Vaginal-Orgasmus zu haben, täuscht das nur vor, um den Job zu kriegen. Am Muttertag 1971 (7.Mai) kam es zu einer ersten (kleinen) Demonstration von linken FrauenrechtlerInnen aus dem FÖJ-Umfeld[3], die mit Pfannen und Kochlöffeln über die Mariahilferstraße zogen (Geiger/ Hacker 1989, S. 13). Die eigentliche Grundlage einer Struktur autonomer Frauen wurde in linken Organisationen[4] gelegt: 1969 hatte sich der „Arbeitskreis Emanzipation im Offensiv Links“ (FÖJ) zur „Demokratisierung der Beziehungen zwischen Mann und Frau“ gebildet – er löste sich Mitte 1972 auf. In der Jungen Generation der SPÖ gab es ab 1970 den AKE (Arbeitskreis „Emanzipation der Frau“), der sich mit Problemen der Kindererziehung und der Kindergärten beschäftigte, den Schwerpunkt seiner Arbeit aber in der Abschaffung des Abtreibungsparagraphen 144 sah (Geiger/ Hacker 1989, S. 13). Innerhalb der Linken bereitete es Schwierigkeiten, Frauenthemen durchzusetzen. Im März 1973 (Nr. 230/231) erschien das Neue Forum mit einem Schwerpunkt zur Frauenbewegung, wo neben Texten von internationalen Größen wie Germaine Greer, Angela Davis und Alice Schwarzer auch Beiträge aus Österreich, u.a. vom AKE zur Diskussion standen. (Einleitung: „Jede Zeile dieses Heftes, die sich mit der Frauenbewegung beschäftigt, wurde von Frauen, die sich im Dunstkreis des NF bewegen, erkämpft.“ S. 31) Auch ein zweiteiliger Artikel von Valie Export, „Womans Art“, wurde unter großen Schwierigkeiten durchgesetzt (Nr. 228, Januar 1973 und 230/231, März 1973). Eine Arbeitstagung des AKE im Herbst 1972 war für einige Frauen der Anstoß, eine parteiunabhängige Frauengruppe zu gründen. Im Oktober wurden erste Thesen verschickt und die Gründungsversammlung der AUF am 4. November erwies sich als überraschender Erfolg, statt der erwarteten 30 kamen über 50 Frauen. Es entstanden Arbeitsgruppen, jeden Montag wurde ein „Open House“ als Kontaktmöglichkeit für Interessierte im Café Alt-Wien abgehalten. Die Themen waren noch sehr stark von der „Neuen Linken“ beeinflußt („bürgerliche und proletarische Frauenbewegung“, „die Frau in sozialistischen Ländern“ oder „die Frau in China“). In den nächsten Jahren beteiligten sich die AUF-Frauen auch an allen Aktionseinheiten zur Unterstützung von internationalistischen Demonstrationen (zu Vietnam im Dezember 1972, gegen den Militärputsch in Chile im September 1973, zur Unterstützung politischer Gefangener im Iran im Dezember 1973, im April 1974 gegen Folter und Terror in Chile). Zu Beginn wurde noch diskutiert, ob Männer vollständig oder nur partiell ausgeschlossen werden sollten, die Entscheidung fiel dann eindeutig gegen die Männer, aber noch drückte sich eine Ambivalenz gegenüber der eigenen Radikalität aus. Viele Frauen, die in linken Organisationen unzufrieden waren, aber auch andere, konnten sich in einem Frauenzusammenhang erst einmal wohlfühlen, die Forderungen und Diskussionen waren aber noch durch die männlich dominierten linken Organisationen beeinflußt. Ab Herbst 1973 erschienen die „AUF-Mitteilungen“, ab Oktober 1974 die AUF als periodische Zeitung. Noch heute, nach beinahe dreißig Jahren, ist diese Zeitung ein wichtiges Organ der feministischen Bewegung. Zu Beginn war die Gruppe von linken Treffpunkten abhängig, nach langer Suche und nach schwierigen Instandsetzungsarbeiten wurde Anfang 1975 ein Frauenzentrum in der Tendlergasse im 9. Bezirk eröffnet (Geiger/ Hacker 1989, S. 15ff). Schon vorher, aber besonders für die nächsten zwei oder drei Jahre war die AUF die zentrale Institution und der Kristallisationspunkt des Feminismus in Wien und in Österreich. Die erste Phase der autonomen Frauenbewegung war mit dem Kampf gegen das Verbot der Abtreibung, gegen den § 144, verbunden. Die sozialistische Alleinregierung plante eine Liberalisierung, provozierte aber dadurch vielfältige Aktivitäten der Kirche und konservativer Kreise, insbesonders der „Aktion Leben“. Als sich im Oktober 1972 der Österreichische ÄrztInnenkongreß in eine Linie mit der „Aktion Leben“ stellte und sich gegen Abtreibungen aussprach, wurde eine Demonstration an einem langen Einkaufssamstag im Dezember organisiert. In diesem Zusammenhang thematisierte die AUF die Abtreibung auch als allgemeine Unterdrückung der Frauen und nicht nur beschränkt auf den Klassenaspekt (Riese 1989, S. 21). Die Frauen passten sich allerdings noch an die Vorgaben der linken Organisationen an. Das anstehende Bekenntnis zu einem negativen weiblichen Subjekt stand im Widerspruch mit dem Wunsch, von der Bevölkerung verstanden zu werden (Riese 1989, S. 23). Die Propagierung der Fristenlösung war für die nächsten zwei Jahre eine der bedeutendsten Aktivitäten, am 9. November 1973 wurde wieder eine Demonstration organisiert, Pressekonferenzen und Briefaktionen an Abgeordnete und ÄrztInnen wurden durchgeführt,. Auch gegen den Katholikentag im Oktober 1974 war es wieder die AUF, die eine Aktionseinheit zusammentrommelte. Kurz vor in Kraft treten des Gesetzes zur Fristenlösung am 1. Jänner 1975 organisierte die AUF eine Fahrt durch Wien, Niederösterreich und Burgenland, um über die Möglichkeiten zur Abtreibung zu informieren (Riese 1989, S. 26). Die davon am meisten profitierende SPÖ hat die AUF zu dieser Zeit als zu feministisch betrachtet, Unterstützung hat es nie gegeben[5]. 1975 und 1976 änderte sich die Art der Herangehensweise der AUF, es kam zu dem, was damals Politik der ersten Person genannt wurde. Die Wende kristallisierte sich (sicher nicht zufällig) um die Frage der Sexualität: Im März 1975 war das Thema eines Plenums der „Mythos vom vaginalen Orgasmus“. Einige Frauen erarbeiteten in diesem Frühjahr eine Broschüre „Wissen wir Frauen alles über unsere Sexualität?“, wo der klitorale Orgasmus als revolutionäre Entdeckung präsentiert wurde. Noch gab es ein Zögern, und vom damaligen Vorstand wurde die Verteilung dieser Broschüre am 1. Mai 1975 verhindert[6]. In diesem Jahr fand die AUF zu einer Bejahung des Feminismus, zum Prinzip der Selbsterfahrung, zur ideologischen Affirmation von Männerfeindlichkeit und feministischer Radikalität (Geiger/ Hacker 1989, S. 37). Selbsterfahrung wurde zu einem wichtigen feministischen Prinzip, jede Frau war von den großen Themen „betroffen“: Abtreibung, Verhütung, Erziehung, Gewalt gegen Frauen, Hausarbeit... (Geiger/ Hacker 1989, S. 36ff). Eine neue Generation von Frauen wurde angesprochen und das Auftreten veränderte sich. Ab jetzt gab es am 1. Mai ein eigenes Flugblatt und einen Frauenblock, der nicht nur Transparente mit Forderungen enthielt, sondern allein durch sein Auftreten ein Manifest war: buntes Erscheinungsbild, selbstbewußte Frauen, Männer mußten draußen bleiben. Auch neue Demonstrationstermine, wie z.B. die Walpurgisnachtdemo am Abend des 30. April kamen dazu – als Zeichen, daß Frauen keine Angst mehr haben und sich die Nacht erobern („Die Nacht gehört uns, die Hexen sind zurück“). Das Verständnis für Männer hatte seine Wichtigkeit verloren, allein die Negation genügte und damit die Bejahung der Weiblichkeit[7]. Frauenfeste bekamen eine entscheidende Bedeutung (auch die Teilnahme an Demonstrationen hatte immer auch Performance- und Festcharakter), das erste große öffentliche Frauenfest fand am 30. April 1976 im Palais Liechtenstein statt, nachdem es zu Konflikten mit den VeranstalterInnen einer Frauenwoche im Z-Club (damals ein Ort, wo viele fortschrittliche Veranstaltungen stattfanden) gekommen war: obwohl die AUF maßgeblich an der Organisation beteiligt war, wurde sie nicht erwähnt, außerdem weigerten sie sich, den Ausschluß von Männern von einzelnen Veranstaltungen und vom Fest mit den Musikerinnen „Flying Lesbians“ zu akzeptieren. Das Frauenfest wurde in den Club Links verlegt, aber auch dort gab es Probleme mit Männern. Das erste Fest ohne Abhängigkeit von (männlichen) Organisationen im Palais Liechtenstein war ein voller Erfolg, von da an wurden immer wieder solche Feste durchgeführt. Einer der spektakulärsten Höhepunkte der autonomen Frauenbewegung in Wien war das Frauenfest im Haus der Begegnung im 6. Bezirk am 14. April 1978. Die Überfüllung der Räume führte dazu, daß einige hundert Frauen draußen bleiben mußten. Ein Teil der Wartenden stürmte die Polizeisperren. Weil andere noch immer draußen waren, wurde das zum Anlaß genommen, eine spontane, nächtliche Demo über die Mariahilfer Straße zum „Moulin Rouge“ durchzuführen (Geiger/ Hacker 1989, S. 91ff). Die Stärke des Feminismus in dieser Zeit kam auch von der Sichtbarkeit, das drückte sich teilweise in der Kleidung aus, es wurden Parolen und Frauenzeichen gesprüht und es war auch die Zeit vielfältiger Aktionen: gegen Sexshops, gegen sexistische Plakate, gegen AbtreibungsgegnerInnen etc. Eine der legendärsten Aktionen von Teilen der autonomen Frauenbewegung der 1970er Jahre war die Aktion gegen Harald Irnberger, den Herausgeber des linksliberalen Extrablatts. Nachdem die Weihnachtsnummer 1978 mit einer nackten Frau am Titelblatt erschien, entschlossen sich einige Frauen, einen Termin bei Irnberger wahrzunehmen, ihn dann auszuziehen und zu fotografieren: Das Ende der Aktion: Irnberger als Pinup-Boy. Viele Frauen waren begeistert und es gab Gerüchte, daß sich andere Journalistenmänner vor ähnlichen Aktionen fürchteten. Ein Foto von ihm erschien u.a. in der bundesdeutschen feministischen Zeitung „Emma“. (Geiger/ Hacker 1989, S. 86ff). Mit der Stärke der Bewegung nahmen auch die internen Auseinandersetzungen zu, die es ja eigentlich immer gegeben hat, in der Gruppe gab es Auseinandersetzungen zwischen Müttern und Nicht-Müttern, zwischen Lesben und Heterofrauen, zwischen Checkerinnen und ihren Kritikerinnen. Aber auch um die Entstehung von Projekten wie der Frauenbuchhandlung und dem Frauencafé wurde diskutiert, den Aktivistinnen wurden kommerzielle Interessen unterstellt. Ein erster österreichweiter „Frauenkongreß der autonomen Frauenbewegung“ im Mai 1977 mit einigen hundert Teilnehmerinnen endete mit heftigen Konflikten und Diskussionen. Die „Konferenz der Wiener Frauenbewegung“ im Juli des nächsten Jahres wurde nur noch von 80 Frauen besucht (Geiger/ Hacker 1989, S. 90). Es entstanden „konkurrierende“ Initiativen zur AUF wie z.B. die für ein Frauenkommunikationszentrum. Ab 1977 gab sich die AUF eine neue dezentralisierte Struktur, um Spaltungen vorzubeugen und Konflikte zu vermeiden (Geiger/ Hacker 1989, S. 68) Das war bereits der Ansatzpunkt zur Vervielfältigung der Aktivitäten. Viele Frauen, die sich jetzt aktivierten, ließen sich gar nicht mehr organisatorisch einbeziehen, sondern wollten hauptsächlich in ihren Zusammenhängen (auch radikal-feministisch) leben. Mit der Dezentralisierung war die Grundlage für eine Vielfalt von Frauenprojekten, aber auch für Frauenradikalität der 1980er Jahre gelegt[8]. ZwentendorfDie breiteste Bewegung der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war die gegen das Atomkraftwerk (AKW) Zwentendorf, sowohl was die Beteiligung betrifft, wie auch in ihrer Wirkung auf die Gesellschaft und die Eliten in Östereich. Der Widerstand gegen AKWs begann lokal, bevor er u.a. durch die Linke österreichweit und international wurde. Gerade in der Region um Zwentendorf war der Widerstand gegen das geplante AKW minimal. 1970 wurde eine Sternfahrt organisiert, initiiert von WissenschaftlerInnen und UmweltschützerInnen, an der an die 200 Personen teilnahmen. Bei den Bauverhandlungen 1972 in Zwentendorf gab es den Protest einer Einzelperson mit Vollmachten von einigen hundert AnrainerInnen, die von der Stapo aus dem dortigen Saal gewiesen wurde. Dagegen gab es in Vorarlberg zwischen 1973 und 1975 massive Aktivitäten gegen ein geplantes grenznahes AKW in der Schweiz (Rüthi), wobei ein Höhepunkt eine Demonstration mit 20.000 TeilnehmerInnen in Feldkirch war. 1975 gab die Schweizer Regierung die entsprechenden Pläne auf (Brandstätter et. al. 1984, S.159ff). War bisher der Protest konservativ, „lebensschützerisch“ und teilweise rechtsextrem geprägt, so änderte sich das mit dem Beginn der Planung eines AKW bei St. Pantaleon unweit von Linz. 1974 wurde die „Bürgerinitiative gegen Atomgefahren“ gegründet und bereits im selben Jahr begann sich der Kommunistische Bund (KB - MaoistInnen) Linz an der Bewegung zu beteiligen. 1975 wurde der Bauplatz des AKW Wyhl in Baden-Württemberg besetzt, diese Bewegung erreichte einen Baustopp und motivierte die Öko-AktivistInnen in Österreich. Am 22. April 1975 kam es in Linz zu einer teilweise vom Fernsehen übertragenen Diskussion mit Bundeskanzler Kreisky über Atomkraft, die als argumentativer Sieg der AKW-GegnerInnen gesehen wurde. In Salzburg wurde der Arbeitskreis Ökologie gegründet, in Wien der Arbeitskreis Atomenergie, 1976 und 1977 folgten ähnliche Gruppen in Graz, Innsbruck, Linz und Klagenfurt (Svoboda 1998, S. 143ff). Die Regierung kündigte eine Aufklärungskampagne über Atomkraft an und förderte so den Zusammenschluß der rechten und linken AKW-GegnerInnen. So wurden am 17. Mai 1976 in Enns die IÖAG (Initiative Österreichischer Atomkraftwerksgegner) gegründet. Von Oktober 1976 bis März 1977 fanden die „Informationsveranstaltungen“ der Regierung in vielen österreichischen Städten statt, immer begleitet von lautstarken Protesten der GegnerInnen, die durch diese Aktivitäten starken Zulauf bekamen. Eine letzte Veranstaltung am 24. März 1977 in Wien wurde aus Angst vor Ausschreitungen abgesagt (3000 DemonstrantInnen gab es an diesem Tag allein in Wien, 4500 in ganz Österreich)[9]. Als Höhepunkt wurde von der IÖAG am 12. Juni 1977 eine Sternfahrt nach Zwentendorf organisert, die die Bedeutung der Anti-AKW-Bewegung für Österreich sichtbar machte (Svoboda 1998, S. 150ff). Am 25. Juni demonstrierten dann noch 3000 WaldviertlerInnen gegen den geplanten Standort einer Atommülllagerstätte. Schon die Demonstrationen am 24. März und am 12. Juni waren von den Spontis kritisiert worden, als zu wenig bunt und auch zu brav. Auch der OrdnerInnendienst des KB wurde als lästig empfunden (auch wenn er nicht wirklich funktionierte), die Demonstrationen in Zwentendorf wurden in Spontizeitungen mit einem Fronleichnamszug verglichen. Am 26. Oktober 1977 meinte Bundeskanzler Bruno Kreisky, er müsste mit den AKW-GegnerInnen nicht reden, weil sie nur „Lausbuben und Baader-Meinhof-SympathisantInnen“ seien (Svoboda 1998, S. 152). Außerdem wurde von DemonstrantInnen durch das Niedersetzen auf der Straße der Abtransport eines Festgenommnen verhindert. Daraufhin begannen sich die bürgerlichen und rechten AKW-GegnerInnen von der KB-dominierten IÖAG abzusetzen, sie wollten mit „Linksradikalen“ nichts mehr zu tun haben, obwohl gerade auch der KB gegen diese spontaneistischen Aktionen war. Ab diesem Zeitpunkt zersplitterte die Anti-AKW-Bewegung. Der Unmut gegenüber der vom KB dominierten IÖAG kam von zwei Seiten, die nicht miteinander konnten. Während der KB immerhin das Volk beschwören konnte, und damit eher mit den „Bürgerlichen“ konnte, hatten GRM, FÖJ und Unorganisierte aus dem Umfeld der Spontis größere Probleme mit diesen. Die „Rechten“ aber wollten gerade mit dem KB nicht und griffen ihn an. Zugleich schwankte auch die Position der MaoistInnen über den Charakter der IÖAG, als eher offene Plattform oder als „Massenorganisation“ der eigenen Gruppierung. Gerade in dieser Situation blieb aber der gut organisierte KB handlungsfähig. Es war bezeichnenderweise der „Klassenkampf“, die Zeitung des KB, der im Jänner 1978 die geheime Anlieferung der Brennstäbe aufdeckte und Demonstrationen in Zwentendorf und am Flughafen Hörsching organisierte. Sie mussten mit dem Hubschrauber eingeflogen werden (Svoboda 1998, S. 153, Brandstätter et. al.1984, S. 176). Bei einer Demonstration nach einem Fest im Prater am 9.April 1978 in Wien kam es zu Auseinandersetzungen zwischen bunten DemonstrantInnen und KB-OrdnerInnen („das ist ja kein Maskenball“ – ZB Nr.20, S. 16ff). Das karnevaleske Auftreten eines Teils der DemonstrantInnen zeigte das Auftreten eines neuen Subjekts des politischen Spektrums in Wien (teilweise auch in den Bundesländern). Am 22. Juni 1978 kündigte Kreisky eine Volksabstimmung über Zwentendorf an. Das vereinigte wieder alle AKW-GegenerInnen. Überall entstanden „Stimmt-Nein“-Initiativen, die bestehenden Organisationen wie die IÖAG waren hauptsächlich LieferantInnen von Agitationsmaterial. Es gibt Einschätzungen, daß sich bis zu 500.000 Menschen in dieser Kampagne aktiviert hatten (Brandstätter et. al. 1984, S. 168). Diese Aktivitäten waren die Grundlage für eine Verbreiterung eines zumindest diffus ökologischen Bewußtseins, das in den nächsten Jahren bis in die herrschenden Eliten dominierend werden sollte – wobei das emanzipatorische Element auf das Ökologische beschränkt blieb. Die Volksabstimmung endete mit einem knappen Nein (50,47%). Dafür gibt es meherer Gründe: 1. Durch die vielfältige Aktivität von unten konnten die GegenerInnen ziemlich stark mobilisiert werden, während die finanziell, wirtschaftlich und politisch dominierenden Kräfte mit ihren Hochglanzbroschüren die BefürworterInnen nicht in die Wahllokale locken konnten. 2. Um Kreisky zu schaden, rief die ÖVP dazu auf, mit Nein zu stimmen, obwohl die industriellen BefürworterInnen von AKWs in ihren Reihen waren. 3. Die AtomgegnerInnen in der SPÖ, besonders die Jugendorganisationen bewirkten, daß besonders die intellektuellen und akademischen UnterstützerInnen der SPÖ mit Nein stimmten[10]. Spontis[11]Ab 1976 änderte sich das Klima in der linken Szene, die Kaderorganisationen dominierten zwar noch immer das Erscheinungsbild, aber an den Universitäten gewannen Basis- und/oder Institutsgruppen an Bedeutung. Immer mehr Einzelpersonen verstanden sich als links, wollten sich aber nicht einer Organisation zugeordnet sehen. Sie wollten sich als undogmatische Linke sehen oder sie waren „unpolitisch“, nur an den Interessen der Studierenden am Institut orientiert. Aus bestehenden Projekten entstand 1976 die Zeitung „Springinkal – Zentralorgan der umherstreunenden Linken“, sie sollte kein Instrument zur Verteilung von irgendwelchen Nachrichten sein, sondern die Kommunikation innerhalb der Linken ermöglichen (Springinkal Nr 1, März 1976, Editorial). Es wurde nicht mehr davon ausgegangen, daß die AktivistInnen eine Elite seien, die den „Massen“ erklären, was für sie gut ist, oder die ihre Version eines Ereignisses als revolutionären Fortschritt anpreisen, sondern es sollte über die eigenen individuellen Schwierigkeiten in WGs, Uni, Fabrik berichtet werden. Die Beiträge in der ersten Nummer zeigen das Spektrum, das sprach und angesprochen werden sollte: die „Fabrik“, ein Alternativprojekt, das anders arbeiten wollte als in der kapitalistischen Gesellschaft, die SchwarzfahrerInnen, die Tipps für die „Erschleichung einer Leistung“ gaben („Fahr dich frei und spar dabei“), die Feministinnen der AUF, die ihr Konzept und ihre Arbeitsgrupen vorstellten, die Amerlinghausleute, die über die Besetzung 1975 und über ihre Vorstellungen berichteten, die Werkstatt für kreative Kommunikation, die Alternativen zur Musikpädagogik anbot, die Schwulen – eine revoltierende Gemischtwarenhandlung (Springinkal 1, März 1976, Nr. 4, Juni 1977)[12]. Die Spontis lehnten in Abgrenzung von den MaoistInnen und TrotzkistInnen hierarchische Strukturen ab, was bis hin zur gänzlichen Ablehnung jeder Organisation ging. Außerdem stellten sie die eigene Subjektivität ins Zentrum: Wir wollen alles und das sofort. In der Anfangsphase gab es auch keinen wirklichen Unterschied zwischen einer Alternativbewegung, die an anders organisierte Betriebe innerhalb des Systems (die Arbeit sollte „bunt statt grau“ sein) dachte und in WGs lebte und einer radikalen Ablehnung des Kapitalismus. Später kam dann auch die Kritik an den Illusionen der Alternativen dazu, es wurde auch gesehen, daß die Dynamik des Kapitalismus keinen autonomen Weg, keine ökonomische Nische außerhalb zuläßt. Der Beginn der Schwulenbewegung in Wien war in Teilbereichen mit der Spontibewegung verbunden, wie eine große Anzahl von Artikeln in den Zeitungen Springinkal und ZB zeigen. Bis zur kleinen Strafrechtsreform 1971 war Homosexualität in Österreich strafbar, als Zugeständnis gegenüber der katholischen Kirche blieben dafür die Paragraphen 209: Schutzalter für männliche Homosexuelle ist bei 18 Jahren, bei heterosexuellen Kontakten beträgt es 14 Jahre, 210: Verbot der gleichgeschlechtlichen Prostitution, 220: Werbeverbot für Homosexualität, 221: Vereinigungsverbot für Homosexuelle. Die Liberalisierung der Sexualität und die internationalen Entwicklungen erlaubten schon in den 1970er Jahren ein leichteres (Über)Leben der Homosexuellen. Die politische Emanzipation war aber mit der Gruppe Coming Out (CO) verbunden, die im Winter 1975 gegründet wurde (das folgende nach Handl 1989, S. 120ff und Rudi Katzer: Subkultur verdirbt die Buben nur in den Lambda-Nachrichten 3/1984, S. 29ff). Bis 1978 wurde ein Informationsblatt herausgebracht. Es gab Arbeitsgruppen (Politdiskussion, Selbsterfahrungsgruppe, Paragraphengruppe) und einen in der ersten Zeit wechselnden regelmäßigen Treffpunkt. Höhepunkte waren die Einladungen der schwulen Theatergruppen Brühwarm aus Hamburg und Hot Peaches aus New York. Zum Pfingsttreffen 1977 kamen 150 BesucherInnen ins Treibhaus nach Wien, damals noch eine WG in einer Villa am Stadtrand von Wien[13] (neben Arbeitsgruppen gab es Kultur, Feste und Spaß). Als Abschluß zogen 200 Schwule teilweise im Fummel durch die Innenstadt. Ab Frühjahr 1977 hatte CO ein Lokal in der Krummgasse, wo es einen regelmäßigen nicht kommerziellen Clubbetrieb gab. 1978 kam es zur Spaltung, die „politischen Schwulen“ zogen ins Treibhaus in der Margaretenstraße, die, die mehr auf Geselligkeit beharrten, blieben in der Krummgasse, mußten aber auch bald aufgeben. Ergänzend muß noch gesagt werden, daß es Mitte der 1970er in kulturellen, intellektuellen und politisch linken Kreisen fast ein bißchen Mode war, homo- oder bisexuell zu sein, oder sich so zu geben (siehe ein sich beklagender Text unter dem Titel „Kaputt in Wien“ in der Arena-Zeitung Nr. 11, Oktober 1977: immer noch heterosexuell, trotz der „linken Mode“). Zur gleichen Zeit war auch die Mode relativ androgyn und gerade der Glamorrock, aber auch Soul und Disco (von Linken als Kommerz abgelehnt) wurden teilweise von Schwulen gemacht, was bis in die Breitenkultur ausstrahlte. Das erleichterte das Leben der „echten“ Schwulen in der (auch in Wien) zunehmenden Subkultur. In dieser Zeit gab es auch ein „Phänomen“, das später nur mehr marginal auftauchte, eine (heterosexuelle) Männerbewegung. Der Druck durch die Frauenbewegung zwang die Männer, sich mit ihrem Rollenverständnis auseinanderzusetzen. Es wurde versucht, die eigenen weiblichen (oder auch homosexuellen) Elemente zu entdecken. So gab es 1978 im Treibhaus ein „Männerfest“[14]. In der späteren Szene der 1980er wurde das private Leben wieder ins Private verbannt, die Auseinandersetzungen fanden innerhalb der Beziehungen statt. Mann in der Szene übernahm die feministischen Parolen und ersparte sich die Auseinandersetzung – was noch jetzt dazu führt, daß sich Frauen stärker verändert haben, selbstbewußter und stärker sind. Den Männern genügt es, sich an bestimmte äußerliche Codes und Normen zu halten, während die Machtverhältnisse gleich geblieben sind. Eine Bewegung vor der Arena-Besetzung, die nicht mehr nur im politischen Rahmen ablief, sondern verschiedene Ebenen einbezog (Stadtteilarbeit, Arbeit mit Jugendlichen und Kindern), war die Besetzung des Amerlinghauses. Am Beginn stand eine Gruppe von ArchitektInnen und KünstlerInnen, die sich gegen die Kaputtsanierung des Spittelbergviertels mit seinen alten Biedermeierhäusern aussprachen (das folgende nach Springinkal Nr. 1, März 1976, sowie ZB Nr. 15, 16/17, 18, Jänner bis März 1978). Denen schlossen sich einige Leute an, die Interesse an einem selbstverwalteten Kommunikationszentrum für den Bezirk hatten. Im Sommer 1975 wurde das Haus in der Stiftgasse für ein 4-Tage-Fest freigegeben, wo Unterschriften für ein Kommunikationszentrum gesammelt wurden. Anschließend wurde das Haus besetzt und ein „Demonstrationsbetrieb“ aufgenommen. Benutzt wurde das Haus den Sommer über hauptsächlich von Kindern der näheren Umgebung und Jugendlichen aus anderen Bezirken, viele von ihnen aus migrantischen Familien. Menschen aus der „Szene“ kamen nur zu größeren Veranstaltungen, aber oft auch zu den Plenas, um die PraktikerInnen, die gratis die Betreuungsarbeit mit den Kindern und Jugendlichen machten, zu kritisieren. Die Gemeinde Wien sagte eine Sanierung zu und Anfang Oktober schlossen die BesetzerInnen das Haus mit gemischten Gefühlen, weil sie etwas aufgaben, aber die Arbeit sehr aufreibend war und eine Pause Zeit zur Reflexion bot. Die Gruppe wurde ohne Haus weitergeführt, es wurden regelmäßige Spielaktionen mit den Kindern aus dem Bezirk gemacht, außerdem einige Straßenfeste, um weiter auf sich aufmerksam zu machen. Zur Eröffnung am 1. April 1978 waren nur wenige AktivistInnen übrig geblieben. Das Amerlinghaus wird von der Gemeinde Wien finanziert, die Nutzungsbedingungen sind dabei ein kompliziertes Konstrukt, ein Teil der Räume wird außerdem vom Bezirksmuseum belegt. Diese Situation war ein Grund, warum das Haus die Bewegung verloren hatte (Reinprecht 1984, S.85), was später noch zu Konflikten führte. Nach der Arena gab es viele andere Initiativen, für dieses Kommunikationszentrum interessierte sich vorerst kaum jemand. War das Amerlinghaus ursprünglich als Kommunikationszentrum in einem proletarischem und migrantischem Stadtteil gedacht, so hat sich das Projekt ganz anders entwickelt. Es ist noch jetzt ein linkes Zentrum und ein wichtiger Treffpunkt, aber in einer ganz anderen Umgebung. Ein Großteil des Spittelbergs wurde renoviert (nicht abgerissen, wie befürchtet). Dieses Viertel kann als Beispiel für Gentrifizierung gesehen werden, die dort lebende und arbeitende Bevölkerung ist heute eine andere, nicht mehr migrantische ArbeiterInnen, sondern die teilweise besser gestellte Klientel der Grünen, von links bis liberal. ArenaWährend die Besetzung des Amerlinghauses nur lokale Bedeutung hatte, konzentrierten sich im Sommer 1976 die Bewegungen in der Besetzung der Arena im Auslandsschlachthof St. Marx, an der Grenze zwischen Erdberg und Simmering. Für eine kurze Zeit fielen alle Elemente der Subversion zusammen, um sich dann wieder zu differenzieren: Subkultur und KünstlerInnen, Studierende und entflohene Heimzöglinge, politische eggheads (KB, GRM, IKL & Co) und subkulturelle KifferInnen, die Feministinnen, die Soldatenbewegung, Kinder, KonsumentInnen und AktivistInnen... Die Vielfalt gab es schon vorher, aber diese drei Monate beschleunigten viele Entwicklungen. Initiativen für Jugend- und Kulturzentren gab es mehrere, das Amerlinghaus wurde schon erwähnt, eine Initiative kämpfte für ein Jugendzentrum im Flakturm im Augarten. Und im Februar 1975 besetzten Jugendliche ein Haus an der Ecke Simmeringer Hauptstraße / Gottschalkgasse, nachdem sie aus einem Kellerlokal geworfen wurden. Nach zehn Tagen wurde das Haus abgerissen, die Jugendlichen standen wieder auf der Straße (Wien wirklich 1983, S. 142). Die Veranstaltungsreihe „Arena“ war als junge Alternative zu den Wiener Festwochen gedacht, die 1970 und 1972 im Museum des 20. Jahrhunderts stattgefand, 1974 im Theater im Künstlerhaus. Es hat auch autonome Gegenveranstaltungen linker KünstlerInnen gegeben wie 1970 die Arena 70/II im adaptierten Striplokal Casanova (Keller 1983, S. 101). 1975 war die Festwochenarena das erstemal im Schlachthof. Nach der Festwochenarena 1976 sollten die Gebäude abgerissen und statt dessen ein mehrstöckiges Textilzentrum errichtet werden. Am 20. Juni verteilte eine Gruppe ArchitekturstudentInnen ein Flugblatt mit der Parole „Der Schlachthof darf nicht sterben.“ In einer Absprache mit den Musikgruppen „Schmetterlinge“ und „Keif“ wurde ausgemacht, daß sie am Ende der Festwochen möglichst viele Menschen über den Abbruch informieren wollten (Langer 1983, S. 16ff). Am 27. Juni 1976 fand am Wiener Naschmarkt das „Anti-Schleiferfest“ gegen Schikanen beim Bundesheer statt. Im Anschluß daran riefen die „Schmetterlinge“ und „Keif“ dazu auf, ein Abschlußfest im Schlachthof St. Marx zu feiern. Um 21 Uhr waren schon viele Menschen auf der Wiese vor der Arena anwesend, die Polizei hatte das Gelände abgeriegelt, es wurden Unterschriften gesammelt. Etwa 700 Menschen diskutierten, was zu unternehmen sei. Als jemand mitteilte, daß eine Tür offen sei, verlagerte sich das Geschehen nach innen, die Forderungen der ArchitektInnen wurden um die Forderung nach Selbstverwaltung erweitert (Steiner 1998, S. 140ff): 1. Der Schlachthof St. Marx darf nicht abgerissen werden, 2. das gesamte Gelände muß als Kultur- und Kommunikationszentrum das ganze Jahr offen sein, 3. Selbstverwaltung: alle, die mittun, bestimmen gemeinsam, was in der Arena geschieht, 4. die Gemeinde Wien soll zur Unterstützung der Aktivitäten die Betriebskosten zahlen (Langer 1983, S. 23). Die Polizei versuchte einen der ArchitektInnen verantwortlich zu machen, worauf die Versammlung mit „Verantwortlich sind wir alle“ antwortete. In der Nacht bröckelten die BesucherInnen ab, für den nächsten Tag, den 28. Juni wurde eine Pressekonferenz einberufen und die BesetzerInnen wurden wieder mehr. Ein Konzert wurde für den Dienstag, den 29. Juni angekündigt, zuerst wurde es von der Polizei untersagt, aber nach langen Verhandlungen durfte die Veranstaltung mit 2000 BesucherInnen durchgeführt werden. Bis zum ersten Wochenende fanden zahlreiche Veranstaltungen statt, von Dichterlesungen bis zu Musik und Theater. Obwohl (oder gerade weil?) es keine Verhandlungen gab, wurde zugesagt, Strom und Wasser vorerst nicht abzudrehen. Die Veranstaltungen am 3. Juli und 4. Juli waren ein voller Erfolg, es waren einige Tausend BesucherInnen anwesend (die Angaben schwanken zwischen 8000 und 12000), um Mitternacht kam Leonhard Cohen nach seinem Auftritt im Konzerthaus in die Arena. Auch der Psychologe Peter Brückner, der gerade auf Einladung der FÖJ zu Besuch war, sprach an diesem Wochenende zu den Versammelten (Langer 1983, S. 24ff). Das Besondere an der Arena war, daß es sich nicht ein Gebäude handelte, sondern eine Reihe unterschiedlicher Bauten auf einer Gesamtfläche von 70.000m2, von einer Mauer umgeben. Trotz der Räumungsangst in den ersten Tagen konnte sich ein riesiges Potential an Kreativität und Einfallsreichtum austoben, eine Reihe von Räumlichkeiten wurden für verschiedene Funktionen adaptiert (Langer 1983, S. 29). So entstanden mit der Zeit neben den Veranstaltungssälen (Theaterhalle, Video und Dia, Diskothek, große Halle, die Rote Halle der KPÖ) das Haus Simmering für die Jugendlichen aus der Umgebung, mehrere Cafés (Café „Schweinestall“, Teehaus, Literatencafé), eine Galerie, ein Soldatenhaus, wo es Rechtsberatung für die Soldatenkomitees gab, ein Frauen- und ein Kinderhaus. Die Organisation lief über ein gewähltes Komitee (lauter Männer mit einer Alibifrau – AUF Nr. 8, S. 24), durch das sich aber – wie denn auch anders – soziale und intellektuelle Trennungen (Kopf und Handarbeit) ausdrückten, es wurden die gewählt, die das Maul am weitesten aufrissen. Es gab die Macher, aber sie wurden auch kritisiert, nicht umsonst dauerten Organisationsdebatten stundenlang. Ansatzweise wurde auch versucht, die Trennung zwischen künstlerischer Produktion und den KonsumentInnen aufzuheben. Aber es blieben eine bestimmte Anzahl von BesetzerInnen im Gegensatz zu sehr vielen BesucherInnen. Frauen versuchten sich zu organisieren und stießen auf große Probleme (vgl. AUF Nr 8, S. 20ff): Da war der unverhohlene Sexismus, der u.a. aus dem Frauenhaus ein „Freudenhaus“ machen wollte und von der Mehrheit der BesetzerInnen nicht oder nur widerwillig kritisiert und bekämpft wurde. Als einzig positives Erlebnis wird in den AUF-Artikeln erwähnt, daß sich doch einige Männer für die Betreuung der Kinder zu interessieren begannen. Sonst war wie immer alles an den Frauen hängengeblieben. Die wenigen aktiven Feministinnen fühlten sich isoliert und suchten Unterstützung. Hinzuzufügen ist noch, daß die negativen Berichte über ihre Situation als Frauen und Feministinnen aus den ersten Wochen stammten, wo noch nicht soviel Resignation und Probleme aufgetaucht waren. So ist es nicht verwunderlich, daß diese Arena-Erfahrungen mit ein Grund waren, den Feminismus zu radikalisieren. Im Herbst gründeten die Arena-Frauen eine Radikalengruppe, die eine radikal-feministische Alltagspraxis umsetzen wollte (Geiger/ Hacker 1989, S. 59). Anfangs konnten durch die Spenden bei den Veranstaltungen am Wochenende[15] ein großer Teil der Besetzungskosten gedeckt werden. Mit der Dauer der Besetzung nahmen die Probleme zu, Anfang August kam es zum Zusammenbruch der Küche, Geld fehlte, Gratisessen gab es ab da nur noch für Personen, die auf dem Gelände auch arbeiteten. Immer mehr der kreativen BesetzerInnen blieben weg, die Problemfälle, deren Existenz an der Arena hing, blieben. Interne Konflikte nahmen zu. Schon von Beginn an wurden von den Medien teilweise die hygienischen Bedingungen kritisiert, ein (angeblicher) Fall von Krätze wurde ausgeschlachtet. Es gab immer wieder Diskussionen über die Kompetenzverteilung zwischen Plenas und dem Komitee. Als Ergänzung wurde ein Arbeitsgruppenrat mit Delegierten aus den Arbeitsgruppen gewählt[16]. Die Gemeinde Wien verstärkte Mitte August den Druck, so verlangte sie jetzt von den auftretenden MusikerInnen die Bezahlung von Getränke- und Vergnügungssteuer. Die Gemeinde verlangte eine verbindliche Rechtsform (einen Verein) für die Arena, die Opponenten beharrten aber auf dem Komitee als verhandlungsbevollmächtigten Gremium. Am 9. und am 10. September kam es zu Naziüberfällen. Mit dem ebenfalls Anfang September erfolgtem Angebot eines Ersatzgebäudes, des Inlandschlachthofes, verstärkte sich auch der Druck durch die Polizei, immer wieder gab es Razzien. Die aktive Solidarität der zehntausenden UnterschreiberInnen und BesucherInnen hielt sich in Grenzen, für die meisten bedeutete die Arena doch nicht mehr als eine kreative Konsummöglichkeit. Am 19. September wurde Strom und Wasser abgedreht, am 27. September beschloß der Gemeinderat den Verkauf des Auslandschlachthofes,. Die Diskussionen bei den Plenas kamen zu widersprüchlichen Entscheidungen, je nachdem, wer gerade mehr Leute mobilisieren konnte – Übersiedlung in den Inlandsschlachthof oder Verteidigung. Am 6. Oktober gab es noch eine lange Demonstration durch die Stadt[17]. Am selben Abend beschloß das Plenum die freiwillige Räumung, der Inlandsschlachthof sollte aber nicht angenommen werden, weil die Gruppe zu zerrüttet war. Am 9. Oktober gab es noch ein Fest und am 12. Oktober begann der Abriß, Arena-Vollversammlungen wurden ab jetzt im Porrhaus abgehalten. In einer letzten theatralischen Demonstration wurde am 22. Oktober mit schwarzdrapierten Fiakern, Blasmusik und Klageweibern die Wiener Kulturpolitik zu Grabe getragen (Langer 1983). Während die BesetzerInnenbewegung darniederlag – die PolitaktivistInnen fanden andere Aktivitäten, besonders in der aufkommenden Anti-AKW-Bewegung, andere zogen sich in WGs zurück - bemühte sich ab 1977 eine kleine Gruppe von InteressentInnen um die Nutzung des Inlandschlachthofes und gründete den Verein „Forum Wien Arena“. Am 23. März kam es nach einer Begehung des Geländes zu einer, allerdings schnell wieder geräumten Besetzung (ZB Nr. 5). Zum Fackelzug der JungsozialistInnen am 30. April 1977 wurde unter Applaus ein Arena-Transparent entfaltet, im Juli 1977 traten einige AktivistInnen in einen Hungerstreik und ab 29.Juli 1977 blieben sie in einem halblegalem Zustand in den Räumlichkeiten (Arenazeitung Nr. 15, April 1978). Anfangs zeichnete sich die Situation durch Unsicherheit, interne Streitereien und soziale Probleme aus, trotz der prekären Situation konsolidierte sich die Situation und wurde ab 1980 unter Druck einer „neuen“ Jugendbewegung legalisiert (Wien wirklich 1983, S. 145). Trotz des tristen Endes hatte die Arena eine gewaltige Ausstrahlung, zehntausende hatten sie besucht, besonders an den Wochenenden kamen auch viele BesucherInnen aus den Bundesländern und konnten in eine relativ befreite Atmosphäre hineinschnuppern – für Außenstehende erschienen die Probleme untergeordnet. Hunderttausende hatten die Auseinandersetzungen über die Medien mit Sympathie beobachtet und praktisch die gesamte Öffentlichkeit in Österreich hat mitgekriegt, daß etwas abgeht. Das bestärkte kleine Gruppen von AktivistInnen und brachte neue UnterstützerInnen. So gab es in vielen Kleinstädten Initiativen für Jugendzentren oder für alternative Kultur: in Bregenz für den Erhalt der Randspiele als Ergänzung zu den Bregenzer Festspielen, in Schwaz (Tirol) kämpfte im Sommer 1977 eine Initiative für ein Jugendzentrum, in Mödling (Niederösterreich) gab es kurzfristig ein Jugendzentrum, den „Kursalon Mödling“, nach einem Rockerüberfall wurde es geschlossen, aber es demonstrierten 300 Menschen. In Feldbach (Südsteiermark) wurde für ein Jugendzentrum gefeiert, „Gießhübl aktiv“ forderte mehr Kultur. 1979 wurde in Klagenfurt ein Haus als Kommunikationszentrum besetzt. Das sind nur die Initiativen, die sich in Texten in der Arenazeitung niederschlugen, die Spitze eines Eisberges. Aber auch längerfristige Initiativen wurden beeinflußt und radikalisierten sich. Sehr rührig kämpfte schon seit 1974 der Wühlmausclub in der Tiroler Kleinstadt Kufstein um ein Jugendzentrum, es wurden östereichweite Workshops zu Jugendzentren abgehalten. Die Stadtverwaltung wollte die Kontrolle behalten, die durch die Arena-Besetzung motivierten Wühlmäuse wurden als Linksradikale bezeichnet. Ein offizielles Jugendzentrum wurde von den Kufsteiner Jugendlichen relativ erfolgreich boykottiert, die alternative Initiative gründete als Ersatz eine alternative Zeitung, den WC-Jodler. Jedes Jahr wurde ein Pfingstfestival veranstaltet. Nach einer Zeit im „Exil“ in Gasthäusern wurden 1979 Räumlichkeiten eingerichtet, wo mit relativem Erfolg Kulturveranstaltungen durchgeführt wurden (Blaukopf et. al. 1983, S. 57ff). In Salzburg wurde im Sommer 1976 der Petersbrunnhof mit der Forderung nach einem „offenem Haus in Selbstverwaltung“ besetzt und gleich wieder von der Polizei geräumt. Daraus entstanden verschiedene Initiativen, am wichtigsten das im Herbst 1976 gegründete Alternativblatt „Die Zeitung“, die 1977 eine verkaufte Auflage von 1200 Stück erreichte[18]. Diese Salzburger Stadtzeitung war aber nur eine im Zusammenhang der explosionsartigen Verbreitung von Programm- und / oder Stadtzeitungen. Vom Konzept her konnte dort jeder schreiben („LeserInnen machen Zeitung“), formal gab es manchmal nicht einmal eine Abgrenzung nach rechts, real waren eigentlich alle alternativ (was immer das heißen mag) ,undogmatisch links bis anarchistisch. In der Arenazeitung Nr. 12 (November 1977) wird über die neu entstandene Gegenpresse informiert: innerhalb eines Jahres seien allein in Wien an die zwanzig Zeitungen entstanden. Heute bestehen die meisten nicht mehr, aber eines der damals entstandenen Projekte war die Programmzeitung „Falter“, teilweise angefeindet von den Blättern, die sich als Gegenöffentlichkeit sahen.. Aus der vorgeblich alternativen Zeitung ist inzwischen ein Projekt geworden, das als Sprungbrett in den „seriösen“ Journalismus dient, an der aber heute keine kulturelle Initiative vorbei kommt. Der Erfolg des Falter ist ein Zeichen dafür, wie sich die Kulturszene in Wien seither verändert und verbreitert hat, welche Vielzahl von Veranstaltungen und Lokalitäten es inzwischen gibt. Gegen Ende des Jahrzehnts beschleunigte sich eine Entwicklung Richtung Resignation oder Anpassung. Die Politik der ersten Person wurde zum Argument, sich zurückzuziehen und /oder sich an die kapitalistische Realität anzupassen. Es wurde wieder Zeit, ein Studium fertig zu machen, oder es ging darum, die Lebensprojekte auf längere Zeit abzusichern. Es bildeten sich Projektgruppen, um auf Subventionen durch die Gemeinde Wien hinzuarbeiten oder sonstwie im Kapitalismus zu überleben. Diese bildeten oft die Basis für die Veränderungen der 1980er vom Werkstätten- und Kulturhaus (WUK) bis zur Rosa-Lila-Villa (wo auch drinnen ist, was draußen draufsteht: erstes Wiener Schwulen und Lesbenhaus) und dem Kinderhaus Hofmühlgasse mit zahlreichen Kindergruppen und einer Alternativschule. Die Spontis als der „politischste“ Ausdruck der „unpolitischen“ Alternativen begannen bereits zu dieser Zeit (unter dem Einfluß der Diskussion in Italien und der BRD) manche Entwicklungen dieser Alternativbewegung zu kritisieren, insbesonders die Illusion vieler Projekte, irgendwie außerhalb des Kapitalismus zu stehen. Gar nicht so wenige entdeckten Spiritualität und Esoterik und fingen an, irgendeinem Guru nachzulaufen. Die AAO hatte sich überlebt, in dieser Phase wurden die Sanyassin mit ihrem Bhagwan in Poona sehr attraktiv. Daneben blieb aber ein „untergründiger Strom der Rebellion“ (Schrage 1983), der 1979 / 1981 als „Jugend“bewegung wieder spektakulär sichtbar werden sollte, später in der GAGA (dem autonomen Kulturzentrum Gassergasse), in der Aegidigasse, bei den Opernballdemos.... Literatur: Blaukopf, Kurt/ Bontinck, Irmgard/ Gardos, Harald/ Mark, Desmond (1983): Kultur von unten. Innovationen und Barrieren in Österreich. Wien: Löcker. Bockhorn, Olaf/ Ehalt, Hubert Christian/ Fielhauer, Helmut P./ Fischer, Gero/ Heiss, Gernot/ Mende, Julius/ Saurer, Edith/ Schrage, Dieter/ Staudinger, Anton (1983): Kulturjahrbuch 2. Wiener Beiträge zu Kulturwissenschaft und Kulturpolitik. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik. Brandstätter, Lidia/ Grosser, Michael/ Werthner, Hannes (1984): Die Anti-AKW-Bewegung in Österreich. In: Umdenken. Analysen grüner Politik in Österreich (1984), S. 156-177. Danneberg, Bärbel (1998): Die Mühlkommune. In: Danneberg et al (ed): die 68er. eine generation und ihr Erbe. Wien: Döcker, S. 274-285. Danneberg, Bärbel/ Keller, Fritz/ Machalicky, Aly/ Mende, Julius (ed) (1998): die 68er. eine generation und ihr erbe. Wien: Döcker. Ehalt, Hubert Christian/ Knittler-Lux, Ursula/ Konrad, Helmut (ed) (1984): Geschichtswerkstatt, Stadtteilarbeit, Aktionsforschung. Perspektiven emanzipatorischer Bildungs- und Kulturarbeit. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik. Fischer-Kowalski, Marina/ Fitzka-Puchberger, Roswitha/ Mende, Julius (ed) (1991): Kindergruppenkinder. Selbstorganisierte Alternativen zum Kindergarten. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik. Geiger, Brigitte/ Hacker, Hanna (1989): Donauwalzer, Damenwahl. Frauenbewegte Zusammenhänge in Österreich. Wien: Promedia. Handl, Michael (1989): Von Rosa Villen und Wirbeln und Homosexuellen Initiativen – Die österreichische Homosexuellenbewegung nach Stonewall. In: Handl et. al.: Homosexualität in Österreich, S. 120-131. Handl, Michael/ Hauer, Gudrun/ Krickler, Kurt/ Nussbaumer, Friedrich/ Schmutzer, Dieter (ed) (1989): Homosexualität in Österreich. Aus Anlaß des 10jährigen Bestehens der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien. Wien: Junius. Holzinger, Elisabeth (1991): Wie der Hermann mit der Milch den brennenden Fußboden gelöscht hat. In: Fischer-Kowalski et. al.: Kindergruppenkinder, S. 39-45. Holzinger, Sissi/ Spielhofer Karin (1998): So viele Ansprüche im Kopf. In: Danneberg et al (ed): die 68er. eine generation und ihr Erbe. Wien: Döcker, S. 310-325. Keller, Fritz (1983): Wien, Mai 68 – Eine heiße Viertelstunde. Wien: Junius. Langer, Renée (1983): Die Wiener Arenabesetzung als Bestandteil der mitteleuropäischen Gegenkultur. Wien: Hausarbeit aus Geschichte. Reinprecht, Christof (1984): Das Amerlinghaus: Vom Scheitern und Überleben eines Experiments. In: Ehalt et. al.: Geschichtswerkstatt, S. 183-194. Riese, Katharina (1989): AUF und Abtreibungen. In: Geiger, Hacker (1989): Donauwalzer, Damenwahl, S. 19-28. Schrage, Dieter (1983): Wie ein unterirdischer Strom der Rebellion. In: Bockhorn et. al.: Kulturjahrbuch 2, S.66-74. Steiner, Dietmar (1998): Die Arenabewegung. In: Danneberg et al (ed): die 68er. eine generation und ihr Erbe. Wien: Döcker, S. 138-146. Svoboda, Wilhelm (1998): Sandkastenspiele. Eine Geschichte linker Radikalität in den 70er Jahren. Wien: Promedia. Weber, Werner (1991): Geschichte der Wiener Kindergruppen bis 1980. In: Fischer-Kowalski et. al.: Kindergruppenkinder, S. 13-17. Wien wirklich. Ein Stadtführer durch den Alltag und seine Geschichte. (1983) Wien: Verlag für Gesellschaftskritik. Zitierte Zeitungen:Arenastadtzeitung: während der Arenabesetzung gegründet, existierte bis 1982. AUF, eine Frauenzeitschrift: erscheint seit 1974, noch heute bestehende feministische Zeitung. Lambda-Nachrichten, Zeitschrift der Homosexuelleninitiative Wien: erscheint seit Ende 1979 bis heute. Neues Forum: von Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er das Diskussionsorgan einer vielfältigen Linken, danach nur eine linke Zeitschrift unter vielen. Springinkal: Spontizeitung, erschien unregelmäßig 1976 und 1977. ZB: Anfangs mit dem Untertitel „Wiener Alternativen“, später kritisch gegenüber der Alternativbewegung, galt als Organ der Wohngemeinschaften, erschien 1977 und 1978 zweiwöchentlich. [1] Eine weitere Struktur, die teilweise von Wien aus entstanden ist, ist die Kooperative Longo Mai, die Bauernhöfe ökologisch und subsistenzwirtschaftlich bearbeitet. [2] War in dieser Phase das „viel Sex haben“ sozusagen das bessere, so war in einer späteren Phase Sex beinahe verpönt und hatte sich unsichtbar in die heterosexuellen Zweierbeziehungen zurückgezogen. Heute sind wir glücklicherweise in einer Situation, wo verschiedene Möglichkeiten und Lebensformen akzeptiert werden (natürlich noch immer hauptsächlich heterosexuell, aber auch bi- und homosexuell). [3] Freie Österreichische Jugend – zu dieser Zeit als eurokommunistisch bezeichnete Organisation, kandidierte als „Offensiv links“ und hatte als Treffpunkt den Club Links in der Odeongasse. [4] Von den linksradikalen Organisationen war neben der FÖJ die GRM (Gruppe Revolutionärer Marxisten – TrotzkistInnen) am offensten gegenüber der Frauenbewegung. Wenn es 1975 um einen Mitgliedsformalismus ging, um die „Unterwanderung“ durch organisierte linke Frauen zu verhindern (Geiger/ Hacker 1989, S. 68), war wahrscheinlich die GRM gemeint, Keller (1983, S. 124) schreibt vom Wechsel einer Gruppe von GRM-Frauen in die AUF, um dort Fraktionsarbeit zu leisten.. [5] Riese (1989, S. 28) beklagt, daß diese völlig unbedankte erste Zeit der autonomen Frauenbewegung der Verdrängung anheim gefallen ist, weil diese Phase, die ersten öffentlichen Auftritte der „hysterischen“, „kreischenden“, „schlecht angezogenen“, „blutige Tampons schwingenden“ Dilettantinnen vorbei sei, jetzt ginge es um die neue Professionalität staatlich geförderter Frauenprojekte. Ein weiterer Grund für die Verdrängung ist auch die Ausnützung der feministischen Bewegung durch die IPAS (International Pregnancy Advisory Service), die sich als Non-Profit-Unternehmen zur Durchführung von Abtreibungen gab, aber deren finanzielle Zusammenhänge undurchsichtig blieben, es handelte sich um ein weltweites Abtreibungsunternehmen (Riese 1989, S. 24ff). [6] Eine spätere Reflexion spricht von einem Sieg der „Muttertypen“, die sich wieder mit den Männern versöhnen wollten (Geiger/ Hacker 1989, S. 38) [7] Das andere Auftreten wird sehr gut durch die Bemerkung einiger Frauen aus der MLS (Marxistisch-Leninistische Studenten – MaoistInnen) charakterisiert, die zu einer Walpurgisnachtdemo geschickt wurden, um einiges zur Situation der werktätigen Frau zu sagen. Die demonstrierenden Frauen konnten ihnen nicht sagen, um was es ging, weil sie ja nicht genau wußten, warum sie nun wirklich demonstrierten [...] Unser Auftreten wurde erschwert dadurch, daß viele Frauen grauenhaft weiß geschminkt waren (als Hexen), wir dadurch uns bekannte Frauen nicht erkannten. (Svoboda 1998, S. 38) Natürlich waren nicht alle Frauen radikal, gar nicht so wenige hatten Probleme mit Anti-Männer-Slogans, noch zur 1.Mai Demo 1979 gab es Auseinandersetzungen um männerfeindliche Parolen und das Plakat „Mit uns ist kein Staat zu machen“, auf dem eine Frau einen (phallischen) Männerfinger abbeißt. [8] Auch die Selbstorganisation der Lesben hat erstmals im Zusammenhang mit dem Feminismus in der AUF stattgefunden, die Verbreiterung der lesbischen Identität fand aber erst in den 1980ern statt, insbesonders in der HOSI (Homosexuelleninitiative), aber auch in Zusammenhang mit Lokalen der Frauenbewegung wie dem Frauencafé und dem Lila Löffel (Sonderbar) im Frauenzentrum im WUK (Werkstätten- und Kulturhaus). [9] Im Herbst und Winter 1976 / 1977 fanden in der BRD eine Reihe von militanten Massenaktionen am Bauplatz des AKW Brokdorf statt. Und am 19. März 1977 kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und der Polizei um den Bauplatz von Grohnde. Die Berichte über den Widerstand gegen die AKWs beeinflussten sowohl die Bewegung, wie es auch die Ängste der institutionellen BefürworterInnen vor Ausschreitungen beförderte. [10] Die Initiative Gewerkschafter gegen Atomkraftwerke war wichtig, konnte aber kaum Einfluß nehmen, sie bestand aus den üblichen Verdächtigen, besonders Mitgliedern der GE (Gewerkschaftliche Einheit, damals in der Nähe des „Eurokommunismus“) oder SympathisantInnen sozialistischer Jugendorganisationen mit Einzelpersonen aus den linksradikalen Gruppierungen. [11] Die, die sich damals sowohl als politisch wie auch einer Subkultur zugehörig fühlten, bezeichneten sich in Abgrenzung zu den friedfertigen Hippies (die eher nur auf Kiffen waren) als „Freaks“. [12] Zwei Bereiche werden nicht behandelt, die im Zusammenhang mit dieser Szene standen, die „Demokratische Psychiatrie“, die 1976 gegründet wurde, außerdem hat es immer wieder Berichte über die Verhältnisse in Jugendheimen gegeben, Betroffene waren dann ja auch in der Arena. [13] Einzelpersonen aus dieser WG machten die Stadtzeitung ZB; als ein (kleiner) Teil auszog, wurde der Name Treibhaus für einen Treffpunkt in der Maragretenstraße 99 verwendet, später wurde diese Lokalität zum Rotstilzchen, einem wichtigen Treffpunkt der „autonomen“ Szene der 1980er. [14] Prunella de Queensland schreibt darüber in ZB 21, S. 8: Als Eintrittskarte galt das Hl. Zumpferl [...] die mitgebrachten Zumpferln bewährten sich wieder einmal als Kontrollorgane des Verlangens. Die Arschlöcher blieben zugeknöpft. Das bezog sich auf das so-tun-als-ob-ein-bißchen-schwul, tatsächlich aber auf dem Bestehen auf der männlichen Position, sich nicht ficken zu lassen. [15] Heute hat sich die Bedeutung des Wochenendes für das Freizeitverhalten verringert, aber damals dominierte noch in vielen Bereichen die Normalarbeitswoche. [16] Am 20. August wurden 24 Arbeitsgruppen anerkannt (Langer 1983, S. 58): Schnorr- und Journaldienst, Elektriker, Teehaus, Sozialdienst, Öffentlichkeitsarbeit, Architekten, Theatergruppe, Frauenhaus, Finanzkollektiv, Tordienst, Werkzeug- und Materialdepot, Kinderhaus, Stadtagitation, Betriebsarbeit, Redaktion, Video-Gruppe, Malergruppe, Informationsstand, Fotogruppe, Lehrlingsarbeit, Küchenkollektiv, Soldatenhaus, Sanität, Programmkollektiv. [17] Die langen und verschlungenen Wege hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit den Wandertagen der Donnerstagdemos nach der Machtübernahme durch die schwarz-blaue Regierung 2000. [18] 1981 entstand in Salzburg wieder eine Initiative für ein Kultur- und Kommunikationszentrum, die ARGE Rainberg, die sich um eine alte Brauerei bemühte. |
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