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Frank: reich und furt!

An der Seine

Das Europäische Sozialforum in Paris: viele Veranstaltungen, viele Menschen, viele Kilometer zwischen den Veranstaltungsorten. Ohne detailliert auf einzelne Aspekte/Probleme  des Sozialforumsprozesses einzugehen, möchte ich kurz zentrale Probleme der „Bewegung der Bewegungen“ skizzieren, die (nicht nur) in Paris manifest geworden sind und für die künftige Entwicklung von wesentlicher Bedeutung sein dürften. „Problem“ soll dabei nicht als rein negativ bzw. abzulehnend gelesen werden, sondern als diskursive Möglichkeit, welche hegemonialen Kämpfen ausgesetzt ist. Die Investition in diese Kämpfe lohnt allemal, wenngleich auch nicht ökonomisch.

Größe und Rhythmus

Die zwei zentralen Fragen gleich vorab: Macht es für die Entwicklung der „Bewegung der Bewegungen“ Sinn, jährliche Großveranstaltungen mit zigtausenden TeilnehmerInnen abzuhalten? Sind Veranstaltungen dieses Typs nicht notwendiger Weise an eine repräsentative Funktionärsstruktur gebunden, welche Zeit und Mittel aufbringen kann, derartige Massenevents zu organisieren?

Wie bereits in Florenz gab es 3 Arten von Veranstaltungen: Plenardiskussionen, Seminare und Workshops. Dem Sinn nach sollten wohl die „wichtigsten“ Themen in den größten Veranstaltungen behandelt werden, weshalb auch die Podien dort paritätisch „unter den Nationen“ verteilt wurden. Dementsprechend allgemein, d.h. nichtssagend waren dort die Themen, dementsprechend hoch war die „Stardichte“, dementsprechend tausende Menschen im Auditorium, die brav zuhörten, dementsprechend kaum vorhanden die Diskussion. Die Workshops hingegen sollten offenbar die Interessen kleinerer Gruppierungen befriedigen. Dementsprechend spezifisch, kaum übersetzt und aus dem Titel nur schwer erkennbar waren dann diese Veranstaltungen, so mensch in der Lage war, sie irgendwo in Paris zu finden. Interessanter waren hingegen die Seminare. Diese waren zwar ebenfalls nach dem frontalen Podium „vs.“ Auditorium-Prinzip ausgerichtet, ihre Größe (rund 250 Leute) ließ aber dennoch mehr Diskussion aufkommen als Blitzlichtgewitter. Die Ausnahme war „natürlich“ ein gewisser Herr Negri („Wir werden auch in unseren Träumen ausgebeutet!“), der musste samt Herrn Callinicos („Mastermind“ der britischen SWP) ins Freie, um zu diskutieren, weil viel zu viele Leute, Aufruhr und Multitude und so. Da haben die hiesigen GewerkschaftsvertreterInnen aber geschaut!

Die beiden anderen inhaltlichen Highlights waren Seminare zur Selbstorganisierung von MigrantInnen in den alles andere als beschaulichen Pariser Vorstädten (Quartiers), sowie eine „Versammlung der arbeitslosen und prekären ArbeiterInnen“. In beiden Veranstaltung ging es primär um die Selbstermächtigung der „Betroffenen“, wobei es in der erstgenannten Veranstaltung zu hitzigen Diskussionen zwischen französischen Feministinnen und den AktivistEN der migrantischen Comunities kam. Der Grund: Die französische Sozialdemokratie startete ein Projekt, welches sich angeblich gegen die Unterdrückung der Frauen in den Quartiers richtet. Die Organisation der MigrantInnen wittert dahinter aber den Versuch, in den Quartiers um Stimmen zu buhlen, nicht zuletzt durch das Bedienen antimoslemischer Ressentiments (Ein Großteil der MigrantInnen aus den Maghreb-Staaten ist islamischen Glaubens). Obgleich die Migranten am Podium die Wichtigkeit antisexistischer und antihomophober Arbeit hervorhoben (die Einmischung des „Staatsapparates“ SP aber selbstredend ablehnten), kam es zu heftigen Wortwechseln mit Frauen aus dem Publikum. Hier setzte ein weiteres Problem ein, nämlich jenes der Übersetzung. Rund 1200 ehrenamtliche ÜbersetzerInnen leisteten nahezu übermenschliches, wenn Diskussionen jedoch (wie im oben beschriebenen Fall von beiden Seiten) sehr emotional geführt wurden oder sich auf sehr spezifischem Terrain bewegten, war es oft sehr schwer, der Argumentation zu folgen.

In der Versammlung der Arbeitslosen und Prekären wurden Erfahrungsberichte aus aller Frauen Länder ausgetauscht, die bei allen „nationalen“ Besonderheiten sich um die Achsen „neoliberaler Kahlschlag“, „Hilflosigkeit der traditionellen (Gewerkschafts-)Politik“, „Notwendigkeit von Selbstorganisierung“ und „Grundeinkommen“ drehten. Wie auch an einigen anderen Veranstaltungen nahm auch hier eine Aktivistin aus Osteuropa (Polen) teil, was aufgrund der ansonsten westeuropäischen Dominanz sehr erfrischend wirkte. Eine der zentralen Aufgaben der Bewegung der Sozialforen wird gerade die Vernetzung über (bisherige) EU-Grenzen hinaus sein. Dies könnte auch ein – nicht zuletzt geographisch bedingtes – wichtiges Betätigungsfeld des österreichischen Sozialforums sein.

Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob derartige (jährliche!) Großveranstaltungen geeignet sind, die globale Protestbewegung vorwärts zu bringen. Zum einen gibt es eine Diskrepanz zwischen eher gemäßigten Positionen seitens der geladenen DiskutantInnen und dem radikaleren „Volk da unten“, zum anderen erscheint der Jahresrhythmus unverhältnismäßig viele Ressourcen an organisatorische Dinge zu binden, die besser in die Bewegung investiert werden sollten. Andererseits: Da ohnedies eher die FunktionärInnen der traditionellen Organisationen (auf sie wird noch zurückzukommen sein) diese organisatorischen Dinge tun, ist es nicht irgendwie eh besser so, da sie sich ansonsten noch stärker in die inhaltlichen Belange einmischen? However, aufpassen müssen wir jedenfalls, dass vor lauter regionalen, nationalen, kontinentalen und globalen Foren die Bewegung selbst in diesen Prozessen verschwindet. Antwort war das jedenfalls keine, ich weiß.

Staat und Parteien

Hier sind wir nun beim wahrscheinlich entscheidenden Thema der Zukunft der Sozialforen angelangt. Es drängen sich gerade in Frankreich die Parteien wie wild in die Bewegung hinein, alle wollen „Globalisierungsgegner“ sein, und der französische Käse ist natürlich der beste, und der Film erst, und ..., außerdem existiert (zumindest „auf den Podien“) tatsächlich eine Hegemonie der StaatsfreundInnen. So weit, so schlecht, nur insgesamt würde ich diese Tendenzen nicht ausschließlich als negative sehen (inhaltlich natürlich schon), da sie die gemäßigten Organisationen innerhalb der Bewegung in näherer Zukunft zu grundlegenden Entscheidungen drängt. Wollen wir Politikberatung für die Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaften betreiben, wollen wir weiterhin Forderungen an den Staat richten, der doch ebenso wie „das Kapital“ am Weitertreiben der neoliberalen Prozesse beteiligt ist, wollen wir die Menge der kaum bzw. nicht organisierten Menschen wirklich als Wahl- Stimm- und Fußvolk für Tobinsteuern und nationale Filmindustrien? Jedenfalls wird’s das nicht spielen und das ist auch gut so. Um die „Bewegung der Bewegungen“ aber erst gar nicht in dieses Szenario hineinzubefördern, ist ein Kampf um Positionen aus radikal-emanzipatorischer Sicht notwendiger denn je, ein Kampf gegen ein Sozialforum als „Miniparlament“(so heißt das im italienischen Autonomen-Speach), als FunktionärInnenselbstbeweihräucherungsapparat und als lebensverlängernde Maßnahme fordistischer Partei- und Gewerkschaftsorganisationen.

Die Frage, um die es zu kämpfen gilt, ist heute weniger die um „Reform oder Revolution“, sondern jene um „Repräsentation oder Selbstermächtigung“. Durch Nichtbeteiligung am Prozess der Sozialforen stellt mensch sich – gewollt oder nicht – jedenfalls auf Seite der ersteren. So, genug gejammert: Paris war ganz nett, der Cabernet mundete ausgezeichnet und war einigermaßen erschwinglich, die Stimmung gut und die Vielfalt der TeilnehmerInnenschaft trotz der oben angesprochenen Probleme nach wie vor unsere Stärke. Und darin, ums mit Hardt und Negri zu sagen, zeigen sich „die nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und das Glück, KommunistIn zu sein.“

Martin Birkner

Am Main:

Diesen Herbst war Frankfurt eine Reise wert

Vom 7.(!)-9. November – welch merkwürdige Kapriolen der kalendarische Zufall doch manchmal schlägt – fand dort heuer nämlich der internationale Kulturkongress „Indeterminate! Kommunismus“ statt, veranstaltet von der Frankfurter Basisgruppe „Verein zur Förderung demokratischer Kultur und Politik (DemoPunK) e.V.“ in Kooperation mit der Berliner Basisgruppe „Kritik und Praxis Berlin“, unterstützt von diversen anderen Organisationen und Institutionen. Gefördert wurde das Ganze von der Kulturstiftung des Bundes (sic!). Gleich bei der Auftaktpodiumsdiskussion „Die Aktualität des Kommunismus. Eine erste Annäherung“ schlugen Micha Brumlik, der Talking Head Frankfurts und einer der Mainstreamintellektuellen Deutschlands, und Slavoj Zizek, neuerdings internationaler Handelsreisender in Sachen Linksextremismus, grundlegende Themen an, die auf unterschiedliche Weise den ganzen Kongress über seltsam unerörtert blieben. Brumlik formulierte sechs Bedingungen, die erfüllt sein müssten, damit er sich dem Kommunismus ernsthaft annähern könne. Diese fassten sich im Wesentlichen dahingehend zusammen, dass es im parlamentarisch und rechtsstaatlich verfassten High-Tech-Kapitalismus im Großen und Ganzen eh wunderbar demokratisch zugehe – und wo nicht, könnten er und andere „Gewissen der Nationen“ intervenieren und locker dafür sorgen – während der Kommunismus historisch einen Rückfall darstelle, denn schließlich habe Lenin bereits 1919 „Konzentrationslager“ errichten lassen (Brumliks Spezialbeitrag zur Totalitarismustheorie), als Rückfall hinter - mensch beachte die ansonsten in radikal-demokratischen Kreisen verpönte geschichtsteleologische Diktion - demokratische Prinzipien. Was denn diese demokratischen Prinzipien seien, woher sie historisch kamen, ob sie nicht auch wieder von uns gehen werden/sollen/könnten (Vorsicht: Rückfall!), wurde auf dem Kongress leider nicht oder zumindest nicht ausreichend verhandelt. Rein vom Materiellen her hätte Brumlik jedenfalls gar nichts gegen den Kommunismus (zumindest hätte er es  sich mit diesbezüglichen Einwände wohl ernsthaft mit dem p.t. Publikum verscherzt). Zizek plädierte dagegen für die Notwendigkeit „to jump out of history“ und erzählte uns vom peruanischen „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad), und dass dieser nicht in erster Linie von der Regierung eingesetzt Dorfvorsteher oder bewaffnete Repressionskräfte liquidierte, sondern Angehörige von NGOs und Menschenrechtsorganisationen. Soviel zu revolutionärer Strategie und Provokation...

Das Thema (radikale) Demokratie blieb den ganzen Kongress über irgendwie im Raum, waberte mal stärker, mal schwächer durch Diskussionsforen und Arbeitsgruppen, blieb jedoch jeder systematischen Erörterung entzogen. Dabei hätte es sogar ein eigenes Forum zum Thema gegeben: „Ökonomie der politischen Kritik. Kommunismus und radikale Demokratie“. Wie auch die anderen Foren litt auch dieses an der mehr flockig-flotten als durchdachten Titelgebung und den eher willkürlich zusammengesetzten, beziehungsweise sich kaum auf thematische Vorgaben oder wenigstens aufeinander beziehende PodiumsteilnehmerInnen. Gegen die sich auch darin ausdrückenden Bedingungen des akademischen, beziehungsweise linksradikalen WanderpredigerInnen-Lebens – nur die wenigsten waren über ihren „Auftritt“ hinaus am Kongress präsent – konnte offenbar auch diesmal in der Hektik der Vorbereitungsaktivitäten kein ausreichendes Gegengewicht geschaffen werden. Ähnliche Probleme gab es auch bei den zahlreichen Arbeitsgruppen mit ihren sich häufig überschneidenden Themen. Das Demokratie-Forum wurde jedoch alsbald vom Einbrechen der Praxis beendet (was den TeilnehmerInnen unter anderem eine wohl vorbereitete Wortmeldung seitens eines Redakteurs dieser Zeitung vorenthielt): Der hessische Ministerpräsident Koch wurde im Rahmen einer Museumseröffnung von Studierenden am Verlassen des Gebäudes gehindert: An der Uni Frankfurt wurden soeben Studiengebühren in der Höhe von bis zu € 1.500,-- pro Semester eingeführt. Die Studierenden befanden sich also im Streik und besetzten auch den SoziologInnenturm, was den TeilnehmerInnen des Kongresses freundlicher Weise gleich Schlafgelegenheiten inkl. ein wenig „Kommunismus-Feeling“ bot. Im Laufe der Proteste haben sich kritische Situationen mit der Polizei ergeben, weshalb auch der Kongress unterbrochen wurde, um den rund 1000 TeilnehmerInnen die Gelegenheit zu geben, die Protestierenden zu verstärken. Koch musste schließlich seinen Chauffeur im vollgeklebten und umzingelten Wagen warten lassen und verließ angeblich über Heizungsschächte das Museum. Das aber macht den Regierenden ja heutzutage offensichtlich überhaupt nichts mehr aus, solange es nicht in einer Endlosschleife im Fernsehen gezeigt wird: In Österreich steht die (durch massive Proteste gezwungener Weise) unterirdisch angelobte Regierung trotz aller Skandale und Unglaublichkeiten munter und unbeschadet in ihrer mittlerweile zweiten Amtsperiode.

Doch zurück zum Kongress. Einige für die Frage nach dem Kommunismus heutzutage höchst zentrale Themen wie das Verhältnis von Armuts- und Reichtumszonen, Migration und Gender blieben leider ausgeblendet bzw. in Feigenblatt-Arbeitsgruppen ausgelagert, was auch der Grund für die einzige politisch motivierte Absage zum Kongress war: Gayatri C. Spivak schrieb aus New York, dass sie bei einem Kongress der weißen männlichen Sprechpositionen nichts verloren hätte. Darüber hinaus scheint sich in der Vorbereitungsgruppe des Kongresses auch die altbekannte Städterivalität zwischen Frankfurt und Berlin wieder reaktualisiert zu haben, wie sie unter ganz ähnlichen Vorzeichen bereits im SDS und in der K-Gruppen-Periode existierte. Doch um das zu bemerken, hätte die Geschichte nicht so vollständig ausgeblendet werden dürfen: Es gibt neue Bedingungen, sicherlich, und vor allem muss ein Kommunismus heute ein Kommunismus für uns sein. Doch so ganz „indeterminate!“, wie das Kongressmotto unterstellte, ist der Kommunismus nach 150 Jahren auch wieder nicht, was Katja Diefenbach in ihrem Referat völlig zurecht (und wie!) bemerkte. Der Bruch mit geschichtsphilosophischen Aspekten ist eine Sache, die Nicht-Thematisierung von Russischer Revolution (am 7. November!), der ArbeiterInnenbewegung im Allgemeinen und des Stalinismus im Besonderen jedoch unverzeihlich, auch wenn die Revolution des 21. Jahrhunderts ihre „Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen [kann], sondern nur aus der Zukunft“ (Marx).

Warum aber war Frankfurt eine Reise wert? Weil, sich mit dem Kommunismus zu beschäftigen, heute mehr denn je auf der Tagesordnung steht, weil sich rund tausend (vor allem) Studierende in einer Situation der neoliberalen Formatierung (nicht nur) der Universitäten dafür interessieren, weil Kunst einmal nicht als Behübschung, sondern als integraler Bestandteil emanzipatorischer Theorie und Praxis aufgefasst wurden, weil ein Blick über die Zäune der diversen theoretischen Schrebergärten allemal lohnt (was nicht zuletzt durch die Chaotik der Kongressgestaltung gefördert wurde), weil ein direktes Gespräch zwischen den verschiedenen politischen Generationen und theoretischen Zugängen (wie sehr auch immer gebrochen durch Theoretisierung, Prominenz, Podium und intellektuelle Eitelkeiten) ungleich fruchtbarer und anregender ist, als das Verfolgen von sich über Monate hinziehenden und sich mitunter im Publikationendschungel verlierenden Papierdebatten, weil mensch die Personen zu den Worten und überhaupt neue nette Leute kennen lernt und weil der Retsina beim „Dionysos“ die richtige Temperatur hat und überhaupt wunderbar mundet. Für alle, die nicht dabei sein konnten oder im Gewirr der Veranstaltungen den Überblick verloren haben oder anderwertige ungewollte Verzichte leisten mussten, plant der Suhrkamp-Verlag 2004 einen Reader als „Trockenversion“ des Kongresses herauszubringen.

Bernhard Dorfer

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ISSN 1814-3164 
Key title: Grundrisse (Wien, Online)

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