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Clemens Berger Der Hase im Pfeffer: Ein fahrender Ritterkäfer aus dem Lakandonischen Urwald ~ Anmerkungen zu den Fabeln des Subcomandante Marcos Nein, sagt
Subcomandante Marcos, die Wahrheit ist, daß sich die Sprache in eine Obsession
verwandelt, besonders wenn du explizite, funktionelle Botschaften vermitteln möchtest
und suchst, wie du sie am besten formulieren kannst. Manchmal hast du Glück,
manchmal Pech. Du kommst immer wieder auf den gleichen Gedanken zurück. Da ist
die Fabel die geeignete Form, um uns verständlich zu machen. Das wichtigste
Ziel, das wir mit den Erzählungen, mit den politischen Botschaften, die sie übermitteln,
verfolgen, besteht jedoch darin, zum Nachdenken anzuregen: Da liegt der Hase im
Pfeffer.[i] Our Word Is
Our Weapon: nicht von
ungefähr ist das der Titel eines voluminösen Bandes mit Texten von
Subcomandante Marcos. Das Wort und die Sprache haben sich bei den Zapatistas geändert.
Diese haben erfahren müssen, daß eine Kritik der Waffen nicht erfolgreich wäre;
und selbst wenn sie es wäre, daß damit wenig gewonnen wäre. Revolution in
Mexiko, dann Sozialismus: eine obskure Vorstellung. Aber selbst die schwache
Waffe des Wortes wurde im zapatistischen Diskurs verändert. Verändert wurde
jene Sprache, die bloßes Transportmittel des zu Sagenden ist, die sich weder um
die vielfältigen Bedeutungen der Worte noch um deren Zeitindex kümmert. Die
zapatistische Sprache ist blumiger, bildreicher, oft pathetischer, sicher aber
ironischer – und allen voran spielerischer. Der Prozeß
dieser sprachlichen Transformation aber wurde weniger von dem festen Entschluß,
nun endlich anders zu sprechen, damit man auffalle, als von der schieren
Notwendigkeit einer anderen Sprache eingeleitet. 1983 hatte sich eine sechsköpfige
Guerillagruppe in den Lakandonischen Urwald zurückgezogen. Brav
marxistisch-leninistisch sollte dort mit dem kleinen Einmaleins der Revolution
ein bewaffneter Aufstand, ja letztlich die Revolution vorbereitet werden. Noch
die Erste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald vom Tag der Erhebung
– dem 1. Januar 1994, als Mexiko mit dem Beitritt zur NAFTA formal den
Beitritt zur Ersten Welt vollziehen sollte –,
noch die Proklamation der Revolutionären Gesetze und spätere Erklärungen
ballten ihre Faust in klassischer Diktion. Allein bis dahin hatte der
Vermittlungsprozeß zwischen zwei einander unbekannten Welten: der Welt der
urbanen Guerilla und jener der Indígenas bereits begonnen. Diesen Prozeß
hat Subcomandante Marcos in den Geschichten vom Alten Antonio
literarisiert.[ii]
Antonio, der melancholische Weise, ist die Verkörperung jahrhundertealten
Kulturwissens. In ihm ist die Tradition der Maya lebendig, er spricht in Fabeln
und ist in seiner Lebenswelt zuhause. Genau in diese Lebenswelt aber sind Fremde
eingedrungen, die sich dort, woher sie kamen, nicht zuhause fühlten. Nun
streifen sie mit Gewehren durch den Urwald und verstecken sich, jedesmal sie auf
Indigene treffen. Ihre Vorbereitung denken sie als den Beginn der Errichtung von
Heimat dort, wo sie sich nie zuhause fühlen konnten. Der Alte Antonio wird zum
Übersetzer zwischen diesen beiden Welten. Den Indígenas übersetzt er die
Sprache der Guerilla, der Guerilla jene der Indígenas. So beginnt die
Interaktion, aus der beide Seiten verändert hervorgehen werden. Die
jahrhundertelang unterdrückten Indígenas werden Ya Basta! rufen und den
bewaffneten Aufstand unterstützen, der Aufstand aber muß anders sein, als ihn
die Guerilla geplant hatte. Marcos erzählt uns all das als
Initiationsgeschichte. Auf einem Baumstrunk im Urwald oder am Boden einer Holzhütte:
Antonio steckt sich eine selbstgedrehte Zigarette an, der Subcomandante seine
Pfeife. Dann spricht Antonio leise und eindringlich, und Marcos lauscht. Nachdem
und indem Marcos Antonio im Text sterben läßt, schlüpft er selbst in dessen
Rolle. Dergestalt wird der Subcomandante zum Vermittler und Übersetzer nicht
nur zweier, sondern vielfältiger Welten. Er übersetzt das Verhältnis Guerilla
– Indígenas –
Staatsmacht für die Globalisierungskritiken. Und so lernen wir nebenbei, in
Marcos’ Fabeln, den kleinen Heriberto kennen, ungebrochen, aufmüpfig und
schlitzohrig, der noch wenig nach links oder rechts blickt; so lernen wir auch
Eva kennen, süchtig nach Süßigkeiten, trotzig und stets das auf den Lippen,
was ist: keine Widerrede, was will denn der mit seiner Maske! Marcos lauscht und
erzählt von den Göttern, die die Welt erschufen, von Maismenschen und dem
Kampf des Wassers gegen das Schwert, das letztlich in ihm verrostet. Anders
funktionieren die Geschichten von Don Durito, die in den grundrissen in
Fortsetzung[iii]
erscheinen werden.[iv]
Don Durito ist ein altkluger Käfer, besser: ein fahrender Ritterkäfer, frech,
geradlinig und respektlos gegenüber vermeintlichen Autoritäten, und der
Subcomandante ist dessen Knappe Sancho Pansa. Am Grabstein des Ritters von der
traurigen Gestalt, Cervantes’ Don Quijotte, stand, er sei gekommen: „Durch
seinen Arm die ganze Welt/ Vom Unrecht zu befrein“. Und zu seinem Knappen
hatte er gesagt: „Denn wisse, Freund Sancho, daß der Himmel mich geboren
werden ließ, in unserer eisernen Zeit das Goldene Zeitalter wieder zu
erwecken.“ Genau das macht Don Quijotte zu einer lächerlichen, erbarmenswürdigen
Figur, wie schon Marx erkannte: daß er in bürgerlicher Zeit die
anachronistischen Rittertugenden, die keine materielle Basis mehr haben,
wiederbeleben will, um das Goldene Zeitalter, die befreite Gesellschaft zu
etablieren. Überdies ist sein diesbezügliches Wissen textual vermittelt: es
entstammt Ritterromanen. Daher ist Don Quijotte für Ernst Bloch der Inbegriff
abstrakter, unvermittelter wie unabgegoltener Utopie, der scheitern muß.[v]
Um die
konkrete Utopie, den Kampf und das mögliche Scheitern kreisen die Geschichten
von Don Durito. In ihnen und mit Hilfe des Käfers hält Marcos den vielen
Bedeutungen des Signifikanten „Subcomandante Marcos“ den Spiegel vor. Er
befragt sich selbst, besser: er befragt die Figuren, die Marcos genannt werden.
Und er befragt die Rebellion in Chiapas, die mit einer recht pragmatischen
Position ihr Autonomiegebiet aufrechterhalten und innerhalb desselben einen
emphatischen Begriff von Demokratie entwickeln und durchsetzen will. Noch vor
der Erhebung wurden Revolutionäre Gesetze erlassen; das erste war ein
Revolutionäres Frauengesetz[vi],
das den sexistischen Usus der indigenen Lebensform nicht tolerierte.[vii]
Nun, da sich neue Lebensformen herausbilden und die Forderungen der Indígenas
bekannt werden sollen, ruht die zapatistische Strategie auf zwei Prinzipien: dem
„gehorchenden Befehlen“ der Delegierten, die stets abwählbar sind und ihr
Mandat von den Dorfgemeinschaften erhalten; und dem „fragenden
Voranschreiten“ in Form von Plebisziten und Befragungen, die den Rückhalt in
der mexikanischen Bevölkerung für die Anliegen der EZLN ausloten sollen.
Basisdemokratisch das eine, linkspopulistisch das andere Prinzip, beide als
Absage an Avantgardevorstellungen vereint. Für diesen
unabsehbar langen Marsch hat sich Marcos eine Kunstfigur erschaffen, einen
Begleiter, einen unangenehmen Befrager, einen Possenreißer,
und das ist ein kleiner Käfer, der auch Pfeife raucht, ebenfalls
intelligent und ähnlich eitel ist. Es sind melancholische, witzige und wißbegierige
Geschichten. Die Frage ist nicht so sehr, wie gelungen oder ansprechend sie von
einem ästhetischen Blickwinkel aus sind (das sind sie nicht wirklich): sie sind
eine selbstreflexive, ironische Chronologie eines Kampfes, dessen Ausgang ungewiß
ist. Marcos schreibt sich gewissermaßen vom Rand, aus der Marginalie ins
potentiell weltweite Netz, in die Metapher des postindustriellen Fortschritts.
Indem er in seinen Fabeln vom Konkreten in Chiapas abstrahiert, will er eine
global verständliche Geschichte schreiben, die in jedem Anderswo lesbar bleibt.
So sind Durito und Marcos zwei Köpfe auf einem Körper, die, wie sie sagen,
eine neue Welt wollen, in der viele Welten Platz finden. Sie wissen: Das wollten
schon viele. Sie wissen auch: Ein fahrender Ritter wie der Mann aus La Mancha
macht sich in der bürgerlichen (und um wieviel mehr noch in der nachbürgerlichen)
Gesellschaft lächerlich und hält Windmühlen für Riesen. Diese aber, sagt der
Käfer, auf Marcos’ Stiefel sitzend, verkleiden sich im Neoliberalismus als
Windmühlen, und die wiederum als Artilleriehelikopter. So reflektieren Duritos
Geschichten den Aufstand, die Angriffe der Regierungstruppen und auch die
Einsamkeit des urbanen Intellektuellen, der zum Guerillero wurde. Sie sind auch
Vertröstung, diese Fabeln: In der Erinnerung läßt Marcos seinen Käfer nach
Mexiko City gehen, um sentimental alles nocheinmal zu betrachten. Nachdem er
alles gesehen hat, sieht er, daß es schlecht ist – und das Leben im Urwald
gut. [i] Manuel Vázquez Montalbán: Marcos. Herr der Spiegel. Berlin: Wagenbach 2000, S. 126 [ii] Subcomandante Marcos: Geschichten vom Alten Antonio. Hamburg: Verlag Libertäre Assoziationen 1997 [iii] Die ersten drei, in diesem Heft abgedruckten Geschichten, stellen so etwas wie eine Einführung in die Figur des Don Duritos dar. [iv]
Die Anordnung der Fabeln folgt jener in: Subcomandante Marcos: Our Word Is
Our Weapon. Selected Writings. New
York/London/Sydney/Toronto: Seven Stories Press 2000, p. 289-337 [v] Ernst Bloch, Leittafeln abstrakter und vermittelter Grenzüberschreitung, angezeigt an Don Quichotte und Faust. In: Das Prinzip Hoffnung, Dritter Band, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1985, S. 1214-1242 [vi] Revolutionäres Frauengesetz, S. 75f. In: Hanna Mittelstädt/Lutz Schulenburg (Hg.): Der Wind der Veränderung, Hamburg: Edition Nautilus 1997 [vii] vgl. Guiomar Rovira: Indigene Frauen und die EZLN – Die Revolution der Sitten und Gebräuche. In: Mittelstädt/Schulenburg, Der Wind der Veränderung, a. a. O., S. 40-50 |
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