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Das Salz, das Holz und die Stimmen Knirschende
alte Holzböden, in manchen Bereichen noch funkelndes erstarrtes Salz und
schwere dunkle Vorhänge, die die ehemaligen Lagerstätten der Saline Hallein in
verschiedene Bereiche trennten. Und überall die Stimmen der TeilnehmerInnen der
diversen Workshops und Veranstaltungen, laute und leise, fragend und behauptend,
belehrend und nachdenklich. Und manchmal erscheint eine Gestalt aus dem
Nebenabteil und fragt etwas bittend und ärgerlich zugleich in die andere Gruppe
hinein: „Könnts net a bisserl leiser sein?“ Der Ort des
ersten österreichischen Sozialforums hatte etwas Symbolisches. Die Saline
Hallein, einst eine wesentliche Salzabbaustädte in Österreich mit Tradition
und langer Geschichte, wird heute als fordistische Industrieruine kulturell
genutzt, mit Unterstützung der örtlichen ÖVP, versteht sich. Der Bürgermeister
ließ es sich auch nicht nehmen, zwischen den Agitationsständen linksradikaler
Gruppierungen, denen sich die ÖVP-Größen im fernen Wien wohl nur mit
Begleitschutz nähern würden, einem schnell aufgebauten Kebab-Stand, dem
no-border-Bus der VolxtheaterKarawane und dem Büchertisch der
grundrisse-Redaktion dem ASF vollen Erfolg zu wünschen. Whatever
that means. Wo noch vor
ein paar Jahrzehnten sozialdemokratisch gesinnte Arbeiter das Salz produzierten
und Hallein, inmitten des erzkonservativen Salzburgs, zu einen roten Flecken
machten, traf sich die österreichische Linke, deren Gesinnung und Habitus,
Verhalten und Auffassungen wenig mit jener Arbeiterklasse gemein hat, die einst
in der Saline Hallein arbeitete. Dieser sinnlich leicht erfaßbare Kontrast ließ
keinen Zweifel aufkommen, vieles hatte sich geändert, war und ist im Fluß. Nur
das „Was“ „Wie“ und „Wer“ läßt sich keinesfalls leicht erkennen. Politische
Bewegungen in Wellen, in einem Aufbrechen, Höhepunkten und einem Verebben zu
denken, ist wohl Konsens. Bei der genaueren Definition scheiden sich zumeist die
Geister. Ich meine jedenfalls, daß das österreichische Sozialforum als Teil
jener neuen Strömung begriffen werden muß, die Mangels einer präziseren
Analyse zumeist mit Namen von Städten charakterisiert wird: Seattle, Porto
Alegre, Genua, Florenz oder mit dem Verlegenheitsvokabel
Antiglobalisierungsbewegung bedacht wird. Die Linke ist derzeit wieder im
Aufwind. Nach zwei eher bitteren Jahrzehnten, den 80er und den 90er Jahren,
tritt sie wieder genuin als antikapitalistische Linke mit wachsendem Selbstbewußtsein
auf. In den 80er Jahren dominierte hierzulande die grün-alternative Gesinnung,
die letztlich in der Partei der „Grünen“ erstarrte, in den 8oer und 90er
Jahren war der hegemoniale Anspruch der poststrukturalistischen Subversion mit
massiven antilinken Untertönen im intellektuell-universitären Bereich unübersehbar.
Diese Periodisierung ist zweifellos äußerst grob und unterschlägt alle
Zwischen- und Untertöne, das gestehe ich sofort zu. Aber als Notbehelf ist sie
brauchbar, um den Umbruch zu verdeutlichen, der Ende der 90er Jahre einsetzt und
letztlich auch das österreichische Sozialforum ermöglichte: die Linke formiert
sich neu, zweifellos, aber formiert sie sich auch als neue Linke? Das Adjektiv
„neu“ ist immer mit Vorsicht zu gebrauchen. Gegen die These des „Neuen“
spricht einiges: Von den etwa 1500 teilnehmenden Personen - mehr als die
PessimistInnen befürchteten, weniger als die OptimistInnen erhofften - waren
viele FunktionärInnen von Organisationen, die teilweise seit Jahrzehnten
bestehen und auch viele der Inhalte, Positionen und Meinungen, die in den über
150 Veranstaltungen geäußert wurden, können schwerlich mehrheitlich als
besonders neu oder originell bezeichnet werden. Aber trotzdem meine ich, daß
sich in dem Phänomen der Sozialforen zwei Momente zeigen, die erst in den
letzten Jahren hegemonial wurden. Erstens: Ein
ganz starker Zug zu einer sehr selbstkritischen Betrachtung ist unverkennbar.
Immer wieder wurde in den Diskussionen betont, daß Fragen offen, Lösungsmöglichkeiten
nicht auf dem Reißbrett entworfen werden können und viele Begriffe ungeklärt
sind. Wie Alternativen zum Kapitalismus möglich sind, wie sie aussehen könnten
und wer sie wie durchsetzt, das wurde mehrheitlich als ungelöste Probleme
empfunden. Daß diese Haltung etwas mit dem Scheitern kommunistischer und
sozialdemokratischer Strategien, aber auch mit dem veränderten Charakter
antiimperialistischer Bewegungen zu tun hat, liegt auf der Hand. Zweitens: Was
das österreichische Sozialforum letztlich zu einem äußerst positives Ereignis
machte, war der veränderte Zugang der Subjekte zur Artikulation ihrer Wünsche,
Meinungen, Ängste und Widerständigkeiten. Dieser Satz erfordert eine genauere
Erläuterung.[i] Offensichtlich existiert
ein Zusammenhang zwischen dem Ausklingen des Fordismus und der Krise des
etablierten parlamentarischen politischem System. Die bürgerliche Soziologie
hat dieses Phänomen breit beschrieben. Die „Parteibindung“ sinkt, die
Mitgliederzahlen der Parteien und Gewerkschaften sinken, die Wahlbeteiligung
droht zumindest zu sinken. Zweitweise wurde das Schlagwort der
„Politikverdrossenheit“ von Hand zu Hand weitergereicht. Andererseits
hatten offenbar Strukturen, die sich (vorerst) explizit außerhalb und teilweise
gegen diese traditionelle Art der Politik entwickelten, regen Zulauf. Die
einzelnen Wellen könne hier nur angedeutet werden. Die grün-alternative
Bewegung terminierte letztlich in einer ganz traditionellen und professionellen
Parlamentspartei. ATTAC scheint eine Zwischenstellung einzunehmen. Manches läßt
sie als bürokratische NGO erscheinen, andererseits hat sie auch einen offenen
Bewegungscharakter. Die Sozialforen jedoch basieren explizit auf der Ablehnung
der Repräsentation und der Fixierung auf bestimmten Lösungen und politischen
Forderungen. Daß die
Kritik der Repräsentation selten explizit formuliert wird, tut nichts zur
Sache. Als Erfahrung ist sie präsent. Wahrscheinlich ist es sinnvoll, analog
zum Begriff der repressiven Toleranz den Begriff der repressiven Demokratie zu
bilden. Repressive Demokratie zeigt die Resultatlosigkeit und
Bedeutungslosigkeit des politischen Engagements innerhalb korporatistischer,
staatsintegrierter Strukturen an. Im traditionellen Partei- und
Interessensvertretungsgefüge sind die Mitglieder schon lange zu Betreuungsfällen
eines professionellen Apparats geworden, der von bezahlten und austauschbaren
Profis am Laufen gehalten wird.[ii]
Die Erfahrung, daß die eigene authentische soziale Erfahrung umgebogen,
instrumentalisiert, in Umfragetabellen totgegossen, beliebig interpretiert,
verleugnet, in einer sinnverstellenden Sprache ausgedrückt, mißverstanden und
notfalls ignoriert wird, diese Erfahrung ist es letztlich, die zu jenem Phänomen
führen mußte, das sich unter anderem auch im österreichischen Sozialforum äußerte.
Ich vermute,
daß so gut wie alle, die am österreichischen Sozialforum teilgenommen haben,
bei der einen oder anderen Veranstaltung das Wort ergriffen haben und der Anteil
jener, die einfach geschwiegen haben, ganz, ganz klein war. Ich behaupte zudem,
daß dies ein ganz hervorragendes Kriterium für den Charakter einer
Veranstaltung darstellt.[iii]
Nur wer spricht, kann gehört werden. Nur wer spricht, kann davon überzeugt
werden, daß das eine oder andere Argument vielleicht doch nicht so toll ist.
Und wer spricht und wer wirklich spricht, muß und will anderen zuhören. Die
Stimmung und das Klima war so beschaffen, daß alle allen zugehört haben. Aber
Stimmungen und ein Gesprächsklima entstehen nicht zufällig. Sie entsprangen
dem tiefen Bedürfnis, selbst als sprechendes, sich artikulierendes Subjekt zu
agieren und dies implizierte, die anderen als solche anzuerkennen. Diesem Sog
konnte und wollte sich niemand entziehen. Als Ort des
Sprechens und Zuhörens konnte das österreichische Sozialforum von niemanden
instrumentalisiert werden. Die große Anzahl der Veranstaltungen verhinderte
auch, daß das Forum als Bühne für Promis und Selbstdarsteller fungieren
konnte. Der einzige, ganz vage und nur angedeutete Versuch, das Sozialforum als
Sprungbrett für ein repräsentatives Projekt zu benutzen, wurde mit der Debatte
um die Perspektive der europäischen Linken angedeutet, die in einer gemeinsamen
Kandidatur linker Gruppen und Parteien zu den Europawahlen ihren Ausdruck finden
sollte. Aber schon während der Diskussion wurde klar, mit dem Sozialforum hat
das Kandidaturprojekt so gut wie nichts zu tun und umgekehrt. Wie auch? Inhalte,
Form und Bedingungen einer linken Liste für das Europaparlament können
naturgemäß nur von den RepräsentantInnen der Organisationen ausgehandelt
werden.[iv] Wohlwollende
Kritik wurde in die Richtung geübt, das Sozialforum hätte zu wenig nach außen
gewirkt. Es war nicht zufällig, daß die beiden Versuche, in die Öffentlichkeit
hinein zu wirken, wenig Interesse und Begeisterung hervorrief. Die kurzfristige
Blockade der Autobahn wurde als Pflichtübung abgespult und die Schlußerklärung
des Sozialforums kaum wahrgenommen. Wie soll auch ein äußerst heterogenes
Forum, in dem das Bewußtsein weit verbreitet ist, über offene Fragen und ungelöste
Probleme zu kommunizieren, großartige Botschaften öffentlich kundtun? Die
wichtigste „Botschaft“ war das Sozialforum selbst, sein Zustandekommen war
das entscheidende Ereignis. Als
singuläres Ereignis läßt sich das Sozialforum auch nicht auf Dauer stellen.
Es war ein Ausdruck des Bedürfnisses, miteinander zu kommunizieren, ohne sich
gegenseitig zu belehren oder zu missionieren. Ob das bereits geplante österreichische
Sozialforum nächstes Jahr ebenfalls so positiv abläuft, ist zu hoffen – die
grundrisse-Redaktion wird ihren Beitrag dazu leisten. Karl Reitter [i]Auch hinsichtlich der geäußerten Kritik. Die Kritik am Sozialforum läßt ich in zwei Dimensionen gliedern. Die einen sind empört darüber, daß irgendwer irgendwas gesagt hat, was in den Augen der KritikerInnen einen Skandal darstellt. Abgesehen von der Tatsache, daß oftmals die Auffassungen dieser strengen externen Beobachter ebenfalls mehr als diskussionswürdig sind (also eigentlich Skandal gegen Skandal steht), kann schicht und einfach nicht verhindert werden, daß bei einem freien Zugang die eine oder andere krude Idee verlautbart wurde, was die erbsenzählenden Glashausbewohner naturgemäß äußerst empört. Was wäre die Alternative gewesen? In Konsequenz, das Sozialforum einfach nicht durchzuführen. Die andere Form Kritik läuft schlicht darauf hinaus, daß die überwiegend Mehrzahl der TeilnehmerInnen just nicht jene Position teil, die mensch für die einzig angemessene und richtige hält. [ii] Wahlkampfmanager, Umfrageexperten und politische Berater besitzen unverhältnismäßig mehr Einfluß auf die Gestaltung aktueller Politik von Parteien als die eigentlichen Mitglieder. [iii] Der Charakter so mancher KritikerInnen zeigt sich auch daran, daß sie ein solches Kriterium nicht einmal vom Hörensagen kennen, geschweige denn anerkennen. [iv] Nicht zufällig fand daher auch das nächste Treffen bezüglich Europaparlamentskandidatur vom 9. bis 10. Juni in Athen statt, jenseits der Vernetzungsstruktur der Sozialforen.
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