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BUM
– Büro für ungewöhnliche Maßnahmen [i] Ein
zentraler Ausgangspunkt jeder antirassistischen Arbeit ist das Wir. Und zwar in
zweifacher Hinsicht. Einerseits ist das rassistische Wir letztlich jene Bastion,
die es diskursiv anzukratzen und zu knacken gilt, andererseits ist auch das Wir,
das sich gegen Rassismen richtet, als Nukleus des eigenen politischen Handelns
unter die Lupe zu nehmen. Das
antirassistische Wir – basale Spaltungen Es
gibt im Antirassismus immer 2 Perspektiven, die zu kombinieren einer intensiven
Auseinandersetzung bedarf. Auf der einen Seite steht die Perspektive derjenigen
AktivistInnen, die Rassismen ausgesetzt sind, die empowerment- und Überlebensstrategien
für sich selbst entwickeln müssen, weil sie systematisch diskriminiert und
bedroht werden, die aber auch das Interesse an ihrer eigenen Gleichstellung in
der Gesellschaft vertreten. Auf der anderen Seite steht die Perspektive jener
AktivistInnen, die nicht rassistisch angegriffen oder schlechtergestellt werden,
deren Unbehelligtbleiben[ii] Einmischungen bis hin zu
Konfliktinszenierungen notwendig macht, um Rassismen überhaupt sichtbar zu
machen, die Rassismen aus einem ideologischen/gesellschaftspolitischen Interesse
heraus bekämpfen. Wenn diese beiden Perspektiven unbenannt bleiben, werden
wesentliche Unterschiede in den Ausgangslagen der antirassistischen Arbeit
verdeckt. Eine Kooperation wird dadurch stark behindert. Wenn diese beiden
Perspektiven zusammenfinden, in Diskussion treten, Kooperation probieren,
entsteht noch kein Wir. Es entsteht zunächst einmal eine mehr oder weniger brüchige
Allianz, die immer vom rassistischen Machtgefälle und von der Einholung durch
die Normalität bedroht ist. Was die Kooperation noch schwieriger macht, ist der
Umstand, dass die Diskussion rund um die Benennung der beiden Perspektiven noch
weit davon entfernt ist, abgeschlossen zu sein. Zum Teil hat sie noch nicht mal
angefangen. Die
Weisse Perspektive Überhaupt
dethematisiert ist die Perspektive der nicht rassistisch diskriminierten
AktivistInnen, die im gesamten antirassistischen Diskurs hier in Österreich im
Jahr 2003 zwar rapide abnehmend aber immer noch einen bedeutenden Teil der
Definitionsmacht ausübt. Das
Spektrum der nicht rassistisch diskriminierten Menschen, die sich u.a. als
antirassistisch bezeichnen, reicht hier von kirchlichen, grünen,
sozialdemokratischen bis hin zu linken Gruppen. Dieses Selbstverständnis leiten
sie aus ihrer durchwegs außengerichteten Zielsetzung ab. Gegen Rassismus zu
sein, bedeutet oft nichts anderes als das rassistisch-Sein der anderen zu
kritisieren, ohne sich mit den selbst reproduzierten Rassismen
auseinanderzusetzen. Je deutlicher Rassismus entlang der Zielsetzung allein ins
Außen projeziert wird, , desto eher reproduziert eine Organisation selbst
rassistische Strukturen und desto schwächer werden Credibilität und Legitimität
als Ausgangsbasis einer Organisation, die gegen Rassismen wirken will. Zur
Erreichung antirassistischer Zielsetzungen ist es krass kontraproduktiv, von
einem antirassistischen Sein auszugehen. Vielmehr ist es essentiell für nicht
rassistisch diskriminierte Personen mit antirassistischem Anspruch,
entsprechenden Deklarationen und Prinzipien, wenn sie sich in einer am Maßstab
der rassistischen Asymmetrie gemessenen dominanten Position befinden, vom
eigenen Rassistisch-Sein als unhintergehbar positionsbedingten Zustand
auszugehen, und damit die Notwendigkeit anzuerkennen, parallel zur außengerichteten
politischen Arbeit die eigenen Rassismen laufend aufzudecken und zu bearbeiten. Durch
die Nichtthematisierung der Dominanz und der damit einhergehenden Privilegien
auch in den antirassistischen Aktivitäten selbst nimmt sich die entsprechende
Perspektive aus dem sozialen Kontext heraus und bezieht eine gleichsam
engelhafte Position des Gutseins und Besserwissens. Sie stellt sich selbst ins
Jenseits, in ein fiktives gallisches Dorf der antirassistischen Zusammenhänge. In
diesem Jenseits verschwimmt der signifikante Unterschied zwischen dem Versuch,
nicht rassistisch zu sein und dem antirassistischen Wirken. Wer in der
gesellschaftlich dominanten Position diesen Unterschied nicht beachtet, findet
sich sehr schnell in der unreflektierten Position des antirassistisch-Seins
wieder, einem kontrafaktischen Selbstverständnis. Sich von vornherein
antirassistisch als Zustand zuzuschreiben, ist kontraproduktiv für das
antirassistische Wirken, weil es dazu tendiert, das rassistisch-Sein, das Leben
in rassistischen Strukturen und deren unweigerliche Reproduktion aus der
dominanten Position heraus zu verleugnen. Eine
Strukturanalyse der meisten Organisationen, die sich als antirassistisch
bezeichnen und wo in welcher Konstellation auch immer nicht rassistisch
diskriminierte AktivistInnen beteiligt sind, würde viele Rassismen offenlegen.
Wer handelt in welcher Funktion, als EntscheidungsträgerIn, BetreuerIn, AusführendeR,
HandelndeR, ForscherIn, TextproduzentIn, SprecherIn, RepräsentantIn,
Zielgruppe, "BetroffeneR", Opfer, wie sieht die Ressourcenaufteilung
innerhalb dieser Gruppe aus, wer kann was beisteuern, wer kann wieviel
investieren? Wenn solche und ähnliche Fragen gestellt werden, kommt ans Licht,
dass gerade in den finanzierten antirassistischen Projekten hierzulande noch
nicht so viele rassistisch diskriminierte Personen arbeiten – schon gar nicht
in leitenden Positionen. Aber auch in den unfinanzierten nicht gerade ethnisch
organisierten Gruppen bilden die rassistisch diskriminierten Personen selten die
Mehrheit. Bei Gruppen, die sich gegen Sexismus engagieren, würde es gleich ins
Auge springen, wenn die Frauen in der Minderheit wären. Männer hätten in
solchen Gruppen, wenn sie überhaupt akzeptiert werden, mal die Klappe zu halten
und zuzuhören. Solche unausgesprochenen oder explizit gesetzten Normen sind in
antirassistischen Zusammenhängen noch überhaupt nicht selbstverständlich. Im
Gegenteil kommt es den meisten antirassistischen AktivistInnen nicht seltsam
vor, wenn sie in Weiss-dominierten Räumen diskutieren und ausgehend von solchen
Räumen ihre Aktionen planen. Dies hat im Wesentlichen 5 Ursachen: Die
5 Rassismen in der Weissen antirassistischen Perspektive An
erster Stelle steht sicherlich der Umstand, dass Rassismus weithin und auch in
selbstdefiniert antirassistischen Kreisen nicht begriffen wird. Bis Anfang der
90er Jahre wurde in Österreich noch nicht von Rassismus sondern von
Fremdenfeindlichkeit gesprochen. Erst gegen Ende der 90er Jahre verbreitet sich
das Wort Rassismus zur Bezeichnung hiesiger Realität. Der moralische
Antirassismus der 90er Jahre sorgt allerdings dafür, dass Rassismus mit dem
personifizierten Bösen Haider und dessen unerhörten Artikulationen
gleichgesetzt wurde. Auf dem Weg vom Wort zum Begriff ist der Diskurs über
Rassismus hierzulande also noch nicht so weit fortgeschritten. Daher ist es
immer wieder wichtig zu betonen, dass Rassismen als Normalität zu betrachten
sind. Rassismen verstecken sich im Bereich des Selbstverständlichen, des
Unbegriffenen. Sie müssen erst ent-deckt werden, um bewusst behandelbar zu
werden. Dieses Ent-decken ist der erste Schritt der antirassistischen Arbeit überhaupt.
Was Kooperationen für rassistisch diskriminierte AktivistInnen oft so mühsam
und unergiebig macht, ist der Umstand, dass sie dauernd auf Rassismen in den
Kooperationszusammenhängen selbst aufmerksam machen müssen. Sie bekommen in
den Gruppen aufgrund der strukturellen Konstellation tendenziell die Rolle von
Jackie in the box, dem Clown auf der Feder, der auf ein bestimmtes Stichwort hin
mit einem kleinen Knall aus seiner Schachtel springt. Auch in Gruppen mit höherem
Reflexionsniveau bildet sich dieses Gefälle heraus zwischen den "AufdeckerInnen",
die den sich einschleichenden Normalitäten mit einem "He Moment!"
Einhalt gebieten und denjenigen, denen die Augen geöffnet werden, die in ihren
Routinen und Denkschemata gestört und aufgefordert werden, neue Wege zu
entwickeln. Darum
ist es auch so wichtig, ein klares theoretisches Konzept von Rassismus (siehe
dazu unten) zu haben. Ohne ein solches Konzept als Hilfmittel zur
Differenzierung wird Rassismus einfach zu einem überwältigenden allgegenwärtigen
Gestank, dessen Quellen nicht zu orten und nicht zu behandeln sind. Rassismus
ist nicht schon immer dagewesen, sondern ein historisches Phänomen, und daher
sehr wohl Objekt der sozialen Behandelbarkeit. Eine
zweite Ursache ist die Ignoranz und das mangelnde Bemühen der Weissen
AntirassistInnen, aktiv Kooperationen mit rassistisch Diskriminierten
einzugehen, und zwar von Anbeginn eines Vorhabens oder Projektes an, und nicht
erst, wenn die Grundentscheidungen schon getroffen sind. Das griechische Wort
"archein" bedeutet nicht umsonst anfangen und herrschen. Wer eine
Sache beginnt, tendiert sehr stark dazu, sie zu beherrschen. Daraus ergibt sich
für den Weissen Antirassismus ein allgegenwärtiges Anfangsdilemma: Ohne
Kooperation mit rassistisch Diskriminierten sollte auch die scheinbar genialste
Idee mal in der Schublade bleiben. Gleich einer Männergruppe, welche sich mit
den eigenen Sexismen auseinandersetzt, kann es natürlich auch Weisse Gruppen
geben, die sich unter Ausschluss von rassistisch Diskriminierten mal mit den
eigenen Rassismen auseinandersetzen. Solche Gruppen sind aber nicht nach außen
aktionsfähig, sobald sie erkannt haben, dass sie egal mit welcher Aktion zunächst
einmal nur das StellvertreterInnenunwesen reproduzieren würden. Als
dritte Ursache ist zu nennen, dass der moralische Antirassismus[iii]
der 90er Jahre alle unabhängig von ihrer Position entlang der rassistischen
Asymmetrie gleichermaßen im innerhegemonialen Kampf gegen Haiders FPÖ dazu
aufgerufen hat, gegen Rassismus aktiv zu werden. Aufbauend auf der
sozialdemokratisch-gewerkschaftlich traditionellen Verwechslung von
Anti-Rechtsradikalismus mit Antirassismus hat der moralische Antirassismus auch
ein gutes Stück die Dominanz des Weissen Antirassismus und Weisses
antirassistisches Handeln unter faktischem Ausschluss der rassistisch
Diskriminierten befördert und legitimiert. Auch in den im weiteren Sinne linken
genauso wie in den im engeren Sinne antirassistischen Zusammenhängen hat der in
den 90er Jahren hegemoniale moralische Antirassismus seine Spuren hinterlassen.
Die deklarierten Linken und AntirassistInnen tendieren dazu, Rassismus von sich
zu weisen. Sie haben den Anspruch, dass die antirassistischen Organisationen und
Netzwerke gleichsam eine Rassismus-freie Zone darstellen. Dieses moraltriefende
Selbstverständnis wird hochgehalten, obwohl jeder empirische Blick auf die
Realität und jede theoretische Betrachtung von Rassismus alle Beteiligten
eigentlich mit der Nase darauf stoßen sollte, dass dieses Selbstverständnis
schwer kontrafaktisch ist. Dieses wider die Realität nach dem Motto "Es
darf nicht sein, was nicht sein soll" aufrechterhaltene antirassistische
Selbstverständnis verdeckt sehr oft den Rassismus im unmittelbar eigenen
Einflussbereich. Damit trägt das offen zur Schau getragene antirassistische
Selbstverständnis unter den Vorzeichen des moralischen Antirassismus zur
Reproduktion von Rassismen bei, ist also tendenziell rassistisch. Dieser Zirkel
lässt sich eigentlich nur durchbrechen, indem – wie Di-Tutu Bukasa es
formuliert – Rassismus rehabilitiert wird. Es ist von einer Selbstverständlichkeit
des Rassismus auch im eigenen Einflussbereich auszugehen, weil dieser
Einflussbereich nicht von gesamtgesellschaftlichen Strukturen abzukoppeln ist.
Nur die Anerkennung der rassistischen Normalität kann Ausgangsbasis für einen
realistischen Antirassismus sein. Als
vierte Ursache kann angeführt werden, dass Kooperationsentscheidungen sich
stark an kurzfristiger Effektivität und Effizienz orientieren und daher
tendenziell Personen als KooperationspartnerInnen gesucht werden, die den
eigenen Handlungsraum möglichst weitreichend vergrößern. Diskriminierung
zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass Handlungsressourcen entzogen oder
verwehrt sind. Gerade in der hierzulande wesentlichen (das hegemoniale
Arrangement stützenden) Politikform der Intervention bzw. des Lobbying haben
sich nur sehr wenige rassistisch diskriminierte Personen effektive Zugänge zu
politischen EntscheidungsträgerInnen oder MedienvertreterInnen geschaffen.
Indem solche Politikformen auch seitens antirassistischer Gruppen weiter
betrieben werden, wird die Ungleichverteilung der Interventionsmöglichkeiten
weiter bedient. Die eingeschlagene Kooperationsrichtung bestimmt wesentlich,
welche Handlungsmöglichkeiten sich eröffnen. Als
fünfte wesentliche Ursache versteckt sich hinter der Weissen Dominanz im
Antirassismus hierzulande auch das strukturelle Moment, dass Weisse Männer und
(bereits wesentlich eingeschränkter) Frauen leichter Ressourcen für politische
Arbeit mobilisieren können. Diese genderspezifische Differenz zeigt sich in den
antirassistischen Gruppen dann wiederum an der stärkeren Beteiligung von
rassistisch diskriminierten Männern im Vergleich zu rassistisch diskriminierten
Frauen. Die ökonomischen Grundlagen des politischen Handelns sind entlang der
Diskriminierungsachsen mehrfach ungleich verteilt. Auch Initiativen, die unter
Beteiligung von rassistisch diskriminierten Personen anfangen, laufen Gefahr,
dass gerade die rassistisch Diskriminierten als erste abspringen, weil ihnen die
Teilnahme ökonomisch schwerer fällt. Umso bedenklicher ist der Umstand, dass
es im Rahmen der bezahlten antirassistischen Projekte nicht selbstverständlich
ist, dass vorzugsweise rassistisch diskriminierte Personen angestellt werden
bzw. in die Entscheidungspositionen aufrücken. Eine
Schwarze Perspektive? [iv] Ein
wesentliches Merkmal der rassistischen Asymmetrie ist der Umstand, dass
rassistisch diskriminierte Gruppen der Fremddefinition unterworfen werden. Sie
werden als Gruppen von hegemonialen Diskursen konstruiert und durch den
Rassismus in eine gesellschaftliche Position gedrängt, die sie sich primär
nicht selbst ausgesucht haben. Unter dieser Voraussetzung finden dann jene
Selbstdefinitionsprozesse statt, die zu einer politischen Subjektivierung führen.
Immer wieder maßen sich nicht rassistisch Diskriminierte an, in diesen
Definitionsprozessen einen Beitrag zu leisten, womit sie prompt rassistische
Fremddefinition reproduzieren. Selbst
in Zusammenhängen, die nur am Rande mit antirassistischen Diskursen
konfrontiert sind, spricht sich langsam herum, dass Kategorien wie Opfer oder
Betroffene einem sozialarbeiterischen HelferInnentum entstammen und daher
abzulehnen sind. Solche Kategorien sind dann leichter aus den Diskursen zu verdrängen,
wenn die Diskussionen rund um mögliche Selbstdefinitionen der rassistisch
Diskriminierten bereits zu einem breit akzeptierten Ergebnis geführt haben.
Derzeit wird am ehesten der Begriff MigrantInnen als politischer Sammelbegriff
verwendet, wobei diese Lösung immer weniger tragfähig wird, je weiter sich die
sich selbst definierenden Gruppen generationsmäßig von einem vergangenen
Migrationsakt entfernen. Der Migrationsbegriff ist zweischneidig, insoferne er
einerseits Assoziationen der Grenzenlosigkeit und der Überwindung des
Nationalstaates weckt und anderseits auf das Nicht-von-hier-Sein verweist. Immer
wieder werden von verschiedenen Gruppen daher andere Bezeichnungen verwendet wie
z.B. politisch Schwarze oder TschuschInnen, Diaspora, sans papiers, auch der
Begriff AusländerIn wird zur Selbstdefinition gebraucht. In Anlehnung an die
Selbstbezeichnungen werden dann in der Szene mehr oder weniger politisch
korrekte Sprachregelungen kreiert: Menschen mit Migrationshintergrund, mit
afrikanischem oder lateinamerikanischem oder sonstigem Background. Oder es
werden eher analytische Kategorien verwendet, wie z.B. rassistisch
Diskriminierte, einerseits stets auf die Asymmetrie zu den nicht rassistisch
Diskriminierten und auf das Faktum der Diskriminierung verweisen, die jedoch
andererseits nicht den Selbstdefinitionsdiskussionen entstammen, sich nicht zur
politischen Subjektivierung eignen - Frauen reden von sich auch nicht als
sexistisch Diskriminierte - und insoferne stark Gefahr laufen, das Schema der
rassistischen Fremddefinition zu reproduzieren. Die Einheitlichkeit der
Selbstdefinition wird auch durch die spaltende Vielfalt der Rassismen behindert.
Die Positionen der Personen, die (unterschiedlichen) Rassismen ausgesetzt sind,
sind sehr unterschiedlich. Weitere Distanzen im sozialen Gefüge entstehen durch
die anderen Diskriminierungsformen (insb. Sexismus), die Rassismus durchkreuzen.
Das vergleichsweise späte Einsetzen der Migration nach Österreich in den
1960er Jahren und das Fehlen einer lingua franca im Gegensatz zu den westeuropäischen
ehemaligen Kolonialmächten tun ihr Übriges dazu, dass der Diskussionsprozess
rund um eine politische Selbstdefinition und entsprechende Identifikation mit
gemeinsamen politischen Interessen nur langsam vorankommt. Die
politische Subjektivierung von rassistisch diskriminierten Gruppen inkludiert
aufgrund der primär nicht selbst gewählten gesellschaftlichen Position das
Paradox, dass diese Subjektivierung eigentlich darauf abzielt, sich selbst
wieder aufzulösen. Die national/ethnisch bestimmte Identität soll durch die
Subjektivierung der davon Ausgeschlossenen herausgefordert, werden, um letztlich
beide Identitäten zu etwas Neuem verschmelzen zu lassen, das die alten
Unterschiede nicht mehr kennt, das die Angelpunkte kollektiver Identität an
sich grundlegend verändert. Am
ehesten lässt sich eine Schwarze Perspektive an rassistischen Asymmetrien
festmachen. Die politische Artikulation ist in wesentlich stärkerem Ausmaß von
staatlicher Repression bedroht. Das rassistische Prinzip der Illegalisierung[v],
des Nicht-hierher-Gehörens sorgt dafür, dass es nicht nur für rechtlich tatsächlich
schlechtergestellte Menschen ohne EU-Bürgerschaft keine sicheren Rückzugsgebiete
gibt. Die Propaganda z.B. über die nigerianische Drogenmafia trifft letzlich
unabhängig vom Rechtsstatus alle, die in das gezeichnete Bild passen. Die
rassistischen Bedrohungsszenarien erzeugen jene Momente, die extreme
Gewaltanwendung von der Abschiebung bis hin zur Tötung rechtfertigen und fördern.
Die rassismusbedingte existenzbedrohende Gewaltbereitschaft sorgt wiederum dafür,
dass Schwarze Politikformen sich in ihren Möglichkeiten ganz grundlegend z.B.
von jenen von Frauen oder Behinderten unterscheiden. So kommen Besetzungen
seitens antirassistischer Initiativen in Österreich sowieso nicht aber auch in
westeuropäischen Staaten de facto nur in sehr geschützten Räumen vor (insb.
Kirchen), was Besetzungen zu einem symbolischen Akt anstatt zu einer Behinderung
des Normalbetriebes werden lässt. Schwarze Politik ist stärker auf Empowerment
und Selbstorganisation verwiesen, auf informelle Netzwerke und Klandestinität,
um sich der rassistischen Gewaltbereitschaft zu entziehen. Das
Prinzip Antirassismus Das
Wirken gegen Rassismen erfordert ständige Auseinandersetzung sowohl innerhalb
der eigenen Organisation als auch in der antirassistischen und linken Szene. Die
Effektivität des Wirkens gegen Rassismen lässt sich dadurch steigern, dass
permanent in 5 Bereichen gearbeitet wird: 1.)
Normalität begreifen, das Selbstverständliche und damit Unbegriffene der
diskursiven Bearbeitbarkeit zuführen. Informationen verarbeiten. Wissensobjekte
schaffen. 2.)
Asymmetrien im eigenen Einflussbereich benennen, Rassismen und die eigene
Position in der rassistischen Asymmetrie offenlegen, auf Ausgleich hinwirken, im
Bestehenden möglichst wenige Rassismen reproduzieren, equality targets
implementieren. 3.)
Alternative Modelle entwickeln, Inputs für übergreifende gesellschaftliche
Auseinandersetzungen formulieren, Ideen beisteuern. 4.)
Allianzenbildung, Motivationen und Interessen von anderen politischen
AkteurInnen ausloten, an der Attraktivität und Verständlichkeit der eigenen
Position arbeiten, in Kooperationen eintreten, an der Vorbereitung von Großveranstaltungen
teilnehmen, Institutionen durch befreundete Drehpunktpersonen infiltrieren,
Ressourcen zugänglich und verfügbar machen. 5.)
Konfrontation, Konflikte positionieren bzw. inszenieren, lohnende
Auseinandersetzungen mit hohem Verbreitungsgrad suchen, die eigenen Positionen
schärfen und die eigenen Diskurse im Rahmen von weithin beobachteten
Konfrontationen effektiv proliferieren. Es
würde den Rahmen des vorliegenden Artikels sprengen, alle diese Punkte auch nur
ansatzweise zu diskutieren. Dort, wo wir auf bereits existente Texte verweisen können,
werden wir daher in diesem Beitrag einfach auf die Behandlung der Punkte
verzichten. Die übrigen Punkte wollen wir in Form von relativ willkürlichen
Anrissen behandeln.[vi]
Die
Konzeption von Rassismus und antirassistischem Handeln Ein
theoretisches Konzept von Rassismus und den Möglichkeiten, dagegen zu wirken,
braucht zunächst einen kurzen Hinweis auf ein epistemologisches Grundverständnis:
Wir gehen von einem Erklärungsmodell für das Soziale aus, das unterscheidet
zwischen historisch gewachsenen Strukturen, die von den Handlungen in der
Vergangenheit herrühren, auf der einen Seite und Handlungen in der Gegenwart
auf der anderen Seite, welche gleichsam aus den bestehenden Strukturen
herauswachsen, weiterleben, diese Strukturen reproduzieren oder transformieren,
wobei die Tendenz zur Transformation der Strukturen in Richtung historisch neuer
gesellschaftlicher Verhältnisse mit den Widersprüchen wächst, die aus der
Reproduktion bzw. Fortschreibung der Strukturen entstehen. Aus diesem Grundverständnis
des Sozialen ergibt sich auch schon unser Verständnis der Behandelbarkeit der
Realität: Es geht um die Einleitung von bewussten Transformationsprozessen, die
in neue Strukturen münden, die in Zukunft das Handeln bestimmen. Entlang
der Dichotomie Struktur-Handlung manifestiert sich auch das soziale Phänomen
Rassismus einerseits auf struktureller Seite und andererseits damit
interagierend auf der Seite der gegenwärtigen Handlungen. Auf
der strukturellen Seite lässt sich Rassismus als Macht-Ideologie-Komplex
darstellen, der einerseits in einer historisch gewachsenen, gesellschaftlich
systematischen Machtasymmetrie zwischen einer als fremd bzw. andersartig
explizit definierten Gruppe und einer "normalen" d.h. meist nur
implizit über diese Abgrenzung zu den "anderen" definierten
hegemonialen Gruppe besteht und andererseits begleitet wird durch eine Ideologie
bzw. durch Diskurse, welche die Schlechterstellung, Unterdrückung, Ausbeutung,
Beraubung, Bedrohung, Vertreibung, Verfolgung und Tötung von Gruppen
legitimieren, denen aufgrund der behaupteten oder implizierten Ungleichheit
(meist in Kombination mit einer behaupteten besonderen Gefährlichkeit) das
Recht auf Selbstbestimmung, Erhaltung oder Schaffung von ökonomischen
Lebensgrundlagen, auf körperliche Unversehrtheit bis hin zum Recht auf Leben
abgesprochen wird. Auf
der Seite der gegenwärtigen Handlungen lässt sich festhalten: Rassismen werden
von Angehörigen einer hegemonialen Gruppe dann reproduziert, wenn sie auf Basis
einer gesellschaftlich systematischen Machtasymmetrie im Verhältnis zu einer
rassistisch definierten Person oder Gruppe in einer Form handeln, welche die
Machtasymmetrien bestärken oder verschärfen, indem sie z.B. Stereotypen
wiederholen, bestimmte Rechtfertigungsideologeme verbreiten, die hegemoniale
Gruppe in ihrer privilegierten Stellung stützen, zur Schlechterstellung,
Unterdrückung, Ausbeutung, Beraubung, Bedrohung, Vertreibung, Verfolgung und Tötung
von rassistisch definierten Gruppen beitragen oder diese legitimieren. Rassistisch
diskriminierte Menschen können – wiewohl sie auf weniger
Durchsetzungsressourcen zurückgreifen können - mit ihren Handlungen die
rassistische Asymmetrie bestärken. Internalisierte Rassismen und deren
Reproduktion wirken diesfalls allerdings immer auch gegen sie als Handelnde
selbst, weil sie damit ihre eigene Positionierung in der Gesellschaft
mitbetreiben. Dies ist unhintergehbar in ihrer nur langsam veränderlichen
gesellschaftlichen Position angelegt. Der
zu Beginn angesprochene Unterschied zwischen dem Versuch, nicht rassistisch zu
sein und dem antirassistischen Wirken wird hier nochmals deutlich: Wenn eine
Handlung nach Möglichkeit keine Rassismen reproduziert, dann ist das zwar gut
und schön, aber antirassistisches Handeln verlangt darüber hinaus, dass der
rassistischen Normalität entgegengewirkt wird, dass also Strukturen
transformiert werden, sodass zukünftige Handlungen daraus hervorgehen. Obwohl
es schon sehr viel Bewusstsein erfordert, genügt es nicht, nicht rassistisch zu
sein. Um die Reproduktion von Rassismus zu verhindern, muss antirassistisches
Handeln auf die Entwicklung von Alternativen ausgerichtet sein und die
Reproduktion von rassistischen Strukturen möglichst unterbinden. Das
rassistische Wir Der
öffentlich mediale Raum um Rassismus und Antirassismus im österreichischen
Staat, der von den Massenmedien (ORF, Mediaprint, Der Standard, Die Presse, ...
) kontrolliert wird, besteht aus einer Reihe von sich ständig wiederholenden
Themen, thematischen Konstanten. Diese diskursiven Formationen sind Stützpunkte
für die ideologische Formation des Rassismus. Diese Themen verändern, ordnen
und kontrollieren die öffentlichen Debatten. Es sind erstens die österreichische
Nation, das kollektive österreichische Wir, zweitens die relative
geschichtliche Blindheit bezüglich der Konstruktion dieses Wir, drittens das
Schizo-Gefühl, einerseits ein kleines, ständig sein Selbstverständnis
verlierendes Land zu sein und andererseits handeln zu müssen trotz Verlust der
Souveränität (angesichts des EU-Beitritts). Das
österreichische Wir beruhte v.a. auf Wohlstand, dessen Eckpunkte die
Sozialpartnerschaft, die Große Koalition, die Neutralität und eine auf die
Interessen des Westens ausgerichtete Asylpolitik, waren. Alle diese Konstanten
des Wir (die sich seit den 1970er Jahren zusätzlich durch die Konstruktion der
"Ausländer" reproduzierten) gehören mittlerweile zur Geschichte.
Weder die Sozialpartnerschaft, noch die Große Koalition, noch Neutralität,
noch Asylpolitik haben heute die Bedeutung, die sie noch vor fünfzehn Jahren
besaßen. Nur die "AusländerInnen" sind nach wie vor da, um für die
Paranoia der Gesellschaft und das hegemoniale Bindemittel zu sorgen. Entlang
dieser Linien geht es beständig um die Schöpfung eines öffentlichen Konsenses
über die Grundlage der österreichischen Nationalstaatlichkeit, des angeblich
kollektiv handelnden Wir, bzw. der Institutionen, die sich anmaßen, diese
Wir-Konstruktion zu repräsentieren. Ausgehend
von dieser Situation ist eine geschichtliche Blindheit bzw. Selbstvergessenheit
des Wir zu konstatieren. Insgesamt erscheint die Geschichte der
Diskriminierungen für dieses nationalstaatliche Wir irrelevant und viele Verknüpfungen
werden nicht angesprochen. Dazu gehört die Tatsache der rassistischen
gesetzlichen Kontinuität zwischen Erster Republik, Ostmark und Zweiter Republik
genauso wie der latente gesellschaftliche Antisemitismus und Antislawismus. Erst
mit der Loslösung der Israelitischen Kultusgemeinde aus der
sozialdemokratischen Dominanz Mitte der 1980er Jahre im Zuge der Affäre um die
Beteiligung des Bundespräsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim am Zweiten
Weltkrieg kam es zu einer Bewegung in der Auffassung von einem der zentralen
Dogmen der Zweiten Republik – dem, dass es sich beim österreichischen Staat
um ein Opfer des Nationalsozialismus handelt. Die
weitgehende Entrechtung von 10 % der Bevölkerung, also jener MigrantInnen, die
nicht die österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben, ist bundesweit
nach wie vor kein Thema, obwohl es sich bei diesen Menschen um einen integralen
Bestandteil der Gesellschaft handelt. Die MigrantInnen kommen im
Mainstreamdiskurs vorwiegend als Fremdkörper vor. Sie sind grundsätzlich nicht
hierher gehörig, prinzipiell illegalisiert. Auf dieser Basis bauen dann alle möglichen
gruppenspezifischen Bedrohungsdiskurse auf; von den berühmten afrikanischen
DrogendealerInnen über die islamischen TerroristInnen bis zur russischen Mafia.
Diese künstlich aufgeblasenen Entitäten bevölkern die Mainstreammedien regelmäßig.
Diese kollektiv verankerten Konstruktionen haben Auswirkungen auf weite Kreise
von rassistisch Diskriminierten, egal ob sie die österreichische oder eine
EU-Staatsbürgerschaft besitzen. Ihr Da-sein wird zum Verbrechen. Diskriminierungen
sind nicht der Rede wert, sie werden überhaupt nicht thematisiert und brauchen
daher nicht gerechtfertigt zu werden. Denn hier geht es den "Fremden"
egal unter welchen Umständen besser als in ihrem "Herkunftsland".
Daher dürfen sie sich nicht beklagen. Wenn die Diskriminierung doch hörbar
kritisiert wird, so ist das eine Unverschämtheit. Auf dieser Basis hat sich
offenbar auch das Phantasma weit verbreitet, dass die MigrantInnen zu den
privilegiertesten Gruppen in der Gesellschaft (gemeinsam mit PolitikerInnen) zählen.
Dem
Bild, das seitens der Mainstreammedien von den rassistisch Diskriminierten
entworfen wird, wird derzeit praktisch nichts entgegengesetzt. Das ist die
Normalität. Die tatsächlichen, historisch gewachsenen gesellschaftlichen
Asymmetrien werden nicht thematisiert und die ganze Diskussion bezieht sich auf
die Abfederung von Härten des sonst im Grunde demokratiepolitisch und
nationalstaatlich legitimierten gesetzlichen Konsenses. Genau dieser Konsens
wird aber zunehmend durch das supranationale Gebilde der EU mit ihren eigenen,
über den nationalen Gesetzgebungen stehenden Regelungen in Frage gestellt. Wer
wie Fremdkörper ist, welche Bilder im Zusammenhang mit diesem transportiert
werden, wird zunehmend von der EU bestimmt und nur mehr subsidiär vom österreichischen
Wir. Dieser in Bewegung geratene Diskurs, dessen Zählebigkeit jetzt auf dem Prüfstein
steht, ist ein Kampfplatz für die Durchsetzung der ideologischen Formationen.
Diese sind entscheidend dafür, welche Art von Rassismen uns in welchem
historischen Moment begegnen. Abseits
des mainstream gibt es andere Konstruktionen, die nicht minder problematisch
sind: In den Medien der linken Szene sind die rassistisch Diskriminierten
entweder atomisierte Individuen, denen Unrecht geschieht oder ein unpolitischer
Haufen, weil sie nichts gegen die Diskriminierung tun. Diese beiden Sichtweisen
bedienen und verstärken sich gegenseitig. Es resultiert ein nur schwer zu
exorzierender Diskurs über "Betroffene". Damit gehen Reduktion auf
die persönliche Leidenserfahrung, Opferstatus und FürsprecherInnentum einher.
Ein neues antihegemoniales Wir, das quer zu den Diskriminierungslinien liegt,
wird solchermaßen blockiert. Die rassistische Markierung wird in der Rede von
den Betroffenen reproduziert. Das
differenzierte Wir, das anzudenken und dem rassistischen Wir gegenüberzustellen
wäre, muss sich in dem Bewusstsein formieren, dass die "Gleichheit aller
sprechenden Individuen" (Rancière) gleichzeitig einerseits präsente
Voraussetzung des politischen Handelns ist und andererseits von der Realität
der gesellschaftlich systematischen Diskriminierungen vielfach durchbrochen
wird. Das neue Wir scheitert derzeit permanent an den strukturell vorgegebenen
Differenzen. Es resultiert ein von diesem Scheitern durchbrochener, gleichsam
stotternder, immer wieder zurückgeworfener Prozess, der auf die Verwirklichung
des neuen Wir zusteuert. Dabei ist es nur scheinbar paradox, dass genau der
Hinweis auf die Differenz der gesellschaftlichen Ausgangslage jener Moment ist,
der das neue Wir immer wieder punktuell aufblitzen lässt. Der Hinweis auf die
Differenz und die Diskriminierungslinien verhindert auch, dass das neue Wir von
einer kleinen Gruppe usurpiert und zu einem neuen Herrschaftsinstrument gemacht
wird. Allianzenbildung
Das
Streben nach Bildung von Allianzen fußt auf der Annahme, dass im Rahmen
bestimmter gesellschaftlicher Situationen Parallelisierungen der Interessen
diverser AkteurInnen notwendig sind, um die aus der Gemeinsamkeit entstehenden
Potentiale optimal nutzen und die gemeinsamen Interessen stärker fördern zu können.
Unter dem Begriff Allianzenbildung sind jene Interaktionen im politischen Feld
zu verstehen, bei denen versucht wird, bestimmten Gruppen im Rahmen einer
Konfrontationsstellung zu einem bekämpften Gegenüber auf eine Seite zu ziehen
und damit diese Position zu verstärken. Solchermaßen sollen die Asymmetrien in
den Machtbeziehungen neu verteilt werden. In der Praxis handelt es sich dabei in
keinem Fall um geregelte und kontinuierliche Prozesse, die der langfristig
geplanten Notwendigkeit der Interaktion der jeweiligen PartnerInnen entsprechen.
Vielmehr handelt es sich um temporäre Parallelisierungen, die je nach Geschick,
Konjunktur und Konstellation mehr oder weniger brüchig sind. Die
Allianzenbildung aus antirassistischer Perspektive wird durch die Verschiebung
der innerhegemonialen Bedeutung anti/rassistischer Diskurse unter ÖVP/FPÖ-Regierung
vor neue Herausforderungen gestellt. Bis zum Ende der 90er Jahre und noch in den
ersten Jahren von Schwarzblau war der politische Antirassismus damit beschäftigt,
die Dominanz der SPÖ im Politikfeld Migration/Integration aufzulösen. Diese
Dominanz lag einerseits an der Stellung der SPÖ als Regierungspartei und den
daraus resultierenden Möglichkeit der Verteilung von Subventionen. Andererseits
hatte die SPÖ in Haider einen optimalen Widerpart für die Aufführung des
moralisch antirassistischen Kasperltheaters. Die vorzeitigen Neuwahlen im Herbst
2002 haben deutlich gemacht, wie stark sich die Diskurse im hegemonialen
Arrangement vermutlich insbesondere vor dem Hintergrund des Interesses an der
EU-Osterweiterung verschoben haben. Auf Basis von rassistischen Ressentiments
Gefolgschaft zu schaffen, war nicht mehr so opportun. Haider wurde auch von
wesentlichen Teilen seiner eigenen Partei demontiert. Die rassistischen
Artikulationen von rechtsaußen waren im Wahlkampf vergleichsweise leise bzw.
wurden von den Medien auch nicht hochgespielt (anders als noch Haiders "Ariel-Sager"
im wiener Wahlkampf 2001[vii]).
Dementsprechend hatten auch SPÖ und Grüne den Verlust eines
Positionierungspotentials zu beklagen. An der staatlichen Fortschreibung der
rassistischen Struktursetzungen hat sich indessen nichts geändert.
Innenminister Strasser bewegt sich so nahe am rassistisch-nationalstaatlichen
Konsens, dass die Adjustierungen und Verschärfungen hie und da nicht sonderlich
konfliktträchtig sind. Was noch vor wenigen Jahren medial aufgegriffen wurde,
kommt heute kaum über das Niveau von Presseaussendungen hinaus. Als der
"Integrationsvertrag" 2001 von der Regierung lanciert wurde, kam es zu
einem letzten SP-gestützten Aufflackern der Empörung, das allerdings von der
Regierung nach alter Sitte einfach ignoriert wurde. Der diskursive Umgang mit
Rassismus im Mainstream hat sich seither radikal verändert. Rassismus wird
tendenziell wieder beschwiegen. Er driftet diskursiv wieder stärker zurück in
den Nebel der Normalität, aus dem er durch Haider ans Licht gezogen wurde. An
dieser Situation leidet die Öffentlichkeitswirksamkeit der (immer weniger)
moralisch-antirassistischen NGOs. Solche Artikulationen verlieren an Relevanz.
Dazu kommt nicht selten ein Verlust der bundesseitigen Subventionen, der selbst
in Wien nur schwer durch Landessubventionen aufzufangen ist. Auch wenn diese
Entwicklung rasch umkehrbar wäre, und sich an den Strukturen der Organisationen
noch nicht sehr viel geändert hat, so kann doch behauptet werden, dass in der
antirassistischen Szene der politische Antirassismus nach Jahren der intensiven
Auseinandersetzung (zwischen 1999 und 2001) nunmehr diskursiv tonangebend ist.
Organisationen, die sich der Umsetzung von equality targets und der Kritik am
Nationalstaat verweigern, verlieren stark an Legitimität. Die neuen
AktivistInnen, die den finanziell ausgehungerten Vereinen ihre Arbeitskraft
spendieren, sind weniger von den materiellen Bindungen ihrer VorgängerInnen
geprägt und daher offen für radikalere Sichtweisen. Der
politische Antirassismus konnte aufgrund seiner antihegemonialen Ausrichtung
keine ausgeprägten Lobbyingkontakte und die sich daraus ergebenden
Wechselbeziehungen in Richtung des hegemonialen Arrangements entwickeln.
Dementsprechend hat der politische Antirassismus nach jahrelangem Wirken
vorwiegend eigene Kreisläufe geschaffen und daher insbesondere folgende
politische Kapitalsorten anzubieten: Erstens
akkumuliertes Wissen über Rassismus und dessen Bekämpfung. Die Spezialisierung
und die Expertise in der Aufdeckung von Rassismen wird immer mehr zu einem
vermarktbaren Wissen. Antirassismus-workshops werden gut und gerne
subventioniert und es gibt bereits Ansätze, antirassistische Bildungsarbeit in
den Regelbetrieb sozialdemokratie- und gewerkschaftsnaher
Ausbildungsinstitutionen zu integrieren. Auch einzelne Unternehmen, die
Rassismus und Mobbing als Kostenfaktoren erkennen, öffnen sich vorsichtig für
antirassistische Projekte, soferne diese subventioniert sind. Symposien und
Sammelbände kommen zunehmend weniger ohne intellektuelle MigrantInnen aus.
Solchermaßen verlieren die Weissen wissenschaftlichen Institute zunehmend ihr
Monopol bei der Deutung von Rassismus in der Gesellschaft. Das Wissen um die Bekämpfung
von Rassismen inkludiert auch die dokumentierten und reflektierten Erfahrungen
mit politischen Handlungsformen und deren Organisation. Nicht zuletzt wird der
politische Antirassismus durch diese Reflexion der politischen
Auseinandersetzungen in die Lage versetzt, die eigene Geschichte zu schreiben,
Veränderungen zu verfolgen und kritisch zu reflektieren. Dadurch wird Bewegung
sichtbar und Bewegung erzeugt. Zweitens
kann der politische Antirassismus Kontakte zur Vermittlung von Kooperationen zur
Verfügung stellen. Die jeweils gehypten antirassistischen Aushängeschilder –
seien es Personen oder Organisationen – sind TrägerInnen eines nicht zu
unterschätzenden symbolischen Kapitals. Dieses Kapital ist für alle
Organisationen, die sich um Subventionen bemühen, Publikationen verkaufen
wollen, Projekte durchzuführen haben, von gewissem Wert. Derzeit übersteigt
die Nachfrage nach Kooperationen die Kapazitäten der AktivistInnen beiweitem,
was diese wiederum in die Lage versetzt, wählerisch zu sein und sich
Vereinnahmungsversuchen sehr leicht entziehen zu können. Über
die aktive Kooperation hinaus bietet der politische Antirassismus drittens
Legitimation durch die Möglichkeit der Bezugnahme auf Positionen. Von den
lancierten Diskursen ausgehend, die v.a. in systemkritischen Kreisen bzw. von
fortschrittlichen Drehpunktpersonen rezipiert werden, entstehen Anknüpfungspunkte
und Möglichkeiten der Berufung auf bestimmte antirassistische Artikulationen
oder Grundsätze. Die expliziten oder impliziten Referenzen machen die politisch
antirassistischen Diskurse selbst zum symbolischen Kapital. Im
Wesentlichen funktionieren die Allianzenbildungen seitens des politischen
Antirassismus über den Einsatz dieser 3 Kapitalsorten als Tauschmedium. Was
Allianzen zusammenhält, ist der von der Entwicklung der Situation versprochene
Nutzen durch den Transfer dieser Kapitalsorten für den jeweiligen ideologischen
Standpunkt. Die Wirkung der Allianzen ist immer ein Ergebnis der Stärke (oder
Schwäche) der jeweiligen politischen Standpunkte der Alliierten. Die
gegenseitige Beeinflussung der in Allianzen stehenden Gruppen findet dabei
weniger durch Überzeugung und Aufklärung statt, sondern vorwiegend deswegen,
weil sie aus dem laufenden Prozess einen politischen Nutzen ziehen können.
Kommt es zu drastischen Asymmetrien oder Inkompatibilitäten in diesem Prozess,
dann kommt es auch zum Bruch der Allianz. Dieser vollzieht sich in Form des Rückzugs.
Die Beziehungen erkalten. Zwischen
Organisationen, die in eine mögliche Verbindung sehr ungleiche Machtpositionen
und Positionierungen zum hegemonialen Arrangement mitbringen, kann es selten
oder gar nicht zu Allianzen kommen. Der Grund dafür liegt weniger darin, dass
die großen Organisationen immer versuchen, die kleinen zu vereinnahmen. Der
Grund liegt vielmehr im Prinzip der Allianzenbildung selbst, also der
wechselseitigen Verstärkung/Instrumentalisierung in einer
Konfrontationsstellung zu einem gemeinsam bekämpften politischen Gegenüber.
Etablierte Organisationen bzw. Institutionen, Parlamentsparteien etc. stehen
immer zumindest mit einem Bein fest auf dem Boden des hegemonialen Arrangements
und können daher nur in seltenen Konstellationen in eine gemeinsame
Konfrontationsstellung gebracht werden. Wenn es sich dabei um eine
Konfrontationsstellung innerhalb des hegemonialen Arrangements handelt, passiert
unweigerlich Vereinnahmung der kleineren Organisationen. Es gibt zwar Möglichkeiten
für eine kleine Organisation sicherzustellen, dass sie einen Mehrwert aus einer
solchen Allianz zieht, aber dieser Mehrwert ist tendenziell ökonomischer Art.
Politisch lässt sich aus der antirassistischen Perspektive bei der Teilnahme an
innerhegemonialen Kämpfen nichts gewinnen. Die lohnende politische Arbeit
findet am Rand des hegemonialen Arrangements statt. Dort ist die politische
Wasserscheide zu errichten. Eine
Allianz ist ein Ergebnis der Analyse der Kräfteverhältnisse, die dazu führt,
dass in bestimmten Situationen mehrere ideologische Standpunkte der Meinung
sind, dass sie nur durch Parallelisierung, nicht nur der Interessen, sondern
auch der Wirkungsmöglichkeiten, mehr zu ihrer eigenen Ausbreitung beitragen können.
Insofern ist Allianz auch ein Ergebnis der systematischen Diskursarbeit, die
bekanntlich nicht nur Profilierung der Diskurse beinhaltet, sondern auch eine
langfristige Informationserhebung und Analyse, um einen Informationsvorsprung zu
erreichen. Denn dieser Vorsprung erhöht die Attraktivität eines Diskurses und
ermöglicht solchermaßen eine effektivere Verbreitung. Zu
den primären AllianzpartnerInnen des politischen Antirassismus zählt zunächst
der enttäuschte und nach wie vor radikal emanzipatorische Flügel der
Frauenbewegung. Vorwiegend kleine urbane Aktions- und Denkzirkel, die gegen die
andauernde Männerdominanz, gegen die Diskriminierungen und auch gegen die
Vereinnahmungsversuche in Form der zur Zeit fast allgegenwärtigen
Gender-Mainstreaming- Bussi–Bussi–Wände auftreten. Sie kämpfen nach wie
vor für eine Gleichstellung und haben dabei trotz andauernder materieller
Schwierigkeiten eine recht gut funktionierende mediale Infrastruktur etabliert.
Dazu gehören sowohl Printmedien als auch neue elektronische Medien, besonders
Homepages. Die Inhalte, die dort angeboten werden, sprengen oft die Grenzen der
frauenspezifischen Interessen und greifen auf allgemeinerer Ebene die Kritik des
in nationalstaatlichen Gebilden zentral positionierten Prinzips des Ausschlusses
auf. Genau das ist der Punkt, an dem diese Bewegung mit vielen anderen
Aktionsgruppen verbunden ist. Vor allem ist dabei an die selbstorganisierten
linken MigrantInnengruppen (v.a. TürkInnen, KurdInnen, ChilenInnen und
BrasilianerInnen) zu denken, die an einer Tradition des Klassenkampfes ihrer
Herkunftsländer anknüpfen. Diese Gruppen waren vielfach wegbereitend für den
politischen Antirassismus, innerhalb dessen die selbständig agierenden Gruppen
der AfrikanerInnen, die linksradikalen AntirassistInnen und eine Vielzahl
anderer Gruppen, die unter der Bezeichnung "MigrantInnen" laufen,
einen ideologischen Unterschlupf gefunden haben. Zwischen
all diesen Gruppen funktioniert die Allianzenbildung auf der symbolischen Ebene
vorwiegend durch Bezugnahmen auf die jeweils anderen Positionen. Der Austausch
von Positionen erfolgt über indy-medien und immer öfter in Form von
gemeinsamen Veranstaltungen. Es resultiert eine lose Allianz der minoritären
Subjekte, die am linken Rand des politischen Spektrums dafür sorgen, dass die
Anbindungen an die Sozialdemokratie schwächer werden bzw. in jüngerer Zeit
umgekehrt SympathisantInnen aus dem nach neuen Orientierungen suchenden
sozialdemokratischen Lager gewonnen werden. Die
ethnisch organisierten Gemeinden spielen ebenfalls ihre Rolle innerhalb der
Bestrebungen nach Gleichheit im österreichischen Staat. Auch wenn sie im
Unterschied zu den oben genannten Gruppen einen ausgesprochenen
Defensivcharakter besitzen, tragen sie doch dazu bei, das diskriminierende
System zu schwächen, indem sie einen intensiven Informationsaustausch bezüglich
der Möglichkeit der Erhaltung ihrer Mitgliederzahl betreiben. Diese
Organisationseinheiten, die Jahrzehnte lang nur von fremdenpolizeilichem
Interesse waren, werden zur Zeit auch von SozialwissenschaftlerInnen entdeckt.
Diese werden dann vor allem mit einer Widerstandsform konfrontiert, nämlich mit
der Tatsache, dass die Menschen nur das erzählen, was ihnen gesellschaftlich
konform erscheint. Die Strategie der Lüge ist eine, die den ärmeren Menschen
seit je zur Verfügung gestanden hat und sie findet bis heute ihre Verwendung.
Die Wahrheit zu sagen, muss man/frau sich in unseren Gesellschaften leisten können.
Um die Wahrheit herauszufinden und daraus die geeigneten Maßnahmen der
"Eindämmung" der Migration zu entwickeln, haben die PolitikerInnen
Abermilliarden für die Installierung von Überwachungs- und
Registrierungssystemen ausgegeben. Vergessen wir nicht - jedes zum
Totalitarismus neigende System hat eine Neigung zur lückenlosen Überwachung.
Je weniger die Menschen verbergen können, desto stärker sind sie unterworfen.
Trotz der gefährlichen Bedrohlichkeit dieser Systeme können wir bis jetzt (wie
fast immer in der Geschichte) davon ausgehen, dass sie bezüglich des Zieles
Migrationsstopp nicht erfolgreich waren. Ob sie aber erfolgreich gegen den
anderen Gegner - den "inneren Feind", z.B. gegen die wachsende außerparlamentarische
politische Masse - sein werden, ist eine andere Frage. Zur Zeit sind sie es
angesichts der strategischen und ideologischen Schwächen dieser Bewegung
zweifellos. Der Handlungsspielraum der Defensivformen migrantischer
Selbstorganisationen ist sehr begrenzt und kreuzt sich nur indirekt mit
emanzipatorisch orientierten AktivistInnen und Gruppen der politisch
antirassistischen Szene. Das ist vor allem eine Konsequenz jener Allianzen, die
seitens der Spitzen dieser Organisationen mit hegemonialen Kräften innerhalb
des österreichischen Staates aufgebaut wurden. Die linkeren defensiven
Selbstorganisationen diverser ethnischen Gemeinden tendieren mehr zu SPÖ und ÖGB
bzw. vereinzelt zu den Grünen, und die rechteren vor allem zur
Wirtschaftskammer und auch zur ÖVP. Selten aber doch wurde vor dem Absturz die
FPÖ auch als strategische Variante wahrgenommen. Schließlich
(in diesen unvollständigen Ausführungen) haben sehr viele Menschen durch ihre
Teilnahme an Demonstrationen, Protestmärschen und Versammlungen während der
ersten Phase der blauschwarzen autoritärliberalen Regierung Anfang 2000 der
vorherrschenden rassistischen Ideologieformation symbolisch ihre Gefolgschaft
gekündigt. Es handelt sich dabei um Menschen, die weder Zeit noch viel Lust
haben, sich in die großen Auseinandersetzungen um die Emanzipation
einzumischen, die aber im Fall des Falles und in bestimmten geschichtlichen
Momenten durchaus auf der Seite der diskriminierten Gruppen in der Gesellschaft
zu finden sind. Diese Tatsache ist bei Etablierung neuer gesellschaftlicher
Praxen nicht zu übersehen. Die Protestaktivitäten dieser Menschen entzünden
sich zur Zeit weniger an der laufenden Beschneidung der sozialliberalen Werte
durch die Gesetze, sondern resultieren viel mehr aus einer diffusen Atmosphäre
der Bedrohung ihrer bisherigen Lebenspraxis, besonders wenn die StatthalterInnen
dieser Praxis nicht mehr an der Macht sind (was seit dem Untergang der Großen
Koalition der Fall ist). Aus ihren Reihen stammen durchaus organisatorisch und
strategisch denkende Individuen. Sie aber sind keine langfristigen Verbündeten.
Die Protestallianzen dauern nur solange, bis das Gefühl der Unsicherheit mit
der Wiederherstellung der alten hegemonialen Verhältnisse wieder verschwunden
ist. Diese AktivistInnen finden am ehesten einen Zugang zu den Mainstreammedien,
besonderen da die linksliberalen Teile davon auch verunsichert sind, weil sie
selber als Teil des hegemonialen Mainstreams am besten die Funktionsweisen
dieser Medien kennen und auch die besten Beziehungen zu ihnen pflegen. Diese
Menschen pflegen ein Misstrauen gegen die polizeilichen und militärischen
Instanzen und erleben ein wachsendes Unbehagen angesichts der neoliberalen
Deregulierungen, besonders seit sie diese in ihrem Alltag zu spüren bekommen,
sei es als Teuerung oder als Zukunftsungewissheit. Es sind Themen, welche die
Mittelklasse betreffen und die hinter dem Erfolg von Bewegungen wie ATTAC
stehen. Konfrontation
Die
Erarbeitung einer Konfrontationsstellung ist eigentlich schon Teil der
Allianzenbildung und von dieser nicht wirklich zu trennen. Außerdem ist die
Konfrontation auch ein unverzichtbarer Bestandteil des Aufbrechens der Normalität.
Normalität ist nicht nur selbstverständlich unbegriffen sondern auch
organisatorisch operativ verzahnt. Die selbstverständlichen Abläufe greifen
gleichsam natürlich ineinander, erzeugen von sich auch keine besonderen
Widersprüche, sind in sich effektiv, Routine. Als solche können sie daher
effektiv nur durch Konflikte aufgebrochen werden. Konflikte
können hinsichtlich ihrer diskursiven Strahlkraft mehr oder weniger effektiv
positioniert bzw. inszeniert werden. Konflikte werden tendenziell besonders
aufmerksam verfolgt, intensiver rezipiert und weitererzählt. Anhand eines
konkreten Konflikts als Fallbeispiel können die Positionen sehr fokussiert auf
den Punkt gebracht werden. Die Positionen werden in Konflikten geschärft.
Insgesamt sorgt die Konfliktinszenierung, die proaktive Suche, das Aufgreifen
von Konfliktpunkten und das beharrliche Betreiben von Konflikten also für
effektivere Diskursproliferation. Dass
der politische Antirassismus hierzulande sich eingehender mit dem Problem der
Konfliktinszenierung beschäftigen muss, ist aber auch der Eigenart der österreichischen
politischen Konsenskultur geschuldet. Konfrontation wird hierzulande üblicherweise
zuallererst als persönliche Beleidigung empfunden und nicht als politische
Herausforderung. Konfrontation führt hierzulande üblicherweise nicht zur
Debatte, sondern zum beleidigten Rückzug. Solange es irgendwie geht, wird durch
diesen Rückzug die Auseinandersetzung vermieden. Der Rückzug aus
Kooperationszusammenhängen ermöglicht den mächtigeren Positionen das
Ignorieren der weniger mächtigen. Umgekehrt laufen die Konfrontationen zwischen
den parteipolitischen AkteurInnen hierzulande auch auf einem Niveau ab, das
immer mit dem Element der persönlichen Beleidigung spielt. Sachfragen und
Argumente stehen selten im Vordergrund. Diese
miserable Konfliktkultur des Mainstream setzt sich einigermaßen ungebrochen
auch in den außerparlamentarischen Zusammenhängen fort, was zur Folge hat,
dass das freie Wuchern der persönlichen Beleidigungen zu vielfachen Spaltungen
und somit zur Schwächung der außerparlamentarischen Opposition beiträgt. In
der Zerstrittenheit ist keine Allianz aufzubauen. Sie führt nicht nur zur
Atomisierung sondern auch zum Rückzug der nicht unmittelbar Streitenden aus den
aktivistischen Zusammenhängen. Im
Rahmen dieser Konfliktkultur ist es daher notwendig, in den Konfrontationen
andere Akzente zu setzen. Aus der antihegemonialen Perspektive lassen sich zwei
unterschiedliche Konfliktarten je nach Ungleichgewicht der Machtverhältnisse
unterscheiden: In
Zusammenhängen, wo die Machtungleichverhältnisse und Interessenunterschiede so
klar sind, dass Argumente nicht mehr zählen, kann auf den Vorbau der persönlichen
Wertschätzung verzichtet werden. In diesen Fällen dient die Konfrontation
entweder der Abwehr von Vereinnahmungsversuchen überall dort, wo hegemoniale Kräfte
in den außerparlamentarischen Raum einzudringen versuchen (z.B.
Konfliktinszenierung gegen die Integrationsstadträtin im Rahmen der wiener
Integrationskonferenz[viii])
oder der offensiven Verfolgung eines Gegenüber in einem öffentlich zugänglichen
Raum (z.B. Verbindung von sozialdemokratischer Großkundgebung am 1. Mai und
Omofuma-Demo, Auftritt der Deportation-Class-Kampagne auf
Lufthansa-Generalversammlungen, wiederholte Tortungen von Bill Gates, etc.). Im
Verhältnis zu anderen antihegemonialen oder kleineren Gruppen aus dem
hegemonialen Vorfeld geht es hingegen darum, den Rückzug des Gegenüber
hintanzuhalten. In solchen Fällen braucht jede Konfrontation gleichsam einen
Vorbau der persönlichen Wertschätzung, um auf die Ebene der sachlichen und
inhaltlichen Diskussion zwischen AktivistInnen zu kommen, in der das bessere
Argument die Konfrontation in den Augen des Publikums entscheidet. Der Gegenzug
besteht in solchen eher symmetrischen Machtverhältnissen darin, es zum Eklat
kommen zu lassen, um aus der argumentativen Bredouille auszubrechen und
Herausforderungen ignorieren zu können. Bei der Demontage des moralischen
Antirassismus im Rahmen der Protestbewegung gegen Schwarzblau im Jahr 2000 kamen
wesentliche Unterstützungen des politischen Antirassismus v.a. aus dem Bereich
der kritischen Kunst- und Kulturarbeit sowie aus der Frauen- und Lesbenszene,
die symbolisch-diskursives Kapital zum Einsatz gebracht haben, um die
Diskussionen am Laufen zu halten und politisch antirassistische Positionen für
diejenigen Gruppen (z.B. Demokratische Offensive) unignorierbar zu machen, die
sich aufgrund vergangener Eklats[ix]
in jener Phase nicht mehr auf Kooperationen und Auseinandersetzungen einlassen
wollten. So wurde u.a. die Neuwahlforderung unter Hinweis auf die rassistischen
Struktursetzungen der SPÖ/ÖVP-Koalition kritisiert und ziemlich rasch ins
Abseits gedrängt. Im wiener Wahlkampf 2001 hat der Zusammenschluss von Wiener
Wahl Partie und Demokratischer Offensive mit der Forderung "Gleiche Rechte
für Alle" die politische Wasserscheide in das Vorfeld der SPÖ und der
Gewerkschaft hineingetragen. Die
Verdichtungen der außerparlamentarischen politischen Szene sind der primäre
Entfaltungsraum für die politisch antirassistischen Diskurse. Derzeit
konzentrieren sich viele Gruppen auf den Gründungsprozess des Austrian Social
Forum. In diesem Rahmen sorgen die politisch antirassistischen Positionen
wiederum für Diskussionsstoff (z.B. die Kritik am Begriffspaar Betroffene –
ExpertInnen). Der ASF-Prozess umfasst eine Vielzahl von Organisationen und mehr
oder weniger frei flotierende AktivistInnen, deren Aktivitäten in zunehmendem
Ausmaß auch auf die Schaffung eines neuen, auf Gleichheit ausgerichteten
Diskurses zielen; aktionistisch genauso wie theoretisch, soferne diese Bereiche
überhaupt noch so zu trennen sind. Solche Verdichtungen der außerparlamentarischen
politischen Szene kommen und gehen wellenartig. Konjunkturen eröffnen sich und
ebben wieder ab. Die Situation und das Situationspotential für das politische
Handeln ändern sich ständig. Bei gleichzeitig andauernder Diskriminierung können
politische Erfolge nur durch geschickte Manöver unter Ausnützung der Umstände
gelingen. Nicht selten gibt es Rückschläge, denn die Machtbasis des
politischen Antirassismus ist im Verhältnis zu anderen Gruppen denkbar schwach.
In einer solchen gesellschaftlichen Position kann die politische Aktivität
sinnvollerweise nicht auf Gewinn oder Verlust ausgerichtet sein, sondern
schwankt real zwischen der Option, nicht zu verlieren, d.h. ein bestimmtes
politisches Feld nicht aufzugeben und der Option, die vielen GegnerInnen nicht
gewinnen zu lassen. Analyse und Reflexion sind jene Momente, die über Rückschläge
hinweghelfen. Das Theoriewerkzeug der AktivistInnen entsteht unterwegs, oft
unter Zeitdruck und weist dazu ein hohes Maß an Kampflust auf. Diese
Theorieproduktion ist wiederum nur möglich, weil auch ein ausgedehntes Netzwerk
an Medien, besonders im Internet, als integraler Bestandteil der politisch
antirassistischen Szene fungiert. Während
der moralische Antirassismus noch eine massive Rolle in den innerhegemonialen Kämpfen
gespielt hat, tritt das antirassistische Wirken unter dem Einfluss der politisch
antirassistischen Strömung aus den innerhegemonialen Kämpfen heraus.
Antirassismus wird für den Mainstream vergleichsweise bedeutungslos.
Gleichzeitig gibt es Veränderungen am Rand des Mainstream, die diesen nicht
unbeeinflusst lassen. Im selben Maße wie die v.a. durch Sozialdemokratie und
Gewerkschaften gewährleistete Anbindung an das hegemoniale Arrangement
abgeschnitten wird, eröffnet sich ein neuer politischer Raum, in dem sich
kritische Positionen entwickeln und verbreiten können. Der Abnabelungsprozess
von der Hegemonie vollzieht sich aber nicht getrennt von Sozialdemokratie und
Gewerkschaften, die durch Schwarzblau immer weiter an den Rand des hegemonialen
Arrangements gedrängt werden, sondern durch Auseinandersetzung mit ihren
RebellInnen und Trendscouts. Anhand des ASF-Prozesses ist deutlich zu sehen,
dass der neu entstehende politische Raum große Attraktivität für kritische
Einzelpersonen aus Sozialdemokratie und Gewerkschaften bzw. deren Vorfeld
besitzt. Die Gewerkschaftsspitzen sind clever genug, das ASF zu fördern und
ihre kritischen Stimmen in diesem Forum nicht durch allzu offensichtliche
Vereinnahmungsversuche zu desavouieren. Die noble politische Zurückhaltung bei
gleichzeitiger Förderung stellt eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber
den das ASF bevölkernden Organisationen dar. Solchermaßen geraten die
politischen AntirassistInnen wiederum in die Rolle derjenigen, welche die
Harmonie stören. Am ASF wird es eine der Hauptaufgaben der antirassistischen
AktivistInnen sein, mit den kritischen GewerkschafterInnen in Diskussionen
einzutreten und sie vor die Wahl zwischen antihegemonaler (im Fall des
Antirassismus insbesondere nationalstaatskritischer) oder systembewahrender
Haltung zu stellen, ihnen den Spagat zu verweigern, an der politischen
Wasserscheide am Rand des hegemonialen Arrangements zu arbeiten und diese
Diskussionen auf eine Art und Weise zu führen, dass auch andere sich dazu
positionieren müssen. Darin besteht (neben der Pflege des Austauschs mit
anderen minoritären Gruppen) der zweite wesentliche Teil der Praxis der
Allianzenbildung aus antirassistischer Perspektive. E-Mail:
bum/ at /no-racism.net [i]
* Das BUM ist eine Organisationseinheit der Initiative Minderheiten im
Rahmen der Entwicklungspartnerschaft "open up", die von Peregrina
- Bildungs-, Beratungs- und Therapiezentrum für Immigrantinnen koordiniert
und von BMWA und ESF gefördert wird. Andere KooperationspartnerInnen sind:
SORA, MAIZ, Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der
Karl-Franzens-Universität Graz und Systemische Lösungen/Esin Hillgartner. [ii]
Unbehelligtbleiben bezüglich Rassismus schließt anderweitige Behelligung
von AktivistInnen nicht aus, z.B. staatliche Repression (insb.
Inhaftierungen, Prozesse, Androhung mehrjähriger Haftstrafen) gegen linke
Gruppen [iii]
Die Kritik am individualisierenden, psychologisierenden, opferkonstruierenen
moralischen Antirassismus und die Herausbildung der neueren Strömung des
strukturkritischen politischen Antirassismus sind dokumentiert in: -
Johnston Arthur, Araba Evelyn/ Görg, Andreas (2000): Campaigning against
racism. in: Kurswechsel 1/2000, 21-32. -
Görg, Andreas (2002): Antirassismus – Konfliktlinien und Allianzenbildung.
in: Ljubomir Bratic (Hg): Landschaften der Tat. Vermessung, Transformationen
und Ambivalenzen des Antirassismus in Europa. St. Pölten 2002, 223-236. -
Bratic, Ljubomir/ Görg, Andreas (2003): Das Projekt des politischen
Antirassismus. in: malmoe 11, Jänner 2003, 18f. [iv]
Die folgenden Überlegungen entstammen der noch unveröffentlichten
Diplomarbeit von Araba Evelyn Johnston Arthur (2003): Über die Konstruktion
des Mohren und der Mohrin im Kontext epistemischer Gewalt und dem
traumatischen Charakter neokolonialer Erfahrungen in der modernen
afrikanischen Diaspora in Österreich. [v]
Zum Prinzip der Illegalisierung vergleiche Bratic/Görg: Das Projekt des
politischen Antirassismus. in malmoe 11, Jänner 2003, 18f. [vi]
Bezüglich Punkt 1 soll nach einer kurzen Einführung zur Konzeption von
Rassismus und antirassistischem Handeln wie schon zu Beginn in Aussicht
gestellt, das rassistische Wir in Betrachtung genommen werden. Bezüglich
Punkt 2: Equality targets sind Gleichstellungsziele, die sich eine
Organisation oder Einzelperson setzt, um in ihrem eigenen Wirkungsbereich
die Ressourcen so einzusetzen, dass sie zum Ausgleich gesellschaftlich
systematischer Asymmetrien beitragen. Weiterführend kann auf einen Text des
Austrian Network Against Racism (ANAR) verwiesen werden. http://www.no-racism.net/anar/equalitytargets.htm Bezüglich
Punkt 3 Alternativenentwicklung kreisen die Artikulationen um die Idee einer
Neuformulierung der égaliberté, siehe den Kulturrisse-Text von Ljubomir
Bratic: Neue Égaliberté. Kampflinien der antirassistischen Szene in Österreich;
auf http://www.no-racism.net/wahlpartie/Dokumentation.html Bezüglich
Punkt 4 (Allianzenbildung) und Punkt 5 (Konfrontation) werden in diesem Text
ein paar Gedanken ausformuliert. [vii]
In seiner traditionellen Aschermittwochsrede in Ried hatte Jörg Haider in
Richtung des Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzikant
gemeint, es sei verwunderlich, dass jemand, der so viel Dreck am Stecken
habe, Ariel heisse. Diese Aussage wurde erst mit einigen Tagen Verzögerung
von den Medien aufgegriffen und im Wiener Wahlkampf als Politbombe lanciert.
[viii]
Vergleiche Görg, Andreas (2003): Alle Macht den vernetzten Plena. Ein
Beitrag zur Organisationsfrage. in: Gerald Raunig (Hg): Transversal. Kunst
und Globalisierungskritik. Wien. 170ff. [ix]
Im Zuge der Vorbereitungen der Großdemonstration am 12. November 1999 mit
dem Titel "Keine Koalition mit dem Rassismus" kam es zur Gründung
der demokratischen Offensive. Es gab im Oktober wöchentliche
Vorbereitungsplena mit 40 bis 60 AktivistInnen im republikanischen Club. Die
unterschiedlichen Meinungen über die Entscheidungskompetenzen von Plenum
und Veranstaltungsorganisation sowie über die Beteiligung einer Vertreterin
der SPÖ als Rednerin auf einer der Bühnen führten zu heftigen verbalen
Auseinandersetzungen bis hin zu Handgreiflichkeiten, was eine Zusammenarbeit
der beiden Fraktionen für mehrere Monate nach dem 12. November unmöglich
machte. |
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