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Editorial Nr. 5 Liebe
Leserinnen und Leser! Es kann
nicht zu den Aufgaben einer vierteljährlich erscheinenden Theoriezeitschrift zählen,
unmittelbar aktuelle Ereignisse zu kommentieren. Der Bezug zur gegenwärtigen
Situation kann in der Regel nur ein indirekter, vermittelter sein. Wir
versuchen, Begriffe zu diskutieren und Ansätze weiterzuführen, die für sich
beanspruchen, geeignete Werkzeuge darzustellen, um den Charakter der aktuellen
Epoche begreiflich zu machen und Perspektiven sowie Probleme gesellschaftsverändernden
Handelns zu reflektieren. Angesichts
der weltweiten Proteste gegen den von der Bush - Administration mit aller Macht
forcierten Krieg gegen den Irak wollen wir dieses Prinzip durchbrechen, vor
allem weil die Anti-Kriegs-Bewegung eine Qualität besitzt, die andere
Bewegungen, die sich gegen die immer offensichtlicher in Erscheinung tretenden
Auswirkungen eines ungeschminkten Kapitalismus gebildet haben, nicht in diesem
Ausmaß besitzen. Das Besondere an der Konstellation um den geplanten Irak -
Krieg ist die schwere Legitimationskrise. Die Regierung der USA und die Blair -
Administration in ihrem Schlepptau haben rechtlich, moralisch und ideologisch
weltweit die Hegemonie sehr stark verloren. Wenn - was zu befürchten ist - die
Bomber tatsächlich losgelassen werden, so muß dies als das erscheinen was es
ist: ein Akt der blanken Macht und Gewalt, gestützt allein auf die Überlegenheit
des US-amerikanischen Militärapparates. Selbstverständlich
sind im Kontext des (wahrscheinlich) kommenden Krieges viele Fragen offen:
Sowohl die Beweggründe der USA, diesen Konflikt zu suchen als auch die Wurzeln
für das Ausscheren europäischer Staaten aus der Einheitsfront wären zu
diskutieren, und selbstverständlich ist die Anti-Kriegsbewegung, wie jedes Phänomen
mit gesellschaftlicher Bedeutung, heterogen und in sich widersprüchlich. Zudem
steht die Bewegung auch im Spannungsfeld der unterschiedlichen nationalen
Staatsinteressen. Wir wollen hier allein auf den Aspekt der Legitimation und des
damit verbundenen Hegemonieverlustes hinweisen. Um eine ähnliche Konstellation
ausfindig machen, ist es notwendig, zurück bis zum Vietnam-Krieg in seiner Spätphase
zu gehen. Auch damals hatten die USA die moralische und rechtliche Hegemonie
weitgehend verloren. Ein gewaltiger Unterschied zwischen damals und heute liegt
jedoch auf der Hand: niemand ernstzunehmender phantasiert in die irakische
Staatsführung emanzipatorische und fortschrittliche Qualitäten hinein, während
in den 60er Jahren das Verhältnis zur vietnamesischen Führung von
Identifikation gekennzeichnet war. In diesem Punkt haben sich die Verhältnisse
um 180 Grad gedreht. Gerade weil die Anti-Kriegsbewegung keinen positiven Bezug
zu Hussein herstellt und keine Illusionen über den Charakter des Regimes
verbreitet, ist sie in der Lage, die überwältigende Hegemonie zu erringen. Wie
sich die Situation in den USA selbst darstellt, ist nicht leicht zu beurteilen.
Daß die Kritik an Bushs Kriegsplänen auch in den USA sehr mächtig ist, ist
klar, aber hat sein Politikkurs deswegen die Hegemonie verloren? Die
spannende und offene Frage lautet: wie wirkt sich der weitgehende Verlust der
ideologischen Hegemonie auf die Zukunft und Entwicklung der antikapitalistischen
Strömungen aus? Bei der Irak-Frage handelt es sich ja nicht um irgendeinen
Nebenschauplatz, sondern um ein zentrales Moment bei der Neuordnung der Welt.
Ist es, und wenn ja bis zu welchem Grade möglich, daß das politische System in
einer Frage die Hegemonie verliert, ohne sie auch bei anderen Themen einzubüßen?
Der absolute Triumph und Höhepunkt des neoliberalen Diskurses scheint ja
bereits vorüber zu sein. Die oppositionellen Kräfte, von der
Anti-Globalisierungsbewegung über die Bewegung gegen Schwarz-Blau bis hin zu
den Sozial Foren bildeten gesamtgesellschaftlich trotz beachtlicher Stärke
eindeutige Minderheiten in jeder Hinsicht, medial, politisch, gesellschaftlich.
Aber immerhin konnten sie sich bilden, sich organisieren und öffentlich
agieren. Zu hoffen, das legitimatorische Debakel des Irak-Krieges könnte einer
gesellschaftlich minoritären Bewegung zur allgemeinen Hegemonie verhelfen, ist
sicher naiv optimistisch. Aber die Hoffnung, daß die Proteste gegen den Krieg
diese Kräfte moralisch und politisch stärken werden, ist es nicht. Und so
wollen wir den Bogen wieder zum bescheidenen Wirken der grundrisse schlagen: Die
antikapitalistischen Kräfte dürfen weder begriffsblind noch unreflektiert vor
sich hin agieren; und genau zu dieser Reflexion hoffen wir einen Betrag leisten
zu können. Veranstaltungsreigen Am
10.1.03 fand in der Kunst.Marke.Ideal (speziellen Dank an Wolfgang!) unser
Seminar zur "Staatsfrage" statt. Die Referate von Roland Atzmüller,
Franz Naetar und Karl Reitter findet ihr in diesem Heft. Bernhard Dorfer, der
dankenswert die Aufgabe übernommen hatte, eine Art Protokoll zu schreiben,
weitete seine Notizen zu einem umfangreichen Artikel aus, den ihr ebenfalls in
dieser Nummer der grundrisse findet. Allgemein wurde die Diskussion als sehr
fruchtbar und interessant eingeschätzt. Weniger glücklich
ist leider die gemeinsame Veranstaltung mit der Redaktion der "Streifzüge"
zum Thema "Ist Anti-Politik eine Möglichkeit?" verlaufen. Um es
gleich offen zu sagen: Die Debatte kippte rasch in ein unerquickliches Hickhack,
wobei, und auch das soll nicht verschwiegen werden, die grundrisse - Redaktion
einen wesentlichen Anteil am unglückseligen Verlauf der Veranstaltung hatte.
Innerhalb der Redaktion gehen die Meinungen hinsichtlich der Ursachen
auseinander, aber insgesamt wollen wir feststellen, daß wir das Scheitern
dieser Diskussionsveranstaltung bedauern. Auf keinen Fall wollen wir der Streifzüge
- Redaktion den Schwarzen Peter zuschieben und hoffen, daß in Zukunft wieder
ein fruchtbares Gesprächsklima möglich sein wird. Wir werden unseren Beitrag
dazu leisten. Wer unser
Staatsseminar im Jänner versäumt hat, hat die Möglichkeit an der
"Fortsetzung" dieser Debatte am 21. März 2003 im "Institut für
Wissenschaft und Kunst" (IWK) in der Berggasse 17, 1090 Wien, teilzunehmen.
Hier der Einladungstext sowie der genaue Ablauf, die ReferentInnen und ihre
Themen: TAGUNG:
STAATSTHEORIE IM ZEITALTER DES EMPIRE Konzept und
Organisation: Martin Birkner Dr. Karl Reitter (Redaktion "grundrisse")
Mag. Beat
Weber (Redaktion "Malmoe") Laut
Michael Hardt und Antonio Negri wird der Staat zunehmend zum Funktionsträger
eines globalen Empire, das sich der Absicherung einer transnationalen Ökonomie
verschrieben hat. In dieser Weltordnung gibt es keine Kriege zwischen
Nationalstaaten und keine Auseinandersetzung um Territorium mehr, sondern militärisches
Eingreifen gewinnt den Charakter von Polizeiaktionen zur Beseitigung punktueller
Störungen von Ruhe und Ordnung, legitimiert vom Banner der
"Menschenrechte". Negris und Hardts Thesen sollen in dieser Tagung in
mehrfacher Hinsicht geprüft werden: Einerseits darauf, wie sehr die von ihnen
behauptete Tendenz postfordistischer Wirtschaftsweise ein reales neues Paradigma
darstellt. Zum anderen wäre die Empire-These mit dem Werkzeug kritischer
Staatstheorie auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Mit der Veränderung
der globalen Weltordnung verschieben sich einige zentrale gesellschaftliche Verhältnisse,
die staatlich (mit)strukturiert sind. Die Veränderung der im Fordismus
wesentlich staatlich strukturierten Territorialität hat Implikationen für
politische Strategien, die es auszuloten gilt. FREITAG,
21. MÄRZ 2003: 16.00 UHR
Eröffnung und Begrüßung 16.15 UHR
Univ. Prof. Dr. Joachim Hirsch (Frankfurt am Main): Neues "Empire"
oder Transformation des Staatssystems? 17.15 UHR
Mag. Eva Genetti (Wien): Staat, Kapital und Geschlecht. Elemente einer
kritisch-feministischen Staatsanalyse 18.15 UHR
Mag. Roland Atzmüller (Wien): Postfordistische Staatlichkeit |
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