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Roland Atzmüller   Der Staat als Verhältnis?

„Die einfachsten Fragen sind, auch wenn sie die wirklichen Fragen sind, auch die kompliziertesten.” (Nicos Poulantzas 2002: 42)

 Alex Demirovic, Joachim Hirsch und Bob Jessop haben 2002 das letzte Buch des griechisch–französischen Marxisten Nicos Poulantzas ‚Staatstheorie –  Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus“ im VSA–Verlag wieder herausgegeben. Dieses Werk wird von den drei genannten in ihrer hilfreichen, eine kurze Einführung in den Text bietenden Einleitung als ‚Kulminationspunkt“ der Arbeiten Poulantzas bezeichnet. Die „Staatstheorie“  war zum ersten Mal 1978 auf deutsch erschienen, lange Zeit vergriffen und nur noch in Bibliotheken zugänglich. Das ursprünglich geringe Echo hatte sehr viel mit der eher zögerlichen bis ablehnenden Rezeption des sogenannten strukturalen Marxismus im Gefolge Althussers, in dessen Tradition auch Nicos Poulantzas mehr oder weniger verortet wird, zu tun. Erst mit dem wiedereinsetzende Interesse an einer Theoretisierung des Staates und der beginnenden Rezeption regulationstheoretischer Ansätze im deutschsprachigen Raum Ende der 80er Anfang der 90er Jahre (vgl. Hirsch und Roth 1986 und Hirsch 1990) kann ein Interesse an den staatstheoretischen Arbeiten Poulantzas festgestellt werden. Eine fundierte Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen blieb bislang trotzdem eher marginal (vgl. Demirovic 1987, 1997, Hirsch 1995). Dem steht aus internationaler Perspektive jedoch folgende Einschätzung Bob Jessops gegenüber, die aufgrund ihrer Auslassungen – bezüglich des deutschsprachigen Raums – bemerkenswert ist:

„Indeed it is no exaggeration to claim that Poulantzas remains the single most important and influential Marxist theorist of the state and politics in the post–war period. This becomes especially clear when we consider his influence outside the Anglophone world in such areas as Latin America, and Scandinavia and in countries such as France, Portugal, Spain and Greece.” (Jessop, 1985: 5).

Doch ein Nachvollziehen des internationalen Einflusses der staatstheoretischen Analysen Poulantzas allein könnte m. E. die Bedeutung der Wiederveröffentlichung der „Staatstheorie“ nicht begründen. Mit Blick auf die regulationstheoretische Periodisierung der kapitalistischen Gesellschaftsformationen kann diese Arbeit heute vielmehr auch als Theorie in der Krise – i.e. der Krise des Fordismus – und damit tatsächlich als ‚transitional study“ (Jessop, 1985: 22) gelesen werden.

In vielen Aspekten reflektiert die „Staatstheorie“ einerseits Entwicklungen und Dynamiken, wie sie für die fordistischen Gesellschaftsformationen nach 1945 bestimmend waren, was etwa in den Analysen zum Taylorismus, zur Bürokratie, den sogenannten ökonomischen Staatsapparaten und der Bedeutung des Staatsinterventionismus oder den national gefassten Raum-Zeit–Ordnungen der bürgerlichen Gesellschaften erkennbar wird. Ja mehr noch, Poulantzas Analysen sind nicht bloß abstrakte Wissenschaft, sondern können als Beitrag zum „Klassenkampf in der Theorie“, also als politische Intervention in die theoretischen und als theoretische Intervention in politische Kämpfe seiner Zeit gelesen werden. Auf der anderen Seite nimmt die „Staatstheorie“ m. E. Probleme der Linken und ihrer politischen Strategien zur Veränderung der fordistischen Gesellschaftsformationen, wie sie in den 70er Jahren diskutiert wurden und sich in den verschiedenen sozialen Bewegungen und Kämpfen zu entfalten suchten, vorweg. Wie zu zeigen sein wird, bestimmt Poulantzas in der Analyse der Verknüpfung des kapitalistischen Staates und seiner Modifikationen mit den Produktionsverhältnissen und der kapitalistischen Arbeitsteilung sowie ihrer konflikthaften Dynamik eine für die Durchsetzung neoliberaler Hegemonie und des postfordistischen Kapitalismus zentrale Achse der gesellschaftlichen Kämpfe. Iin den neoliberalen Projekten seit Thatcher und Reagan ist der  Zusammenhang zwischen der Rekonfiguration der Staatlichkeit und der Reorganisation der Produktionsverhältnisse und kapitalistischen Arbeitsteilung (Schlagwort Flexibilisierung, Deregulierung, Abbau des Wohlfahrtsstaates etc.) zentral. M.E. wirft Poulantzas daher grundlegend die Frage der Veränderungsfähigkeit und Variabilität der bürgerlichen Gesellschaft bzw. des kapitalistischen Staates auf und damit ob und wie abstrakte Bestimmungen des bürgerlichen Staates auf konkrete Gesellschaftsformationen und deren Transformationen anzuwenden sind.

Die „Staatstheorie“ Nicos Poulantzas ist daher nicht nur ein analytisches sondern zutiefst und in all seinen Schwächen grundlegend politisches Werk. Es ist nicht zuletzt die konstitutive Rolle der Produktionsverhältnisse und der Arbeitsteilung und damit der Klassenkämpfe für seine Theorie des Staates, an der das sichtbar wird. Das markiert einen grundlegenden Bruch zu den früheren eher strukturalmarxistischen und bezüglich der Möglichkeit und Bedeutung sozialer Kämpfe eher hermetischen Positionen (vgl. Poulantzas 1975). Dazwischen liegt 1968, ein (vorübergehender) Aufschwung der Militanz der ArbeiterInnenklasse in vielen Ländern, das Entstehen Neuer Sozialer Bewegungen, die Durchsetzung und das Scheitern sozialdemokratischer Reformprojekte[i] etc.  

Probleme marxistischer Staatstheorie

Obwohl für Poulantzas der „Klassencharakter“ des Staates nicht in Frage steht, hebt er hervor, dass trotzdem erklärt werden muss, warum sich die Bourgeoisie genau „diesen nationalen Volksstaat, diesen modernen Repräsentativstaat” aussucht und nicht einen anderen. Dies bedeutet, dass Form (z.B. Trennung von der Gesellschaft) und Funktionalität (z. B. Aufrechterhaltung der allgemeinen Bedingungen der Produktion) des kapitalistischen Staates (vgl. Jessop 1990) zwar mit den allgemeinen Interessen des Kapitals artikuliert sind – was nicht bedeutet, dass diese von real existierenden Staaten tatsächlich erfüllt werden –, dass aber die Bourgeoisie über „seine Existenz bei weitem nicht immer erfreut” (Poulantzas 2002: 40) sein muss.

Poulantzas grenzt sich daher schon in der Einleitung seines Buches im Abschnitt „Das Problem Staatstheorie“ von „ganz bestimmten Interpretationen des Marxismus” ab, die etwa davon ausgehen, „der Staat ließe sich auf die politische Herrschaft reduzieren, insofern jede herrschende Klasse ihren Staat nach Belieben gestalten und ihren Interessen gemäß manipulieren könne.” (Poulantzas 2002: 40) Der Staat erscheint in dieser „instrumentellen Konzeption” demnach als Klassendiktatur, die den „Staatsapparat auf die Staatsmacht” (ebda.), also seine Bedeutung für die Reproduktion der Klassenherrschaft reduziert. Die Frage nach der spezifischen „materiellen Struktur (des Staates), die nicht auf diese oder jene Verhaltensweise der politischen Herrschaft reduzierbar ist”, bleibt außen vor[ii]. Mehr noch, aus instrumenteller Perspektive und der Konzeption des Staates als Klassendiktatur wurden in der Linken ganz bestimmte Schlussfolgerungen bezüglich der Revolution und der Machtübernahme etwa durch die Partei des Proletariats („Diktatur des Proletariats“) gezogen (vgl. dazu Poulantzas 2002: 281f).

Neben dieser Konzeption grenzt Poulantzas seinen Lösungsversuches auch vom sogenannten „linken Technokratismus” ab, der den Staat einerseits auf rein technische bzw. gesellschaftliche Funktionen reduziert, andererseits aber davon ausgeht, dass es dazu auch eine „andere Natur” des Staates gebe, die sich hinter dem Rücken des ersteren dazu addiere. Dies sei der Klassenstaat der Bourgeoisie.

„Dieser zweite Staat würde die Funktionen des ersten pervertieren, zunichte machen, infizieren und umfunktionieren.” (Poulantzas 2002: 41)

Es ist evident, dass diese Vorstellung über die technischen/gesellschaftlichen Funktionen des Staates auch heute fröhliche Urständ feiert, so etwa in manchen globalisierungskritischen Debatten zur Re–regulierung der internationalen Ökonomie/Finanzflüsse oder den Überlegungen zu rot–grünen Reformprojekten. In diesen Vorstellungen kommt es darauf an, dass jene Gruppen, Interessen oder Ideologien (Spekulanten, Shareholder...), die für bestimmte Entwicklungen der bürgerlichen Gesellschaft verantwortlich gemacht werden, „von den Schalthebeln der Macht“ entfernt und durch eine „gute und sozial–verantwortliche Elite“ ersetzt werden. Diese Elite zeichnet sich neben ihrer sozialen Verantwortung außerdem dadurch aus, das sie weiß, den Staat zum Wohl der Bevölkerung einzusetzen, dass also die Überwindung negativer Effekte z.B. der gegenwärtigen europäischen „Finanzarchitektur“ und Wachstumsprobleme durch ein Drehen an den richtigen Knöpfen (bspw. Zinssätze, Steuersystem, Tobintax) möglich sei und sich das Goldene Zeitalter des Fordismus auf europäischer Ebene wiederholen ließe.

Genau gegen eine derartige Position stellte Poulantzas schon 1978 fest, dass der Staat

„ein materielles Gerüst (darstellt), das in keiner Weise auf die politische Herrschaft reduziert werden kann. Der Staatsapparat, dieses besondere und furchterregende Etwas, erschöpft sich nicht in der Staatsmacht. Die politische Herrschaft schreibt sich selbst noch in die institutionelle Materialität des Staates ein. Wenn der Staat nicht einfach ein vollständiges Produkt der herrschenden Klassen ist, so haben sie sich seiner auch nicht einfach bemächtigt: Die Macht des Staates (die der Bourgeoisie im Fall des kapitalistischen Staates) hat in dieser Materialität ihre Spuren hinterlassen.” (Poulantzas 2002: 2002)

Auch in einer weiteren Abgrenzung von staatstheoretischen Konzeptionen im Marxismus – nämlich von der sogenannten Ableitungsdebatte –  wird deutlich, dass es Poulantzas in seinen Überlegungen zum Staat immer auch um politische Fragen geht. Er anerkennt zwar, dass die westdeutsche Ableitungsdebatte der 70er Jahre ebenfalls nicht den Staat auf die „politische Herrschaft”, also die „Diktatur der Bourgeoisie als Subjekt” reduziert, sondern seine Grundlage in zentralen Kategorien des Kapitals, wie etwa „in der Sphäre der Zirkulation des Kapitals und in der „Verallgemeinerung” der Warenbeziehungen” sucht (ders. 2002: 77).

In dieser Konzeption wird die „relative Trennung des Staates von der Ökonomie gefasst als Trennung des Staates von der berühmten „bürgerlichen Gesellschaft“. Diese (...) würde sich selbst darstellen als vertraglich geregelte Assoziation von individualisierten Rechtssubjekten; die Trennung zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat wird dabei reduziert auf einen den Warenbeziehungen immanenten ideologischen Mechanismus, auf die Fetischisierung–Verdinglichung des Staates ausgehend von dem berühmten Warenfetischismus.” (ebda.)

Die abstraktesten Bedingungen werden in diesem Ansatz im legalen und monetären System der bürgerlichen Gesellschaft gesehen (vgl. auch Jessop 1990, 35ff). Über den Staat wird zum Einen ein für die Akkumulation notwendiges allgemeines Äquivalent (Geld) geschaffen, zum Anderen werden Rechtssubjekte geformt, die sich am Markt als Ware Arbeitskraft veräußern können/müssen.

„Dies ist das Feld, auf dem „formale“ und „abstrakte“ Gleichheit und Freiheit erscheinen, die isolierten Vereinzelten der Tauschgesellschaft (...), die als juridisch–politische Individuum–Personen konstitutiert werden – sowie das Gesetz und die abstrakten formalen juristischen Regeln als System, das den Waren Tauschenden den Zusammenhalt gibt.” (Poulantzas 2002: 77)

Neben der Ableitung des Staates aus der Sphäre des Austauschs und der Zirkulation zählt er zu diesen Konzeptionen auch jene Versuche, die „die Besonderheiten und die historischen Veränderungen” aus den ökonomischen Funktionen des Staates ableiten (vgl. Poulantzas 2002: 79). Die allgemeinen Funktionen des Staates bestehen hier etwa im Bereitstellen von kollektiven Gütern, Gebrauchswerten, die nicht profitabel produziert werden können oder deren privatkapitalistische Produktion negative – dysfunktionale – Effekte zeitigen würde. Die Spielräume des Staates in der Erhaltung der allgemeinen Bedingungen sind aber stets überlagert vom Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, welches der kapitalistische Staat in letzter Konsequenz in seinen Grundbedingungen nicht angreifen kann. Eine stufenweise Überwindung des kapitalistischen Staates durch Reformmaßnahmen erscheint auch in diesen (nichtrevisionistischen (vgl. Esser 1975)) Konzeptionen unmöglich.

Der Ableitung des Staates aus den Zirkulationsverhältnissen und den Warenbeziehungen hält er entgegen, dass dies einen Rückfall in traditionelle Konzeptionen des Kapitals als abstrakter Einheit mit immanenter Logik darstelle. Dieses könne die Grundfrage der marxistischen Staatstheorie nicht erklären – warum entsteht gerade der „moderne repräsentative, national–populare Staat” und nicht ein anderer? Diese Konzeption kann nach Poulantzas die „Paare” Staat – bürgerliche Gesellschaft und Staat – Klassenkampf nicht miteinander verknüpfen, da eine Analyse der Produktionsverhältnisse, in denen die Klassen ihre Grundlage hätten, ausbleibt.  

Verdichtung eines Kräfteverhältnisses – Probleme einer Metapher 

Obwohl eine vertiefte Auseinandersetzung mit Poulantzas im deutschsprachigen Raum bislang eher marginal blieb, ist doch, nicht zuletzt über die Rezeption der Regulationstheorie und die damit verbunden Debatten zum Staat, die Formel vom Staat als Verhältnis fast schon ein Gemeinplatz geworden. Leider wird diese Bestimmung oftmals nicht genau ausgeführt und verbleibt daher im Metaphorischen.

In der „Staatstheorie“ erfolgt sie in ihrer am meisten ausformulierten Version im Kapitel „Der Staat und die herrschenden Klassen“ (ders. 2002: 158). Es geht hier darum zu klären, wie der kapitalistische Staat auf lange Sicht die allgemeinen Interessen der herrschenden Klasse sichert. Poulantzas stellt fest,

„dass der Staat, (....) nicht als ein in sich abgeschlossenes Wesen begriffen werden darf, sondern, wie auch das „Kapital“, als ein Verhältnis, genauer als die materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zwischen Klassen und Klassenfraktionen, das sich im Staat immer in spezifischer Form ausdrückt.” (Poulantzas 2002: 159)

Für Poulantzas bietet diese Konzeption eine Möglichkeit aus den Dilemmata der marxistischen Staatstheorien (s.o. Staat als Instrument oder Staat als Subjekt/Vernunftinstanz der bürgerlichen Gesellschaft) herauszukommen. Obwohl er also von einem Kräfteverhältnis zwischen Klassen und Klassenfraktionen spricht und daher logischerweise auch von den Lohnabhängigen, bezieht er das Konzept Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zuerst auf die Organisation der herrschenden Klassen in und durch den Staat. „Der Staat konstituiert also die politische Einheit der herrschenden Klassen.” (Poulantzas 2002: 158) [iii] Dies kann er jedoch nur insofern er „relativ autonom” ist, insofern er in seiner Materialität von den Produktionsverhältnissen relativ getrennt erscheint. Ihn daher auf eine bloße Klassenbeziehung zu reduzieren, wäre genau deswegen unzulässig. Der materielle Aspekt des Staates kann nicht ignoriert werden.

„Das materielle Gerüst seiner Institutionen wird durch die Beziehung des Staates zu den Produktionsverhältnissen und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung konstituiert, die sich in der kapitalistischen Trennung des Staates von diesen Verhältnissen konzentriert. (...) Der Staat hat eine eigene Dichte und Widerstandskraft und reduziert sich nicht auf ein Kräfteverhältnis.” (Poulantzas 2002: 162) Das heißt der Zusammenhang zwischen den Klassenkämpfen und dem Staat ist kein direkter und unmittelbarer, ja es kann sich die Materialität des Staates gegenüber einer Veränderung der Staatsmacht, also der spezifischen Zusammensetzung der Klassenherrschaft, als relativ stabil erweisen. 

Staat und Klassenverhältnisse

Nach Poulantzas ist also eine Analyse des Staates ohne Bezugnahme auf die Konstitution der Klassen im Kapitalismus nicht zu bewerkstelligen. „Poulantzas’ Hauptanliegen ist der wissenschaftliche Begriff des Klassenkampfes. In seinem Verständnis befinden sich die Klassen immer im Kampf, sie existieren nicht außerhalb ihres Kampfes und unabhängig von ihm. Wenn sie nur durch diesen begreifbar sind, dann deshalb, weil sie selbst sich ständig in diesem Kampf und durch ihn verändern.” (Demirovic, 1987: 49)

In bezug auf den Staat bedeutet dies für die Klassenherrschaft zweierlei. Zum einen ist nicht davon auszugehen, dass die Klassen – hier insbesondere die Bourgeoisie – als (abstrakte) Einheit mit vorgegebenen Interessen dem Klassenverhältnis vorausgehen. Ihre Konstituierung erfolgt erst über den Kampf und ist daher nur in Relation zur gegnerischen Klasse zu verstehen. Letztere ist dadurch aber immer in der Konstitution ersterer präsent. Das Proletariat und seine „Interessen“ sind dem Kapitalverhältnis – auch wenn dieses als widersprüchlich oder als Kampf aufgefasst wird – daher nicht äußerlich.[iv] Zum anderen bedeutet das aber auch, dass zwischen der vom Kampf mit dem Proletariat überformten Bourgeoisie und dem Staat kein „äußerliches Verhältnis” besteht – was übrigens nicht ausschließt, dass sich etwa das Kapital in Interessensvertretungen (Kammern etc.) zusammenschließt und gegenüber dem Staat als Lobby o. ä. agiert. Die Vorstellung eines „äußeren Verhältnisses“, so Poulantzas, liege jenen Konzeptionen zugrunde, in denen der Staat als Instrument oder als Subjekt erscheint. Staat und herrschende Klassen stehen sich jedoch nicht als „in sich geschlossene Wesensheiten gegenüber”. Poulantzas hebt in seinen klassentheoretischen Überlegungen außerdem die Fraktionierung der herrschenden Klassen (Industrie, Finanz etc.) und die Rolle anderer sozialer Kategorien (Bürokratie etc.) und kooptierter Gruppen und die Konflikthaftigkeit ihrer Verhältnisse zueinander hervor.  Die Differenziertheit der herrschenden Klassen, wie auch ihre Konflikte setzen sich im Staat fort und lassen die Einheit des Staates, die mehr ist als die Summe der sie ausmachenden Institutionen und Befugnisse, selbst prekär werden. Auch der Staat ist bei Poulantzas daher kein in sich abgeschlossenes, den Klassenkämpfen vorausgehendes Gebilde.

Den Staat nicht als in sich abgeschlossenes Wesen zu betrachten, heißt seine inneren Widersprüche, seine Spaltungen und Teilungen ernst zu nehmen und diese nicht als „dysfunktionale Unfälle” zu begreifen.

„Die Etablierung der staatlichen Politik muss als Resultante der in die Struktur des Staates (der Staat als Verhältnis) selbst eingeschriebenen Klassenwidersprüche verstanden werden.” (Poulantzas 2002: 163)

Damit wird jedoch die Vorstellung, wonach jede Maßnahme des Staates im Interesse des oder funktional für das Kapital sei, hinfällig. Vielmehr muss die Frage der Funktionalität des Staates für die Reproduktion der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, für die Sicherung der Interessen der herrschenden Klassen selbst als Problem staatstheoretischer Analysen anerkannt werden. Kapitalistische Staaten befinden sich daher, so die weitere Schlussfolgerung, permanent in der Krise, welche stets die Frage der Veränderung und Reform an staatliche Politik heranträgt.

Die obigen Ausführungen zu den Kräfteverhältnissen zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse gelten auch für die Verhältnisse zu den beherrschten Klassen. Diese und damit eben die Klassenkämpfe sind dem Staat nicht äußerlich.  Das heißt nicht, so Poulantzas, dass die Kämpfe nicht notwendigerweise weit über den Staat hinausgehen, oder sich gar in der Eingliederung erschöpfen. Vielmehr betont er umgekehrt, dass der Staat immer innerhalb der Kämpfe steht, die ihn ununterbrochen überfluten. Daher wäre es auch falsch, aus der Präsenz der beherrschten Klassen im Staat zu schließen, dass sie dort ohne „eine radikale Transformation dieses Staates” Macht besitzen würden. Auch hier wendet sich Poulantzas noch einmal gegen politische Vorstellungen, wonach die sozialen Kämpfe von außen den Staat, wie eine Festung (Bastille), angreifen und Druck auf ein in sich geschlossenes Ganzes ausüben. Demgegenüber betont er, dass

„die politischen Kämpfe, die auf den Staat zielen, (....) seine Apparate (durchziehen), weil sie bereits in das Raster des Staates eingeschrieben sind.”

Poulantzas liefert damit m.E. eine staatstheoretische Begründung von Emanzipation, die diese, konfrontiert mit einem weitläufigen Geflecht staatlicher Apparate und durchstaatlichter gesellschaftlicher Verhältnisse, nicht mehr als Sturm auf das Winterpalais, als Machtergreifung erfasst, sondern „in der Ausweitung effektiver Brüche”, als bewusstes Überschreiten und Heraustreten aus den herrschenden Kräfteverhältnissen[v]. Poulantzas politische Theorie reagiert daher auf den Ausbau hegemonialer Institutionen und Apparate des „integralen Staates“ (vgl. Gramsci 1991ff, Jessop 1992) und die „Integration“ der ArbeiterInnenbewegungen im Fordismus seit 1945 – also auf die Veränderung der Herrschaftsbedingungen – und versucht, diese mit Blick auf mögliche Strategien der Linken adäquat zu theoretisieren.  Bei Poulantzas greifen die Kämpfe die Apparate und Institutionen nicht weniger von außen an, sondern versuchen vielmehr aus diesen auszubrechen.  

Die konstitutive Präsenz des Staates in den Produktionsverhältnissen

Gegen die genannten Ableitungstheorien betont Poulantzas, dass zwar sowohl die Zirkulationssphäre als auch die Frage der ökonomischen Funktionen wichtige Auswirkungen auf die Strukturierung des Staates haben, dass damit aber die politischen Institutionen nicht erschöpfend erklärt werden können. Die Grundlage der „institutionellen Materialität des Staates und seine relative Trennung von der Ökonomie”, also der Entgegensetzung Staat und Gesellschaft, verortet er in den Produktionsverhältnissen. Er postuliert sogar, dass diese die einzig mögliche Ausgangsbasis für die Analyse der Beziehungen zwischen dem Staat, den Klassen und dem Klassenkampf seien. Obendrein ist, wie aus dem folgenden Zitat hervorgeht, hervorzuheben, dass er die Trennung des Staates von der Ökonomie unter dem Blickpunkt der Veränderung diskutiert.

„Die Transformationen des Staates verweisen zuallererst auf Transformationen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die ihrerseits Transformationen dieser Trennung zur Folge haben und damit auf die Klassenkämpfe.” (Poulantzas 2002: 80)

Doch Poulantzas gibt seinen Konzeptionen noch  einen weiteren originellen Dreh. Die Trennung stellt für ihn nämlich die konstitutive Präsenz des Staates in der ökonomischen Sphäre dar. 

„Eventually Poulantzas abandoned the idea that the economic, political and ideological were distinct regions of the CMP (capitalist mode of production, der Verf.) and treated them instead as analytically distinct moments of the capitalist relations of production. The economic moment concerned valorisation and exploitation; the political moment concerned the forms of managerial authority; and the ideological moment concerned the form taken by the mental–manual division of labour.” (Jessop 1985: 108)

Realisieren kann sich diese „Präsenz“ als Staatsinterventionismus, in allen Formen des Arbeits– und Sozialrechts, im neoliberalen Rückzug des Staates etc.

Mit diesen Überlegungen können bestimmte traditionelle Vorstellungen der Überwindung des Kapitalismus etwa durch Verstaatlichung einer fundamentalen Kritik unterzogen werden. Ja, vereinfachende Dichotomisierungen Staat – Markt, wie sie viele Debatten zur Liberalisierung des öffentlichen Dienstleistungssektors etwa im Zuge des GATS kennzeichnen, können durchbrochen werden. .

Poulantzas macht von Anfang an klar, dass Staat/das Politische und Ökonomie für ihn nicht in einer Beziehung der Äußerlichkeit zu denken sind. Er stellt fest, dass

„der Staat/das Politische (das trifft genauso für die Ideologie zu) immer schon konstitutiv, wenn auch in unterschiedlichen Formen, in den Produktionsverhältnissen und ihrer Reproduktion (existiert).” (ders., 2002: 45)

Das, so führt er weiter aus, gelte auch für den sogenannten liberalen Staat und der falschen Auffassung, dass dieser nicht in die Ökonomie eingreife. In der falschen Dichotomie „Intervention” oder „Nachtwächterfunktion” des Staates, die sich für ihn aus der „topologischen Figur der Äußerlichkeit” ergibt, sieht er den zentralen und folgenschweren Effekt eines Missverständnisses. Dies sieht er in der „konstitutiven Präsenz des Staates innerhalb der Produktionsverhältnisse und ihrer Reproduktion”, wie auch bezüglich der sich in verschiedenen Stadien des Kapitalismus ausdrückenden Veränderung des Verhältnisses von Ökonomie und Staat. Damit erteilt Poulantzas nicht nur sozialdemokratischen Regulierungsvorstellungen eine Absage, sondern kritisiert auch, „die alte Zweideutigkeit einer topologischen Darstellung von „Basis” und „Überbau”, in der der Staat bloß als Anhängsel–Reflex des Ökonomischen gilt” (vgl. ders. 2002: 43) – eine Vorstellung, die er mechanistisch–ökonomische Konzeption des Staates nennt.

Der sogenannten struktur–funktionalistischen Konzeption verschiedener voneinander autonomer, gesellschaftlicher Ebenen, wie Ökonomie, Politik etc., die lange Zeit den Mainstream der Sozialwissenschaften dominierte aber auch im Marxismus existierte, erteilt er ebenfalls eine Absage. Auch in ihnen erscheint das Verhältnis der verschiedenen Ebenen und der sie konstituierenden Elemente als äußerlich. Im Sinne einer allgemeinen Theorie der Ökonomie, werden Veränderungen des Wirtschaftens in den verschiedenen Produktionsweisen als interne Metamorphosen eines „selbstregulierten ökonomischen Raumes” konzipiert. Die Veränderungen dieser Teilsysteme, werden z.B. durch bestimmte Fachdisziplinen, wie etwa die „ökonomische Wissenschaft” aufgedeckt. Ihre Veränderbarkeit durch die (bewusste) Intervention sozialer Kämpfe erscheint jedoch als unmöglich bzw. dysfunktional. In den marxistischen Fassungen dieses Ansatzes – auch wenn diese von einer Veränderbarkeit ausgehen - führt das nach Poulantzas dazu, dass

„jede spezifische Behandlung der Überbaubereiche mit einem eigenen Gegenstand inakzeptabel erscheint, insofern die allgemeine Theorie der Ökonomie den Schlüssel für die Erklärung der Überbaustrukturen als mechanische Reflexe der ökonomischen Basis liefert.” (ders., 2002: 45)

Wie schon in seinem ersten Ende der 60er in Frankreich publizierten Buch „Gesellschaftliche Macht und soziale Klassen” (deutsch 1975; kritisch: Jessop 1985; Demirovic 1987)) betont Poulantzas, dass eine Theoretisierung des Staates ein adäquates Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise bedarf. Dieses darf sich nicht auf die Analyse der Verhältnisse in der Ökonomie beschränken, sondern ist als Gesamtheit „ökonomischer, politischer und ideologischer Bestimmungen” (vgl., Poulantzas 2002: 46) aufzufassen. Diese stehen in einem komplexen Artikulationsverhältnis, welches sie als je spezifische Räume (Staat, Ökonomie etc.) erst konstituiert und sogenannte „Teilbereichstheorien” möglich macht. Bewirkt wird diese Verknüpfung durch die „determinierende Rolle der Produktionsverhältnisse” in der Einheit der Produktionsweise, die sich aus der relativen Trennung der Ökonomie vom Staat ergibt.

„Diese Trennung ist nur die bestimmte Form, die im Kapitalismus die konstitutive Präsenz des Politischen in den Produktionsverhältnissen und ihrer Reproduktion annimmt.” (Poulantzas 2002: 47)

Die Konzeption der als konstitutiven Präsenz verstandenen Trennung von Staat und ökonomischen Verhältnissen, macht noch einmal klar, warum der Staat nach Poulantzas als Verhältnis aufzufassen ist. Die Trennung von Staat und Ökonomie ist „harter Kern” der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und wird zur Bedingung einer allgemeinen Entwicklung der Kategorien des Kapitals[vi]. Eine materialistische Staatstheorie muss daher bei einer Bestimmung der Produktionsverhältnisse und der Arbeitsteilung beginnen, um so mehr, wenn sie die Transformationen des Staates und seiner Beziehungen zu letzteren verstehen will.

Nach Poulantzas setzen sich die ökonomischen Beziehungen aus bestimmten Elementen zusammen. Diese sind: „1. Der Arbeiter als „unmittelbarer Produzent”, d.h. die Arbeitskraft; 2. die Produktionsmittel, d.h. der Gegenstand und die Mittel der Arbeit; 3. der Nicht–Arbeitende, der sich die Mehrarbeit, d.h. das Produkt aneignet.” (Poulantzas, 1975, 24)

Diese Elemente kommen in der Realität nur miteinander artikuliert vor, damit überhaupt produziert werden kann. Die spezifische Art der Verbindung, die diese Elemente miteinander eingehen, ermöglicht es, die verschiedenen ökonomischen Epochen zu unterscheiden. Diese Verbindung darf nicht einfach als Zusammenfügen, sondern muss als „Relation“ aufgefasst werden, in der „die Beziehungen der Elemente untereinander den eigenen Charakter determinieren, der sich jeweils nach der Art der Verbindung wandelt” (Poulantzas 1975: 23).

Daher ist die Artikulation, in der sich diese Elemente verbinden, eine der zentralen Fragen für kapitalismustheoretische Analysen, welche bei den Produktionsverhältnissen und der Arbeitsorganisation ansetzen, um so bestimmte Phasen der kapitalistischen Entwicklung identifizieren zu können. Die angesprochenen Elemente kommen in folgender Verbindung, die durch eine „doppelte Beziehung” zwischen ihren Elementen gebildet wird, vor. Dabei handelt es sich a) um das Verhältnis der realen Aneignung (das Besitzverhältnis), sowie b) um  das Eigentumsverhältnis (vgl., Poulantzas 1975: 24). Ersteres gilt für das Verhältnis der ArbeiterInnen zu den Produktionsmitteln, also für den Arbeitsprozeß und das System der Produktivkräfte (ebda.). Zweiteres tritt unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise als Verhältnis des Nicht–Arbeitenden, der Eigentümer (Eigentumsverhältnis) an den Produktionsmitteln wird, dazwischen. Damit bestimmt dies auch das Eigentum am entstehenden Produkt und definiert daher die Produktionsverhältnisse im eigentlichen Sinne. Diese Differenzierung zwischen Eigentums– und Besitzverhältnis wurde in den marxistischen Debatten im Frankreich der 60er nicht zuletzt in der kritischen Auseinandersetzung mit den Produktionsverhältnissen in der Sowjetunion hervorgehoben (vgl. Lipietz 1992)[vii].  

Das Spezifische der kapitalistischen Produktionsverhältnisse besteht darin, die Arbeitenden von den Produktionsmitteln zu trennen. Der unmittelbare Produzent befindet sich sowohl in Bezug auf das Eigentumsverhältnis als auch in Bezug auf die reale Aneignung im Verhältnis vollständiger Besitzlosigkeit gegenüber den Arbeitsgegenständen und den Produktionsmitteln (vgl. Poulantzas 2002: 46). Der „freie Lohnarbeiter” entsteht, der nur seine Arbeitskraft, die er am Arbeitsmarkt dem Eigentümer der Produktionsmittel anbietet, besitzt. Der Arbeiter wird „ökonomische Einheit”, oder auch „variables Kapital” das, vermittelt über den Arbeitsvertrag dieser oder jener Produktion zugeteilt wird. Der Arbeitsvertrag ist die spezifische „Form der Trennung” der Lohnarbeiter von den Produktionsmitteln. Im Begriff des Arbeitsvertrages als „Form und Trennung” des Lohnarbeitenden von den Produktionsmitteln gehen konstitutiv staatliche bzw. juridisch–politische Bestimmungen ein.  

Staat und Arbeitsteilung

Die oben dargestellten Trennungen werden in der Begründung des Staates als Trennung von Planung und Ausführung in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen konzipiert. Das erlaubt, die Spaltung zwischen unmittelbaren ProduzentInnen und den EigentümerInnen an den Produktionsmitteln entlang dieser Linie zu verstehen. Gegen ein „empirisch–naturalistisches“ Verständnis dieser Prozesse, die diese rein deskriptiv als Unterscheidung in jene, die mit der Hand, und jene, die mit dem Kopf arbeiten, fasst, verknüpft Poulantzas diese Spaltung mit politischen und ideologischen Beziehungen in den Produktionsverhältnissen. Das erst ermöglicht die die relative Mehrwertproduktion und die Reproduktion des Kapitals im Stadium der wissenschaftlichen bzw. tayloristischen Organisation der Arbeit, welche auf der sukzessiven und immer wieder herzustellenden Enteignung des Wissens der unmittelbaren ProduzentInnen, aber auch den Anstrengungen ihre aktive Zustimmung zur Produktion zu erlangen (vgl. dazu auch, Hirsch/Roth 1986: 46ff, Burawoy 1985), beruht. Die kapitalistische Arbeitsteilung hat vier Auswirkungen (vgl. Poulantzas 2002: 82):

a) Von der von den unmittelbaren ProduzentInnen ausgeführten Arbeit werden die intellektuellen Elemente abgetrennt. Dies führt zur spezifisch kapitalistischen Form der ausführenden Arbeit im Gegensatz zur intellektuellen/planenden Arbeit. Dieser Prozeß wird von Poulantzas mit verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen verbunden. Er nennt daher weiter b) die Trennung der Wissenschaft von der ausführenden Arbeit, die damit selbst zur eigenen Produktivkraft wird, c) die Entstehung  von spezifischen Verhältnissen zwischen der Wissenschaft/dem Wissen und den herrschenden ideologischen Verhältnissen, und schließlich d) die organischen Beziehungen zwischen den entstehenden Formen geistiger und politischer Herrschaft, zwischen dem „kapitalistischen Wissen” und der „kapitalistischen Macht”.

Diese Auswirkungen der Arbeitsteilung sind in Bezug auf den Staat und dessen Besonderung als spezifischer Apparat von entscheidender Bedeutung.

„Der Staat verkörpert in der Gesamtheit seiner Apparate, d.h. nicht nur in seinen ideologischen, sondern auch in seinen repressiven und ökonomischen Apparaten, die geistige Arbeit in ihrer Trennung von der manuellen Arbeit. (...) Dieser von den Produktionsverhältnissen getrennte Staat befindet sich auf der Seite der geistigen Arbeit, die ihrerseits von der manuellen Arbeit getrennt ist. Er ist das Produkt dieser Teilung, auch wenn er eine spezifische Rolle in ihrer Konstitution und Reproduktion spielt.” (Poulantzas 2002: 83)

Wichtig ist, dass die Trennung der geistigen von der manuellen Arbeit materiellen Charakter besitzt, sich also in konkreten Praktiken und Institutionen niederschlägt. Auch die obige Metapher, dass der Staat in der Gesamtheit seiner Apparate die Arbeitsteilung verkörpere, ist materiell zu verstehen. Die vom Produktionsprozess getrennten Staatsapparate basieren auf einer „Kristallisation“ der geistigen Arbeit. In den Apparaten werden Wissen und Diskurse umgesetzt und beherrscht, die im wahrsten Sinn des Wortes exklusiven (also ausschließenden) Charakter besitzen, da in der poulantzasianischen Diktion von ihnen etwa die „Volksmassen“ ausgeschlossen sind.

Der Staat „ist (...) das Abbild der Beziehungen zwischen Wissen und Macht, wie sie sich innerhalb der geistigen Arbeit reproduzieren. Von den hierarchischen, zentralisierten und Disziplinarbeziehungen bis zu den Stufen und Knotenpunkten der Entscheidung und Ausführung, von den Ebenen der Delegation der Autorität bis zu den Formen der Verteilung und Verheimlichung des Wissens je nach der  gewählten Ebene (das bürokratische Geheimnis) und den Formen der Qualifikation und Rekrutierung der Staatsagenten (...) verkörpert der Aufbau des kapitalistischen Staats bis in die kleinsten Details die innerhalb der geistigen Arbeit induzierte und verinnerlichte Reproduktion der kapitalistischen Teilung zwischen geistiger und manueller Arbeit.” (Poulantzas, 2002: 86)

Einschränkend muss angemerkt werden, dass dies nicht bedeutet, dass die „Volksmassen“ nicht auf spezifische Art und Weise in diesen materiellen Wissens– und Diskursformen präsent sind. Es existieren bestimmte Repräsentationen der subalternen Gruppen in den herrschenden Wissensformen, was sich etwa in konkreten Regierungsprogrammen und –formen ausdrückt, oder sich im juridisch–politischen Diskurs (Arbeitsrecht...) manifestieren und  in bestimmten Institutionen (Sozialministerium..) niederschlagen kann.

In diesem Kontext versucht Nicos Poulantzas (vgl. 1978, 2002), die sogenannte „Atomisierungs–“ oder „Individualisierungsfunktion“ des Staates (also die Erzeugung individueller Rechtssubjekte) mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, welche hier als Grundlage der Besonderung des Staates bestimmt wird, zu verbinden. Die Besitzlosigkeit der „freien Arbeiter“ prägt den Arbeitsprozessen eine bestimmte Struktur auf, die auf einer bestimmten Verknüpfung der Arbeitsprozesse beruht. Diese legt der realen Abhängigkeit der ProduzentInnen in der Vergesellschaftung der Arbeit strukturelle Grenzen auf. Als Privatarbeiten verausgabt, werden sie nicht vorher – über die hierarchische Organisation innerhalb der Betriebe hinaus – koordiniert und organisiert. Dies ist  Grundlage für die Dominanz des Wertverhältnisses.

Die Individualisierung ist Grundlage der institutionellen Materialität des kapitalistischen Staates. Die Apparate des Staates sind in ihrem Aufbau, ihrer Organisation etc. rückgebunden an die Produktionsverhältnisse und damit der Arbeitsteilung. „Kurz das Individuum, das weit mehr ist als eine Schöpfung der aus den Warenbeziehungen hervorgehenden juristisch–politischen Ideologie, erscheint jetzt als ein im menschlichen Körper selbst konzentrierter materieller Kristallisationspunkt einer Reihe von Praktiken in der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit.” (Poulantzas 2002: 92)

Für Poulantzas nehmen der damals hegemoniale Bürokratismus und Taylorismus zwar unterschiedlich konkrete Gestalten an, beruhen aber doch auf der gleichen grundlegenden Arbeitsteilung. In seinen materiellen Effekten ist der Staat nicht einfach der Reflex der sozio–ökonomischen Realität sondern deren konstitutiver Faktor in der Organisation der Teilung der Arbeit und damit in der Konstruktion der Individuen. „Der Staat sanktioniert und institutionalisiert diese Individualisierung durch die Transformation der gesellschaftlich–ökonomischen Monaden in juristisch–politische Individuen–Personen–Subjekte. (...) Die Ideologie der Individualisierung hat nicht nur die Aufgabe die Klassenverhältnisse zu verbergen – der kapitalistische Staat zeigt sich niemals als Klassenstaat –, sondern auch aktiv zur Teilung und Individualisierung der Volksmassen beizutragen.” (Poulantzas 2002: 92f)

Die Produktion von Individualität als Praxis geschieht durch die Gesamtheit von Wissenstechniken, Wissenformen, von Praktiken der herrschenden Macht, welche Normalisierungseffekte und damit eine bestimmte Form der Kohäsion zu erzeugen trachtet. Dies verweist die Analyse des bürgerlichen Staates auf das hier nicht näher zu behandelnde Problem der Hegemonie.

Kritische Überlegungen zur Transformation der Arbeitsteilung und Staatlichkeit

Poulantzas bindet die Begründung des Staates an die Produktionsverhältnisse bzw. die kapitalistische Arbeitsteilung/–organisation. Seine Analyse bleibt jedoch metaphorisch  („verkörpert“, die Arbeitsteilung „führt“ zur Trennung). Außerdem konzentriert er sich in der Staatstheorie v. a. auf die tayloristische/fordistische Organisation  der Arbeitsteilung/Arbeitsprozesse in Planung und Ausführung.

Als Hintergrund dieser Überlegungen können die in den 70ern einsetzenden Debatten zum kapitalistischen Arbeitsprozess gesehen werden (vgl. Burawoy 1985). Diese gehen davon aus, dass das Kapital im Arbeitsvertrag die Arbeitskraft nur als Potential kauft, was als Grundlage des konfliktorischen Charakters des Lohnverhältnis angesehen wird. Das Kapital ist damit im Produktionsprozess mit der Frage der Realisierung der lebendigen Arbeit konfrontiert. Dies ist Grundlage des sogenannten Kontrollproblems des Managements[viii] und auch all jener Management–Strategien, die auf den Konsens der Beschäftigten abzielen. Obwohl die Spaltung in planende und ausführende Tätigkeiten grundlegend für den kapitalistischen Arbeitsprozess ist, bleibt diese doch unvollständig, da jede Verausgabung menschlicher Arbeit bestimmte intellektuelle/bewusste Anteile – wie minimiert diese auch sein mögen – mit einschließt. Es handelt sich eben um die Realisierung lebendiger Arbeit und nicht um die Kontrolle über Maschinen.

Wie bereits oben ausgeführt, reicht die Bestimmung der Klassen über das Eigentum an Produktionsmittel (also die Stellung der ökonomischen Agenten zu den Produktionsmitteln) nicht aus zur Analyse gesellschaftlicher Klassenverhältnisse und des Klassenkampfes. Die klassentheoretischen Analysen wurden daher erweitert um Fragen nach den „Verhältnissen in der Produktion“.

Auf Basis dieser Überlegungen wird es möglich polarisierungstheoretische Fundierungen der Klassentheorie, wie sie zahlreichen Konzeptionen im orthodoxen Marxismus zugrunde liegt, zu kritisieren. Die Verhältnisse der Lohnabhängigen untereinander sind nicht auf Konkurrenz oder Solidarität zu reduzieren, die Frage nach dem Kommando im Unternehmen und seine Transformation rückt ins Zentrum der Analyse. Der kapitalistische Arbeitsprozess wird auf der Mikroebene als Herrschaftsprozess sichtbar. Das ist im Begriff der konstitutiven Anwesenheit des Staates in den Produktionsverhältnissen angelegt.

Im Widerspruch Realisierung lebendiger Arbeit und „objektive“ quasi „rationale“ Notwendigkeiten, die sich aus der Verwertungslogik ergeben und die dem Kontrollproblem  zugrunde liegen (das konstitutiv auf der Unvollständigkeit der Arbeitsteilung beruht), sind m. E. Anknüpfungspunkte zu patriarchalen, wie rassistischen Dimensionen der historisch und gesellschaftlich spezifischen Konstruktion von Lohnarbeit gegeben. Um das Kontrollproblem zu lösen, kann die Managementseite lebendige Arbeit nicht auf ihren Warenstatus auf ihren Status als Produktionsfaktor reduzieren. Vielmehr  beruht erfolgreiche managerielle Kontrolle auf bestimmten Annahmen (die sich in materiellen Praktiken realisieren) über „qualitative“ Aspekte der lebendigen Arbeit (Vergeschlechtlichung, nationaler Charakter der Arbeit, rassistische Annahmen...), die über die unmittelbaren Produktionsverhältnisse hinausweisen. Diese ermöglichen es nicht nur die Lohnabhängigen zu kontrollieren, sondern auch ihren Konsens zu erlangen.

Ja mehr noch, über die Analyse der Produktionsverhältnisse und der Arbeitsteilung kann die Frage der konkreten Transformationen dieser und damit auch des Staates bearbeitet werden Die skizzierte kapitalistische Arbeitsteilung realisiert sich in historisch und gesellschaftlich spezifischen Verknüpfungen (Fordismus etc.) in und durch soziale Kämpfe und spezifische Praktiken/Institutionalisierungen.

Werden die Konzeption Poulantzas durch die Brille der Regulationstheorie (vgl. Lipietz 1992) gelesen, kann nicht angenommen werden, dass die Reproduktion der kapitalistischen Produktionsverhältnisse gegeben ist und einfach zur Trennung des Staates, der diese Verhältnisse dann „verdichtet“, „führt“, (Poulantzas, 2002). Es geht daher nicht nur um die Entgegensetzung von Staat und Ökonomie, sondern um die Transformationen dieser Trennung in und durch die Klassenkämpfe. Die Besonderung des Staates wird zu einem permanenten „Inhalt“/Feld der sozialen Kämpfe in den Produktionsverhältnissen, deren konkrete Realisierung nicht ein für allemal feststeht. Umgekehrt bedeutet dies, dass sich aus der Form des Staates seine Funktionen zur Reproduktion der Produktionsverhältnisse nicht notwendigerweise realisieren lassen, ja mehr noch diese Funktionen die Form des Staates selbst problematisieren können (vgl. Jessop 1990). Unter diesem Blickwinkel wird auch der Zusammenhang zwischen der Trennung Staat und Ökonomie und die für Poulantzas – der hier Gramsci folgt – charakteristische Ausdehnung des Staates auf die sogenannten ideologischen Staatsapparate, in denen um die Hegemonie der herrschenden Klassen gerungen wird, also um ihre moralische, intellektuelle und politische Führung, klar. dNach Poulantzas ist damit das Politische in der bürgerlichen Gesellschaft mehr ist als der Staat im engen Sinne. In den para–staatlichen und sogenannten zivilgesellschaftlichen Institutionen findet u. a. der Kampf um das konkrete Verhältnis Staat und Ökonomie statt, wird also die historisch spezifische Besonderung und Verallgemeinerung der intellektuellen Arbeit konstituiert und dadurch zugleich die Einheit der verschiedenen Klassen/–fraktionen als hegemonialer Prozess hergestellt.

So wenig zufriedenstellend in diesem Kontext die Metapher „Verdichtung eines Kräfteverhältnisses“ (wie auch die vorgenommene Verfeinerung der theoretischen Überlegungen zur kapitalistischen Arbeitsteilung) sein mag, so verbietet sie doch eine Lesart, wonach der Staat als „Verkörperung der geistigen Arbeit”, die Herrschaft der Bourgeoisie verobjektiviert, während die Arbeiterklasse davon abgespalten und äußerlich ist.[ix] Insofern die Arbeitsteilung als Verhältnis aufzufassen ist, bedeutet dies, dass auch die „ausführende Seite” in der „Verkörperung” der intellektuellen Arbeit oder eben der „Verdichtung eines Kräfteverhältnisses” präsent ist und es damit eben um den Bruch mit diesen geht. Die Staatstheorie Poulantzas, kann daher die historische Wirksamkeit sozialer Kämpfe anerkennen, gleichzeitig aber auch sichtbar machen, wie diese in bestimmten Institutionen kristallisiert wurden. Selbst wenn Poulantzas die existierenden Staatsapparate an die Kämpfe zwischen den Klassen rückbindet, so wird doch offensichtlich, dass es um den Bruch mit dem kapitalistischen Staat geht und damit um Emanzipation. Verdichtung kann nicht das Ziel linker Bewegungen sein.

Der Vorteil dieser Konzeption besteht aber außerdem darin, die Modifikationen des Staates an die Modifikationen in den Produktionsverhältnissen binden zu können. Lebendige Arbeitskraft realisiert sich in bestimmten Konkretisierung von Lohnarbeit, wie sie in historisch unterschiedlichen realisiert Institutionen festgeschrieben – „verdichtet” – werden: Ausbildung, Lohnformen, gewerkschaftliche/innerbetriebliche Interessensvertretung der Beschäftigten, soziale Rechte, Technologie.[x]

Der politische Einsatz des staatstheoretischen Entwurfes bei Poulantzas, der ihn auch heute noch lesbar macht, besteht also darin, dass er die Theoretisierung des Staates und seiner Modifikationen an die Produktionsverhältnisse und die Arbeitsteilung, mithin also an die Klassenverhältnisse, rückbindet. Nicht zuletzt mit Blick auf die hegemoniale Durchsetzung des Neoliberalismus und dessen Verortung der Ursachen der Krise der Verwertungsbedingungen in der Verfasstheit der Arbeit/Arbeitskräfte – etwa bezüglich gewerkschaftlicher Organisierung, Lohnhöhe, arbeits– und sozialrechtlicher Absicherung – hat er damit eine zentrale Achse der sozialen Kämpfe identifiziert, von der aus eine Reihe von Entwicklungsdynamiken der kapitalistischen Staatlichkeit und der Veränderung der Arbeit im Postfordismus analysiert werden können. Die Staatstheorie Poulantzas fordert daher zur Konkretisierung der skizzierten theoretischen Überlegungen auf, d.h. zur Analyse der Veränderung kapitalistischer Staatlichkeit muss die Veränderung der Arbeits– und Re–/Produktionsverhältnisse ins Visier genommen werden. Die gegenwärtigen Veränderungen der Staatlichkeit sind daher ohne Analyse ihres gesellschaftlichen Gehalts (Veränderung der Arbeits– und Reproduktionsverhältnisse) nicht zu verstehen.

E-Mail: rolandatzmuller/ at /hotmail.com

Literatur:

Burawoy, Michael: (1985) The politics of production. London

Demirovic, Alex: (1987) Nicos Poulantzas. Eine kritische Auseinandersetzung, Hamburg.

Demirovic, Alex: (1997) Demokratie und Herrschaft. Aspekte kritischer Gesellschaftstheorie, Münster.

Demirovic , Alex und Hans Peter Krebs, Thomas Sablowski (Hg.): (1992) Hegemonie und Staat. Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozess, Münster.

Esser, Josef: (1975) Die Staats–Analyse der nicht–revisionistischen Linken, in: ders.: Einführung in die materialistische Staatstheorie, Frankfurt am Main/New York, S. 135–161

Gramsci, Antonio: (1991ff) Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe herausgegeben von W. F. Haug, Hamburg.

Hirsch, Joachim: (2001) Postfordismus. Dimensionen einer neuen kapitalistischen Formation. in: Hirsch, Joachim und Bob Jessop, Nicos Poulantzas: Die Zukunft des Staates, Hamburg, 101 – 138.

ders.: (1990) Kapitalismus ohne Alternative. Materialistische Gesellschaftstheorie und Möglichkeiten einer sozialistischen Politik heute. Hamburg.

ders.; Roth, Roland: (1986) Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post– Fordismus. Hamburg

ders.: (1995) Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus. Berlin/Amsterdam.

Jessop, Bob : (1985) Nicos Poulantzas. Marxist Theory and Political Strategy, New York

ders.: (1990) State Theory. Putting Capitalists States in their Place. Pennsylvania.

ders.: (1992) Regulation und Politik, in: Demirovic, Alex et al (Hg.): Hegemonie und Staat. Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozess, Münster, 232-262.

Lipietz, Alain: (1992a) Vom Althusserismus zur „Theorie der Regulation”. in: Demirovic, Alex; et al (Hg.): Hegemonie und Staat. Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozess, Münster, 9–54.

Poulantzas, Nicos: (1975) Politische Macht und gesellschaftliche Klassen. Frankfurt, 2. Auflage.

Poulantzas, Nicos: (1978) Staatstheorie: politischer Überbau, Ideologie, sozialistische Demokratie. Hamburg.

Poulantas Nicos: (2002) Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus. Mit einer Einleitung von Alex Demirovic, Joachim Hirsch und Bob Jessop. Hamburg.

Röttger, Bernd: (2003) Verlassene Gräber und neue Pilger an der Grabesstätte. Eine neo–regulationistische Perspektive in: Brand, Ulrich und Werner Raza (Hg.): Fit für den Postfordismus. Theoretisch–politische Perspektiven des Regulationsansatzes, Münster, 18–42.



[i] Was in Frankreich Ende der 70er noch bevorstand.

[ii] In den  Debatten der 70er wurde, nicht zuletzt mit Blick auf die Frage ‚What does the ruling class do when it rules“, dafür der schön Satz geprägt, dass die herrschende Klasse zwar herrscht, aber nicht regiert.

[iii] Poulantzas entfaltet diese Konzeption entlang der gramscianischen Konzepte Hegemonie, Block an der Macht etc., auf die ich hier nicht eingehen werde.

[iv] Dies wirft zweifelsohne die Frage nach der Möglichkeit des Bruchs auf, liegt dem doch auch eine reformistische Lesart „der Verdichtung eines Kräfteverhältnisses“ zugrunde. Demgegenüber ist das „Unwahrscheinliche“ der Reproduktion des widersprüchlichen Kampfverhältnisses hervorzuheben, das in dieser Konzeption als Ermöglichungsbedingung emanzipatorischer Kämpfe gegen das und nicht im Lohnverhältnis zu verstehen ist. Der kapitalistische Staat ist daher nicht einfach Regulierung, sondern Reproduktion der Klassenherrschaft.

[v] Poulantzas hat selbst immer wieder – nicht zuletzt in der „Staatstheorie“ (vgl. Poulantzas 2002: 278ff) – strategische Fragen einer demokratischen, sozialistischen Transformation der Gesellschaft diskutiert, die sowohl auf einer Kritik der traditionellen Konzeptionen des Marxismus-Leninismus, wie auch der Sozialdemokratie beruhen und der ihn ihnen sich entfaltenden Spannung zwischen theoretischen Analysen und strategischen Überlegungen einer eigenen Analyse wert wären (vgl. Demirovic, 1997).

[vi] Insofern war der Staat weder als Nachtwächterstaat außerhalb des Raums der Reproduktion des Kapitals, noch wurde dies in der Periode des Interventionsstaat, des sogenannten staatsmonopolistischen Kapitalismus aufgehoben.

[vii] Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann daher noch einmal deutlich gemacht werden, dass Poulantzas nicht nur auf eine Theorie des Staates, sondern auch auf eine Reformulierung politischer Strategien der Linken abzielt. Gerade mit Blick auf den Realen Sozialismus kann dies gegenüber den angeführten Ableitungsversuchen deutlich gemacht werden. Diesen gegenüber betont er, dass mit einer Begründung des Staates aus der Zirkulation und den Warenbeziehungen – wobei er sich in dieser Verknüpfung eher auf die französischen denn westdeutschen Debatten bezieht – bestimmte Merkmale realsozialistischer Systeme nicht adäquat wiedergegeben werden können. Zwar hätten die Warenbeziehungen in diesen Ländern massive Veränderungen erfahren, doch seien gerade für die Produktionsverhältnisse und die Arbeitsteilung  kapitalistische Merkmale kennzeichnend. „Die Werktätigen haben weder die Kontrolle noch die Herrschaft über die Arbeitsprozesse (das Besitzverhältnis), noch besitzen sie die reale ökonomische Macht über die Arbeitsmittel (die Beziehung des ökonomischen Eigentums, das vom juristischen Eigentum unterschieden ist); es handelt sich um eine Verstaatlichung und nicht um eine wirkliche Vergesellschaftung der Produktion. Auf politischem Niveau handelt es sich um eine Diktatur über das Proletariat.” (Poulantzas, 2002: 78)

[viii] Ohne das Kommando in der Fabrik, ohne Kontrolle des Managements über den Arbeitsprozess würde aus der Sicht des Kapitals eine Art Free-Rider-Problem entstehen (Verbesserung des Verhältnisses Input/Output aus der Sicht der Beschäftigten durch Reduktion der eingebrachten Arbeit).

[ix] Einige der Formulieren legen diese Lesart nahe, was vermutlich die Situation der kommunistischen Bewegungen in Frankreich, bzw. Griechenland reflektiert.

[x] Die soziale Konstruktion von Lohnarbeit zieht aber auch eine Grenze zur nicht-wertförmigen Arbeit/zu nichtwertförmigen Betätigungen und auch zur gesellschaftlichen Nicht-Arbeit. Das heißt auch, diese Felder sind konstitutiv präsent in den widersprüchlichen Verhältnissen der Produktion. Sie werden in orthodoxen marxistischen Theorien gern vereinfacht unter Reproduktion der Arbeitskraft subsumiert, womit die Erklärung oft schon beendet ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese gesellschaftlichen Bereiche in ihrem Verhältnis zur Produktion selbst zu problematisieren sind. (Die Notwendigkeit der Reproduktion garantiert nicht, dass sie im Sinne des Kapitals stattfindet, genauso wenig, wie das Bedürfnis der Lohnarbeiter nach Reproduktion garantiert, dass Institutionen existieren, in denen diese stattfinden kann). Das heißt, das Verhältnis von Staat und Arbeitsteilung impliziert konstitutiv das Verhältnis der kapitalistischen Produktion zu nicht ökonomischen Verhältnissen und Bedürfnissen. Das wirft die hier nicht zu beantwortende Frage auf, ob diese Verhältnisse selbst so konstituiert sind, dass sich aus ihnen weitere Bestimmungen zur Begründung des Staates ergeben, wie dies etwa von feministischen Debatten aufgeworfen wurde. Es könnte analog zu den Überlegungen Poulantzas für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse argumentiert werden, dass auch in den Institutionalisierungen der nicht-wertförmigen Arbeit/Betätigungen  (Familie, Sexualität ...) der Staat konstitutiv präsent ist und so diese in ihrer spezifisch bürgerlichen Form erst mit zu konstituieren hilft. Evident ist das auch in den Institutionen des Wohlfahrtsstaates. Dies beschreibt jedoch bereits Formen, die auf Reproduktion der LohnarbeiterInnen abzielen. Historisch spezifische Konfigurationen von Produktion (etwa als taylorisierte Massenproduktion) und Reproduktion (als Wohlfahrtsstaat, Kleinfamilie und Massenkonsum) sind zwar funktional, was aber ihre Realisierung nicht erklärt. Diese verweist vielmehr auf die Rolle politischer und ideologischer Auseinandersetzungen).

 

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