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Karl Reitter  Verdopplung und Entgegensetzung - die Staatsthematik in der Marxschen Frühschrift „Zur Judenfrage“

Ein Ergebnis des grundrisse – Seminars zum Staat am 10. Jänner war – jedenfalls für mich – die Erkenntnis, daß sich die Themen Staat einerseits und Kapital andererseits in einem Punkt klar unterscheiden. Wie Marx im „Kapital“ gezeigt hat, ist es möglich und auch notwendig die Gesetze der Kapitalakkumulation auf einer allgemeinen und überhistorischen Ebene zu entwickeln. Marx analysiert in seinem Hauptwerk ja nicht eine bestimmte Phase der kapitalistischen Gesellschaft, etwa den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, wie oftmals naiv, aber vor allem polemisch unterstellt wird, sondern entwickelt das ökonomische Verhältnis der Klassen in reiner Form. Eine Kenntnis dieser Zusammenhänge ermöglicht das Verständnis der geschichtlichen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer verschiedenen Phasen und Epochen. Begriffe wie Imperialismus und Empire, Fordismus und Postfordismus sind Versuche, die historische Entwicklung in ihrer Besonderheit zu begreifen. Ob z.B. die Ausdrücke Postfordismus und Empire angemessen sind, was darunter eigentlich zu verstehen sei usw, diese Diskussion ist an einem anderen Ort zuführen. Aber eines ist klar, alle historischen und regionalen Ausformungen der kapitalistischen Gesellschaft gehorchen den selben Gesetzmäßigkeiten. Um zwei Beispiele zu nennen: Immer ist die Quelle des Mehrwerts die Aneignung unbezahlter Mehrarbeit, obwohl die Form in der dies geschieht, die kulturellen, moralischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, sehr stark variieren können. Oder immer ist davon auszugehen, daß die Waren im gesellschaftlichen Durchschnitt zu ihrem Wert getauscht werden usw. 

Ist dieses Verhältnis zwischen abstraktem Begriff und historischer Entwicklung auch beim Staat gegeben? Anders gefragt, kann es eine Theorie des Staates an sich geben, die alle wesentlichen Bestimmungen des Staates beinhaltet? Gibt es analog zum Verhältnis abstrakte Kapitalanalyse – historische Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft, ein ähnliches Verhältnis zwischen dem Begriff des Staates und der geschichtlichen Entwicklungen der verschiedenen Staatsformen? Ich tendiere dazu, diese Frage eher zu verneinen, da der gesamte Bereich des Staates, seiner konkreten Ausformung, seiner Politik, den internationalen Beziehungen usw viel zu sehr von konkreten Bedingungen, insbesondere vom Stand und Ausmaß der Klassenauseinandersetzung abhängt. Materiale Staatsanalysen, die für sich beanspruchen, den Staat an sich zu analysieren, beruhen in Wirklichkeit zumeist auf einer bestimmten historischen Form des Staates, zumeist des fordistischen Staates der Prosperitätsphase des Kapitalismus nach dem II. Weltkrieg. Solche genauen, materialen Analysen sind nun keineswegs zweitrangig, im Gegenteil. Nichts ist schwieriger, als gegenwärtige Entwicklungen und Prozesse zu begreifen, gerade weil wir mitten drin stecken, Teil davon sind. Aber nichts ist unzulässiger, als von einer bestimmten Ausformung des Staates und der Staaten kurzschlüssig das Wesen oder den Begriff des Staates an sich ableiten zu wollen. 

Daraus ist jedoch keinesfalls der Schluß zu ziehen, es könne gewissermaßen „nichts“ über den Staat im allgemeinen gesagt werden und Aussagen über ihn müßten sich ausschließlich auf der Ebene konkreter Analysen bewegen. In diesem Zusammenhang kommt der Schrift „Zur Judenfrage“ [i] von Marx, 1843 geschrieben und ein Jahr später in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ veröffentlicht, eine besondere Bedeutung zu. Zum Zeitpunkt der Abfassung verfügte Marx weder über die historische Erfahrung der Pariser Commune, noch über die entwickelten Kategorien der Kapitalanalyse. Sprache und Stil entsprechen dem Umkreis seiner „Pariser Manuskripte“, die Bezüge zur Hegelschen Rechtsphilosophie sind unübersehbar. Trotz der noch nicht entwickelten ökonomischen Begriffe finde ich in dieser Schrift ein tiefes und methodisch ausgereiftes Verständnis der Staatsproblematik, das in keiner Debatte zur Staatsfrage übergangen werden sollte. Marx gelingt es ausgehend von den zentralen Gedanken der Verdopplung und Entgegensetzung einige sehr grundsätzliche Aussagen über den Modus der kapitalistischen Vergesellschaftung abzuleiten. Die Fragestellungen kreisen einerseits um die Entgegensetzung von konkretem, wirklichem Individuum und abstraktem Vernunftwesen, andererseits um die Entgegensetzung von Staat und Gesellschaft. Und – selbstverständlich – vom Verhältnis dieser beiden Entgegensetzungen. Ich werde diese Begriffe sogleich ausführlich erörtern, zumal sie das eigentliche Thema dieses Artikels darstellen.  

Randbemerkung 

Bevor ich die angesprochene Thematik der Entgegensetzungen und Verdopplungen näher darstelle, möchte ich eine kleine Bemerkungen einschieben. In der Entwicklung des Marxistischen Denkens nach Marx wurden dessen Aussagen in „Zur Judenfrage“ völlig übergangen. Und zwar sowohl von jenem Flügel, als dessen Protagonist Lenin und sein „Staat und Revolution“ gelten kann und in dessen Tradition der Staat ausschließlich als „Werkzeug“, als „Mittel“ der Kapitalistenklasse fungiert, als auch vom anderen Flügel, für den Staat und Verstaatlichung als Antizipation der sozialistischen Gesellschaft galt und gilt. So bezeichnete etwa Otto Bauer die Verstaatlichung von Betrieben direkt als „Sozialisierung“. An Marxschen Zitaten für die leninistische Variante fehlt es nicht, aber auch der andere Flügel kann sich durchaus auf die eine oder andere Passage berufen. Nur zur atmosphärischen Einstimmung einige bekannte und oft zitierte Stellen bei Marx. In seiner Analyse der Pariser Commune findet sich unter anderem folgender berühmter Satz: „Aber die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen.“ (MEW 17/336) und wenig später bezeichnet Marx den Staat als „Werkzeug zur Knechtung der Arbeit durch das Kapital.“ (MEW 17/338) Wer jedoch aus diesen Thesen einen strikten Absentismus gegenüber Staat, Recht und Wahlen ableiten will, wird im „Kapital“ eines Besseren belehrt. Seitenlang weist Marx auf das mutige Wirken der staatlichen Fabrikinspektoren während der Infernophase des englischen Frühkapitalismus hin und resümiert: „Zum Schutz gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein übermächtiges gesellschaftliches Hindernis, das sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklaverei zu verkaufen.“ (MEW 23/320) Es gibt kaum eine Debatte um den Staat, in der diese gegensätzlichen Standpunkte nicht wirksam sein würden. Evi Genetti etwa hat dies auch in der marxistisch - feministischen Debatte nachgewiesen, in dem sie die Strategien der „Verweigerung“ bzw. der „Beteiligung“ gegenübergestellt hat, nachzulesen in ihrem Artikel „Staat, Kapital und Geschlecht. Eine Bestandsaufnahme feministischer Staatskritik.“ in grundrisse Nr. 4_2002. Mit der Schrift „Zur Judenfrage“ lassen sich weder alle diese offenen Fragen lösen, noch machen sie eine Analyse der historischen Entwicklung des Staates und der geschichtlichen Erfahrungen mit dem Staat obsolet. Aber ich meine doch, daß ein Verständnis der grundlegenden Vergesellschaftung zumindest einen Art Kompaß darstellt, der uns hilft, uns in der Staatsfrage zu orientieren.  

Verdopplung und Entgegensetzung als grundlegender Modus der kapitalistischen Vergesellschaftung 

Das Besondere an der Schrift „Zur Judenfrage“ ist, daß Marx dort den Charakter des modernen, kapitalistischen Staates aus einer Reihe von Entgegensetzungen und Verdopplungen ableitet. Die Gegensätze treten mehrfach auf, einerseits als Gegensatz zwischen Gesellschaft und Staat, andererseits ist dieser Gegensatz „die Differenz zwischen dem religiösen Menschen und dem Staatsbürger, ist die Differenz zwischen dem Kaufmann und dem Staatsbürger, zwischen dem Taglöhner und dem Staatsbürger, zwischen dem Grundbesitzer und dem Staatsbürger, zwischen dem lebendigen Individuum und dem Staatsbürger.“ (MEW 1/355) Ich versuche, diese Gegensätze ein wenig zu erläutern. Auf der einen Seite existiert also das Individuum in seiner Besonderheit, mit seiner bestimmten Religion, dem Geschlecht, der sozialen Herkunft, seinem besonderen sozialen Prestige und vor allem mit seinen besonderen ökonomischen Interessen. Aber dieses besondere Individuum tritt uns auch als abstrakte StaatsbürgerIn entgegen, als gleiche unter gleichen, als abstrakte Rechtsperson, in der jeder Unterschied des sozialen Status, der Interessen, des Geschlechts und der Herkunft ausgelöscht sind. Diese verdoppelte soziale Existenz ist nun, wie Marx betont, keineswegs eine bloß analytische, gedachte. Es ist eine reale, verdoppelte Existenz. „Wo der politische Staat seine wahre Ausbildung erreicht hat, führt der Mensch nicht nur in Gedanken, im Bewußtsein, sondern in der Wirklichkeit, im Leben ein doppeltes, ein himmlisches und ein irdisches Leben, das Leben im politischen Gemeinwesen, worin er sich als Gemeinwesen gilt, und das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft, worin er als Privatmensch tätig ist, die anderen Menschen als Mittel betrachtet, sich selbst zum Mittel herabwürdigt und zum Spielball fremder Mächte wird.“ (MEW 1/355) Analysieren wir diese Aussage. Einerseits führt „der Mensch“ ein irdisches Leben. Diesen „irdischen Menschen“ bezeichnet Marx in „Zur Judenfrage“ auch als bourgeois, damit ist keineswegs ein Kapitalbesitzer gemeint, sondern einfach ein von ökonomischen Interessen geleitetes Individuum. Der „irdische Mensch“ ist das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft wie es leibt und lebt: alle Beschränkungen, Borniertheiten und Besonderheiten sind voll in Kraft. Herr bleibt Herr, Knecht bleibt Knecht, Mann bleibt Mann und Frau bleibt Frau, alle patriarchalen, religiösen und kapitalistischen Zuschreibungen bleiben aufrecht. Dieser bornierte, von ökonomischen Interessen geleitete Mensch, so Marxsens Sprachausdruck 1843, ist zu einer freien Gesellschaft unfähig. Es sind die „egoistischen Menschen, [die] vom Menschen und vom Gemeinwesen getrennten Menschen“, (MEW 1/364) die die bürgerliche Gesellschaft bilden. 1843 ist die Bestimmung des bornierten ökonomischen Interesses noch sehr abstrakt, Kapitalanalyse und Klassenbegriff sind noch nicht entfaltet. Aber Marx ist völlig klar, und in diesem Punkt folgt er noch teilweise Hegel, daß die von ökonomischen Gegensätzen zerrissene Gesellschaft unfähig ist, eine reflexive, emanzipatorische Vergesellschaftung zu entwickeln. Dies zeigt der Ausdruck vom „Mittel“ an, zu dem sich der bornierte Mensch macht, nämlich zum Mittel der Kapitalakkumulation.  

Zugleich tritt uns dieses bornierte Individuum in völlig anderer Form entgegen, als von diesen Beschränkungen befreiter Mensch, als „Gemeinwesen“, das meint als in der Gemeinschaft vergesellschaftetes Wesen, als citoyen, als „Bürger“. Mit der Marx eigentümlichen Ironie bezeichnet er freilich diese Dimension der Existenz als „himmlisch“, also irgendwie wirklich und unwirklich zugleich. Als freies, gleiches und emanzipiertes, als „politisches Gemeinwesen“ ist der Mensch sozusagen in eine wirklich-unwirkliche Sphäre entrückt; unfähig die Beschränkungen der bürgerlichen Gesellschaft aufzuheben. Kurzum, die StaatsbürgerIn tritt uns entgegen, das abstrakte Rechts- und Vernunftwesen der Kantischen Philosophie.[ii] Die Sphäre nun in der diese wirklich-unwirkliche Aufhebung aller Beschränkungen der bürgerlichen Gesellschaft realen institutionellen Ausdruck findet ist – der Staat. 

Wie kommt nun Marx dazu, dem Staat diesen eigentümlichen emanzipatorischen Charakter zuzuschreiben? Zur Klärung dieses Punktes ist es nützlich, den Gang der Argumentation in „Zur Judenfrage“ ein wenig nachzuzeichnen. Stein des Anstoßes für Marx war eine Schrift des Linkshegelianers Bruno Bauer, betitelt „Die Judenfrage“, in der Bauer darüber reflektiert, wie Jüdinnen und Juden sich emanzipieren könnten. Für alle Linkshegelianer, also auch für Bauer und Marx (der diese Bezeichnung zum damaligen Zeitpunkt für seine Person sicher nicht empört zurückgewiesen hätte) war es ausgemachte Sache, daß jede Religion Beschränkung und Borniertheit bedeutet. Das religiöse Bewußtsein konnte nur Ausdruck eines Mangels sein, darüber gab es keine Debatte. Der Streit ging nur darüber, wie denn dieser Mangel zu verstehen sei. Marx war 1843 bereits völlig klar, daß das bornierte religiöse Bewußtsein Ausdruck und Resultat bornierter gesellschaftlicher Verhältnisse sei, daß also eine Kritik der Religion gewissermaßen das Thema zu wechseln hätte, nicht Religion sei theologisch zu kritisieren, sondern die Religion verursachenden gesellschaftliche Verhältnisse. Daher postuliert er auch: „Wir verwandeln die theologischen Fragen in weltliche.“  (MEW 1/352) Soweit also der Hintergrund der Debatte zwischen Marx und Bauer.  

Bauer behauptet nun folgendes: Wenn sich die Jüdinnen und Juden emanzipieren wollen, müssen sie sofort Atheisten werden. Ja noch mehr. Da er das Christentum Hegelianisch als historisch fortgeschrittenes Stadium des religiösen Bewußtseins auffaßt, müßte Emanzipation aus jüdischer Perspektive sowohl die Überwindung des Judentums wie des Christentums beinhalten, während das christlich religiöse Bewußtsein gewissermaßen den ersten Schritt bereits getan hätte. Marx widerspricht dieser Auffassung heftig. Aus dieser Konfrontation erklärt sich der etwas absonderliche Titel seiner Arbeit. Auf die theologische Frage, welche Religion fortgeschrittener sei, läßt er sich erst gar nicht ein. Statt dessen erklärt er, daß Bauer das Wesen der politischen Emanzipation ebenso wenig begriffen hätte wie das Wesen des modernen Staates. Statt an der vorgeblich fortgeschrittensten Gestalt der Religion orientiert sich Marx an den fortgeschrittensten politischen Verhältnissen, konkret an der Amerikanischen und der Französischen Revolution. Durch die Proklamation von Grundgesetzen und Menschenrechten entsteht in diesen Revolutionen erstmals ein tatsächlich moderner Staat, der mit früheren Institutionen der Herrschaft wenig gemein hat. Dieser moderne, aus den Revolutionen hervorgehende Staat proklamiert sich selbst als Atheist, er steht über den Besonderheiten und Beschränktheiten der bürgerlichen Gesellschaft. Der Gegensatz zwischen religiöser Gesellschaft und atheistischem Staat war (und ist) besonders in den damals jungen Vereinigten Staaten schlagend. Marx weist explizit darauf hin: während die diversen christlichen Kirchen in der Neuen Welt nur so wuchern und sprießen, proklamiert sich der Mensch via Staatsbürger zum Atheisten. „Der Staat hebt den Unterschied der Geburt, des Standes, der Bildung, der Beschäftigung in seiner Weise auf, wenn er Geburt, Stand, Bildung, Beschäftigung für unpolitische Unterschiede erklärt, wenn er ohne Rücksicht auf diese Unterschiede jedes Glied des Volkes zum gleichmäßigen Teilnehmer der Volkssouveränität ausruft, wenn er alle Elemente des wirklichen Volkslebens von dem Staatsgesichtspunkt aus behandelt.“ (MEW 1/354) 

Einige mögen nun einwenden, Marx hatte sozusagen einen idealen, perfekten Staat vor Augen, einen Staat, der die Menschen- und Bürgerrechte nicht nur proklamiert, sondern auch wirklich einhält, der sich tatsächlich über die Besonderheiten der bürgerlichen Gesellschaft erhebt. Einen Staat gewissermaßen, frisch aus der antifeudalen Revolution geboren, ein inzwischen alt gewordenes Ideal, dessen Bild schon längst durch historische Erfahrung zu korrigieren sei. Dieser Einwand hat zweifellos etwas für sich, allerdings entwertet er die Marxsche Analyse keineswegs. Ich meine, daß es sehr wohl sinnvoll ist, den kapitalistischen Staat in seiner perfektesten, idealsten Form zu kritisieren. Und genau dies tut Marx. Bewußt orientiert er sich nicht am damaligen preußischen, österreichischen, russischen Staat sondern an den Ergebnissen der Amerikanischen und Französischen Revolution. Angesichts real existierender „Halbstaaten“, Staaten die tatsächlich oder vorgeblich hinter dem Stand des entfalteten modernen Rechtstaates zurückfallen, ist es sinnvoll und notwendig, auch die perfekteste, vollendendeste Form des Verfassungsstaates – selbst wenn die Wirklichkeit gemessen daran zurückbleibt - einer systematischen Kritik zu unterziehen. Wird dies unterlassen, so entsteht leicht ein idealisiertes Bild insbesondere der „gesitteten“ westeuropäischen Staaten; der Verfassungspatriotismus eines Jürgen Habermas läßt grüßen. 

Marx erkennt in dieser Entgegensetzung zugleich den emanzipatorischen Charakter des kapitalistischen Verfassungsstaates, aber auch seine, jede weitere historische Emanzipation blockierende Funktion. Gegenüber der „Feudalität“, so bezeichnet Marx in dieser Schrift vorkapitalistische Verhältnisse, ist die Entgegensetzung von Staat und Gesellschaft, von bourgeois und citoyen „allerdings ein großer Fortschritt, ...“ (MEW 1/356) Ein Fortschritt aber, der nicht weiter vorangetrieben werden kann. Klipp und klar erklärt Marx: „Die Zersetzung des Menschen in den Juden und in den Staatsbürger, in den Protestanten und in den Staatsbürger, in den religiösen Menschen und in den Staatsbürger, diese Zersetzung ist keine Lüge gegen das Staatsbürgertum, es ist keine Umgehung der politischen Emanzipation, sie ist die politische Emanzipation selbst, sie ist die politischste Weise, sich von der Religion zu emanzipieren.“ (MEW 1/357) Wir wissen, Religion steht hier nicht für religiöses Bewußtsein allein, sondern fungiert als Chiffre für kapitalistisch bürgerliche Verhältnisse überhaupt. Die fortgeschrittenste Entfaltung der Menschen- und Bürgerrechte kann nur in den beschriebenen Entgegensetzungen münden. Daß die Wirklichkeit oftmals hinter diesen Entgegensetzungen zurückbleibt ist eine Sache. Eine andere ist, von der „politischen Emanzipation“ wahre Wunder, nämlich die Aufhebung des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft, von citoyen und bourgeois, zu erwarten. Jeder weitere Emanzipationsschritt kann nur auf der Ebene der Gesellschaft erfolgen, so Marx. Wenn Marx fordert, daß „der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen Gattungswesen“ (MEW 1/370) zu werden hat, so läßt sich dieses Postulat im Lichte seiner späteren Arbeiten leicht dechiffrieren. Der Gegensatz von Staat und Gesellschaft, von konkretem Individuum und abstraktem Rechtswesen, läßt sich nicht über vermehrtes politisches Engagement, über zivilgesellschaftliches Engagement überwinden, sondern bedarf der Transformation der konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse. Sicher, Marxens Forderungen 1843 sind noch sehr formelhaft und abstrakt, aber deswegen nicht unrichtig. 

Zugleich schiebt Marx jeder Form von Staatsfetischismus den Riegel vor. Anspielend an die Geschehnisse während der Französischen Revolution beharrt er auf der absoluten Grenze der „politischen Emanzipation“, also der historischen Emanzipationskraft des Staates. Die politische Revolution, also die Konstitution des modernen Staates, stellt gewissermaßen eine Sackgasse dar, eine Sackgasse, die zwar einerseits notwenig zu beschreiten ist, aber an deren Ende kein Weg mehr weiterführt. Der Staat kann kein Hebel zur Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse sein. Angesichts der historischen Erfahrungen mit dem sogenannten Realen Sozialismus, muten Marxens Aussagen von 1843 geradezu prophetisch an: „In den Momenten seines besonderen Selbstgefühls sucht das politische Leben seine Voraussetzung, die bürgerliche Gesellschaft und ihre Elemente, zu erdrücken und sich als das wirkliche, widerspruchslose Gattungsleben des Menschen zu konstituieren. Es vermag dies indes nur durch gewaltsamen Widerspruch gegen seine eigenen Lebensbedingungen, nur indem es die Revolution für permanent erklärt, und das politische Drama endet daher ebenso notwendig mit der Wiederherstellung der Religion, des Privateigentums, aller Elemente der bürgerlichen Gesellschaft, wie der Krieg mit dem Frieden endet.“ (MEW 1/357) Ein Blick auf das gegenwärtige Rußland beweist wohl zur Genüge, daß die bornierten, religiösen, egoistischen und beschränkten Elemente der Gesellschaft über den Sozialismus des Staates historisch triumphiert haben. Das Konzept des Staatssozialismus bedeutet buchstäblich den Gegensatz zur Gesellschaft, also den Staat gegen die Gesellschaft und damit die Gesellschaft gegen den Staat zu stellen. Umgekehrt: An Hand des Begriffs „christlicher Staat“ – ein Konzept von Bruno Bauer – diskutiert Marx den Rückfall hinter das Niveau der bürgerlichen Revolution. Ein Staat, der versuche, ein besonders borniertes Moment des gesellschaftlichen Lebens, sei es eine bestimmte Religion, aber auch eine bestimme ethnische Herkunft zu seinem bestimmenden Moment zu erklären, müsse sich in permanenter Krise befinden. „Vor seinem eigenen Bewußtsein ist der offizielle christliche Staat ein Sollen, dessen Verwirklichung unerreichbar ist, der die Wirklichkeit seiner Existenz nur durch Lügen vor sich selbst zu konstatieren weiß und sich selbst daher stets ein Gegenstand des Zweifels, ein unzuverlässiger, problematischer Gegenstand bleibt.“ (MEW 1/359) Der Zusammenhang von Staatbildung, Nation und Nationalismus ist in Marxens Frühschrift jedoch nicht zu finden. Ist die Herausbildung der kapitalistischen Staaten von besonderen Momenten, vor allem der Nation, die ja nicht vorgefunden, sondern konstruiert wurde, zu trennen? Betrachten wir den realen geschichtlichen Prozeß, so kann von diesen Momenten selbstverständlich nicht abstrahiert werden. Ich möchte allerdings nochmals betonen, daß ich „Zur Judenfrage“ nicht als Theorie des Staates analog zur Kapitalanalyse lese, sondern als Darstellung seiner kontrafaktischen Konstruktionsprinzipien.  

Staat – Recht – formale Gleichheit 

Der Ausdruck „Sackgasse“, den ich für Staat und „politische Emanzipation“ verwendet habe, ist eigentlich unzureichend, ja irreführend. Die Verdopplung in Staat und Gesellschaft, in die zweifache soziale Existenz des Individuums ist zugleich ein Emanzipationsschritt wie Blockierung jedes weiteren. Interessanterweise macht Marx dies nun nicht an der konkreten, praktischen Politik des Staates, etwa in seinen Maßnahmen gegen Streikende und Rebellierende, an seiner alltäglichen Politik usw., sondern an der Verdopplungsstruktur selbst fest. Anders gesagt: Marx verweist nicht auf die reaktionäre Rolle des Staates, auf seine Interventionen, Kriege, fiskalische und politische Maßnahmen, kurzum auf dessen Politik – das tut er in anderen Arbeiten – sondern es ist die Entgegensetzung selbst, die Emanzipation blockiert. Genau dies gilt es zu begreifen. Es existiert sowohl innerhalb als auch außerhalb des Marxistischen Denkens eine Anschauung, die den modernen Staat einfach in die Reihe von unterdrückenden, herrschenden Mächten stellt und von Verdopplung nichts wissen will und nichts weiß. Es existierte, in dieser Konzeption, einfach immer ein Herrschaftsapparat, der sich repressiv und ausbeutend über die „Gesellschaft“[iii] legt, von den frühesten Stammeskönigen über die Pharaonen, den römischen Kaiser bis hin zu Bush und Co. Der Apparat möge sich verfeinern, die Legitimationsstrategien verändern, aber letztlich ist es eine Herrschaftsstruktur, die trotz aller geschichtlichen Wandlung im Wesenskern gleich bleibt, aufbauend auf dem Gegensatz von Herrschenden und Beherrschten. Diese Auffassung ist nicht einfach „falsch“, so doch verkürzt, die sie die Besonderheit des kapitalistischen Staates und der kapitalistischen Vergesellschaftung nicht benennt. Zwischen der Herrschaft des kapitalistischen Staates und vorkapitalistischen Herrschaftsformen existiert, so Marx, ein prinzipieller Unterschied. In der „Feudalität“ waren „die Elemente des bürgerlichen Lebens, wie z.B. der Besitz oder die Familie oder die Art und Weise der Arbeit, ... in der Form der Grundherrlichkeit, des Standes und der Korporation zu Elementen des Staatslebens erhoben.“ (MWE 1/368f) Der Staat war vereinfacht gesagt nichts anders als eine Form des Herr - Knecht Verhältnisses. Man(n) war, wer Man(n) war, es gab keine zweite, transzendentale, kontrafaktische Ebene. Vor der Französischen und Amerikanischen Revolution war es wohl nur sinnvoll von Rechten im Plural zu sprechen, nicht aber von dem (Menschen)Recht an sich, das gleiche und gleichgesetzte Individuen voraussetzt.[iv] Die verschiedenen sozialen Schichten und Gruppen hatten im Prinzip verschiedene Rechte. Indem sich der moderne Staat über die Besonderheiten der bürgerlichen Gesellschaft, etwa über die verschiedenen Religionen erhebt, muß er sich auch über die bornierten Rechtsprivilegien erheben. Die Proklamation eines allgemeinen und gleichen Rechtes wird zur Lebens- und Legitimationsbedingung des kapitalistischen Staates. 

Die große theoretische Leistung von „Zur Judenfrage“ besteht darin, zu zeigen, daß gerade im perfekten, makellosen bürgerlichen Staat die restlos verwirklichten Menschenrechte ausschließlich zur Stabilisierung der kapitalistischen Herrschaft dienen werden, daß darin ihre eigentliche und einzige Nutzanwendung besteht. Nochmals, Rückfall und Rückschritt sind als solcher zu denunzieren, aber Marx argumentiert gewissermaßen an der absoluten Grenze des bürgerlichen Fortschritts, an der Grenze der maximalen bürgerlichen Emanzipation. Es ist daher sehr interessant zu beobachten, wie Marx NICHT argumentiert. Marx sagt nicht: die Menschenrechte und die damit postulierte Gleichheit sei an sich eine gute und fortschrittliche Sache, aber in der rauhen Wirklichkeit würden sie nicht nur regelmäßig mit Füßen getreten und bleiben, angesichts der realen, konkreten Ungleichheiten zwischen Mann und Frau, zwischen Kapitalisten und Proletariat wirkungslos. Das, bitteschön, ist der Argumentationsstand der linken ZivilgesellschaftstheoretikerInnen a la Habermas. Habermas und seine SchülerInnen argumentieren nicht unschlau mit der Differenz zwischen der allgemeinen Zustimmung zu den Menschenrechten und der trüben Wirklichkeit, die jeder Verwirklichung der Menschenrechte Hohn spricht, eine Wirklichkeit, die zumindest von den linkeren und ehrlicheren VertreterInnen dieses Diskurses ja nicht durchgehend beschönigt wird. Ausgehend vom Topos des zwanglosen Zwanges des verallgemeinerungsfähigen Arguments – wer widerspricht schon öffentlich etwa der Aussage: „Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren“ – versuchen sie den ethischen, moralischen Druck, der sich aus der wohl notwendigen Zustimmung ergibt, politisch zu wenden. „Dürfen“ MarxistInnen ebenso argumentieren? Den Herrschenden ihr eigenen Ideale entgegenzuhalten, ihre Argumente, Sprache und Meinungen aufzugreifen und sie daran zu messen – ich sehe wirklich keinen Grund, warum wir nicht an den heuchlerisch postulierten Idealen anknüpfen sollen. 

Doch der Verweis auf die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit kann nicht das letzte, und oft auch nicht das erste Wort zu den Menschenrechten sein. Marx argumentiert jenseits des Spiels gute Menschenrechte da, schlechte Verwirklichung dort. Gegenüber der „Feudalität“, die „die Ungleichheit der Menschen und ihrer Arbeitskräfte zur Naturbasis hatte“ (MEW 23/74) ist die Proklamation der abstrakten Gleichheit historischer Fortschritt und Konstitutionsbedingung der kapitalistischen Gesellschaft in einem. Marx zielt nun nicht auf die Wirkungslosigkeit der Menschenrechte, sondern umgekehrt auf die reale Wirkung und Bedeutung ab. Die Menschenrechte sind nicht nur nicht wirkungslos, sonder umgekehrt von höchster Bedeutung. Nach Darstellung und Kritik der Französischen Verfassung vom 24. Juni 1793, Artikel 2, 6, 8 und 16 sowie der Französischen Verfassung vom 22. August 1795, Artikel 3[v], resümiert Marx: „Keines der sogenannten Menschenrechte geht über den egoistischen Menschen hinaus, über den Menschen, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich auf sich, auf sein Privatinteresse und seine Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum ist.“ (MEW 1/336) Diese Aussage muß natürlich im Zusammenhang mit der partiellen, unvollendeten Emanzipation von den Besonderheiten, Willkürlichkeiten und Privilegien vorkapitalistischer Gesellschaften gesehen werden. Ebenso wie er in den Pariser Manuskripten vor einem Rückfall hinter das Privateigentum warnt – „Wie wenig diese Aufhebung des Privateigentums eine wirkliche Aneignung ist, beweist eben die abstrakte Negation der ganzen Welt der Bildung und der Zivilisation die Rückkehr des armen und bedürfnislosen Menschen, der nicht über das Privateigentum hinaus, sondern noch nicht einmal bei demselben angelangt ist.“ (MEW Erg. Band 1/535) – kann gefolgert werden, eine bloße Negation der Menschenrechte könne historischen Fortschritt markieren. Seine Kritik zielt in eine ganz andere Richtung. Die Menschenrechte können die Entgegensetzung der Individuen in der Sphäre der „bürgerlichen Gesellschaft“, also im wirklichen Lebensprozeß, nicht aufheben oder vermindern. Selbst die restlos verwirklichten Menschenrechte erzeugen keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt, sie befördern nicht die soziale Integration. Das ist der eigentliche Punkt seiner Kritik. „Der Mensch wurde daher nicht von der Religion befreit, er erhielt die Religionsfreiheit. Er wurde nicht vom Eigentum befreit. Er erhielt die Freiheit des Eigentums. Er wurde nicht von dem Egoismus des Gewerbes befreit, er erhielt die Gewerbefreiheit.“ (MEW 1/369) Während also der übliche Menschenrechtsdiskurs gegenüber einer schlechten Wirklichkeit vage Ideale einklagt, während innerhalb der Linken oftmals ausschließlich die Haltlosigkeit und Unverwirklichbarkeit dieser Ideale betont wird, besteht Marx auf der realen Wirksamkeit der Menschenrechte.  

Menschenrechte – das transzendentale Prinzip des Staates 

Es ist wirklich erstaunlich, wie weitblickend Marx eigentlich argumentiert. Die Proklamation der Menschenrechte ist das Prinzip des modernen, kapitalistischen Staates. Sie beruhen auf der realen Entgegensetzung zwischen bourgeois und citoyen, zwischen dem interessegeleiteten, besondern Individuum mit all seinen Schrullen und Beschränkungen und dem abstrakten Rechtswesen, allgemein rechtsfähig und kontraktfähig. Die Sphäre des bourgeois, dem von ökonomischen Interessen bestimmten Individuum ist die bürgerliche Gesellschaft. Das Himmelreich des citoyen ist der Staat, der sich aus freien und gleichen Rechtssubjekten konstituiert. Aber schon die Proklamation der allgemeinen Rechtsfähigkeit aller Menschen kommt in den konkreten Präambeln der Verfassungen nicht mehr vor, noch weniger in der Unzahl der Gesetzeswerke und Verordnungen, die die konkreten Besonderheiten der bürgerlichen Gesellschaft, bis hin zu akribisch beschriebenen Details umfassen und umfassen müssen.  

Doch Marx erkennt scharfsinnig in der Proklamation der Menschenrechte das transzendentale Prinzip des Staates. Er denkt den Staat ausgehend von den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft. Die kapitalistische Gesellschaft erfordert freie und gleiche rechtsfähige Individuen, keine Sklaven oder Leibeigenen. Auf der Ebene des formalen Rechtes dürfte er eigentlich keine Einschränkungen und Privilegien dulden. Aber selbst die perfekteste Verfassung, die uneingeschränktesten Bürger- und Menschenrechte konstituieren keinen sozialen Zusammenhalt. Institutionell drückt sich die formale Gleichheit im idealen Fall, in der maximalen Möglichkeit, in einem Staat aus, der über den Besonderheiten der bürgerlichen Gesellschaft steht. Weil die bürgerliche Gesellschaft, auf Grund der Zerrissenheit und ihrer ökonomischen Entgegensetzungen zu einer reflexiven Vergesellschaftung unfähig ist, trägt sie gewissermaßen den Staat als ihr Ideal vor sich her.  

Claude Lefort hat eine zentrale Pointe der Marxschen Kritik an den Menschenrechten klar erkannt: Menschenrechte stiften keinen sozialen Zusammenhalt. Daher stellt er die Gegenthese auch in den Mittelpunkt seiner Gegenkritik und behauptet, die Menschenrechte würden das Individuum ermächtigen, sich mit anderen in der Sphäre der Öffentlichkeit zu verbinden. Es sei also „das Recht des Menschen, d.h. sogar eines seiner kostbarsten Rechte, aus sich selbst hinauszugehen und sich durch Wort, Schrift und Gedanken mit den anderen zu verbinden.“[vi] Auch wenn ich Lefort ganz und gar nicht zustimme, so erkennt er zumindest klar, auf welcher Ebene die Auseinandersetzung zu führen ist. Er gibt sich nicht mit Nebenschauplätzen ab. Auf das trübe Spiel Ideal gegen Wirklichkeit läßt er sich gar nicht ein, auch wir sollten dieses Thema endgültig ad acta legen[vii]. Verbinden oder trennen die Menschenrechte die Individuen der bürgerlichen Gesellschaft? Nun, die Antwort hoffe ich bereits gegeben zu haben. Zur weiteren Bekräftigung möchte ich eine längere Stelle aus dem „Kapital“ zitieren, in der Marx plastisch das Ineinandergreifen der doppelten Vergesellschaftung aufzeigt. Als Käufer bzw. Verkäufer der Ware Arbeitskraft stehen sich ArbeiterIn und KapitalistIn als abstrakte Rechtswesen gegenüber. Sobald der Vertrag jedoch geschlossen ist, ändert sich das Bild vollkommen. In der Sphäre der Produktion treten sie als Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft mit all ihren Besonderheiten auf. Ironisch verweist Marx auf die praktische Nutzanwendung der gesellschaftlichen Zirkulationsvoraussetzungen: „Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine, Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den anderen kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmonie der Dinge, oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses. 

Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Zirkulation oder des Warenaustausches, woraus der Freihändler vulgaris Anschauungen, Begriffe und Maßstab für sein Urteil über die Gesellschaft des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon etwas die Physiognomie unserer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andre scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als – die Gerberei.“  (MEW 23/190f) 

Lefort erkennt zwar einen wesentlichen Streitpunkt der mit den Menschenrechten verbunden ist, ist aber hinsichtlich der Verknüpfung Menschenrechte – Staat völlig blind. Menschenrechte ordnet er ausschließlich der bürgerlichen Gesellschaft, genauer dessen bestem Teil, der sogenannten Zivilgesellschaft, zu. Menschenrechte und Staat - diese Beziehung kann er nur als Gegensatz wahrnehmen. Das halte ich nicht nur für seinen größten Fehler, sondern für das vorherrschende Defizit auch innerhalb des linken und kritischen Diskurses. Wer diesen Zusammenhang nicht erkennt, fällt weit hinter den Stand von „Zur Judenfrage“ zurück.  

Politisch erklärt sich Leforts Kurzsichtigkeit leicht. Lefort versuchte das ideologische Vehikel des Kalten Krieges, nämlich den Druck auf den sogenannten Realen Sozialismus vermittels der Menschenrechte – wer erinnert sich noch an die Schlußakte von Helsinki? – kritisch nach links zu wenden. Daher mußte er das grundlegende Interpretationsmuster übernehmen, böser totalitaristischer Staat hier, die tapfere Zivilgesellschaft da, der Gegensatz schien perfekt. Was Lefort jedoch nicht erkennen wollte, ist der Zusammenhang zwischen der Proklamation der allgemeinen und gleichen Rechtsfähigkeit und der Entgegensetzung zwischen Staat und Gesellschaft einerseits und citoyen und bourgeois andererseits. Die kapitalistische Vergesellschaftung ist undenkbar ohne Verdopplung der sozialen Existenzweise der Individuen. Diese Verdopplung, die bereits durch die kapitalistische Produktionsweise gesetzt ist – sie benötigt freie RechtsbürgerInnen, nicht Leibeigene, Sklaven oder persönlich Abhängige – muß ihren politischen Ausdruck in einer, der bürgerlichen Gesellschaft entgegengesetzten Sphäre, finden. Eben dem Staat, der sich nicht einfach aus den Elementen der bürgerlichen Gesellschaft zusammensetzen kann – das wäre „Feudalität“ - sondern den formal gleichgesetzten StaatsbürgerInnen. Den politisch, proklamatorischen Ausdruck fand und findet diese Entgegensetzung in den Menschenrechten. Natürlich kann sich der Staat niemals bloß über die Menschenrechte verfassungsmäßig organisieren, er benötigt eine Verfassung und unzählige Gesetzeswerke. Gleichzeitig ist es nicht zufällig, daß jeder Versuch einen ausgefeilten Katalog von Menschenrechten aufzustellen, also über das bloße Prinzip der Proklamation von allgemeinen und gleichen Vernunft- und Rechtswesen hinauszugehen, in Komplikationen und Widersprüchen enden muß. Denken wir nur an das Recht der freien Religionsausübung. Beinhaltet dies das Recht, zum Gott der eigenen Wahl zu beten, oder auch das Recht, Gesellschaft und Staat nach theologischen Kriterien zu organisieren? Gerade die inhaltliche Dürftigkeit der Menschenrechte ermöglicht ihre Funktion, als das transzendentale Prinzip von Recht und Staat zu fungieren. Aber, so mag ein Einwand lauten, sollen die Menschenrechte nicht auch oder grade für Staatenlose gelten und kommen die Menschenrechte nicht dann zum tragen, wenn ein bestimmter Staat sich permanente Übergriffe gegenüber seinen BürgerInnen erlaubt? Zugestimmt, aber gerade dies verweist auf die transzendentale Funktion der Menschenrechte. Wenn die Menschenrechte alle Individuen als gleiche und freie Vernunftwesen proklamieren, so meint dies auch alle Menschen sind potentiell StaatsbürgerInnen. Michael Walzer, einer der Protagonisten des Kommunitarismus hat sich phasenweise die Finger wund geschrieben, um dieses Prinzip als das Verfassungsprinzip der USA herauszustellen.[viii] Walzer hat dies auch bewußt als die uneingeschränkte Fähigkeit zur Staatsbürgerschaft, als reines Prinzip formuliert, denn ob eine Staatsbürgerschaft konkret vergeben zu vergeben sei, sei Angelegenheit der BürgerInnen des betreffenden Staates, denn es bestünde keineswegs ein bedingungsloses Recht auf eine bestimme Staatsbürgerschaft.[ix] Und was Übergriffe des Staates auf seine BürgerInnen betrifft, so fungieren Menschenrechte gewissermaßen als das schlechte Gewissen des Staates. Wenn innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft das Recht durch Gewalt und Willkür verletzt wird, so hat der Staat dieses Recht zu sichern, wenn er selbst das Recht mißachtet, treten die Menschenrechte als sein transzendentales Prinzip in Kraft. Er wird an seinen eigenen Konstitutionsprinzipien gemessen und diese können nicht in der geltenden Verfassung oder gar in den geltenden Gesetzeswerken enthalten sein, sondern müssen jenseits der alltäglichen Rechtsspruchpraxis in der transzendentalen Sphäre von Vernunft und Menschenrecht gelten. 

Die Selbstorganisation der Gesellschaft – Marx in der Falle Hegels? 

Nach der bürgerlichen, politischen Revolution kann weiterer Fortschritt nur innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst statt finden. Marx drückt dies 1843 noch durch die bereits zitierte Formel aus, daß der Mensch „in seinen empirischen Verhältnissen, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen“ (MEW 1/370) werden muß, um Emanzipation zu vollenden und die Gegensätze und Verdopplungen aufzuheben. Diese Formel steht für die Aufhebung der Klassengegensätze, die Überwindung des Kapitalverhältnisses. Die bloße Machtergreifung, der simple Austausch von Machteliten oder die Eroberung der Staatsmacht, sei es über den Stimmzettel oder über die Gewehrläufe, kann die sozialistische Transformation der Gesellschaft keinesfalls ersetzen, bestenfalls befördern. Diese These zählt zurecht zum A und O des marxistischen Selbstverständnisses. Die Überwindung der Entgegensetzung von Staat und Gesellschaft kann also geschichtsmächtig nur auf der Ebene der Gesellschaft selbst vor sich gehen. 

Mit dieser These endet gewissermaßen die Schrift „Zur Judenfrage“. So weit, so gut. Ich sehe allerdings in den wenigen Aussagen von Marx über eine mögliche sozialistische Gesellschaft ein prinzipielles Problem, das sich angesichts der historischen Erfahrungen mit linken und sich als sozialistisch verstehenden Gesellschaftsprojekten noch massiv verstärkt hat. Denn das, was Marx über eine zukünftige Gesellschaft aussagt, ist nicht nur dürftig und sehr formal, das wäre ja noch kein Problem, sondern im Grunde sehr, sehr problematisch. Warum? 

Ich beginne zur Einstimmung mit einigen Zitaten. Im „Bürgerkrieg in Frankreich“ meint Marx, eine freie Gesellschaft wäre erreicht, „wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion unter einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigne Leitung nehmen und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen, welche das unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion sind, ein Ende machen ...“ (MEW 17/343) Im „Kapital“ Band II geht Marx einen Schritt weiter, nun ist es bereits die Buchführung, die das Organisationsprinzip des Sozialismus darstellen soll. „Die Buchführung als Kontrolle und ideelle Zusammenfassung wird um so notwendiger“ schreibt Marx, je mehr der vorkapitalistische, aber auch der kapitalistische Charakter der Produktion überwunden wird, „notwendiger bei gemeinschaftlicher Produktion als bei kapitalistischer.“ (MEW 24/137) Und im „Elend der Philosophie“ resümiert Marx: „Die arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wird keine eigentliche politische Gewalt mehr geben, weil gerade die politische Gewalt der offizielle Ausdruck des Klassengegensatzes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist.“ (MEW 4/182) „Beweisen“ möchte ich mit diesem Zitat nichts, nur illustrieren. Und zwar folgende These: Marx kann in den Problemen, Konflikten und Friktionen einer möglichen zukünftigen Gesellschaft nur sachliche, leicht bürokratisch und administrativ zu lösende Probleme erkennen. Prinzipiell ist der Formel zuzustimmen, daß der Staat in die Gesellschaft zurückzunehmen sei, daß er nicht als entgegengesetzte, besondere Institution neben und gegen die Gesellschaft weiter existieren kann. Gut, aber wie ist diese Selbstorganisation der Gesellschaft zu denken? Soll die gesamte Gesellschaft in einen einzigen, riesigen Produktionszusammenhang verwandelt werden? Lenin bejaht diese Frage in „Staat und Revolution“ entschieden. Nachdem er meint, mit der Post sei „der Mechanismus der gesellschaftlichen Wirtschaftsführung ... bereits fertig vorhanden.“, fordert er, „die gesamte Volkswirtschaft nach dem Vorbild der Post zu organisieren“, und schlußfolgert: „Das ist der Staat, das ist die ökonomische Grundlage des Staates, wie wir sie brauchen.“ (Lenin AW II, 359) Mit einem Federstrich werden alle Probleme und Fragen des gesellschaftlichen Seins, wie Charakter und Form von Institutionen, Formen der Repräsentation und der Reflexion, der Artikulation von Bedürfnissen und ihrer konfliktorientierten Durchsetzung übersprungen, statt dessen ein gruseliges Ideal einer sozialtechnologischen Planungsinstanz propagiert. Die „üblicherweise“ gleichzeitig verlautbarten Forderungen nach jederzeitiger Abwählbarkeit, Durchschnittslöhnen usw. sind nur schmückendes Beiwerk, ändern jedoch nichts am Phantasma, Gesellschaft könne tatsächlich mit sich selbst ident werden. Castoriadis hat den Einwand gegen dieses Versöhnungs- und Identitätsdenken sehr eindrucksvoll formuliert: „Sofern unter Kommunismus (der ‚höheren Phase’) eine Gesellschaft verstanden wird, in der es keinerlei Widerstand, Dichte oder Undurchsichtigkeit gäbe; sofern damit eine Gesellschaft gemeint ist, die sich selbst vollkommen transparent wäre, in der sich die Wünsche alle in spontaner Harmonie befänden oder in der zumindest zur Herstellung einer solchen Harmonie nichts weiter nötig wäre als ein lockerer Dialog, der nie von der Zähigkeit des Symbolismus belastet wäre; sofern es um eine Gesellschaft geht, die ihren kollektiven Willen ohne Vermittlung von Institutionen finden, formulieren und verwirklichen könnte oder in der diese Institutionen niemals zum Problem würden – sofern also das mit ‚Kommunismus’ gemeint ist, so muß man klar sagen: Dies ist eine zusammenhanglose Träumerei, ein unwirklicher und nicht zu verwirklichender Zustand, eine Vorstellung, die aufgegeben werden muß.“ [x]   

Diese Kritik hat nichts mit der Frage zu tun, ob denn der Mensch „zu schlecht“ für den Sozialismus wäre. Auch wenn das Gegenteil vermutet wird, das entscheidende Problem bleibt ungelöst. Keine Gesellschaft, auch eine nachkapitalistische, kann die Differenz zwischen Rede und Realität, zwischen Plan und Bedürfnis, zwischen dem Gegebenen und Entwicklungstendenzen aufheben und die soziale Wirklichkeit als gläsernen, durchsichtigen Kristall organisieren. Ich wäre nicht Marxist, wenn ich nicht davon ausgehen würde, daß die Aufhebung des Kapitalverhältnisses einen wesentlichen Emanzipationsschritt bedeuten würde. Aber auch eine sozialistische Gesellschaft, besonders weil sie mit den Muttermalen der alten behaftet ist, benötigt Institutionen. Und Institutionen sind nicht die Gesellschaft und die Gesellschaft geht nicht in ihren Institutionen auf. Und diese Institutionen auf eine simple sozialtechnologische Buchhaltungs- und Planungsinstanz zu reduzieren; dieses Erbe von Marx sollten wir nicht akzeptieren. Wenn wir etwas von Castoriadis übernehmen sollten, dann diesen Gedanken.  

Ich frage mich ernsthaft, ob sich nicht Marx vom Hegelschen Begriffsgeklapper mitreißen ließ. Die ganze Sache ist ja zu verführerisch. Die „Feudalität“ ist aus besonderen Momenten zusammengesetzt. In der kapitalistischen Vergesellschaftung treten diese Momente auseinander, sie entzweien sich in Gegensätze. Mit der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln verlieren diese Entgegensetzungen ihre gesellschaftliche Grundlage, Versöhnung und Identität sind auf höherer Stufe möglich. That’s it? Ich meine, daß wir aus den Marxschen Schriften zu dieser Frage weder die Begriffe, noch die Problemdimension übernehmen können, um selbst gegenwärtig im Vorgriff auf kommende Probleme einer sozialistischen Gesellschaft überhaupt zu formulieren und erahnen zu können. Der Reale Sozialismus, sogenannt oder nicht, hat uns nur Schrott und Legitimationsreden überliefert.  

Bei unserer Staatsdiskussion am 10. Jänner hat Bernhard Dorfer gegen meine Darstellung der Thesen von „Zur Judenfrage“ eingewandt, Marxens Ansatz sei viel zu schematisch. Knecht teile sich in Knecht und Vernunftperson, Herr teile sich in Herr und Vernunftperson usw. und gemeint, ob denn die reale geschichtliche Wirklichkeit nicht viel zu komplex sei, um sich mit diesem Muster beschreiben zu lassen. Der Einwand ist insofern berechtigt, als er auf die notwendigen Grenzen begrifflicher Reflexionsformen verweist. Ich meine, daß sich bürgerliche Vergesellschaftung ohne das Bedenken dieser Entgegensetzungen, auch in dieser abstrakten Form, nicht verstehen und beschreiben lassen. Allerdings sollten wir uns hüten zu glauben, mit diesem Begriffsmuster könnten wir den geschichtlichen Stand der Gesellschaftsentwicklung mit all seinen Aspekten und Momenten umfassend darstellen, hätten sie quasi „in den Begriffen“ aufgehoben. Dazu ein wichtiges, schlagendes Beispiel. Das Patriarchat ist zweifellos viel älter als der Kapitalismus. Die bürgerliche, antifeudale Revolution ließ die Besonderheiten der Gesellschaft bestehen, ja stützt sich weiter auf sie. Nichts stützt die Annahme, im Sozialismus würde das Patriarchat wie von selbst verschwinden. Die von Marx erkannten Entgegensetzungen stellen, wenn ich dieses Bild nochmals gebrauchen darf, zweifellos einen Kompaß dar, mit dem wir uns in der Staatsfrage orientieren können, ja müssen. Doch ein Kompaß ersetzt nicht die topographische Beschreibung des Geländes, wie nützlich er auch sein mag. Diese Aufgabe ist von konkreten Analysen auszufüllen. Was allerdings die Konstitutionsprobleme einer freien Gesellschaft betrifft, so meine ich, daß wir uns mehr an Spinoza denn an Marx orientieren sollten – aber dies ist in einem anderen Artikel zu begründen. 

Literaturverzeichnis der mit Sigeln zitierten Arbeiten: 

AW = Lenin, Ausgewählte Werke in drei Bänden, Dietz Verlag Berlin 1961, Band II, „Staat und Revolution“, Seite 315 – 420

MEW = Marx Engels Werke in 42 Bänden, Berlin, diverse Auflagen

MEW Erg. Band 1 = Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus 1944, Seite 465 – 590

MEW 1 = Karl Marx, Zur Judenfrage, Seite 347 – 377

MEW 4 = Karl Marx, Das Elend der Philosophie, Seite 63 – 183

MEW 17 = Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, Seite 313 – 365

MEW 23 = Karl Marx, Das Kapital Band I

MEW 24 = Karl Marx, Das Kapital Band II


[i] Die Arbeit „Zur Judenfrage“ findet sich u.a. in MEW Band 1, Seite 347 bis 377

[ii] Kant unterscheidet bekanntlich strikt zwischen der empirischen, unfreien Welt und dem Reich der transzendentalen Vernunftfreiheit. Ob Kant daher den grundlegenden Vergesellschaftmodus des Kapitalismus klarer als Hegel erkannt hat, ist eine durchaus reizvolle Frage.

[iii] Ich setzte Gesellschaft deshalb zwischen Anführungsstriche, weil der Begriff Gesellschaft  - jetzt nicht als Gesamt der sozialen Ordnung verstanden, sondern als spezifische Institution – nur als Gegensatz zum Staat Sinn macht.

[iv] Daß das Römische Recht den ökonomischen Verhältnissen weit vorauseilte ist schon bei Engels zu lesen, doch dieses Thema kann ich hier nicht behandeln.

[v] Diese Artikel lauten: 1793, Artikel 2: „Diese Rechte sind Gleichheit, Freiheit, Sicherheit, Eigentum. Artikel 6: „Die Freiheit ist die Vollmacht, die jedem Menschen alles zugesteht, was den Rechten des anderen nicht schadet; ihre Grundlage hat sie in der Natur, ihre Richtschnur in der Gerechtigkeit, ihren Schutz im Gesetz, ihre moralische Grenze in dem Grundsatz: Tue keinem das an, was du nicht dir selbst zugefügt haben willst.“ Artikel 8: „Die Sicherheit beruht auf dem von der Gesellschaft jedem ihrer Mitglieder zugesprochenen Schutz für die Erhaltung seiner Person, seiner Rechte und seines Eigentums.“ Artikel 16: „Das Eigentumsrecht ist das, wonach jedem Bürger zusteht, seine Güter und seine Einkünfte, die Früchte seiner Arbeit und seines Fleißes zu genießen und nach eigenem Gutdünken darüber zu verfügen.“ In der Französischen Verfassung vom 22. August 1795 lautet Artikel 3: „Die Gleichheit besteht darin, daß das Gesetz für alle das gleiche ist, sei es, daß es beschütze oder strafe.“ Zitiert nach: Fritz Hartung: „Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart“ Göttingen 1972. Die hier zitierten Übersetzungen weichen von der Übersetzung in den MEW geringfügig ab.

[vi] Lefort, Claude, „Menschenrechte und Politik“, in: Ulrich Rödel (Hg.) „Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie“, Frankfurt am Main 1990, Seite 253

[vii] Nur kurz möchte ich einen weiteren Aspekt der Menschenrechte erwähnen, ihre legitimatorische Verwendung. Wer, wie ich das Auslaufen des Kalten Krieges erlebt hat, wird sich noch an das Pathos von Freiheit und (Menschen)Rechten erinnern, das damals gepflegt wurde. Jede Person aus der ehemaligen DDR, aus Rumänien, Polen usw. die es schaffte, in den Westen zu gelangen, wurde als unerschrockene KämpferIn gefeiert. Die gegenwärtige Situation an der Schengen-Außengrenze brauche ich wohl nicht zu beschreiben. Auch für die Polizeiaktionen des Empire tritt die Legitimation durch die Menschenrechte immer mehr zurück. Beim Krieg gegen Afghanistan spielte dieser Aspekt kaum eine Rolle, beim (wahrscheinlich) kommenden Krieg gegen den Irak erscheint dieser Gesichtspunkt nicht einmal mehr in den Fußnoten. Es ist offensichtlich, daß der weitgehende Verzicht auf die Rhetorik der Freiheit und Menschenrechte eine Verschärfung der Klassenauseinandersetzung signalisiert.

[viii] Seine Haltung nach dem 11. September hat ihm und dem Kommunitarismus viel an Glanz genommen. Die Ersetzung des Marxismus durch den Kommunitarismus, ein Projekt, das europäische Linke halb ernsthaft erwogen haben, ist aus vielen Gründen inzwischen sanft entschlafen. Walzers Haltung war nur noch das Tüpfelchen auf dem i.

[ix] Nachzulesen in „Sphären der Gerechtigkeit“, Frankfurt/New York 1992,  Seite 65 - 107

[x] Cornelius Castoriadis, „Gesellschaft als imaginäre Institution“ Frankfurt am Main 1884, Seite 190f

 

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