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Roland Atzmüller Wie macht man eine Arbeiterpartei? 1.
Wie aus ArbeiterInnen und ModernisierungsverliererInnen der liberale Flügel der
FPÖ wird, sobald die ÖVP von der FPÖ gewinnt Die Wahlen 2002 sind vorbei und die ÖVP hat gewonnen. Sie hat gewonnen nicht einfach, weil sie die relative Mehrheit erstmals seit 36 Jahren errungen hat, sondern weil sie die hegemoniale Auseinandersetzung um die Führung im bürgerlichen Lager, wie sie sich seit 1986, also seit der Übernahme der Parteiführung der FPÖ durch Jörg Haider, entwickelt hatte, für sich entscheiden konnte – zumindest vorläufig. Damit wurde aber auch die politische Hegemoniekrise in Österreich, die 13 Jahre große Koalition und der Wunsch nach dem Beitritt zur EU überdeckt haben, beendet. Diese hatte spätestens 1986 als es der ÖVP – angetan vom Neoliberalismus dieser Tage – nicht gelungen war, die Sozialdemokratie an der Staatsspitze abzulösen, auch wenn sie in den folgenden Jahren wirtschaftspolitisch weitgehend bestimmend war. Populistische Angriffe auf den Wohlfahrtsstaat und die verstaatliche Industrie, Sozialschmarotzerkampagnen, Kritik am Gewerkschaftseinfluss und Budgetdefiziten, aber auch die Kulturkämpfe dieser Jahre (Tabori, Bernhard) und die zur Ursache von Drogensucht, Zerfall der Familie und Kriminalität hochstilisierte gesellschaftliche Liberalisierung formten Anfang der 80-er zentrale Pfeiler des Gegenentwurfs der ÖVP. In den Augen des sich reorganisierenden Konservatismus beruhte der gesellschaftliche Kompromiss der Zweiten Republik auf einer langfristig angelegten Strategie der gesellschaftlichen Transformation, die in den sozialdemokratisch geführten Regierungen, der gesellschaftspolitischen Liberalisierung nach 1968, der sozialpartnerschaftlichen Beschränkung unternehmerischer Führung und des Ausbaus des Wohlfahrtsstaates mit seinen Egalitätsansprüchen – egal wie real diese tatsächlich waren- kulminierten. In
diesen Diskursen, die nicht zuletzt von den Boulevardmedien getragen wurden,
artikulierte sich die zunehmend radikalisierende Gegnerschaft eines wachsenden
Teils der Bevölkerung, die die durch die gesellschaftlichen Veränderungen der
70-er Jahre bewirkten Dynamiken nicht länger akzeptieren wollten und als
Angriff auf ihre Machtpositionen in der patriarchalen und rassistischen Ordnung
der Gesellschaft auffassten. Das Ressentiment für alle zahlen zu müssen, für
Sozialschmarotzer, Drogensüchtige, Kriminelle, geschiedene Ehefrauen,
StudentInnen und Scheinasylanten, die nichts arbeiten wollen, für
Gewerkschaftsbonzen und korrupte Politiker und natürlich für die ‚nie Ruhe
gebenden Juden’, wurde zum ‚ideologischen Kitt’ der Rechten. Dieser
verdichtete sich in den Zielen der Budgetkonsolidierung in den 80-ern oder dem
Nulldefizit – dem Eckpfeiler der Schwarz-Blauen Regierung zur Basis des
Projekts der konservativen Wende, die in dieser Wahl in Schüssel und Grasser
vereinigt wurde. Obwohl
sich schon 1986 Schwarz-Blau ausgegangen wäre, hatte der großkoalitionäre Flügel
der ÖVP - insbesondere der Wirtschaftsflügel – die Partei in eine große
Koalition mit der SPÖ gezwungen, um nicht gegen die Sozialdemokratie und die
Gewerkschaften den EU-Beitritt durchsetzen zu müssen. Das ließ aber nach 1995
das Ende dieser Regierungsform absehbar werden. Wenn
es in Österreich je eine sozialdemokratisch-reformerische, gesellschaftliche
Hegemonie gegeben hat, dann wurde sie spätestens 1986 beendet, als mit der Großen
Koalition Budgetkonsolidierung und Sozialabbau begannen. Dass sie beendet war,
wurde aber auch in der Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten sichtbar[i].
Hier wurde nicht nur zum ersten Mal sei 1945 ein ÖVP-Kandidat Bundespräsident,
von dem ein damaliger ÖVP-Politiker sagte, dass er vom Jüdischen Weltkongress
verfolgt werde, wie Jesus von den Juden. Damit wurde vielmehr auch von einer
Mehrheit der Bevölkerung das beanspruchte antifaschistische Selbstverständnis
der Zweiten Republik offen in Frage gestellt. Man wollte sich nicht nur nicht
erinnern, sondern wählte ‚jetzt erst recht’, wen man wollte, solange nicht
bewiesen war ‚dass Waldheim 6 Juden eigenhändig erwürgt hat’, wie der
damalige Generalsekretär der ÖVP, Michael Graff, die antifaschistische Grenze
des christlichen Lagers definierte. Da
es jedoch nicht gelang, die SPÖ von der Staatsspitze zu stoßen und die Wende
auch auf der symbolischen Ebene durchzusetzen, blieb das Ziel eines wachsenden
Teils des rechten, konservativen Lagers nach einem Bruch mit der
Nachkriegsordnung unerreicht. Da half alles nichts, auch nicht die rassistische
Politik eines Löschnaks, Schlögls und anderer und auch kein Sozialabbau –
ein ‚Sozialist’ bleibt ein ‚rotes G’fries’ und ein ‚vaterlandsloser
Geselle’, wie sich zu Zeiten der EU-Sanktionen ja wieder gezeigt hat. Der zu
formulierende Bruch musste also tiefer gehen und nicht allein die als Übersozialisierung
verstandenen gesellschaftlichen Dynamiken seit den 70-ern im Einklang mit dem
internationalen Aufstieg des Neoliberalismus überwinden. Er musste mit der
sogenannten ‚antifaschistischen Umerziehung’ seit 1945 artikuliert und im
Projekt der Dritten Republik verdichtet werden. Das war nach Waldheim möglich. Der
Aufstieg der FPÖ unter Jörg Haider begann. Dass tatsächlich ein wachsender
Teil der Bevölkerung - v.a. der
ehemaligen ÖVP-Klientel – die sozialpartnerschaftliche, wohlfahrtsstaatliche
Regulation des Kampfes zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht mehr mitragen
wollte, zeigte sich in den folgenden Wahlen. So verlor 1990 die ÖVP etwa 10%
ihrer Stimmen, während es zumindest damals der SPÖ noch gelang, ihre Wählerkoalition
mehr oder weniger zusammenzuhalten. Nicht zuletzt durch die Artikulation des
gesellschaftlichen Rassismus, der bis weit in die SPÖ hineinreicht, erfuhr die
Reorganisation der Rechten in den 90-ern eine weitere Radikalisierung. So
entstand mit dem Wachstum der FPÖ im Laufe der 90-er eine hegemoniale
Konkurrenz zur ÖVP im bürgerlichen Lager, die Ende der 90-er drauf und dran
war, die Konservativen zu überholen. 1999
hatte die ÖVP unter Schüssel, wollte sie nicht auf Dauer den Führungsanspruch
aufgeben, tatsächlich nur noch die Möglichkeit, ihre Position durch den Bruch
mit der Großen Koalition zu sichern und die offene Auseinandersetzung um die
hegemoniale Führung Österreichs mit der FPÖ in Form der Schwarz-Blauen
Koalition zu suchen. Aufgrund ihres Charakters als autoritäre Führerpartei
geht der FPÖ ein tiefes Verständnis von politischen Machtverhältnissen unter
bürgerlich-demokratischen Bedingungen (vgl. Jessop 1990), die sie zumindest
weitgehend einschränken würde, wenn sie könnte, ab. Obwohl also, um Antonio
Gramsci (vgl. ders. 1991ff) zu paraphrasieren, die ÖVP in den 90-er Jahren
wankte, stellt die Parlamentspartei doch nur einen ‚vorgeschobenen Schützengraben’
dar, hinter welchem sich eine ‚robuste Kette von Festungen und Kasematten’
befindet. Obwohl die ÖVP 1999 auf parlamentarischer Ebene nur noch 20% aller
Wahlberechtigten hinter sich hatte vereinigen können, war sie die Partei der Bürgermeister,
Bezirkshauptmänner und Landeshauptleute geblieben, die die
Interessensorganisationen der Wirtschaft dominierte, die Kirche und viele Medien
hinter sich wusste und ihre VertreterInnen in vielen Institutionen der
Gesellschaft im Proporz mit der Sozialdemokratie installiert hatte. Um
sich also aus der hegemonialen Krise zu befreien, musste die ÖVP mit dem
letzten, durch die Politik der Schlögls ausgehöhlten, verbliebenen Rest
sozialdemokratischer Hegemonie, nämlich der Ausgrenzung der FPÖ, brechen.
Indem sie der FPÖ diesen Bruch anbot, konnte sie die Sozialdemokratie als führende
Partei in der Regierung und in weiterer Folge stimmenstärkste Fraktion ablösen.
Es ihr durch das Ende der Ausgrenzung gelungen, die Herausforderung durch die FPÖ
abzuwehren. Auch wenn sich das Projekt der FPÖ vorwiegend an 30 Jahren
sozialdemokratischer Regierungsdominanz und am symbolischen Scheitern der Wende
in den 80-ern entzündet hatte, fand die tatsächliche gesellschaftliche
Auseinandersetzung zwischen der ÖVP und der FPÖ statt. Das aber hatte die FPÖ
mit ihrer Entscheidung 2000, in eine Regierung einzutreten nicht verstanden, das
haben aber auch SPÖ und Grüne nicht verstanden. Umso größer das Rätselraten
über die Ursachen des Wählerstromes zur ÖVP. Doch es fällt den
WahlforscherInnen nicht schwer, Erklärungen anzubieten, und gesellschaftliche
Kräfteverhältnisse umzudeuten. Die
DemoskopInnen haben aus den zur FPÖ gewechselten WählerInnen zuerst mehr oder
weniger frustrierte, ressentimentgeladene männliche Arbeiter und
Modernisierungsverlierer gemacht. Nach der Wahl 2002 wird nun behauptet, mit
Grasser und den anderen zurückgetretenen FPÖ-PolitikerInnen habe sich der
wirtschaftsliberale und vernünftige, weil regierungsfähige Teil der ÖVP
zugewandt. Aus dem ‚Realignment der blue-collar worker’ wurde die
Verallgemeinerung des wirtschaftspolitischen Citoyens, der auf dem politischen
Wettbewerbsraum (vgl. Plasser et al. 2000) seine Wahl trifft und sich für
Stabilität, Sachlichkeit und stabilitätsorientierte Budgetpolitik entschieden
habe. Dementsprechend seien die Arbeiter zuerst von der SPÖ zur FPÖ und nun
zur ÖVP gewandert, wodurch sie in den Augen der liberalen Öffentlichkeit
wieder rehabilitiert sind. Die ‚Normalisierung’ wird gefeiert. Die SPÖ, so
Leitartikler und politikwissenschaftliche Kommentatoren, hingegen hat den
abwandernden FPÖ-Wählern kein Angebot gemacht, schon gar kein
wirtschaftspolitisches. Die
politische Rolle der Demoskopie und Wählerforschung
Statistik
und Demoskopie, die allwöchentlichen Wahlumfragen in den Illustrierten, aber
auch ihre wissenschaftliche Unterfütterung sind zentrale ‚Sprachen’ der
Gesellschaft geworden (vgl. Miller/Rose 1994). Sie unterziehen soziale Verhältnisse
bestimmten Deutungen, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Anspruchs behaupten
Wahrheit, zu sein. Sie werden damit aber zum Feld, auf dem um Hegemonie, also um
moralische, politische und intellektuelle Führung (vgl. Jessop 1990), gerungen
wird. Als
Wissenschaft von der Bevölkerung macht Statistik diese zu Objekten des
‚Regierens’, wodurch die alltäglichen Lebensverhältnisse den Gesetzen der
statistischen Relevanz unterworfen, normalisiert und damit regel- und
kontrollierbar werden. Sie kategorisiert die Bevölkerung in eine Vielzahl von
Untergruppen, die sich aus in der Gesellschaft quasi naturhaft vorhandenen
Bestimmungen ergeben. Gleichzeitig versuchen statistische Wissensformen die
‚Interessen’, Stimmungen und Ansprüche der Kategorisierten zu erfassen. Sie
tragen daher weitgehend zur Konstruktion gesellschaftlicher Gruppen und deren
Interessen bei, insofern sie ihnen statistische Relevanz zuschreiben. Aus der
Bevölkerung wird ein nationales (Staats-)Volk, das regiert werden kann und
regiert werden will. Wie es das will, wird von den professionellen
Intellektuellen jeglicher Couleur interpretiert und vorgegeben. Das
von den statistischen Apparaten kapitalistischer Gesellschaften produzierte
Wissen unterstützt so einerseits die politisch-administrativen Systeme bei der
Regierung der Widersprüche der Gesellschaft. Andererseits bilden Markt- und
Meinungsforschung den Rahmen der Deutungskämpfe der Intellektuellen. Sie
liefern dafür Material mit dem Anspruch empirischer Fundierung, mit dem
Anspruch, realistische Stimmungsbilder wiederzugeben. Damit wird es gleichzeitig
zu den Rahmenbedingungen und den Inhalten der Kämpfe um Hegemonie. Nie
ist das besser festzustellen als zu Zeiten von Wahlen und Wahlkämpfen.
Wahlumfragen werden zu Aufhängern der Zeitungen und damit zur Grundlage der
Interpretation der politischen Auseinandersetzungen der wahlwerbenden Parteien.
Die politischen Entwicklungen in Österreich seit 1986, im besonderen aber seit
dem Februar 2000, haben einen erheblichen Deutungsbedarf hervorgebracht, den
anscheinend unfassbaren Bruchs mit dem Nachkriegskonsens zu erklären. Wer oder
was bildete überhaupt die Basis für den Erfolg der FPÖ und Jörg Haider? Die
hegemoniale Antwort nach der FP-Wählerbasis lässt sich folgendermaßen konzis
zusammenfassen: „Charakteristisch für die österreichische Situation ist aber
nicht nur die ausgeprägte Erosion des klassengebundenen Wählens – eine ‚class
voting dealignement’ (...) – sondern eine gleichzeitig stattfindende
Neuorientierung des Wahlverhaltens der österreichischen Arbeiterschaft, die man
ohne Übertreibung als ‚blue collar realignement’ bezeichnen kann.“ (Plasser
et al 2001: 81) In der Sprache der
Illustrierten hieß das: ‚die neue Arbeiterpartei FPÖ’. Zwar widerspricht
der erste Teil des Befundes dem zweiten, da nicht geklärt ist, warum die
Erosion mehr oder weniger für alle sozialen Schichten gelten soll, nicht aber für
die ArbeiterInnen. Es ist aber offensichtlich, dass sich an die These von der FPÖ
als Arbeiterpartei eine Reihe politischer Schlussfolgerungen hingen. So
ging man etwa in der Öffentlichkeit wie auch in diesem Wahlkampf davon aus,
dass die FPÖ in direkter Konkurrenz mit den traditionellen Organisationen der
ArbeiterInnenbewegung steht. Dies führte zur Interpretation, dass die FPÖ ein
Problem des ‚Sozialismus’ in Österreich ist - was immer letzterer je
gewesen sein mag. Diese Interpretationslinie wurde gern aufgenommen, bot sie
doch eine bequeme Erklärung für den Erfolg der FPÖ wie auch der Widersprüche
der schwarz-blauen Koalition, zwischen neoliberalen und (national) sozialen
Programmatiken. Und
auch Jörg Haider (vgl. ders. 2001) hat diese These gern akzeptiert und stellte
zur Wahl 1999 fest: „Die
FPÖ ist zur stärksten Arbeiterpartei geworden. (...) Opportunistisches
Taktieren zwischen Schröder’s Neoliberalismus und den altmarxistischen
Klassenkampfparolen von ewiggestrigen Gewerkschaftsfunktionären wurde von der
Arbeiterschaft durchschaut.“ Haider artikuliert im weiteren Argumentationsgang
dieser Rede den Erfolg der FPÖ mit Rassismus, Anti-Intellektualismus und der
Gegenüberstellung der leistungswilligen ‚Arbeiterschaft’ zur steuerlichen
Belastungspolitik der Großen Koalition. Mit
Blick auf die bürgerlich-liberale Öffentlichkeit ist noch einmal daran zu
erinnern, dass W.F. Haug vergleichbare Argumentationsfiguren bezüglich des
Erfolges der NSDAP schon in den 60ern als hilflosen Antifaschismus
charakterisiert hat. Daher ist zu vermuten, dass sich in der willigen Übernahme
dieser Interpretationslinie, das Bedürfnis zur Entlastung des bürgerlichen,
konservativ-katholischen Lagers und dessen Traditionslinien, mit moralischen
Distinktionsstrategien, die sich aus der gern zur Schau gestellten Abscheu vor
dem Populismus der FPÖ und Jörg Haiders speisen, paart. Dass
die These von der FPÖ als Arbeiterpartei hegemonial geworden ist, zeigte sich
aber auch daran, dass sie von weiten Teilen der Linken übernommen und
akzeptiert wurde[ii].
Dies gilt zum einen für eher traditionalistisch orientierte Organisationen
(Sozialistische Offensive Vorwärts (vgl. Bonvalot 1997), Arbeitsgruppe
Marxismus (vgl. dies., 1999)). Diese gehen natürlich davon aus, dass es sich
bei der FPÖ als Arbeiterpartei um einen ‚Mythos’ handelt und dass es nicht
um die sogenannten eigentlichen Interessen der Arbeiter, sondern nur um ihre
Stimmen gehe. „Andererseits und vor allem macht eine elektorale Unterstützung
durch erhebliche Teile der Arbeiterklasse, zu der für uns übrigens auch die
meisten Angestellten und viele öffentliche Bedienstete gehören, eine Partei
noch nicht zur Arbeiterpartei. Diese ArbeiterInnen machen ihr Kreuz nicht aus
einem Klassenbewusstsein heraus, dass das Proletariat eine eigene Partei
braucht. (...) Anders als tatsächliche Arbeiterparteien organisiert die FPÖ
die Lohnabhängigen nicht als solche[iii].“
(Arbeitsgruppe Marxismus, 1999). Kurz gesagt, die Klasse an sich mag die FPÖ wählen,
die Klasse für sich, würde das nicht tun. Für
die traditionalistische Linke sind auf der Basis einer marxistischen Kritik, die
‚Interessen’ der ArbeiterInnenklasse quasi objektiv erkennbar bzw. durch die
Organisation erkannt. Erlangen die ArbeiterInnen nicht das Bewusstsein davon,
dann hat das eine Reihe von Ursachen. Diese reichen vom Verrat der
reformistischen Organisationen bis zur Manipulation durch Überbauinstanzen der
bürgerlichen Gesellschaft In
postmodernen wie werttheoretischen Zeiten ist es hingegen grundsätzlich nicht
en vogue, sich über Klassenverhältnisse den Kopf zu zerbrechen und so wurde
These von der FPÖ als Arbeiterpartei auch von diesen Strömungen der Linken
angenommen, oft ohne die ÖVP auch nur wahrzunehmen. So
ging etwa Heribert Schiedel von einer gemeinsamen Basis der FPÖ und der SPÖ
aus. Ersterer sei es auf
ideologischer Ebene gelungen, letztere als Vertretung der ‚kleinen Leute’
abzulösen. “Während
es die Sozialdemokratie in der fordistischen Blütezeit vermochte, die
"kleinen Leute" vor allem über materielle Transferleistungen an sich
und den Staat zu binden, erfolgt die Integration nunmehr in erster Linie
ideologisch.“ „Diese
Einigkeit (zwischen SPÖ und FPÖ, R.A.) hat ihre Ursache nicht zuletzt in der
weitgehend gemeinsamen sozialen Basis der beiden Parteien, den ArbeiterInnen.
(...) Ihr Überlaufen zur FPÖ, die mit 47 % in diesem Segment nun voran liegt,
ist in erster Linie mit rassistischen Einstellungen zu erklären.“ (Schiedel,
2000) Und
auch Stephan Grigat stellte nach dem Zusammenbruch der scharz-blauen Regierung
noch einmal fest: „Die Freiheitlichen müssen den Spagat hinbekommen,
einerseits die Verschlankung des Staats voranzutreiben und dennoch die Bedürfnisse
der eingeborenen Pauper zumindest propagandistisch nicht völlig zu vernachlässigen.
Der Wahlerfolg bei den letzten Nationalratswahlen wurde vor allem dadurch möglich,
daß die FPÖ ihren Stimmenanteil bei den Arbeitern und Arbeiterinnen von 4
Prozent in den achtziger Jahren auf 47 Prozent steigern konnte. (Grigat, 2002) Und,
um das Bild noch abzurunden, sei hier auch noch auf eine post-marxistische
Interpretation von Sebastian Reinfeldt verwiesen: „Ende
der 80er Jahre war die FPÖ - von ihrer Wählerstruktur her gesehen – eine
Partei des militanten Mittelstands und Bürgertums. Binnen weniger Jahre hat
sich diese Struktur verändert, und die FPÖ ist zu der Arbeiterpartei in Österreich
geworden. Ein Wähleraustausch, über dessen Dynamik und Ursachen die Demoskopie
bis heute rätselt. (...) Wo
Arbeiter früher gezwungenermaßen in die SPÖ eingetreten sind, um dadurch
einen Platz im sozialen Wohnungsbau zu ergattern, wählt man jetzt die FPÖ,
weil man zwar eine solche Wohnung hat, der symbolische und tatsächliche Wert
dieser Wohnung aber unklar geworden ist und die alte Arbeiterpartei SPÖ einen
bei der Bewältigung der anderen Probleme des Lebens (z.B. am Arbeitsplatz)
nicht mehr protegieren kann. „Schließlich hat man ja sowieso niemals wirklich
an die Ideologie der SPÖ geglaubt.“ (Reinfeldt, 1998) Erstaunlich
ist, dass in beiden Interpretationen hervorgehoben wird, dass die Integration
ideologisch oder diskursiv, als über Nationalismus, Rassismus und
Antisemitismus erfolgt. Das also beide davon ausgehen, dass ArbeiterInnen, eher
als andere Schichten, sich dem anschließen. Insofern
Diskurse keiner Klasse zugerechnet werden können und als frei flottierende
Signifikanten erscheinen, bzw. insofern sie allgemeine Bewusstseinsformen –
‚Basisideologien’ - spätbürgerlicher Gesellschaften sind, die sich aus der
Wertvergesellschaftung ergebeben, ist die soziale Basis der FPÖ und die Veränderung
der Klassenstrukturen in Österreich, und damit die unterschiedliche materielle
Wirksamkeit dieser Diskurse oder Basisideologien aber letztlich uninteressant. Demgegenüber
muss betont werden, dass es nicht ausreicht, die Ergebnisse der politischen
Soziologie in radikale theoretische Ansätze einzubetten und erstere gar zur
Unterstützung der eigenen Thesen heranzuziehen. Eine halbierte Rationalität
kann keine ganze werden, indem man daran kritische Theorien mit
Wahrheitsanspruch heftet. Dass
gerade in den letztgenannten Positionen, die sowohl aus poststrukturalistischer
Perspektive, wie auch aus der Beschäftigung mit Kritischer Theorie fähig sein
müssten, zu einer kategorialen Kritik der der Demoskopie und ihrer Ergebnisse
zu gelangen, eine Übernahme der Ergebnisse der Wahlforschung erfolgt, ist daher
unverständlich. Elemente
einer Kritik der politischen Soziologie in Österreich
Wie
bereits angeführt, ist die These von der FPÖ als Arbeiterpartei
zweidimensional. Einerseits ist sie eine sozialstrukturell orientierte Aussage
über das Wahlverhalten einer gesellschaftlichen Gruppe, andererseits verbindet
sich damit eine Einschätzung der politischen Situation – v.a. im Hinblick auf
die Krise der traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung,
insbesondere der SPÖ. Das heißt, der in sogenannten repräsentativen
Wahltagsbefragungen ausgewiesene hohe Anteil der FPÖ an ArbeiterInnen wird als
Wählerstrom von der SPÖ zur FPÖ identifiziert. Dies wird außerdem durch
Ergebnisse der sogenannten ‚ökologischen (also statistischen) Wählerstromanalysen’
(vgl. Hofinger et al, 2000) unterstützt. Im
folgenden sollen Elemente einer Kritik wesentlicher Grundlagen der empirischen
Analyse des Wahlverhaltens der ArbeiterInnen in Österreich zusammengetragen
werden. Auf der einen Seite soll eine Kritik der den umfragegestützten Analysen
zugrunde liegenden Kategorien und Kategorisierungen versucht werden. Da dieser
Beitrag die Frage der FPÖ als Arbeiterpartei behandelt, möchte ich v.a. die
Kategorie Arbeiter, wie sie in diesen Umfragen verwendet wird,
hinterfragen. Auf der anderen Seite möchte ich zeigen, dass sich auch aus einer
kritischen Verwendung des von den Analysen der statistischen Apparate gewonnen
Materials Argumente zusammentragen lassen, die die These von der Arbeiterpartei
und ihre expliziten und impliziten politischen Implikationen erschüttern können.
Die zu entwickelnde Kritik der Methoden der Wählerforschung, wie auch die
kritische Bezugnahme auf statistisches Material wird daher teilweise fast
technisch erscheinen. Es ist jedoch festzuhalten: „The
attempt to develop empirical research agendas firmly rooted within not only the
categories, but the logic, of Marxist theory. Such an approach would reject the
positivist premise that theory construction is simply a process of empirical
generalization of law-like regularities, but would insist that Marxist theory
should generate propositions about the real world which can be empirically
studied.” (Wright,
1979: 10) In
Ermangelung empirisch fundierter kritischer Untersuchungen zu Wählerbewegungen
und der bisherigen Basis der FPÖ kann jedoch keine alternative Interpretation
angeboten werden. D.h. es kann hier nicht das Gegenteil, also dass die
ArbeiterInnen progressiv oder gar antifaschistisch wählen würde, bewiesen
werden. Die Kritik an der These, dass zwischen dem sozialen Status Arbeiter und
die Entscheidung FPÖ zu wählen ein Zusammenhang besteht, kann nur zur Aussage
führen, dass dieser Zusammenhang in Zweifel zu ziehen ist. Es geht daher nicht
um eine Rettung und Entlastung der ArbeiterInnen, anstatt sie mit ihrem
Rassismus und Antisemitismus zu konfrontieren, sondern vielmehr darum,
aufzufordern, kritische Analysen zur WählerInnenbasis der FPÖ (vgl. Poglia et
al 2002), wie auch der Klassenstruktur im allgemeinen zu versuchen. Ausgangspunkt
für diesen Artikel, stellte folgender Widerspruch dar. Auf der einen Seite
behaupten politische Soziologie und Wahlforschung eine massive Auflösung der
traditionellen Lagerbindungen und die Zunahme der WechselwählerInnen, die im
sogenannten politischen Wettbewerbsraum wie KonsumentInnen Produkte (i.e.
Parteien) auswählen. Die Pluralisierung des Parteiensystems– vom
2,5-Parteien-, zum 4(5)-Parteiensystem– scheint diese Annahme zu unterstützen.
Auf der anderen Seite zeigt sich gerade auf der Ebene der Nationalratswahlen
trotz dieser Pluralisierung eine relativ geringe Rechts-Links-Volatilität, wie
das auf politikwissenschaftlich genannt wird. Dementsprechend hat sich bis Mitte
der 90er Jahre das Verhältnis zwischen dem Mitte-Links Lager (SPÖ, Grüne und
aufgrund seiner ursprünglich linksliberalen gesellschaftspolitischen
Ausrichtung das LIF) und dem konservativen, rechten Lager (ÖVP und FPÖ) kaum
verändert. Zwischen 1986 und 1995 lag letzteres konstant um 2-3% vorn (vgl.
Schedler 1995, Plasser/Ulram, 2000). Dies drückte sich, trotz sinkender
Wahlbeteiligung - bei steigender Zahl der Wahlberechtigten - in der relativ
stabilen absoluten Stimmenanzahl für beide Lager aus.[iv]
Die sinkende Wahlbeteiligung lässt jedoch auf eine wachsende Repräsentationskrise
des politischen Systems schließen. Dies hat sich auch in der Wahl 2002 nicht geändert,
auch wenn sich die Gewichte innerhalb der politischen Lager verschoben haben. Versuch
einer Kritik der ‚ökologischen’ oder statistischen Wählerstromanalysen
„Wenn
eine Partei bei der Wahl 1999 im Durchschnitt genau in jenen Gemeinden stark
ist, wo eine andere Partei 1995 stark war, interpretieren wir das als einen
Hinweis darauf, dass viele Wähler zwischen diesen Parteien gewechselt haben.
Das Verfahren dazu heißt multiple Regression. ‚Regression’, weil wir die
Parteienergebnisse von 1999 auf die Parteienergebnisse von 1995 regredieren (zurückkommen)
lassen, und ‚multipel’, weil wir das Ergebnis bei der Wahl 1999 gleichzeitig
mit allen Parteienergebnisse der Wahl 1999 in Beziehung setzen.“ (Hofinger et
al, 2001: 118) Ökologische
Wählerstromanalysen sind quasi rein statistisch, und erscheinen objektiver als Umfragen und Exit Polls. Nach
Hofinger/Ogris (vgl. dies. 1996a: 315) gibt es keine Probleme der Datenerhebung
per Survey, wie etwa Stichprobenfehler, Antwortverweigerung, falsche Angaben.
Sie sind auch auf längst vergangene Wahlen anwendbar und immer wieder
verbesserbar. Sie können Nichtwähler berücksichtigen und Ergebnisse nach
regionalen oder politisch-strukturell ausgewählten Gemeindegruppen liefern. Außerdem
ist die Datenbasis umfangreicher und das zu untersuchende Zielverhalten
(Wahlentscheidung) klar erfasst. ‚Ökologische
Wählerstromanalysen’ operieren jedoch nur mit Aggregatdaten und Aussagen für
Individuen und deren Motive sind daher unzulässig. Hofinger/Ogris verweisen außerdem
darauf, dass demographische Veränderungen des Wahlkörpers, die sich aus
Wanderungen der Bevölkerung, aber auch den Generationswechsel (Volljährigkeit,
Todesfälle) ergeben, nicht berücksichtigt werden können. Genau
hier beginnt nun m.E. das Problem dieser Analysen. Es wurde meines Wissens nicht
versucht, diese demographischen Veränderungen für eine Wahlperiode (also 4
Jahre) zu quantifizieren, wofür z.B. ein Blick in das Statistische Jahrbuch Österreichs
(vgl. Statistik Austria 2001) genügen würde. Demographische Veränderungen
ergeben sich einerseits aus dem Generationswechsel, andererseits aus den
Wanderungsbewegungen der Bevölkerung. Auch die geografischen
Wanderungsbewegungen betreffen v.a. jüngere Generationen, weswegen natürlich
nicht ausgeschlossen ist, dass eine bestimmte Zahl von Personen in einer
Wahlperiode mehrmals ihren Wohnort wechselt. Der Generationswechsel ist in den jährlichen
Analysen der Todesfälle und Alterskohorten nachzulesen und beträgt demnach
etwa 80.000 Personen Die
demographischen Dynamiken durch Veränderungen des Wohnorts sind in den
Statistiken zu den Wanderungsbewegungen über Gemeindegrenzen hinaus zu
finden. Im Schnitt findet eine jährliche Wanderungsbewegung über
Gemeindegrenzen hinaus von etwa 230-240.000 Personen statt. Die
Einschränkung bezüglich der Wanderung ist
wichtig, da das in weiterer Folge bedeutet, dass die Wanderungen in den Städten
nicht berücksichtigt sind. Es gibt aber Analysen der Wanderungen über
Bezirksgrenzen hinaus für Wien. So werden für das Jahr 1999 in Wien
Wanderungen von mehr als 150.000 Personen errechnet. Würde man schon ohne die
Wanderungen innerhalb der Städte einen Wert von 1,2 Mio erreichen[v],
so erhöht sich diese Zahl alleine mit den Wanderungen in Wien um noch mal mehr
als eine halbe Million. Man kann also alles in allem davon ausgehen, dass nach 4
Jahren an die 1,8 Mio Personen ihren Wohnort verändert haben. D.h. möglicherweise
mehr als 30% (!) der Wahlberechtigten haben innerhalb einer Wahlperiode ihren
Wohnort gewechselt. Wie auf dieser Basis eine auf Sprengelergebnissen – also
relativ kleinen Einheiten - beruhende Analyse durchgeführt werden kann, ist mir
schleierhaft.[vi] Versuch
einer Kritik der politischen Umfrageforschung und ihrer Kategorien
Nach
den Analysen von Fessel Gfk (vgl. Plasser et al 2000)) hatte sich der Anteil der
FPÖ an der ArbeiterInnenschaft von 1983 bis 1999 von 3 % auf 47 % gesteigert.
Der Anteil der SPÖ hingegen hatte sich von 61 % 1983 auf 35 % 1999 reduziert.
Der Anteil der ÖVP an den ArbeiterInnen betrug 1983 28% und 1999 12%. Auch wenn
die Daten insgesamt nicht ganz eindeutig sind
- die addierten Prozentsätze der drei Parteien ergeben für 1983 nur
92%, 8% ArbeiterInnenwähler sind irgendwie abhanden gekommen – lässt sich
daraus schließen, dass sich etwa ein Drittel der ArbeiterInnen traditionell der
politischen Rechten zuordnete.[vii] Welche
Kritikpunkte können nun vorgebracht werden? Neben Problemen der
Stichprobenauswahl, Fragestellung, Antwortbereitschaft, Richtigkeit der
Antworten (s.o.) ergeben sich, selbst wenn man innerhalb der Parameter der
umfragegestützten Methoden verbleibt, eine Reihe von Fragen.[viii]
Die Umfragen erfragen zwar das gruppenspezifische Wahlverhalten, treffen jedoch
keine Aussagen über die Wahlbeteiligung der verschiedenen sozialen Schichten.
Einige Analysen lassen jedoch den Schluss zu, dass die Wahlenthaltungen bei
ArbeiterInnen besonders groß sind (vgl. Hofinger/Ogris, 1996). Diese Gruppe fühlt
sich also im politischen System immer weniger repräsentiert, was sie aber noch
nicht zur Basis der FPÖ macht. Würden Einschätzungen der Wahlbeteiligung
vorliegen, dann könnten die Ergebnisse der Parteien in Relation zur Gesamtzahl
der ArbeiterInnen gesetzt und damit festgestellt werden, ob die Rechte heute
tatsächlich einen größeren Teil an sich ziehen kann. Dazu kommt noch, dass
heute etwa 20% der ArbeiterInnen (in den Städten an die 30-35%) MigrantInnen
sind und gar nicht wählen dürfen. Etwa 90% der MigrantInnen aus der Türkei
und dem ehemaligen Yugoslawien sind als Arbeiter – überwiegend als un- und
angelernte (vgl. Statistik Austria 2001) und kaum Facharbeiter – eingestuft. Versucht
man aus dem Strukturprofil der Parteien, das Plasser et al angeben, an die
Gesamtzahl der Arbeiterwähler für die Rechte ranzukommen, so kommt man auf
grob 420.000 (340.000 für die FPÖ). Mit Blick darauf, dass bis zum Aufstieg
der FPÖ meist ungefähr ein Drittel (oder mehr) der ArbeiterInnen für die
Rechte gestimmt hat, so lässt dieses Ergebnis nicht die Schlussfolgerung zu,
dass die Gesamtzahl dieser Stimmen etwa seit Ende der 70er absolut gewachsen
ist. Es hat aber auf der einen Seite eine Radikalisierung von ArbeiterInnen nach
rechts, auf der anderen eine Abwendung der ArbeiterInnen vom politischen System
und den traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung gegeben. Zielführender
als eine differenziertere Interpretation scheint es, die sozialen Kategorien,
die diesen Analysen zugrunde liegen, grundsätzlich zu hinterfragen. Plasser et
al (vgl. dies. 2000) verwenden ein sehr grobes Raster sozialer Differenzierung
in den Umfragen des Fessel-Gfk Instituts. Aufgrund der zentralen Bedeutung, die
sie dem sogenannten ‚Working class realignment’ zuschreiben, gehören
‚berufsspezifische’ Kategorien wie Arbeiter(Innen) und Angestellte zu ihren
wesentlichen Variablen. Diese können jedoch nur bedingt als
sozialwissenschaftliche Kategorien zur Verortung bestimmter Personengruppen im
gesellschaftlichen Gefüge angesehen werden. Einerseits
ergibt sich die Zuordnung eines Befragten aus subjektiven Selbsteinstufungen im
Erhebungsprozess. Es kann angenommen werden, dass dies ihrer Einstufung im
Arbeitsrecht entspricht. Das heißt vereinfacht, dass sich die Kategorie
Arbeiter (und andere Gruppen, wie Angestellte, Selbständige etc.) nach Plasser
et al nur bedingt aus ihrer Position im Produktionsprozess ergibt. Daher hat
diese Kategorisierung auch wenig zu tun mit kritischen klassentheoretischen Ansätzen
oder auch elaborierteren sozialwissenschaftlichen Analysen.[ix]
Das
Rechtssystem im allgemeinen, wie das Arbeitsrecht im besonderen können als
Ideologische Staatsapparate verstanden werden, die Personen ‚anrufen’, ihnen
damit eine bestimmte Identität geben und bestimmte Praktiken, zuschreiben, ermöglichen
aber auch verwehren (vgl. Jessop 1990). In der österreichischen Gesellschaft
ist die arbeitsrechtlich definierte Kategorie Arbeiter daher zuallererst eine
historisch spezifische, ideologische Position. Es ist daher richtig, wenn Dimitz
et al (vgl. 1995) hervorheben, dass das „Arbeitsrecht das Ergebnis eines
historischen politischen Prozesses (...) in dem die Herausbildung kollektiver
Akteure, deren Ziel und Durchsetzungsfähigkeit sowie insbesondere das
Zusammenwirken von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und staatlichen
Instanzen eine wesentliche Rolle spielen.“ (Dimitz
et al 1995: 11) Diese
ins Juridische gegossenen Definitionen verschiedener Gruppen von
ArbeitnehmerInnen sind Medium und Ergebnis der widersprüchlichen Verhältnisse
zwischen Lohnarbeit und Kapital. Auf der deskriptiven Ebene kommt ihnen aber
kein erklärender und analytischer Charakter zu. Eine klassentheoretisch
fundierte Analyse muss vielmehr versuchen, diese Kategorien selbst als relevante
Dimensionen im Prozess der Formierung einer Klassengesellschaft zu verstehen. Es
ist absurd anzunehmen, dass im österreichischen Arbeitsrecht eine Kategorie von
Lohnabhängigen kodifziert ist, der marxistisch orientierte Theorien einen
potentiell systemtransformierenden Charakter zuschrieben. ArbeiterInnen
erscheinen im österreichischen Arbeitsrecht als ‚Restgröße’, also als
ArbeitnehmerInnen, die nicht Angestellte sind. Die Kodifizierung der Arbeiter-
und Angestelltenpositionen erfolgte im Jahr 1859, die in der Fassung von 1973
Ende der 90er Jahre noch gültig war (vgl. Dimitz et al 1995). Aufgrund des
Problems, Arbeiter- und Angestelltentätigkeiten zu unterscheiden, erwiesen sich
die Definition nach Tätigkeitsmerkmalen als schwierig. In der Gewerbeordnung
von 1859 erfolgte sie durch Aufzählung. Zu den ArbeiterInnen zählten demnach
Handlungsgehilfen, Gesellen, Kellner, Kutscher, Fuhrgewerben, Fabriksarbeiter
und Lehrlinge, sowie Hilfsarbeiter, worunter Personen zu verstehen sind, welche
zu untergeordneten Hilfsdientsten’ verwendet werden. Außerdem werden auch
ArbeiterInnen dazugerechnet, die ‚Lohnarbeiten gemeinster Art’ verrichten,
außerdem Land-, Berg-, Bäckerei- und Bauarbeiter, sowie fallweise
Hausgehilfen. „Einen
positiven Arbeiterbegriff kennt das österreichische Arbeitsrecht nicht,
Arbeiter ist vielmehr jener Arbeitnehmer, der nicht Angestellter ist.
Angestellter hingegen ist, wer kaufmännische, höhere nichtkaufmännische und
Kanzleidienste leistet. Eine eindeutige Abgrenzung ist damit (...) kaum zu
leisten.“ (Dimitz et al.,
1995: 20) Der
Angestelltenbegriff im österreichischen Rechtssystem erleichtert daher die
Analyse nicht, da er in teils deskriptiven und teils wertenden Einschätzungen
kodifiziert ist. In der Abgrenzung etwa zu den ArbeiterInnen scheint die überkommene
Unterscheidung von Hand- und Kopfarbeit durch, die nicht zuletzt durch eine
Reihe von ökonomischen Veränderungen (neue Technologien, Wachstum des
Dienstleistungssektors) hinfällig geworden ist, durch. Schlussfolgerungen Der
Erfolg der FPÖ in den 90ern und in weiterer Folge die Rekonstituierung der
Hegemonie der ÖVP bei den Wahlen 2002 werfen daher ein grundlegendes Problem für
eine klassentheoretische Analyse der österreichischen Gesellschaft und der
politischen Entwicklungen auf. Die
klassentheoretischen Debatten der letzten Jahre haben gezeigt, dass es nicht
ausreicht, Klassen allein über das (juristische) Eigentum an den
Produktionsmitteln und die Aneignung von Mehrarbeit/Mehrwert zu definieren (vgl.
Lipietz, 1992). Zwar kaufen ArbeitgeberInnen am Arbeitsmarkt die Arbeitskraft
als Potential, diese realisiert sich jedoch nicht von selbst in lebendiger
Arbeit. Die Kapitalseite steht daher vor dem vordergründig banalen Problem, wie
sie die ArbeiterInnen zum Arbeiten bringen soll. Dies ist Grundlage des
sogenannten ‚Kontrollproblems’ und der damit verbundenen Spaltung des
Produktionsprozesses in planende und ausführende Tätigkeiten, also den Kampf
um das Kommando in der Fabrik. Es geht also darum, wer in welchem Ausmaß über
die eigene, wie auch die Arbeit anderer entscheiden kann. Dieser Prozess ist als
sozialer Konflikt aufzufassen und führt zu einer relationalen Klassentheorie,
der natürlich die Frage der
Eigentumsverhältnisse, wie auch der Wertförmigkeit der Arbeit umfasst. Der
Kampf um den kapitalistischen Arbeitsprozess und die Kontrolle der Produktion
durch das Management, also die planende Seite, macht daher die sogenannte
Polarisierungsthese der Klassentheorie, wonach in der Entwicklung des
Kapitalismus sich die Klassengegensätze vereinfachen, bis sich schließlich nur
noch Bourgeoisie und Proletariat gegenüberstehen, hinfällig. Insofern die
Spaltung des Produktionsprozesses in planende und ausführende Tätigkeiten nie
vollständig ist und jede Arbeitstätigkeit, wie vereinfacht und dequalifiziert
sie auch sein mag, zumindest minimale intellektuelle Anteile hat (vgl. Gramsci,
1991ff), ist jede Klassenposition nur als widersprüchliche denkbar (vgl. Wright
1979) und erscheinen Klassenstrukturen eher als Kontinuum. Das heißt, neben dem
Eigentum an den Produktionsmitteln sind die Verhältnisse der Lohnabhängigen
untereinander zentral für eine kritische Theorie der Klassenverhältnisse. Das
Klassenkontinuum wird erst durch staatliche (Arbeitsrecht, Parteien) und
ideologische (Berufsausbildung, Nation etc.) Prozesse und Institutionen in
unterscheidbare Großgruppen (soziale Schichten) strukturiert, die dadurch bspw.
bestimmte Identitäten, Funktionen und Handlungsmöglichkeiten bekommen. In der
sozialen Konstruktion der Lohnarbeit wird aber auch die veränderbare Grenze zur
nicht-wertförmigen Arbeit, als zur Sphäre der Reproduktion aber auch
Nichtarbeit gezogen. D.h. eine Analyse der Klassenverhältnisse muss die
Familienstrukturen, wie auch die Übernahme reproduktiver Funktionen durch den
Wohlfahrtsstaat, in dem sich innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft der
Kampf um Nichtarbeit verdichtet, in die Analyse miteinbeziehen. Die
relative historische Beständigkeit dieser Institutionen steht nun der
permanenten Restrukturierung der Klassenverhältnisse im Prozess der
kapitalistischen Verwertung gegenüber und versucht, deren Widersprüchlichkeit
zu regulieren. Soll der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen und
Zusammenhänge es zwischen der Neuzusammensetzung der Klassen in der Krise des
Fordismus und den politischen Verhältnissen gibt, so wären gegenwärtige Veränderungstendenzen
der Klassenstrukturen zu berücksichtigen. Diese müssten die sogenannte
Feminisierung der Arbeitswelt, also die Zunahme der weiblichen Erwerbstätigkeit,
die in Österreich vorwiegend als Angestellte eingesetzt werden, erfassen.
Weiters wäre auf die Arbeitsmigration zu verweisen, die wie gezeigt wurde,
gerade mit Blick auf die Frage der Arbeiter in Österreich zentral ist. Auch die
Zunahme sogenannter atypischer oder prekärer Beschäftigungsverhältnisse
stellt einen wesentlichen Aspekt der Dynamik der Klassenverhältnisse dar. Außerdem
ist auf die Erhöhung der Bildungs- und Qualifikationsgrade weiter Teile der Bevölkerung
zu verweisen, die natürlich die Frage, wieweit jemand über seine Arbeit
entscheiden kann, massiv beeinflussen. Grundsätzlich
gilt daher, dass die umfassende Veränderung der Arbeitsprozesse und damit der
Klassenstruktur die Ablösung des auf Schwerindustrie und tayloristischer Fließbandarbeit
beruhenden fordistischen Produktionsparadigmas bewirkt. Neue Technologien und
Arbeitsformen und das Wachstum des Dienstleistungssektors tragen zu den
umfassenden Veränderungsprozessen der Arbeit bei, die etwa in zunehmenden Maß
immateriell und abstrakt wird. Das kann bspw. zu erhöhten Anforderungen an die
Selbststeuerung der Lohnabhängigen etwa als Arbeitskraftunternehmer führen. Wenn
von einer immensen Variabilität und Widersprüchlichkeit der Klassenpositionen
im Kapitalismus ausgegangen wird, dann wird etwa die Vorstellung eigentlicher
Interessen der Lohnabhängigen, die sich direkt in politische Organisierung
ausdrücken müssten, inadäquat. Ohne Bezugnahme auf diese Variabilität und
permanente Neuzusammensetzung kann daher m.E. die politische Entwicklung in Österreich,
die schließlich zum Wahlerfolg der ÖVP geführt hat, nicht verstanden werden. E-mail
des Autors: rolandatzmuller/ at /hotmail.com Literatur: Dimitz,
Erich und Jörg Flecker, Ulrike Pastner, Brigitte Schramm: (1995) Die soziale
Lage, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Red.: Hannes Spreitzer und
Erich Dimitz, Bernhard Achitz: Arbeiter/innen und Angestellte.
Diskussionsgrundlage für einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff. Wien, 11-31. Gramsci, Antonio: (1991ff) Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe herausgegeben von Wolfgang F. Haug, Hamburg. Grigat,
Stephan: (2002) Der Rückzug zum Triumph. Jörg Haider und die Krise in der FPÖ,
http://www.austria.indymedia.org/display.php3?article_id=14985 Haider,
Jörg: (2001) Befreite Zukunft jenseits von links und rechts – Menschliche
Alternativen für eine Brücke ins neue Jahrtausend. Reihe: Konzepte für Österreiche
– Politica Edition, Wien. Hofinger,
Christoph und Günther Ogris: (1996a) Denn erstens kommt es anders... in: Khol
Andreas; und Günther Ofner , Alfred Stirnemann (Hg.): Österreichisches
Jahrbuch für Politik 1995. Oldenburg, 55-71. Hofinger,
Christoph und Günther Ogris: (1996b) Wählerwanderungen: Ein Vergleich fünf
verschiedener Wählerstromanalyse anlässlich der Nationalratswahl 1995, in:
Plasser, Fritz (Hg.): Wahlkampf und Wählerentscheidung : Analysen zur
Nationalratswahl 1995, Wien. Hofinger,
Christoph und Günther Ogris: (1996c) Kopf an Kopf – Wahlverhalten und Wählerströme
bei der EU-Wahl und der Wiener Gemeinderatswahl 1996, in: Khol Andreas; und Günther
Ofner , Alfred Stirnemann (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 1996.
Oldenburg, 85-102. Hofinger,
Christoph und Marcelo Jenny, Günther Ogris: (2000) Steter Tropfen höhlt den
Stein. Wählerströme und Wählerwanderung 1999 im Kontext der 80er und 90er
Jahre, in: Plassser, Fritz und Peter A. Ulram, Franz Sommer (Hg.):
Das österreichische Wahlverhalten. Wien,
117-140. Jessop, Bob: |