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Roland Atzmüller  Wie macht man eine Arbeiterpartei?

1. Wie aus ArbeiterInnen und ModernisierungsverliererInnen der liberale Flügel der FPÖ wird, sobald die ÖVP von der FPÖ gewinnt

Die Wahlen 2002 sind vorbei und die ÖVP hat gewonnen. Sie hat gewonnen nicht einfach, weil sie die relative Mehrheit erstmals seit 36 Jahren errungen hat, sondern weil sie die hegemoniale Auseinandersetzung um die Führung im bürgerlichen Lager, wie sie sich seit 1986, also seit der Übernahme der Parteiführung der FPÖ durch Jörg Haider, entwickelt hatte, für sich entscheiden konnte – zumindest vorläufig. Damit wurde aber auch die politische Hegemoniekrise in Österreich, die 13 Jahre große Koalition und der Wunsch nach dem Beitritt zur EU überdeckt haben, beendet. Diese hatte spätestens 1986 als es der ÖVP – angetan vom Neoliberalismus dieser Tage – nicht gelungen war, die Sozialdemokratie an der Staatsspitze abzulösen, auch wenn sie in den folgenden Jahren wirtschaftspolitisch weitgehend bestimmend war.

Populistische Angriffe auf den Wohlfahrtsstaat und die verstaatliche Industrie, Sozialschmarotzerkampagnen, Kritik am Gewerkschaftseinfluss und Budgetdefiziten, aber auch die Kulturkämpfe dieser Jahre (Tabori, Bernhard) und die zur Ursache von Drogensucht, Zerfall der Familie und Kriminalität hochstilisierte gesellschaftliche Liberalisierung formten Anfang der 80-er zentrale Pfeiler des Gegenentwurfs der ÖVP. In den Augen des sich reorganisierenden Konservatismus beruhte der gesellschaftliche Kompromiss der Zweiten Republik auf einer langfristig angelegten Strategie der gesellschaftlichen Transformation, die in den sozialdemokratisch geführten Regierungen, der gesellschaftspolitischen Liberalisierung nach 1968, der sozialpartnerschaftlichen Beschränkung unternehmerischer Führung und des Ausbaus des Wohlfahrtsstaates mit seinen Egalitätsansprüchen – egal wie real diese tatsächlich waren- kulminierten.

In diesen Diskursen, die nicht zuletzt von den Boulevardmedien getragen wurden, artikulierte sich die zunehmend radikalisierende Gegnerschaft eines wachsenden Teils der Bevölkerung, die die durch die gesellschaftlichen Veränderungen der 70-er Jahre bewirkten Dynamiken nicht länger akzeptieren wollten und als Angriff auf ihre Machtpositionen in der patriarchalen und rassistischen Ordnung der Gesellschaft auffassten. Das Ressentiment für alle zahlen zu müssen, für Sozialschmarotzer, Drogensüchtige, Kriminelle, geschiedene Ehefrauen, StudentInnen und Scheinasylanten, die nichts arbeiten wollen, für Gewerkschaftsbonzen und korrupte Politiker und natürlich für die ‚nie Ruhe gebenden Juden’, wurde zum ‚ideologischen Kitt’ der Rechten. Dieser verdichtete sich in den Zielen der Budgetkonsolidierung in den 80-ern oder dem Nulldefizit – dem Eckpfeiler der Schwarz-Blauen Regierung zur Basis des Projekts der konservativen Wende, die in dieser Wahl in Schüssel und Grasser vereinigt wurde.

Obwohl sich schon 1986 Schwarz-Blau ausgegangen wäre, hatte der großkoalitionäre Flügel der ÖVP - insbesondere der Wirtschaftsflügel – die Partei in eine große Koalition mit der SPÖ gezwungen, um nicht gegen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften den EU-Beitritt durchsetzen zu müssen. Das ließ aber nach 1995 das Ende dieser Regierungsform absehbar werden.

Wenn es in Österreich je eine sozialdemokratisch-reformerische, gesellschaftliche Hegemonie gegeben hat, dann wurde sie spätestens 1986 beendet, als mit der Großen Koalition Budgetkonsolidierung und Sozialabbau begannen. Dass sie beendet war, wurde aber auch in der Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten sichtbar[i]. Hier wurde nicht nur zum ersten Mal sei 1945 ein ÖVP-Kandidat Bundespräsident, von dem ein damaliger ÖVP-Politiker sagte, dass er vom Jüdischen Weltkongress verfolgt werde, wie Jesus von den Juden. Damit wurde vielmehr auch von einer Mehrheit der Bevölkerung das beanspruchte antifaschistische Selbstverständnis der Zweiten Republik offen in Frage gestellt. Man wollte sich nicht nur nicht erinnern, sondern wählte ‚jetzt erst recht’, wen man wollte, solange nicht bewiesen war ‚dass Waldheim 6 Juden eigenhändig erwürgt hat’, wie der damalige Generalsekretär der ÖVP, Michael Graff, die antifaschistische Grenze des christlichen Lagers definierte.

 Da es jedoch nicht gelang, die SPÖ von der Staatsspitze zu stoßen und die Wende auch auf der symbolischen Ebene durchzusetzen, blieb das Ziel eines wachsenden Teils des rechten, konservativen Lagers nach einem Bruch mit der Nachkriegsordnung unerreicht. Da half alles nichts, auch nicht die rassistische Politik eines Löschnaks, Schlögls und anderer und auch kein Sozialabbau – ein ‚Sozialist’ bleibt ein ‚rotes G’fries’ und ein ‚vaterlandsloser Geselle’, wie sich zu Zeiten der EU-Sanktionen ja wieder gezeigt hat. Der zu formulierende Bruch musste also tiefer gehen und nicht allein die als Übersozialisierung verstandenen gesellschaftlichen Dynamiken seit den 70-ern im Einklang mit dem internationalen Aufstieg des Neoliberalismus überwinden. Er musste mit der sogenannten ‚antifaschistischen Umerziehung’ seit 1945 artikuliert und im Projekt der Dritten Republik verdichtet werden. Das war nach Waldheim möglich.

Der Aufstieg der FPÖ unter Jörg Haider begann. Dass tatsächlich ein wachsender Teil der Bevölkerung  - v.a. der ehemaligen ÖVP-Klientel – die sozialpartnerschaftliche, wohlfahrtsstaatliche Regulation des Kampfes zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht mehr mitragen wollte, zeigte sich in den folgenden Wahlen. So verlor 1990 die ÖVP etwa 10% ihrer Stimmen, während es zumindest damals der SPÖ noch gelang, ihre Wählerkoalition mehr oder weniger zusammenzuhalten. Nicht zuletzt durch die Artikulation des gesellschaftlichen Rassismus, der bis weit in die SPÖ hineinreicht, erfuhr die Reorganisation der Rechten in den 90-ern eine weitere Radikalisierung. So entstand mit dem Wachstum der FPÖ im Laufe der 90-er eine hegemoniale Konkurrenz zur ÖVP im bürgerlichen Lager, die Ende der 90-er drauf und dran war, die Konservativen zu überholen.

1999 hatte die ÖVP unter Schüssel, wollte sie nicht auf Dauer den Führungsanspruch aufgeben, tatsächlich nur noch die Möglichkeit, ihre Position durch den Bruch mit der Großen Koalition zu sichern und die offene Auseinandersetzung um die hegemoniale Führung Österreichs mit der FPÖ in Form der Schwarz-Blauen Koalition zu suchen. Aufgrund ihres Charakters als autoritäre Führerpartei geht der FPÖ ein tiefes Verständnis von politischen Machtverhältnissen unter bürgerlich-demokratischen Bedingungen (vgl. Jessop 1990), die sie zumindest weitgehend einschränken würde, wenn sie könnte, ab. Obwohl also, um Antonio Gramsci (vgl. ders. 1991ff) zu paraphrasieren, die ÖVP in den 90-er Jahren wankte, stellt die Parlamentspartei doch nur einen ‚vorgeschobenen Schützengraben’ dar, hinter welchem sich eine ‚robuste Kette von Festungen und Kasematten’ befindet. Obwohl die ÖVP 1999 auf parlamentarischer Ebene nur noch 20% aller Wahlberechtigten hinter sich hatte vereinigen können, war sie die Partei der Bürgermeister, Bezirkshauptmänner und Landeshauptleute geblieben, die die Interessensorganisationen der Wirtschaft dominierte, die Kirche und viele Medien hinter sich wusste und ihre VertreterInnen in vielen Institutionen der Gesellschaft im Proporz mit der Sozialdemokratie installiert hatte.

Um sich also aus der hegemonialen Krise zu befreien, musste die ÖVP mit dem letzten, durch die Politik der Schlögls ausgehöhlten, verbliebenen Rest sozialdemokratischer Hegemonie, nämlich der Ausgrenzung der FPÖ, brechen. Indem sie der FPÖ diesen Bruch anbot, konnte sie die Sozialdemokratie als führende Partei in der Regierung und in weiterer Folge stimmenstärkste Fraktion ablösen. Es ihr durch das Ende der Ausgrenzung gelungen, die Herausforderung durch die FPÖ abzuwehren. Auch wenn sich das Projekt der FPÖ vorwiegend an 30 Jahren sozialdemokratischer Regierungsdominanz und am symbolischen Scheitern der Wende in den 80-ern entzündet hatte, fand die tatsächliche gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen der ÖVP und der FPÖ statt. Das aber hatte die FPÖ mit ihrer Entscheidung 2000, in eine Regierung einzutreten nicht verstanden, das haben aber auch SPÖ und Grüne nicht verstanden. Umso größer das Rätselraten über die Ursachen des Wählerstromes zur ÖVP. Doch es fällt den WahlforscherInnen nicht schwer, Erklärungen anzubieten, und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse umzudeuten.

Die DemoskopInnen haben aus den zur FPÖ gewechselten WählerInnen zuerst mehr oder weniger frustrierte, ressentimentgeladene männliche Arbeiter und Modernisierungsverlierer gemacht. Nach der Wahl 2002 wird nun behauptet, mit Grasser und den anderen zurückgetretenen FPÖ-PolitikerInnen habe sich der wirtschaftsliberale und vernünftige, weil regierungsfähige Teil der ÖVP zugewandt. Aus dem ‚Realignment der blue-collar worker’ wurde die Verallgemeinerung des wirtschaftspolitischen Citoyens, der auf dem politischen Wettbewerbsraum (vgl. Plasser et al. 2000) seine Wahl trifft und sich für Stabilität, Sachlichkeit und stabilitätsorientierte Budgetpolitik entschieden habe. Dementsprechend seien die Arbeiter zuerst von der SPÖ zur FPÖ und nun zur ÖVP gewandert, wodurch sie in den Augen der liberalen Öffentlichkeit wieder rehabilitiert sind. Die ‚Normalisierung’ wird gefeiert. Die SPÖ, so Leitartikler und politikwissenschaftliche Kommentatoren, hingegen hat den abwandernden FPÖ-Wählern kein Angebot gemacht, schon gar kein wirtschaftspolitisches. 

Die politische Rolle der Demoskopie und Wählerforschung 

Statistik und Demoskopie, die allwöchentlichen Wahlumfragen in den Illustrierten, aber auch ihre wissenschaftliche Unterfütterung sind zentrale ‚Sprachen’ der Gesellschaft geworden (vgl. Miller/Rose 1994). Sie unterziehen soziale Verhältnisse bestimmten Deutungen, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Anspruchs behaupten Wahrheit, zu sein. Sie werden damit aber zum Feld, auf dem um Hegemonie, also um moralische, politische und intellektuelle Führung (vgl. Jessop 1990), gerungen wird.

Als Wissenschaft von der Bevölkerung macht Statistik diese zu Objekten des ‚Regierens’, wodurch die alltäglichen Lebensverhältnisse den Gesetzen der statistischen Relevanz unterworfen, normalisiert und damit regel- und kontrollierbar werden. Sie kategorisiert die Bevölkerung in eine Vielzahl von Untergruppen, die sich aus in der Gesellschaft quasi naturhaft vorhandenen Bestimmungen ergeben. Gleichzeitig versuchen statistische Wissensformen die ‚Interessen’, Stimmungen und Ansprüche der Kategorisierten zu erfassen. Sie tragen daher weitgehend zur Konstruktion gesellschaftlicher Gruppen und deren Interessen bei, insofern sie ihnen statistische Relevanz zuschreiben. Aus der Bevölkerung wird ein nationales (Staats-)Volk, das regiert werden kann und regiert werden will. Wie es das will, wird von den professionellen Intellektuellen jeglicher Couleur interpretiert und vorgegeben.

Das von den statistischen Apparaten kapitalistischer Gesellschaften produzierte Wissen unterstützt so einerseits die politisch-administrativen Systeme bei der Regierung der Widersprüche der Gesellschaft. Andererseits bilden Markt- und Meinungsforschung den Rahmen der Deutungskämpfe der Intellektuellen. Sie liefern dafür Material mit dem Anspruch empirischer Fundierung, mit dem Anspruch, realistische Stimmungsbilder wiederzugeben. Damit wird es gleichzeitig zu den Rahmenbedingungen und den Inhalten der Kämpfe um Hegemonie.

Nie ist das besser festzustellen als zu Zeiten von Wahlen und Wahlkämpfen. Wahlumfragen werden zu Aufhängern der Zeitungen und damit zur Grundlage der Interpretation der politischen Auseinandersetzungen der wahlwerbenden Parteien. Die politischen Entwicklungen in Österreich seit 1986, im besonderen aber seit dem Februar 2000, haben einen erheblichen Deutungsbedarf hervorgebracht, den anscheinend unfassbaren Bruchs mit dem Nachkriegskonsens zu erklären. Wer oder was bildete überhaupt die Basis für den Erfolg der FPÖ und Jörg Haider?

Die hegemoniale Antwort nach der FP-Wählerbasis lässt sich folgendermaßen konzis zusammenfassen: „Charakteristisch für die österreichische Situation ist aber nicht nur die ausgeprägte Erosion des klassengebundenen Wählens – eine ‚class voting dealignement’ (...) – sondern eine gleichzeitig stattfindende Neuorientierung des Wahlverhaltens der österreichischen Arbeiterschaft, die man ohne Übertreibung als ‚blue collar realignement’ bezeichnen kann.“ (Plasser et al 2001: 81)  In der Sprache der Illustrierten hieß das: ‚die neue Arbeiterpartei FPÖ’. Zwar widerspricht der erste Teil des Befundes dem zweiten, da nicht geklärt ist, warum die Erosion mehr oder weniger für alle sozialen Schichten gelten soll, nicht aber für die ArbeiterInnen. Es ist aber offensichtlich, dass sich an die These von der FPÖ als Arbeiterpartei eine Reihe politischer Schlussfolgerungen hingen.

So ging man etwa in der Öffentlichkeit wie auch in diesem Wahlkampf davon aus, dass die FPÖ in direkter Konkurrenz mit den traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung steht. Dies führte zur Interpretation, dass die FPÖ ein Problem des ‚Sozialismus’ in Österreich ist - was immer letzterer je gewesen sein mag. Diese Interpretationslinie wurde gern aufgenommen, bot sie doch eine bequeme Erklärung für den Erfolg der FPÖ wie auch der Widersprüche der schwarz-blauen Koalition, zwischen neoliberalen und (national) sozialen Programmatiken.

Und auch Jörg Haider (vgl. ders. 2001) hat diese These gern akzeptiert und stellte zur Wahl 1999 fest:

„Die FPÖ ist zur stärksten Arbeiterpartei geworden. (...) Opportunistisches Taktieren zwischen Schröder’s Neoliberalismus und den altmarxistischen Klassenkampfparolen von ewiggestrigen Gewerkschaftsfunktionären wurde von der Arbeiterschaft durchschaut.“ Haider artikuliert im weiteren Argumentationsgang dieser Rede den Erfolg der FPÖ mit Rassismus, Anti-Intellektualismus und der Gegenüberstellung der leistungswilligen ‚Arbeiterschaft’ zur steuerlichen Belastungspolitik der Großen Koalition.

Mit Blick auf die bürgerlich-liberale Öffentlichkeit ist noch einmal daran zu erinnern, dass W.F. Haug vergleichbare Argumentationsfiguren bezüglich des Erfolges der NSDAP schon in den 60ern als hilflosen Antifaschismus charakterisiert hat. Daher ist zu vermuten, dass sich in der willigen Übernahme dieser Interpretationslinie, das Bedürfnis zur Entlastung des bürgerlichen, konservativ-katholischen Lagers und dessen Traditionslinien, mit moralischen Distinktionsstrategien, die sich aus der gern zur Schau gestellten Abscheu vor dem Populismus der FPÖ und Jörg Haiders speisen, paart.

Dass die These von der FPÖ als Arbeiterpartei hegemonial geworden ist, zeigte sich aber auch daran, dass sie von weiten Teilen der Linken übernommen und akzeptiert wurde[ii]. Dies gilt zum einen für eher traditionalistisch orientierte Organisationen (Sozialistische Offensive Vorwärts (vgl. Bonvalot 1997), Arbeitsgruppe Marxismus (vgl. dies., 1999)). Diese gehen natürlich davon aus, dass es sich bei der FPÖ als Arbeiterpartei um einen ‚Mythos’ handelt und dass es nicht um die sogenannten eigentlichen Interessen der Arbeiter, sondern nur um ihre Stimmen gehe. „Andererseits und vor allem macht eine elektorale Unterstützung durch erhebliche Teile der Arbeiterklasse, zu der für uns übrigens auch die meisten Angestellten und viele öffentliche Bedienstete gehören, eine Partei noch nicht zur Arbeiterpartei. Diese ArbeiterInnen machen ihr Kreuz nicht aus einem Klassenbewusstsein heraus, dass das Proletariat eine eigene Partei braucht. (...) Anders als tatsächliche Arbeiterparteien organisiert die FPÖ die Lohnabhängigen nicht als solche[iii].“ (Arbeitsgruppe Marxismus, 1999). Kurz gesagt, die Klasse an sich mag die FPÖ wählen, die Klasse für sich, würde das nicht tun.

Für die traditionalistische Linke sind auf der Basis einer marxistischen Kritik, die ‚Interessen’ der ArbeiterInnenklasse quasi objektiv erkennbar bzw. durch die Organisation erkannt. Erlangen die ArbeiterInnen nicht das Bewusstsein davon, dann hat das eine Reihe von Ursachen. Diese reichen vom Verrat der reformistischen Organisationen bis zur Manipulation durch Überbauinstanzen der bürgerlichen Gesellschaft

In postmodernen wie werttheoretischen Zeiten ist es hingegen grundsätzlich nicht en vogue, sich über Klassenverhältnisse den Kopf zu zerbrechen und so wurde These von der FPÖ als Arbeiterpartei auch von diesen Strömungen der Linken angenommen, oft ohne die ÖVP auch nur wahrzunehmen.

So ging etwa Heribert Schiedel von einer gemeinsamen Basis der FPÖ und der SPÖ aus.  Ersterer sei es auf ideologischer Ebene gelungen, letztere als Vertretung der ‚kleinen Leute’ abzulösen.

“Während es die Sozialdemokratie in der fordistischen Blütezeit vermochte, die "kleinen Leute" vor allem über materielle Transferleistungen an sich und den Staat zu binden, erfolgt die Integration nunmehr in erster Linie ideologisch.“

„Diese Einigkeit (zwischen SPÖ und FPÖ, R.A.) hat ihre Ursache nicht zuletzt in der weitgehend gemeinsamen sozialen Basis der beiden Parteien, den ArbeiterInnen. (...) Ihr Überlaufen zur FPÖ, die mit 47 % in diesem Segment nun voran liegt, ist in erster Linie mit rassistischen Einstellungen zu erklären.“ (Schiedel, 2000)

Und auch Stephan Grigat stellte nach dem Zusammenbruch der scharz-blauen Regierung noch einmal fest: „Die Freiheitlichen müssen den Spagat hinbekommen, einerseits die Verschlankung des Staats voranzutreiben und dennoch die Bedürfnisse der eingeborenen Pauper zumindest propagandistisch nicht völlig zu vernachlässigen. Der Wahlerfolg bei den letzten Nationalratswahlen wurde vor allem dadurch möglich, daß die FPÖ ihren Stimmenanteil bei den Arbeitern und Arbeiterinnen von 4 Prozent in den achtziger Jahren auf 47 Prozent steigern konnte. (Grigat, 2002)

Und, um das Bild noch abzurunden, sei hier auch noch auf eine post-marxistische Interpretation von Sebastian Reinfeldt verwiesen:

„Ende der 80er Jahre war die FPÖ - von ihrer Wählerstruktur her gesehen – eine Partei des militanten Mittelstands und Bürgertums. Binnen weniger Jahre hat sich diese Struktur verändert, und die FPÖ ist zu der Arbeiterpartei in Österreich geworden. Ein Wähleraustausch, über dessen Dynamik und Ursachen die Demoskopie bis heute rätselt. (...)

Wo Arbeiter früher gezwungenermaßen in die SPÖ eingetreten sind, um dadurch einen Platz im sozialen Wohnungsbau zu ergattern, wählt man jetzt die FPÖ, weil man zwar eine solche Wohnung hat, der symbolische und tatsächliche Wert dieser Wohnung aber unklar geworden ist und die alte Arbeiterpartei SPÖ einen bei der Bewältigung der anderen Probleme des Lebens (z.B. am Arbeitsplatz) nicht mehr protegieren kann. „Schließlich hat man ja sowieso niemals wirklich an die Ideologie der SPÖ geglaubt.“ (Reinfeldt, 1998)

Erstaunlich ist, dass in beiden Interpretationen hervorgehoben wird, dass die Integration ideologisch oder diskursiv, als über Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus erfolgt. Das also beide davon ausgehen, dass ArbeiterInnen, eher als andere Schichten, sich dem anschließen.

Insofern Diskurse keiner Klasse zugerechnet werden können und als frei flottierende Signifikanten erscheinen, bzw. insofern sie allgemeine Bewusstseinsformen – ‚Basisideologien’ - spätbürgerlicher Gesellschaften sind, die sich aus der Wertvergesellschaftung ergebeben, ist die soziale Basis der FPÖ und die Veränderung der Klassenstrukturen in Österreich, und damit die unterschiedliche materielle Wirksamkeit dieser Diskurse oder Basisideologien aber letztlich uninteressant.

Demgegenüber muss betont werden, dass es nicht ausreicht, die Ergebnisse der politischen Soziologie in radikale theoretische Ansätze einzubetten und erstere gar zur Unterstützung der eigenen Thesen heranzuziehen. Eine halbierte Rationalität kann keine ganze werden, indem man daran kritische Theorien mit Wahrheitsanspruch heftet.

Dass gerade in den letztgenannten Positionen, die sowohl aus poststrukturalistischer Perspektive, wie auch aus der Beschäftigung mit Kritischer Theorie fähig sein müssten, zu einer kategorialen Kritik der der Demoskopie und ihrer Ergebnisse zu gelangen, eine Übernahme der Ergebnisse der Wahlforschung erfolgt, ist daher unverständlich.  

Elemente einer Kritik der politischen Soziologie in Österreich 

Wie bereits angeführt, ist die These von der FPÖ als Arbeiterpartei zweidimensional. Einerseits ist sie eine sozialstrukturell orientierte Aussage über das Wahlverhalten einer gesellschaftlichen Gruppe, andererseits verbindet sich damit eine Einschätzung der politischen Situation – v.a. im Hinblick auf die Krise der traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, insbesondere der SPÖ. Das heißt, der in sogenannten repräsentativen Wahltagsbefragungen ausgewiesene hohe Anteil der FPÖ an ArbeiterInnen wird als Wählerstrom von der SPÖ zur FPÖ identifiziert. Dies wird außerdem durch Ergebnisse der sogenannten ‚ökologischen (also statistischen) Wählerstromanalysen’ (vgl. Hofinger et al, 2000) unterstützt.

Im folgenden sollen Elemente einer Kritik wesentlicher Grundlagen der empirischen Analyse des Wahlverhaltens der ArbeiterInnen in Österreich zusammengetragen werden. Auf der einen Seite soll eine Kritik der den umfragegestützten Analysen zugrunde liegenden Kategorien und Kategorisierungen versucht werden. Da dieser Beitrag die Frage der FPÖ als Arbeiterpartei behandelt, möchte ich v.a. die Kategorie Arbeiter, wie sie in diesen Umfragen verwendet wird, hinterfragen. Auf der anderen Seite möchte ich zeigen, dass sich auch aus einer kritischen Verwendung des von den Analysen der statistischen Apparate gewonnen Materials Argumente zusammentragen lassen, die die These von der Arbeiterpartei und ihre expliziten und impliziten politischen Implikationen erschüttern können. Die zu entwickelnde Kritik der Methoden der Wählerforschung, wie auch die kritische Bezugnahme auf statistisches Material wird daher teilweise fast technisch erscheinen. Es ist jedoch festzuhalten:

„The attempt to develop empirical research agendas firmly rooted within not only the categories, but the logic, of Marxist theory. Such an approach would reject the positivist premise that theory construction is simply a process of empirical generalization of law-like regularities, but would insist that Marxist theory should generate propositions about the real world which can be empirically studied.” (Wright, 1979: 10)

In Ermangelung empirisch fundierter kritischer Untersuchungen zu Wählerbewegungen und der bisherigen Basis der FPÖ kann jedoch keine alternative Interpretation angeboten werden. D.h. es kann hier nicht das Gegenteil, also dass die ArbeiterInnen progressiv oder gar antifaschistisch wählen würde, bewiesen werden. Die Kritik an der These, dass zwischen dem sozialen Status Arbeiter und die Entscheidung FPÖ zu wählen ein Zusammenhang besteht, kann nur zur Aussage führen, dass dieser Zusammenhang in Zweifel zu ziehen ist. Es geht daher nicht um eine Rettung und Entlastung der ArbeiterInnen, anstatt sie mit ihrem Rassismus und Antisemitismus zu konfrontieren, sondern vielmehr darum, aufzufordern, kritische Analysen zur WählerInnenbasis der FPÖ (vgl. Poglia et al 2002), wie auch der Klassenstruktur im allgemeinen zu versuchen.

Ausgangspunkt für diesen Artikel, stellte folgender Widerspruch dar. Auf der einen Seite behaupten politische Soziologie und Wahlforschung eine massive Auflösung der traditionellen Lagerbindungen und die Zunahme der WechselwählerInnen, die im sogenannten politischen Wettbewerbsraum wie KonsumentInnen Produkte (i.e. Parteien) auswählen. Die Pluralisierung des Parteiensystems– vom 2,5-Parteien-, zum 4(5)-Parteiensystem– scheint diese Annahme zu unterstützen. Auf der anderen Seite zeigt sich gerade auf der Ebene der Nationalratswahlen trotz dieser Pluralisierung eine relativ geringe Rechts-Links-Volatilität, wie das auf politikwissenschaftlich genannt wird. Dementsprechend hat sich bis Mitte der 90er Jahre das Verhältnis zwischen dem Mitte-Links Lager (SPÖ, Grüne und aufgrund seiner ursprünglich linksliberalen gesellschaftspolitischen Ausrichtung das LIF) und dem konservativen, rechten Lager (ÖVP und FPÖ) kaum verändert. Zwischen 1986 und 1995 lag letzteres konstant um 2-3% vorn (vgl. Schedler 1995, Plasser/Ulram, 2000). Dies drückte sich, trotz sinkender Wahlbeteiligung - bei steigender Zahl der Wahlberechtigten - in der relativ stabilen absoluten Stimmenanzahl für beide Lager aus.[iv] Die sinkende Wahlbeteiligung lässt jedoch auf eine wachsende Repräsentationskrise des politischen Systems schließen. Dies hat sich auch in der Wahl 2002 nicht geändert, auch wenn sich die Gewichte innerhalb der politischen Lager verschoben haben. 

Versuch einer Kritik der ‚ökologischen’ oder statistischen Wählerstromanalysen 

„Wenn eine Partei bei der Wahl 1999 im Durchschnitt genau in jenen Gemeinden stark ist, wo eine andere Partei 1995 stark war, interpretieren wir das als einen Hinweis darauf, dass viele Wähler zwischen diesen Parteien gewechselt haben. Das Verfahren dazu heißt multiple Regression. ‚Regression’, weil wir die Parteienergebnisse von 1999 auf die Parteienergebnisse von 1995 regredieren (zurückkommen) lassen, und ‚multipel’, weil wir das Ergebnis bei der Wahl 1999 gleichzeitig mit allen Parteienergebnisse der Wahl 1999 in Beziehung setzen.“ (Hofinger et al, 2001: 118)

Ökologische Wählerstromanalysen sind quasi rein statistisch,  und erscheinen objektiver als Umfragen und Exit Polls. Nach Hofinger/Ogris (vgl. dies. 1996a: 315) gibt es keine Probleme der Datenerhebung per Survey, wie etwa Stichprobenfehler, Antwortverweigerung, falsche Angaben. Sie sind auch auf längst vergangene Wahlen anwendbar und immer wieder verbesserbar. Sie können Nichtwähler berücksichtigen und Ergebnisse nach regionalen oder politisch-strukturell ausgewählten Gemeindegruppen liefern. Außerdem ist die Datenbasis umfangreicher und das zu untersuchende Zielverhalten (Wahlentscheidung) klar erfasst.

‚Ökologische Wählerstromanalysen’ operieren jedoch nur mit Aggregatdaten und Aussagen für Individuen und deren Motive sind daher unzulässig. Hofinger/Ogris verweisen außerdem darauf, dass demographische Veränderungen des Wahlkörpers, die sich aus Wanderungen der Bevölkerung, aber auch den Generationswechsel (Volljährigkeit, Todesfälle) ergeben, nicht berücksichtigt werden können.

Genau hier beginnt nun m.E. das Problem dieser Analysen. Es wurde meines Wissens nicht versucht, diese demographischen Veränderungen für eine Wahlperiode (also 4 Jahre) zu quantifizieren, wofür z.B. ein Blick in das Statistische Jahrbuch Österreichs (vgl. Statistik Austria 2001) genügen würde. Demographische Veränderungen ergeben sich einerseits aus dem Generationswechsel, andererseits aus den Wanderungsbewegungen der Bevölkerung. Auch die geografischen Wanderungsbewegungen betreffen v.a. jüngere Generationen, weswegen natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass eine bestimmte Zahl von Personen in einer Wahlperiode mehrmals ihren Wohnort wechselt. Der Generationswechsel ist in den jährlichen Analysen der Todesfälle und Alterskohorten nachzulesen und beträgt demnach etwa 80.000 Personen

Die demographischen Dynamiken durch Veränderungen des Wohnorts sind in den Statistiken zu den Wanderungsbewegungen über Gemeindegrenzen hinaus zu finden. Im Schnitt findet eine jährliche Wanderungsbewegung über Gemeindegrenzen hinaus von etwa 230-240.000 Personen statt.

Die Einschränkung bezüglich der Wanderung  ist wichtig, da das in weiterer Folge bedeutet, dass die Wanderungen in den Städten nicht berücksichtigt sind. Es gibt aber Analysen der Wanderungen über Bezirksgrenzen hinaus für Wien. So werden für das Jahr 1999 in Wien Wanderungen von mehr als 150.000 Personen errechnet. Würde man schon ohne die Wanderungen innerhalb der Städte einen Wert von 1,2 Mio erreichen[v], so erhöht sich diese Zahl alleine mit den Wanderungen in Wien um noch mal mehr als eine halbe Million. Man kann also alles in allem davon ausgehen, dass nach 4 Jahren an die 1,8 Mio Personen ihren Wohnort verändert haben. D.h. möglicherweise mehr als 30% (!) der Wahlberechtigten haben innerhalb einer Wahlperiode ihren Wohnort gewechselt. Wie auf dieser Basis eine auf Sprengelergebnissen – also relativ kleinen Einheiten - beruhende Analyse durchgeführt werden kann, ist mir schleierhaft.[vi] 

Versuch einer Kritik der politischen Umfrageforschung und ihrer Kategorien 

Nach den Analysen von Fessel Gfk (vgl. Plasser et al 2000)) hatte sich der Anteil der FPÖ an der ArbeiterInnenschaft von 1983 bis 1999 von 3 % auf 47 % gesteigert. Der Anteil der SPÖ hingegen hatte sich von 61 % 1983 auf 35 % 1999 reduziert. Der Anteil der ÖVP an den ArbeiterInnen betrug 1983 28% und 1999 12%. Auch wenn die Daten insgesamt nicht ganz eindeutig sind  - die addierten Prozentsätze der drei Parteien ergeben für 1983 nur 92%, 8% ArbeiterInnenwähler sind irgendwie abhanden gekommen – lässt sich daraus schließen, dass sich etwa ein Drittel der ArbeiterInnen traditionell der politischen Rechten zuordnete.[vii]

Welche Kritikpunkte können nun vorgebracht werden? Neben Problemen der Stichprobenauswahl, Fragestellung, Antwortbereitschaft, Richtigkeit der Antworten (s.o.) ergeben sich, selbst wenn man innerhalb der Parameter der umfragegestützten Methoden verbleibt, eine Reihe von Fragen.[viii] Die Umfragen erfragen zwar das gruppenspezifische Wahlverhalten, treffen jedoch keine Aussagen über die Wahlbeteiligung der verschiedenen sozialen Schichten. Einige Analysen lassen jedoch den Schluss zu, dass die Wahlenthaltungen bei ArbeiterInnen besonders groß sind (vgl. Hofinger/Ogris, 1996). Diese Gruppe fühlt sich also im politischen System immer weniger repräsentiert, was sie aber noch nicht zur Basis der FPÖ macht. Würden Einschätzungen der Wahlbeteiligung vorliegen, dann könnten die Ergebnisse der Parteien in Relation zur Gesamtzahl der ArbeiterInnen gesetzt und damit festgestellt werden, ob die Rechte heute tatsächlich einen größeren Teil an sich ziehen kann. Dazu kommt noch, dass heute etwa 20% der ArbeiterInnen (in den Städten an die 30-35%) MigrantInnen sind und gar nicht wählen dürfen. Etwa 90% der MigrantInnen aus der Türkei und dem ehemaligen Yugoslawien sind als Arbeiter – überwiegend als un- und angelernte (vgl. Statistik Austria 2001) und kaum Facharbeiter – eingestuft.

Versucht man aus dem Strukturprofil der Parteien, das Plasser et al angeben, an die Gesamtzahl der Arbeiterwähler für die Rechte ranzukommen, so kommt man auf grob 420.000 (340.000 für die FPÖ). Mit Blick darauf, dass bis zum Aufstieg der FPÖ meist ungefähr ein Drittel (oder mehr) der ArbeiterInnen für die Rechte gestimmt hat, so lässt dieses Ergebnis nicht die Schlussfolgerung zu, dass die Gesamtzahl dieser Stimmen etwa seit Ende der 70er absolut gewachsen ist. Es hat aber auf der einen Seite eine Radikalisierung von ArbeiterInnen nach rechts, auf der anderen eine Abwendung der ArbeiterInnen vom politischen System und den traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung gegeben.

Zielführender als eine differenziertere Interpretation scheint es, die sozialen Kategorien, die diesen Analysen zugrunde liegen, grundsätzlich zu hinterfragen. Plasser et al (vgl. dies. 2000) verwenden ein sehr grobes Raster sozialer Differenzierung in den Umfragen des Fessel-Gfk Instituts. Aufgrund der zentralen Bedeutung, die sie dem sogenannten ‚Working class realignment’ zuschreiben, gehören ‚berufsspezifische’ Kategorien wie Arbeiter(Innen) und Angestellte zu ihren wesentlichen Variablen. Diese können jedoch nur bedingt als sozialwissenschaftliche Kategorien zur Verortung bestimmter Personengruppen im gesellschaftlichen Gefüge angesehen werden.

Einerseits ergibt sich die Zuordnung eines Befragten aus subjektiven Selbsteinstufungen im Erhebungsprozess. Es kann angenommen werden, dass dies ihrer Einstufung im Arbeitsrecht entspricht. Das heißt vereinfacht, dass sich die Kategorie Arbeiter (und andere Gruppen, wie Angestellte, Selbständige etc.) nach Plasser et al nur bedingt aus ihrer Position im Produktionsprozess ergibt. Daher hat diese Kategorisierung auch wenig zu tun mit kritischen klassentheoretischen Ansätzen oder auch elaborierteren sozialwissenschaftlichen Analysen.[ix] 

Das Rechtssystem im allgemeinen, wie das Arbeitsrecht im besonderen können als Ideologische Staatsapparate verstanden werden, die Personen ‚anrufen’, ihnen damit eine bestimmte Identität geben und bestimmte Praktiken, zuschreiben, ermöglichen aber auch verwehren (vgl. Jessop 1990). In der österreichischen Gesellschaft ist die arbeitsrechtlich definierte Kategorie Arbeiter daher zuallererst eine historisch spezifische, ideologische Position. Es ist daher richtig, wenn Dimitz et al (vgl. 1995) hervorheben, dass das „Arbeitsrecht das Ergebnis eines historischen politischen Prozesses (...) in dem die Herausbildung kollektiver Akteure, deren Ziel und Durchsetzungsfähigkeit sowie insbesondere das Zusammenwirken von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und staatlichen Instanzen eine wesentliche Rolle spielen.“ (Dimitz et al 1995: 11)

Diese ins Juridische gegossenen Definitionen verschiedener Gruppen von ArbeitnehmerInnen sind Medium und Ergebnis der widersprüchlichen Verhältnisse zwischen Lohnarbeit und Kapital. Auf der deskriptiven Ebene kommt ihnen aber kein erklärender und analytischer Charakter zu. Eine klassentheoretisch fundierte Analyse muss vielmehr versuchen, diese Kategorien selbst als relevante Dimensionen im Prozess der Formierung einer Klassengesellschaft zu verstehen. Es ist absurd anzunehmen, dass im österreichischen Arbeitsrecht eine Kategorie von Lohnabhängigen kodifziert ist, der marxistisch orientierte Theorien einen potentiell systemtransformierenden Charakter zuschrieben.

ArbeiterInnen erscheinen im österreichischen Arbeitsrecht als ‚Restgröße’, also als ArbeitnehmerInnen, die nicht Angestellte sind. Die Kodifizierung der Arbeiter- und Angestelltenpositionen erfolgte im Jahr 1859, die in der Fassung von 1973 Ende der 90er Jahre noch gültig war (vgl. Dimitz et al 1995). Aufgrund des Problems, Arbeiter- und Angestelltentätigkeiten zu unterscheiden, erwiesen sich die Definition nach Tätigkeitsmerkmalen als schwierig. In der Gewerbeordnung von 1859 erfolgte sie durch Aufzählung. Zu den ArbeiterInnen zählten demnach Handlungsgehilfen, Gesellen, Kellner, Kutscher, Fuhrgewerben, Fabriksarbeiter und Lehrlinge, sowie Hilfsarbeiter, worunter Personen zu verstehen sind, welche zu untergeordneten Hilfsdientsten’ verwendet werden. Außerdem werden auch ArbeiterInnen dazugerechnet, die ‚Lohnarbeiten gemeinster Art’ verrichten, außerdem Land-, Berg-, Bäckerei- und Bauarbeiter, sowie fallweise Hausgehilfen. 

„Einen positiven Arbeiterbegriff kennt das österreichische Arbeitsrecht nicht, Arbeiter ist vielmehr jener Arbeitnehmer, der nicht Angestellter ist. Angestellter hingegen ist, wer kaufmännische, höhere nichtkaufmännische und Kanzleidienste leistet. Eine eindeutige Abgrenzung ist damit (...) kaum zu leisten.“ (Dimitz et al., 1995: 20)

Der Angestelltenbegriff im österreichischen Rechtssystem erleichtert daher die Analyse nicht, da er in teils deskriptiven und teils wertenden Einschätzungen kodifiziert ist. In der Abgrenzung etwa zu den ArbeiterInnen scheint die überkommene Unterscheidung von Hand- und Kopfarbeit durch, die nicht zuletzt durch eine Reihe von ökonomischen Veränderungen (neue Technologien, Wachstum des Dienstleistungssektors) hinfällig geworden ist, durch. 

Schlussfolgerungen 

Der Erfolg der FPÖ in den 90ern und in weiterer Folge die Rekonstituierung der Hegemonie der ÖVP bei den Wahlen 2002 werfen daher ein grundlegendes Problem für eine klassentheoretische Analyse der österreichischen Gesellschaft und der politischen Entwicklungen auf.

Die klassentheoretischen Debatten der letzten Jahre haben gezeigt, dass es nicht ausreicht, Klassen allein über das (juristische) Eigentum an den Produktionsmitteln und die Aneignung von Mehrarbeit/Mehrwert zu definieren (vgl. Lipietz, 1992). Zwar kaufen ArbeitgeberInnen am Arbeitsmarkt die Arbeitskraft als Potential, diese realisiert sich jedoch nicht von selbst in lebendiger Arbeit. Die Kapitalseite steht daher vor dem vordergründig banalen Problem, wie sie die ArbeiterInnen zum Arbeiten bringen soll. Dies ist Grundlage des sogenannten ‚Kontrollproblems’ und der damit verbundenen Spaltung des Produktionsprozesses in planende und ausführende Tätigkeiten, also den Kampf um das Kommando in der Fabrik. Es geht also darum, wer in welchem Ausmaß über die eigene, wie auch die Arbeit anderer entscheiden kann. Dieser Prozess ist als sozialer Konflikt aufzufassen und führt zu einer relationalen Klassentheorie, der natürlich  die Frage der Eigentumsverhältnisse, wie auch der Wertförmigkeit der Arbeit umfasst.

Der Kampf um den kapitalistischen Arbeitsprozess und die Kontrolle der Produktion durch das Management, also die planende Seite, macht daher die sogenannte Polarisierungsthese der Klassentheorie, wonach in der Entwicklung des Kapitalismus sich die Klassengegensätze vereinfachen, bis sich schließlich nur noch Bourgeoisie und Proletariat gegenüberstehen, hinfällig. Insofern die Spaltung des Produktionsprozesses in planende und ausführende Tätigkeiten nie vollständig ist und jede Arbeitstätigkeit, wie vereinfacht und dequalifiziert sie auch sein mag, zumindest minimale intellektuelle Anteile hat (vgl. Gramsci, 1991ff), ist jede Klassenposition nur als widersprüchliche denkbar (vgl. Wright 1979) und erscheinen Klassenstrukturen eher als Kontinuum. Das heißt, neben dem Eigentum an den Produktionsmitteln sind die Verhältnisse der Lohnabhängigen untereinander zentral für eine kritische Theorie der Klassenverhältnisse. Das Klassenkontinuum wird erst durch staatliche (Arbeitsrecht, Parteien) und ideologische (Berufsausbildung, Nation etc.) Prozesse und Institutionen in unterscheidbare Großgruppen (soziale Schichten) strukturiert, die dadurch bspw. bestimmte Identitäten, Funktionen und Handlungsmöglichkeiten bekommen. In der sozialen Konstruktion der Lohnarbeit wird aber auch die veränderbare Grenze zur nicht-wertförmigen Arbeit, als zur Sphäre der Reproduktion aber auch Nichtarbeit gezogen. D.h. eine Analyse der Klassenverhältnisse muss die Familienstrukturen, wie auch die Übernahme reproduktiver Funktionen durch den Wohlfahrtsstaat, in dem sich innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft der Kampf um Nichtarbeit verdichtet, in die Analyse miteinbeziehen.

Die relative historische Beständigkeit dieser Institutionen steht nun der permanenten Restrukturierung der Klassenverhältnisse im Prozess der kapitalistischen Verwertung gegenüber und versucht, deren Widersprüchlichkeit zu regulieren. Soll der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen und Zusammenhänge es zwischen der Neuzusammensetzung der Klassen in der Krise des Fordismus und den politischen Verhältnissen gibt, so wären gegenwärtige Veränderungstendenzen der Klassenstrukturen zu berücksichtigen. Diese müssten die sogenannte Feminisierung der Arbeitswelt, also die Zunahme der weiblichen Erwerbstätigkeit, die in Österreich vorwiegend als Angestellte eingesetzt werden, erfassen. Weiters wäre auf die Arbeitsmigration zu verweisen, die wie gezeigt wurde, gerade mit Blick auf die Frage der Arbeiter in Österreich zentral ist. Auch die Zunahme sogenannter atypischer oder prekärer Beschäftigungsverhältnisse stellt einen wesentlichen Aspekt der Dynamik der Klassenverhältnisse dar. Außerdem ist auf die Erhöhung der Bildungs- und Qualifikationsgrade weiter Teile der Bevölkerung zu verweisen, die natürlich die Frage, wieweit jemand über seine Arbeit entscheiden kann, massiv beeinflussen.

Grundsätzlich gilt daher, dass die umfassende Veränderung der Arbeitsprozesse und damit der Klassenstruktur die Ablösung des auf Schwerindustrie und tayloristischer Fließbandarbeit beruhenden fordistischen Produktionsparadigmas bewirkt. Neue Technologien und Arbeitsformen und das Wachstum des Dienstleistungssektors tragen zu den umfassenden Veränderungsprozessen der Arbeit bei, die etwa in zunehmenden Maß immateriell und abstrakt wird. Das kann bspw. zu erhöhten Anforderungen an die Selbststeuerung der Lohnabhängigen etwa als Arbeitskraftunternehmer führen.

Wenn von einer immensen Variabilität und Widersprüchlichkeit der Klassenpositionen im Kapitalismus ausgegangen wird, dann wird etwa die Vorstellung eigentlicher Interessen der Lohnabhängigen, die sich direkt in politische Organisierung ausdrücken müssten, inadäquat. Ohne Bezugnahme auf diese Variabilität und permanente Neuzusammensetzung kann daher m.E. die politische Entwicklung in Österreich, die schließlich zum Wahlerfolg der ÖVP geführt hat, nicht verstanden werden. 

E-mail des Autors: rolandatzmuller/ at /hotmail.com

Literatur:

Dimitz, Erich und Jörg Flecker, Ulrike Pastner, Brigitte Schramm: (1995) Die soziale Lage, in: Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Red.: Hannes Spreitzer und Erich Dimitz, Bernhard Achitz: Arbeiter/innen und Angestellte. Diskussionsgrundlage für einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff. Wien, 11-31.

Gramsci, Antonio: (1991ff) Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe herausgegeben von Wolfgang F. Haug, Hamburg.

Grigat, Stephan: (2002) Der Rückzug zum Triumph. Jörg Haider und die Krise in der FPÖ, http://www.austria.indymedia.org/display.php3?article_id=14985

Haider, Jörg: (2001) Befreite Zukunft jenseits von links und rechts – Menschliche Alternativen für eine Brücke ins neue Jahrtausend. Reihe: Konzepte für Österreiche – Politica Edition, Wien.

Hofinger, Christoph und Günther Ogris: (1996a) Denn erstens kommt es anders... in: Khol Andreas; und Günther Ofner , Alfred Stirnemann (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 1995. Oldenburg, 55-71.

Hofinger, Christoph und Günther Ogris: (1996b) Wählerwanderungen: Ein Vergleich fünf verschiedener Wählerstromanalyse anlässlich der Nationalratswahl 1995, in: Plasser, Fritz (Hg.): Wahlkampf und Wählerentscheidung : Analysen zur Nationalratswahl 1995, Wien.

Hofinger, Christoph und Günther Ogris: (1996c) Kopf an Kopf – Wahlverhalten und Wählerströme bei der EU-Wahl und der Wiener Gemeinderatswahl 1996, in: Khol Andreas; und Günther Ofner , Alfred Stirnemann (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für Politik 1996. Oldenburg, 85-102.

Hofinger, Christoph und Marcelo Jenny, Günther Ogris: (2000) Steter Tropfen höhlt den Stein. Wählerströme und Wählerwanderung 1999 im Kontext der 80er und 90er Jahre, in: Plassser, Fritz und Peter A. Ulram, Franz Sommer (Hg.):  Das österreichische Wahlverhalten. Wien, 117-140.

Jessop, Bob: