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Beat
Weber/Petra Karlhuber - Ursprüngliche
Akkumulation im Postfordismus „Ursprüngliche
Akkumulation“ nennt Marx den Vorgang der Ansammlung von Kapital, „welche(r)
nicht das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, sondern ihr
Ausgangspunkt“ (MEW 23, 741). Er verweist auf den Prozess der Enteignung von
gemeinschaftlich bearbeitetem Grund und Boden – Einhegung von Gemeindeland,
Privatisierung der Kirchengüter, Verwandlung von Ackerland in Viehweide -, die
vorwiegend im 18. Jahrhundert mittels Überführung von Gemeinschaftsgütern in
Privateigentum den Grundstein für die Kapitalakkumulation legten. Ursprüngliche
Akkumulation impliziert Enteignung der ProduzentInnen früherer
Produktionsweisen und deren Vertreibung, was neben der Schaffung von
Privateigentum an Boden für die neuen Besitzer auch eine Masse von ihrer
Existenzgrundlagen beraubten Menschen schafft, deren einziges Heil in der
freien Lohnarbeit liegt. Diese Vorgänge schaffen zwar die Voraussetzung für den
Fortgang der kapitalistischen Produktionsweise, sind ihr aber nicht immanent,
d.h. sie vollziehen sich nicht nach den Gesetzen der Mehrwertproduktion,
sondern beruhen auf der Anwendung außerökonomischer Zwangsmittel – politisch
durchgesetzte Änderung geltender Rechtstitel und physische Gewalt. In der
marxistisch-leninistischen Interpretation bezieht sich die „ursprüngliche
Akkumulation“ auf eine historisch abgeschlossene Periode am Anfang der Durchsetzung
des Kapitalismus („enclosures“ in England, „Bauernlegen“ in Deutschland etc.). Andere
marxistische Traditionen hingegen gehen von einer Permanenz der „ursprünglichen
Akkumulation“ aus. ∙ Rosa
Luxemburg sieht die Fortsetzung der ursprünglichen Akkumulation im Verhältnis
der Industriestaaten zu den Kolonien und der dort stattfindenden Enteignung der
ProduzentInnen. ∙ Die
sog. „Bielefelder Schule“ um Maria Mies und Claudia von Werlhof analysiert die
Fortdauer auf weltweiter Ebene in Form von Enteignung kleiner ProduzentInnen,
Vertreibung von Bauern von ihrem Land und Patentierung von
Produktionsverfahren, technologische Trennung der Frauen von ihren Körpern
durch Reproduktionstechnologien und Privatisierung öffentlichen Eigentums sowie
fortschreitende Prekarisierung der Arbeitsbedingungen („Hausfrauisierung der
Arbeit“). (Werlhof 2000) ∙ Auch
Oskar Negt und Alexander Kluge (1993, 28ff.) unterstreichen die Permanenz des
ursprünglichen Akkumulationsprozesses, beziehen sich aber dabei (neben der
historisch erfolgten Enteignung der Bauern, was sie für Deutschland
nachzeichnen) insbesondere auf die beständige erzwungene Anpassung von
menschlichen Eigenschafen zur Verinnerlichung und Anpassung von Arbeitsvermögen
im Lichte der sich stets ändernden Anforderungen des Produktionsprozesses
(Untertitel des ersten Bandes von „Geschichte und Eigensinn“: „Entstehung der
industriellen Disziplin aus Trennung und Enteignung“). Die Tradition
des „autonomen Marxismus“ bezeichnet die neoliberale Offensive als Antwort auf
die Krise der siebziger Jahre als weltweite Durchsetzung von „new enclosures“.
„Die enclosures sind kein einmaliger Prozess, sondern struktureller Bestandteil
des Klassenkampfes. Jeder Sprung proletarischer Macht verlangt eine dynamische
kapitalistische Antwort: sowohl die erweiterte Aneignung neuer Ressourcen und
neuer Arbeitskraft, als auch die Entwicklung der kapitalistischen
Verhältnisse.“ (Midnight Notes 1990, 40). Aktuell bedeutet das die Verminderung
sozialer Rechte in den Industriestaaten, Verlust natürlicher gemeinschaftlicher
Güter, Enteignung von Land in der Peripherie, Aneignung eines Landes über
„Strukturanpassungs“-Auflagen zum Abbau von Auslandsschulden. Auch die
Erfassung der „ganzen Persönlichkeit“ der ArbeitnehmerInnen in postfordistischen
Dienstleistungsindustrien wird dazu gezählt: „Denn das körperlich und
persönlich Normale, das den Großteil des Proletariats nichts gekostet hat, wird
für alle sichtbar immer mehr enteignet. Erscheinung und Benehmen werden immer
mehr zu Aspekten des Arbeitsprozesses in den so genannten
„Dienstleistungsindustrien“.“ (Midnight Notes 1990, 45). In dieser Tradition stehen Hardt und Negri, die in „Empire“ (S. 300)
daran erinnern, dass „there has been a continuous movement throughout the
modern period to privatize public property“. Was ist darunter aktuell eigentlich zu verstehen? Zentrale
Vorgänge der letzten Jahrzehnte im Bereich Politik und Ökonomie können als
Bemühungen zur Durchsetzung „ursprünglicher Akkumulation“, neuer Einhegungen
von Gemeingut zur Durchsetzung einer neuen postfordistischen Produktions- und
Regulationsweise gesehen werden. Leitsektoren des Postfordismus versuchen,
gemeinschaftliche Ressourcen in Privateigentum zu überführen und somit
verwertungsfähig zu machen. Sie sind dabei auf Politik angewiesen. Aufgrund der
vorwiegend immateriellen Natur der betroffenen Ressourcen spielen sich diese
Versuche vorwiegend über ein Bemühen zur Ausdehnung des Begriffs des geistigen
Eigentums ab. Drei Bereiche sind dabei zentral: Informationstechnologie, Biotechnologie
und kulturelle Zeichen. Informationstechnologie Die
Informationstechnologie und die ihr eigene Form der Kooperation bilden laut
Hardt/Negri das paradigmatische Modell postfordistischen Wirtschaftens: „Just
as modernization did in a previous era, postmodernization or informatization
today marks a new mode of becoming human. Where the production of
the soul is concerned [...], one really ought to replace the traditional
techniques of industrial machines with the cybernetic intelligence of information
and communication technologies” (Hardt/Negri 2000, 289), “The computer and communication revolution
of production has transformed laboring practices in such a way that they all
tend toward the model of information and communication technologies” (ebd.,
291). Kein Wunder, dass
die Aneignung der Kontrolle über die Steuerungspläne, die Software, zum
zentralen Feld aktueller Privatisierungsbestrebungen zählt. Zu Beginn der
Computerentwicklung stellte Software keinen eigenen Markt dar, sondern wurde
zum eigentlichen Produkt, der Hardware, mitgeliefert. Was darüber hinaus
benötigt wurde, erstellten sich die AnwenderInnen selbst. Deren Organisierung
in User-Groups zur gegenseitigen Unterstützung wurde von Computer-Unternehmen
auch durchaus gefördert. Auch an den
Universitäten war es üblich, die dort entwickelten Programme frei zu
verbreiten. Erst in den 70ern entwickelte sich ein eigenständiger Markt für
Software, Software wurde zur Ware. Software-Firmen entstanden als Ableger der
Hardware-Anbieter, Software-EntwicklerInnen an Universitäten verließen diese,
um eigene Firmen zu gründen[1]
(Zur Geschichte der Software-Entwicklung siehe Grassmuck 2000, 26ff.). Mit dem Einzug
von Computern in Privathaushalte (Entwicklung des IBM-PCs und darauf
basierender Klone ab 1981) begann auch das große Geschäft mit Software. Die
Schließung des Zugangs zum Source Code[2]
und die Aneignung über Copyrights und Patente waren die Folge. Das
eigentliche Produkt, das ausführbare Programm, geht nicht in das Eigentum der
KäuferInnen über, sondern wird über Lizenzierungen vertrieben und damit zur
Nutzung überlassen. Wie diese Nutzung aussieht, ist verschieden und in den
jeweiligen Nutzungsbedingungen, den Lizenzen, festgelegt. Das Kopieren und die
Weitergabe von kommerzieller, durch Copyrights geschützter, Programme ist
selbstverständlich verboten. Die Tatsache, dass bestimmte kommerzielle Software
auch gratis vertrieben wird[3],
teilweise das Anfertigen von „Raubkopien“ für private Zwecke nicht geahndet
wird und es Strategien gibt, bestimmten BenutzerInnengruppen (etwa
StudentInnen) bessere Konditionen zu bieten als anderen, steht nicht im
Widerspruch dazu, sondern dient der besseren Marktdurchdringung und der
Erzielung positiver Netzwerkeffekte. Sobald dies nicht notwendig erscheint
(insbesondere im Stadium fortgeschrittener Marktdurchdringung eines Produktes),
wird an der Durchsetzung von geistigem Eigentum an mehreren Fronten gearbeitet.
Ziel des internationalen Industrieverbandes „Business Software Alliance“ (BSA)
ist es z.B. einerseits, sowohl mit „Aufklärungsprogrammen“ als auch mit
gezielter Strafverfolgung die weltweiten „Raubkopien“ einzudämmen. Auf der
anderen Seite unterstützt der Verband in über 60 Ländern die Schaffung
entsprechender Urheberrechtsgesetze und deren Durchsetzung. Auch an technischen
Möglichkeiten der Durchsetzung von Copyrights wird in letzter Zeit vermehrt
gearbeitet. Seit 1981 kann
in den USA Software zum Patent angemeldet werden. In der Europäischen
Patentübereinkunft sind bisher "Programme für
Datenverarbeitungsanlagen" von der Patentierbarkeit explizit
ausgeschlossen und nur auf Umwegen - in Verbindung mit einer technischen
Anwendung - schutzfähig. Allerdings wird in der EU im Zuge der Harmonisierung
des europäischen Urheberrechts über eine Richtlinie zur Patentierbarkeit von
Software beraten. Seit Februar diesen Jahres liegt ein Richtlinienvorschlag der
EU-Kommission über die "Patentierbarkeit computerimplementierter
Erfindungen" vor. Dem gegenüber
steht nach wie vor die Tradition der freien Software. Wobei "frei"
bei "freier Software" nicht unbedingt gratis bedeutet, sondern
der/die BenutzerIn hat Zugang zum Source-Code und die Freiheit, das Programm
für alle Zwecke einzusetzen, zu verändern, es beliebig weiterzuverbreiten. Die
einfachste Form, ein Programm frei weiterzugeben wäre, es "public
domain", also ohne Copyright zu veröffentlichen[4].
So wäre es aber möglich, dass jemand ein freies Programm als Grundlage für die
Entwicklung von proprietärer Software verwendet, die nicht mehr frei zugänglich
ist. Deshalb verfolgt die Free Software Foundation das Konzept des
"Copyleft", das durch eine spezielle Art der Lizenzierung ("General
Public License") dafür sorgt, dass jede/r, die/der freie Software
weiterverbreitet - verändert oder nicht - diese Freiheiten ebenfalls
weitergeben muß[5]. Dabei geht
es Richard Stallman und der Free Software Foundation darum, den
gesellschaftspolitischen Anspruch des freien Zugangs, des Teilens und der
Kooperation zu verbreiten und eine Landnahme durch geistiges Eigentum zu verhindern
(Stallman 1994). Copyright und
Patente stehen aber nicht nur der Idee von freiem Zugang zu Wissen entgegen, es
scheint, als entwickelte sich die Aneignung intellektuellen Eigentums zum
Knebel für Innovationen und damit für die kreative Entwicklung des Kapitalismus
selbst. So argumentiert etwa die "Open-Source"-Bewegung damit, dass
es für eine effiziente Entwicklung von Software ohne Beschneidung der
Kreativität notwendig ist, dass Software eine freie Ressource ist[6].
Gerade die
innovativsten Projekte im Bereich der Informationstechnologien sind nicht
Ergebnis der eigentumsrechtlich geschützten Forschung von Unternehmen. Das
Internet z.B. verdankt seinen Erfolg einer frei verfügbaren, offenen
Netzarchitektur und basiert grundlegend auf der Offenheit seiner technischen
Standards: Die Realisierung der für das Internet charakteristischen
Paketvermittlungstechnik ist von Beginn an ein kollektives Projekt gewesen. Der
Source-Code von HTML-Seiten im World Wide Web ist für jede/n zugänglich. Bei
der Entwicklung von Software geht es allerdings meist weniger um die Erfindung
von grundsätzlich Neuem, als um einen kontinuierlichen Prozess der
Verbesserung, des Aufbauens auf bereits Vorhandenem und dessen
Weiterentwicklung. Dabei stellt sich grundsätzlich die Frage, wer der/die
UrheberIn eines Werkes ist, das durch einen kumulativen Prozess entstanden ist
und durch Interaktion mit den NutzerInnen immer wieder verändert wird. Software
kann – wie alle digital vorliegenden Daten – ohne Qualitätsverlust und
Beeinträchtigung für andere NutzerInnen kopiert werden. Der Umstand, dass
technische Schutzmechanismen von Copyrights sofort umgangen werden und sehr
viele Menschen – nicht nur HackerInnen -
Software „unberechtigt“ kopieren und einsetzen, zeigt, dass viele sie
als öffentliches Gut betrachten und den Anspruch auf Eigentum in diesem Bereich
nicht anerkennen, somit auch ohne jegliche Politisierung Widerstand gegen die
private Landnahme leisten. Noch
umstrittener als die Frage nach der Berechtigung von Copyrights ist die Frage,
ob Software patentierbar sein sollte. Dem erklärten Zweck der durch Patente
gewährten Eigentumsrechte – Förderung des technischen Fortschritts - wird jedenfalls nicht gedient, im Gegenteil
(Stallman 2002)[7]. Die Wirkung
von Patententen auf Software liegt vielmehr darin, das Auftauchen
von KonkurrentInnen am Markt zu verhindern (mehr zu Patenten, ihrer Geschichte und Wirkung
siehe Gröndahl 2002). Biotechnologie Die
fortschreitende industrielle Anwendung der Gentechnologie in den Bereichen
Nahrungsmittelproduktion, Medizin und Pharma erfordert politisch-rechtliche
Rahmenbedingungen, die den Zugriff auf und die profitable Verwertung von
genetischen Ressourcen möglich macht. Die life science industry hat daher
Interesse an einer Ausweitung des Patentrechts, die ihr das Privateigentum an
Ressourcen sichert, die bislang in niemandes Eigentum standen. Eine
Besonderheit dieser Ressourcen ist, dass sie sich zu einem Großteil im Süden
der Welt befinden, wohingegen die interessierten Unternehmen vorwiegend im
Norden angesiedelt sind. Diese Konstellation macht die Regelung der
Verfügungsrechte zu einem internationalen Verteilungsproblem, einem governance
Problem des Empire, das im Lauf der Zeit zu einer Proliferation internationaler
Abkommen geführt hat, die diese Konflikte institutionell bearbeiten. Dazu
zählen die Biodiversitätskonvention von Rio, das TRIPS-Abkommen im Rahmen des
GATT zum Schutz geistigen Eigentums und das „International Undertaking on Plant
Genetic Resources“, ein Abkommen im Rahmen der FAO. Die Verteilung der Nutzen
aus diesen Kompromissen ist dabei laufend umkämpft – die Tatsache, dass die
Industrie zu einem Teil auf die Bevölkerung des Südens angewiesen ist[8],
sichert dieser eine bessere Verhandlungsposition als in anderen
Konstellationen: So war die Anerkennung der so genannten „farmers rights“ ein
wichtiges Element des FAO-Abkommens. Gemäß der im
Empire vorherrschenden Methode von Herrschaftsausübung wird eine Vielzahl von
AkteurInnen (Staaten, NGOs, Industriegruppen) in die Kompromissbildung
einbezogen, die letztlich die Aneignung des „grünen Goldes der Gene“ durch die
Agrar- und Pharmaindustrie sichert, in dem Rechts- und Planungssicherheit für
diese geschaffen werden. Mit der Rio-Konvention etwa wurden genetische
Ressourcen erstmals überhaupt als kommodifizierbare Gegenstände konstituiert
und geschützt (Görg/Brand 2001). Davor galten in den nationalen Patentrechten
„Naturprodukte“ meist als nicht patentierbar. Die geänderten Bedürfnisse der
entstehenden life science industry wirkten auf eine Revision dieser Regelung in
den Staaten des Zentrums. Neuerdings können in den USA lediglich Naturprodukte
„ohne Modifikationen durch den Menschen“ nicht patentiert werden, was die
Patentierung von durch Unternehmen technisch isoliertes Genmaterial erlaubt.
Eine Definition, um deren weltweite Durchsetzung im Rahmen internationaler
Abkommen aktuelle Konflikte laufen. Kulturelle
Zeichen Naomi Klein
beschreibt in ihrem Buch „No logo“ den Prozess des ausufernden „branding“ aller
Sphären der Kultur und des öffentlichen Raums. Der Postfordismus organisiert
Produktionsprozesse zunehmend gemäß einer kulturindustriellen Logik – statt
Waren zu produzieren und im Anschluss zu bewerben, wird versucht, aus
kulturellen Zeichen Profit zu schlagen, die zum Teil per materieller Waren
transportiert werden. Das ist die Logik der Marken. Die Bedeutung dieser
kulturellen Zeichen schöpft aus einem gesamtgesellschaftlichen
Kommunikationszusammenhang, aus dem die Unternehmen beständig schöpfen
(Lazzarato 1998), den sie aber auch mittels ihrer forcierten
Branding-Strategien ständig ihrer privaten Verfügung unterwerfen und damit
kontrollieren wollen (Klein 177ff. führt als Beispiel die aggressiven
copyright- und trademark-Verletzungs-Klagepolitik großer Markenunternehmen
gegen alle kulturellen Aneignungen der Marken, die nicht ihren Intentionen
entsprechen, an). Dadurch werden
bislang öffentliche Güter wie öffentlicher Raum, Bildung, kulturelle Codes zu
Waren gemacht und kulturelle Codes in Privateigentum überführt, mit denen ganze
Lebensweisen verbunden sind. „Warenzeichen
drohen durch nicht genehmigte Nachahmung – vor allem durch Produzenten
außerhalb der Metropolen – entwertet zu werden; zugleich benutzen
Warenzeichen-Inhaber sie nicht mehr nur als Waffe gegen Konkurrenten, sondern
auch als Instrument des corporate censorship: gegen unerwünschte Kritik an
Geschäfts- und Produktionspraktiken, oder selbst gegen harmlose Fans, die sich
ihre Begeisterung nicht haben genehmigen lassen.“ (Gröndahl 2002). Diese
aggressiven Markenschutzstrategien haben allerdings einen Pferdefuß: Sie können
das Image schädigen, das geschützt werden soll, Widerstand mobilisieren und den
kollektiven kulturellen Fundus austrocknen, aus dem sie schöpfen. Ursprüngliche
Akkumulation und Widerstand im Postfordismus So genannte
„ursprüngliche Akkumulation“, private Einhegung von Gemeineigentum, ist ein
permanenter bzw. wiederkehrender Bestandteil der kapitalistischen Entwicklung.
Wie bei der Landnahme zu Beginn des Kapitalismus versucht das Kapital, private
Eigentumstitel und Verfügungsrechte auf gemeinschaftliche Ressourcen
auszudehnen, um Akkumulation auf neuen Gebieten in Gang zu bringen. Die
wesentlichen betroffenen Schlüsselbereiche sind Informationstechnologie,
Biotechnologie und kulturelle Zeichen. Allerdings weisen die aktuellen
postfordistischen Einhegungsbemühungen gegenüber historischen Bodenenteignungen
einige signifikante Unterschiede auf: ∙ Es
handelt sich nicht um ein fixes Quantum an bestehenden Ressourcen (wie z.B. bei
Grund und Boden), sondern um Kollektivgüter, die von der gesellschaftlichen
Produktion laufend vermehrt werden (Kultur, Wissen, Information)[9]. ∙ Es ist
nicht klar, ob die geplante Ausweitung des Privateigentums in diesen Bereichen
nicht selbst unter kapitalistischen Gesichtspunkten dysfunktional ist. Während
die Aneignung von Land die Voraussetzung für dessen profitable Verwertung ist,
gibt es gute Argumente, dass in Bereichen wie Kultur oder Softwareentwicklung
die Ausweitung des geistigen Eigentums entwicklungshemmende Effekte aufweist
(Gröndahl 2002). Daraus zu
folgern, nun sei der Zeitpunkt da, wo die Produktivkräfte die Fessel der
Produktionsverhältnisse sprengen, ist wohl verfehlt (da sind die
Produktionsverhältnisse allemal stärker und verzichten für ihren Weiterbestand
auch gern auf ein wenig Produktivkraft). Aber die oben genannten Eigenschaften
führen dazu, dass sich die Widerstände gegen Einhegungen in diesem Bereich
nicht in einer rein defensiven Position befinden, was sie zu wichtigen
ArtikulationspartnerInnen mit anderen Widerständigkeiten macht – wie auch in
der Praxis zu beobachten. Das ist es u.a., was Hardt/Negri mit ihrer Betonung der
Immanenz der heutigen Kämpfe im Auge haben. Literatur Görg,
Christoph/Ulrich Brand (2001): Patentierter Kapitalismus. Zur politischen
Ökonomie genetischer Ressourcen, in:
Das Argument 242 Grassmuck,
Volker (2000) : Freie Software - Geschichte, Dynamiken und gesellschaftliche
Bezüge, http://mikro.org/Events/OS/text/freie-sw.html Gröndahl, Boris (2002): Die Tragedy of the anticommons. Kapitalistische Eigentumskritik im
Patentwesen, in: Prokla (im Erscheinen) Hardt, Michael/Antonio Negri (2000): Empire, Cambridge/London Klein, Naomi (2001): No Logo, London Kommission der
Europäischen Gemeinschaften (2002): Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Patentierbarkeit
computerimplementierter Erfindungen, http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/indprop/com02-92de.pdf
Lazzarato,
Maurizio (1998): So einfach ist das – Interview zur Ökonomie des Immateriellen,
in: Die Beute 2/1998 MEW (=Marx
Engels Werke), Berlin 1968 Midnight Notes
(1990): Die neuen Enclosures, Einleitung zu Heft 10, deutsch in: „Ölwechsel“,
TheKla 14/1991 Negt,
Oskar/Alexander Kluge (1993): Geschichte und Eigensinn, Bd.1 Raymond, Eric (1997): The cathedral and the
bazaar, http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/cathedral-bazaar/ Stallman, Richard (1994): Why Software should not have Owners http://www.gnu.org/philosophy/why-free.html Stallman, Richard (2002): Software Patents - Obstacles to Software Innovation,
http://swpat.ffii.org/papiere/rms-cam020325/index.en.html#text Werlhof, Claudia von (2000): „Globalization“ and the „Permanent“ Process
of “Primitive Accumulation”: The example of the MAI, the Multilateral Agreement
on Investment, in: Journal of world systems research VI/3, Fall/Winter WTO: TRIPS (trade-related aspects of intellectual property
rights), http://www.wto.org/english/tratop_e/trips_e/trips_e.htm
[1] So gründete etwa Bill Gates 1975 Microsoft und verließ Harvard, nachdem er dort in Schwierigkeiten geraten war, weil er die öffentlich finanzierten Ressourcen verwendet hatte, um kommerzielle Software zu schreiben. Universitäre Projekte sind nach wie vor oftmals Ausgangspunkt für die Entstehung von Firmen im Bereich der Informationstechnologien, so ist zum Beispiel die Suchmaschine Google aus einem Forschungsprojekt der Universität Stanford hervorgegangen. [2] Software wird in einer von Menschen lesbaren Programmiersprache geschrieben und dann mittels spezieller anderer Software (Compilern) in ein binäres, von Computern ausführbares Programm übersetzt. Den menschenlesbaren Teil davon bezeichnet man als Source-Code. Der dem Programm zugrunde liegende Source-Code ist bei kommerzieller Software nicht zugänglich. [3] Zum Teil werden auch um einige Funktionalitäten verminderte Versionen eines Programms gratis als „Shareware“ zur Verfügung gestellt. Eine andere Form der „Shareware“ ist Software, die für eine bestimmte Testzeit gratis benutzt werden darf. Erst wenn das Programm dauernd benutzt wird, ist dafür zu bezahlen. [4] "Public Domain" meint, dass der Autor/die Autorin alle Urheberrechte an der Software aufgibt, sie sozusagen ganz der Gesellschaft übergibt. Ein Konzept, das aus den USA kommt, jedoch in Europa im juristischen Sinn gar nicht möglich ist. In den USA wird das Urheberrecht als Wirtschaftsgut betrachtet und es herrscht der Grundsatz der Vertragsfreiheit. In Europa bedeutet Urheberrecht jedoch darüber hinaus ein unveräußerliches Persönlichkeitsrecht. Schließt ein Urheber einen solchen Vertrag, so ist dieser ohne rechtliche Wirkungen. [5] Das bekannteste Beispiel eines Programms, welches unter der General Public License vertrieben wird, ist wohl das Betriebssystem Linux. [6] Eric Raymond, einer der profiliertesten Vertreter von Open Source, argumentiert z.B., dass die kooperative, "basar-artige" Form der freien Software-Entwicklung eine zuverlässigere und flexiblere Software hervorbringt als die „kathedralen-artige“ Form der von oben bestimmten Entwicklung durch geschlossene Software-Teams in Firmen (Raymond 1997). [7] Auch die EU-Kommission ist sich der Problematik offenbar bewusst, denn in der im Artikel 5 des Richtlinienvorschlags enthaltenen Sicherungsklausel erhält die Kommission den Auftrag, dem Europäischen Parlament binnen drei Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie darüber zu berichten, wie sich Patente für computerimplementierte Erfindungen auf die Innovationstätigkeit auswirken. [8] Aufgrund der im Süden vorhandenen und für industrielle Nutzung interessanten biologischen Vielfalt, und dem traditionellen Anwendungswissen der dort ansässigen Menschen, das als wichtiger „Filter“ für industrielle Forschungsstrategien gilt. [9] Das gilt nicht für den Bereich der Biotechnologie: Die Ausweitung von Patenten auf lebende Materie entspricht eher dem Vorgang der historischen ursprünglichen Akkumulation, der Enteignung von Land und Durchsetzung modernisierter Produktionsweise darauf. |
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