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Robert Castel, „Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit“

Konstanz: UKV Universitätsverlag, 2000 (édition discours; 13) 416 Seiten.

Titel der Originalausgabe: Les métamorphoses de la question sociale. Une chronique du salariat, Librairie Arthème Fayard, 1995.

Die Peripherie der Lohnarbeitsgesellschaft

In ihrer heutigen Form, schreibt der französische Soziologe Robert Castel, sei die soziale Frage unter dem Aspekt der Auflösung des Status der Lohnarbeit zu interpretieren: „Die Lohnarbeiter(innen)schaft hat lange an den Rändern der Gesellschaft „kampiert“; sie hat sich dann darin eingerichtet, ist aber in einer untergeordneten Position verblieben; schließlich hat sie sich über die ganze Gesellschaft ausgebreitet und allerorten ihr Gepräge hinterlassen. Doch just in dem Moment, als die der Arbeit anhaftenden Attribute zur Kennzeichnung des für die Plazierung und Klassifizierung eines Individuums in der Gesellschaft verantwortlichen Status endgültig die Oberhand gegenüber anderen Identitätsstützen wie der Familienzugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer konkreten Gemeinschaft gewonnen haben, wird diese zentrale Rolle der Arbeit brutal in Frage gestellt“ (Castel 336.). Von diesem gegenwärtigen Kontext ausgehend, in dem die Rolle der Lohnarbeit als „großer Integrator“ der Gesellschaft (Castel 337.) immer fragwürdiger zu werden scheint, ist Castels groß angelegter historischer Rückblick zu verstehen, in dem es vor allem um die Rekonstruktion jenes sozialen Raumes geht, den Castel als „Zone der Verwundbarkeit“ (Prekarität) bezeichnet. Robert Castel beschreibt vor allem anhand von historischem Datenmaterial aus der französischen Geschichte den gesellschaftlichen Aufwand, den es bedurfte, um die Lohnarbeit aus diesem Jahrhunderte langen Status der Prekarität und Unsicherheit zu befreien und im 20. Jahrhundert als Basismatrix der modernen Arbeitsgesellschaft zu institutionalisieren. Die „Metamorphose der sozialen Frage“  lässt sich daher auch als Wanderung oder vielmehr als „Odyssee“ des Dispositivs der Lohnarbeit durch die Geschichte darstellen und sie führt zunächst an die gesellschaftliche Peripherie. Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen stehen in der vorindustriellen Gesellschaft „beinahe immer auf fragilen und ungewissen Positionen: halbe Lohnarbeit, zersplitterte Lohnarbeit, verachtete Lohnarbeit etc. Über dem Landstreicher, jedoch unterhalb derer, die einen Stand haben, bevölkern die Arbeiter die minderwertigen und bedrohten Auflösungszonen der Gesellschaftsordnung.“ (Castel 101.) Die „soziale Frage“ stellt sich Castel zufolge  „explizit an den Rändern des gesellschaftlichen Lebens, sie stellt zugleich aber auch die gesamte Gesellschaft in Frage“ (Castel 20.), indem sie die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Spaltung vor Augen führt.

Spuren der Lohnarbeit finden sich bereits angelegt als Arbeitszwang im Umgang mit marginalisierten Bevölkerungsgruppen, die  weder ins Bild der oder des anständigen Armen passten, noch durch Arbeitsunfähigkeit die Kriterien einer kommunalen Versorgung und Fürsorge erfüllten. Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen waren demnach immer schon diejenigen, die nichts anderes besaßen als ihre Arbeitskraft und im Unterschied zu jenen Armen, die auf  Netze primärer Versorgung zurückgreifen konnten, ohne soziales Kapital waren. Der Umgang mit der öffentlichen Präsenz von Gestalten, die „Andersheit“ im Verhältnis zu einem Modell gemeinschaftlicher Organisation symbolisieren, - das wird in der langen historischen Perspektive des Buches deutlich, weist erstaunliche Parallelen zur Gegenwart auf. Für diese Gruppen galt territoriale Festschreibung und Arbeitszwang – (auf diese gewalttätige Herkunft der Lohnarbeit aus Armen- und Arbeitshaus hat bereits Michel Foucault hingewiesen). Insofern zieht sich in der von Robert Castel unternommenen großen Erzählung des Aufstiegs und der Institutionalisierung der Lohnarbeit die „soziale Frage“ auch als ein roter Faden einer strukturellen Ausgrenzung jener durch die europäische Geschichte, die ohne Eigentum und sozialen Rückhalt waren (bzw. sind) und für die eigentlich immer schon der kategorische Imperativ der Arbeit galt.

Die Lohnarbeitsgesellschaft

Aus dieser absolut peripheren Randlage gerät die Lohnarbeiterlage in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als „Pauperismusfrage“ ins Zentrum gesellschaftlicher Problematisierung. Mit der „verblüffenden Entdeckung“, dass die massenhafte „Verwundbarkeit“ ganze Bevölkerungsgruppen betrifft, die nicht mehr an der Peripherie sondern mitten im Zentrum des Produktionsprozesses und der Modernisierungsdynamik der ersten industriellen Revolution zu finden sind, vollzieht sich auch ein Wandel der Sozialstruktur statt: „Die Karriere des Sozialstaats beginnt in dem Augenblick, als die Notablen ihre uneingeschränkte Herrschaft einbüßen und das Volk bei dem Versuch, die soziale Frage revolutionär zu lösen, eine Niederlage einstecken muss. Hier öffnet sich, Castel zufolge, ein Vermittlungsraum, der dem Sozialen eine neue Bedeutung zumisst.“ (Castel 236.) In diesen neuen Vermittlungsraum, als die Lösung von Interessenskonflikten durch bürgerliches Moralmanagement und Patronage ebenso wenig in Frage kommt, wie ein revolutionärer Umsturz, tritt nun der Staat. Diese Transformation „des Sozialen“ von einer Option von Fürsorgepraktiken, die sich auf der Ebene eines ungleichen Tauschs vollziehen (Castel 207.) zu einer Sphäre staatlich garantierter Rechte stellt einen wesentlichen Bruch in der gesellschaftlichen Organisation dar. Es bildet sich „die Grundmatrix des Sozialstaats als ein System gesetzlicher Garantien, dem es zu danken ist, dass Sicherheit nicht mehr ausschließlich von Privateigentum abhängt.“ Wenn der Sozialstaat auch nicht souverän ist, so stellt er, Castel zufolge, doch etwas grundlegend Neues dar. „Das Aufkommen des Sozialeigentums ist vielleicht die maßgebliche, ihm zu verdankende moderne Eigenschaft, die den jahrhundertealten Konflikt zwischen Vermögen und Arbeit in gänzlich neuen Begriffen formuliert.(...)  Die Grundfrage wie staatliches Handeln legitim ausgeübt werden kann, wenn direkte Eingriffe in die Eigentumsordnung und in die Wirtschaft ausgeschlossen sind (Castel 236.), wird damit auf eine neue Ebene verlagert. Als zentrales Element der Herausbildung einer kollektiven Interessenslage der Arbeiter und Arbeiterinnen sieht Castel die Entstehung der staatlichen Sozialversicherungssysteme. (vgl. u.a. Castel 262.)

Während Lohnarbeit in der vorindustriellen Epoche nur in fragmentarischem Zustand existierte und die „proletarische Lage“ zu Beginn der Industrialisierung in ihren Hauptelementen durch ein Minimaleinkommen gekennzeichnet ist, das keine Ausgaben für Konsum erlaubte, einen Mangel an gesetzlichen Garantien und legale Bestimmungen, eine „labile“ Beziehung des Arbeitnehmers, der Arbeitnehmerin zum Unternehmen und - wenn nicht unbedingt erforderlich -  wenig Bereitschaft zur Disziplin, gekennzeichnet ist (Castel 285.), umfasst das Lohnarbeitsverhältnis wie es sich in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts herauskristallisierte den Lohn als eine Form der Vergütung der Arbeit, die auch Konsummuster, Lebensweise, Arbeitsdisziplin und den Produktionsrhythmus regelte und außerdem durch einen legalen Rahmen des Arbeitsvertrags strukturiert war. (Castel 286.) In Anlehnung an die französische Regulationsschule führt Robert Castel fünf Charakteristika an, die das fordistische Lohnarbeitsverhältnis kennzeichnen und die den „Arbeitsmarkt“ strukturieren wie er sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat – Es sind dies erstens „Eine klare Trennung zwischen denen, die effektiv und regelmäßig arbeiten und den „Inaktiven“ oder „Semi-Aktiven“, die sowohl aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wie auch in institutionell regulierte Formen integriert werden müssen“. (Castel 286.) Die moderne Definition der Lohnarbeit setzte eine präzise statistische Erfassung und Identifizierung der Erwerbsbevölkerung voraus und die Trennung von all denen, die nicht oder nur zeitweise beschäftigt sind. Diese Trennung der Erwerbspersonen vom Universum der Nichtarbeit wurde erst durch die Erstellung verlässlicher Statistiken ermöglicht. Als zweite Voraussetzung nennt Castel „die Bindung des Arbeiters (der Arbeiterin) an seinen (ihren) Arbeitsplatz und die Rationalisierung des Arbeitsprozesses im Rahmen einer präzisen (...) und reglementierten Zeitverwaltung«. (Castel 290.) Eine weitere Voraussetzung bildet die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe über die Vermittlungsebene des Lohnes. Der Lohn ermöglichte die Teilhabe an den neuen Konsumnormen, durch  der Arbeiter (die Arbeiterin) zum/zur Nutznießer/in und Konsumenten/in der Massenproduktion wird. Mittels dieses Umstandes findet tatsächlich auch eine Homogenisierung der Milieus und der Lebensweisen statt. Das vierte Charakteristikum des fordistischen Arbeitsverhältnis ist „die Teilhabe am Sozialeigentum und an den öffentlichen Dienstleistungen. Der Arbeitnehmer (die Arbeitnehmerin) ist auch ein Gesellschaftssubjekt mit Anspruch auf Teilhabe am Vorrat der in der Gesellschaft verfügbaren, nicht-marktmäßigen Gemeingütern“ Voraussetzung dafür ist die Stabilisierung der Lohnarbeit als klar identifizierbare Entität, sowie den Übergang zu einer „geschichtlichen  Konjunktur der Lohnarbeit“ in der, wie Castel schreibt, die abhängige Arbeit „klassifiziert und registriert  festgelegt und stabilisiert werden kann (selbst geringe Rechtsansprüche können nur an einen eindeutig identifizierbaren Zustand geknüpft werden, was die Ausarbeitung des Begriffs Erwerbsbevölkerung und das Ausklammern der vielfältigen Formen unständiger Arbeit voraussetzt)“ (Castel 295.) Als fünftes und letztes Kriterium sieht Castel, die kollektive Dimension d.h. „die Verankerung (der Lohnabhängigkeit) in einem Arbeitsrecht, das den Arbeitnehmer (die Arbeitnehmerin) als Mitglied eines Kollektivs anerkennt, dem ein sozialer Status jenseits der rein individuellen Dimension des Arbeitsvertrags eigen ist.“ (Castel 296.) Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass Arbeit nicht länger als Attribut der einzelnen Individuen (als solches der Privatsphäre zugehörig) betrachtet wird und zu einer gesellschaftlichen Entität wird, die als solche in der öffentlichen Sphäre verortet ist. Das Arbeitsverhältnis gehört nicht mehr zum Feld des Zivilrechts sondern tritt in das Feld des öffentlichen Rechts. Diese fünf Bedingungen bilden, was Castel als den Übergang „vom Vertrag zum Statut“ bezeichnet - vom liberalen Zeitalter in das 20. Jahrhundert - und den er als den zweiten Bruch im Prozess der Herausbildung des Proletariats klassifiziert, der nach dem ersten Bruch - der sich zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert, im Zuge der ersten industriellen Revolution - vollzog, und durch den Übergang „von der Vormundschaft zum Vertrag“ gekennzeichnet war.

Die neue soziale Frage

Trotz der weitreichenden historischen Perspektive bleibt die Problemstellung des Buches in der Gegenwart begründet. Die ausführliche sozialgeschichtliche Verankerung der Lohnarbeit erscheint Castel deshalb notwendig, um „das Ausmaß des drohenden Bruchs ermessen zu können, der den Gegenwartsgesellschaften“ unter den Bedingungen eines globalisierten Kapitalismus „zu schaffen macht“ (Castel 11.). Nach einem langen Zyklus der Einverleibung und Rationalisierung treten die westlichen Gesellschaften seit dem Ende der 70er Jahren in eine umgekehrte Phase ein: in die Phase die der intensiven Desorganisierung der Arbeit und der Destrukturierung der Gesellschaftlichkeit, indem eine Neuformulierung „der sozialen Frage im Sinne der Rückkehr einer Massenverwundbarkeit, die man schon gebannt glaubte.“ stattfindet. Mit dem Abbau sozialstaatlicher Sicherungen, so lautet eine zentrale These Castels, entstehe eine sich ausdehnende Zone neuartiger Verwundbarkeit (Prekarität), die sich insofern qualitativ von den historisch vorhergehenden Zuständen massenhafter Verwundbarkeit unterscheidet, als sie vor dem Hintergrund bereits bestehender sozialstaatlich garantierter Sicherungsmechanismen zu sehen ist. (Castel 401.) Die neuen Arbeitsformen sind nicht mehr innerhalb der Regulationen der fordistischen Lohnarbeit einzuordnen. Sie eröffnen neuerlich einen Raum, der durch diffuse, rechtlich uneindeutige Situationen und Arbeitsverhältnisse gekennzeichnet ist und weisen deshalb eine strukturelle Homologie zu jenen unsicheren und heterogenen Situationen auf, aus denen sich die Lohnarbeit vom späten 19. Jahrhundert an, als (mehr oder weniger) einheitliche Lage heraus zu kristallisieren beginnt (vgl. Castel 15f.) . Schon einmal, zu Beginn der kapitalistischen Entwicklung in der liberalen Moderne des frühen 19. Jahrhunderts – darauf läuft Castels Argumentation hinaus - war der gesellschaftliche Zusammenhalt durch die Autonomisierung der Ökonomie bedroht. In dieser Situation bedeutete die Institutionalisierung gesellschaftsübergreifender sozialstaatlicher Sicherungssysteme keine selbstverständliche und lineare Entwicklung, sondern eine mühevolle soziale Konstruktion und einen grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen Ordnung, der sich gegen Ende des 18. Jahrhundert zu vollziehen beginnt: der Umbruch in eine Gesellschaft, in der die soziale Identität und Sicherung auf Lohnarbeit aufbaut und nicht mehr auf Eigentum (Castel 264.): „Der Sozialstaat (...) hat sich im Schnittpunkt zwischen Arbeit und Markt herausgebildet. Er ist um so stärker gewesen, je stärker auch die von ihm regulierten Dynamiken waren: Das Wirtschaftswachstum und die Strukurierung der Lohnarbeiterlage. Wenn es wieder zu einer Autonomisierung der Ökonomie und zur Auflösung der Lohnarbeiterlage kommt, verliert der Sozialstaat seine gesamte Integrationskraft.“ (Castel 20.) In Bezug auf die Legitimation des zeitgenössischen Sozialstaats würde die gegenwärtige neoliberale Entwicklung einen Sprung zurück um mehr als ein Jahrhundert bedeuten. Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist eine Veränderung der Produktionsstruktur entstanden, die gerade jene praktisch ausgrenzte, die sich im Brennpunkt der Modernisierungsdynamik befanden. Dass sich am Ende des 20. Jahrhunderts diese Entwicklung wiederholen könnte, dafür scheint die wachsende Schwierigkeit zu sprechen, den Arbeitsbereich von dem der Nicht-Arbeit zu trennen, das beweist auch das erneute Aufkommen von Gestalten, Bedingungen und Mischzuständen zwischen der Dimension der festen Arbeit und jener der völligen Abwesenheit von Arbeit: prekäre, unregelmäßige, vorläufige, zeitlich begrenzte Arbeiten, saisonale Tätigkeiten, Heimarbeit, Leiharbeit, die als atypisch bezeichnet werden, weil sie nicht mehr ins fordistische Arbeits-Statut nicht einzuordnen sind. In Castels Begrifflichkeit wären sie als „Überflüssige“ zu bezeichnen, die in der Sozialstruktur keinen Platz finden. [i]

Zu fragen wäre etwa, ob der Prozeß, den Robert Castel als Entkoppelung bezeichnet – der eine Person aus einer hohen "Einbindung in Netze der Soziabilität" hinausführt in "Zonen" hoher "Integrationsdefizite", bis sie schließlich "vom Ausschluss bedroht" in eine Situation gerät wo sie als handelnde AkteurIn gesellschaftlich nicht mehr existiert, (vgl. Castel 19.) - überhaupt in dieser Form denkbar ist. Die Semantik der „Überflüssigen“ und „Nutzlosen“ wirkt, - auch wenn das von Castel nicht so beabsichtigt ist -, in der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Situation affirmativ und verstärkt die Dichotomie eines gesellschaftlichen „Innen“ und „Außen“, die auch in der aktuellen neoliberalen Rhetorik und den rechten Argumentationen zum „Ende des Sozialstaats“ angelegt ist.

Dass die „soziale Frage“ in der bürgerlichen Gesellschaft immer auch die Frage danach ist, wie mit jenen umgegangen wird, die im Sinne der Logik der Kapitalverwertung nicht zu gebrauchen sind, wird im historischen Rückblick auf die lange Geschichte der Lohnarbeit sehr eindrucksvoll beschrieben.

Castels Darstellung der Geschichte der Lohnarbeit als eine „zerbrechliche und langwierige  Konstruktion von gesellschaftlicher Solidarität“  ist vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Infragestellung des sozialen Zusammenhalts zu sehen. Dass Castel in dieser Situation nicht für eine vorschnelle Auflösung sozialstaatlicher Sicherungssysteme in zivilgesellschaftliche Institutionen plädiert, sondern auf die Gefahren eines dualen Arbeitsmarkts und der Verstärkung gesellschaftlicher Ungleichheiten hinweist, ist ein Aspekt, der das Buch zu einer ernstzunehmenden Lektüre macht.

Allerdings sind die starren fordistischen Regulationen, die im Zentrum des Sozialstaats stehen durch die Entwicklung der letzten fünfundzwanzig Jahre, wie auch Castel feststellt, (vgl. Castel 406.) bereits überholt und aufgeweicht worden. Auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und den strukturellen Bruch im Übergang vom Fordismus zum Postfordismus wird zwar im Schlussteil des Buches kurz eingegangen. Der Begriff „negativer Individualismus“, mit dem Castel die gesellschaftlichen Veränderungen und Wandlungen im Bereich der Arbeit zu beschreiben versucht, geht aber meiner Ansicht nach an der sozialen Realität dieser neuen Arbeitsformen vorbei. Die neuen Arbeitsformen auf eine Anomie und Mangellage (Mangel an Ansehen, Mangel an Sicherheit, Mangel an gesicherten und stabilen Beziehungen, u.a. Castel 404.) im Hinblick auf die „Normalität“ von durch Erwerbsarbeit festgelegten Statuspositionen in der Sozialstruktur zu reduzieren, greift zu kurz. Eine ausführliche Analyse dieser neuen gesellschaftlichen Situationen bleibt Castel aber leider schuldig.

Eli Weber


[i] Arbeit ist Castel zufolge eine Hauptstütze für die Verortung in der Sozialstruktur. – die Bedingung für „gesellschaftliche Existenz“. Das Herausfallen aus dieser Struktur bedeutet, dass die AkteurInnen als Handelnde gesellschaftlich nicht existent sind. „Im Prekärwerden der Beschäftigung und im Anstieg der Arbeitslosigkeit wird ein Platzmangel in der Sozialstruktur sichtbar, wenn Plätze als Positionen verstanden werden, an die gesellschaftliche Nützlichkeit und öffentliche Anerkennung geknüpft sind“. Jenen, die in diese Struktur nicht einzuordnen sind, kommt die Position von „Überzähligen“ zu, die in einem gesellschaftlichen „no man´s land“ herumtreiben“ und die nicht „integriert“ sind, in dem Sinn wie Durkheim Integration versteht als der „Zugehörigkeit zu einer ein Ganzes bildenden Gesellschaft“ . (vgl Castel 13., 359.)

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