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The Invisible Committee: The Coming Insurrection.Los Angeles: Semiotext(e) 2009, 136 Seiten, ca. 9 EuroDas Buch wurde im Anschluss an die Krawalle in den Vorstädten vieler französischer Städte 2005 geschrieben und erschien auf Französisch im März 2007. Größere Aufmerksamkeit erlangte es durch die Festnahme der „Tarnac 9“, einer Gruppe von Menschen, die aus der Stadt aufs Land gezogen waren. Im November 2008 wurden sie beschuldigt, einen TGV-Zug mit Hakenkrallen lahm gelegt zu haben (eine Technik, die in Deutschland als Widerstandsaktion gegen Atommülltransporte sehr beliebt war), außerdem wurde Julien Coupat beschuldigt „L´insurrection qui vient“ geschrieben zu haben – was dieser abstritt, jedoch zugab, dass er den Text bewundere. Schon vor dem Erscheinen der englischen Ausgabe im August 2009 erregte der Text Aufsehen durch eine unautorisierte Lesung in einer New Yorker Buchhandlung einschließlich eines Polizeieinsatzes und auch weil der konservative Talkmaster Glenn Beck im Fernsehen eine Bedrohung durch eine extreme Linke an die Wand malte, die zu den Waffen rufe. Es handelt sich um einen Text, in einem autonomen Vokabular geschrieben, beeinflusst durch den Situationismus, der die herrschende Gesellschaft darstellt und dazu aufruft, sich dagegen zu organisieren und sich auf den kommenden Aufstand vorzubereiten. Die politische Repräsentation ist an ein Ende gekommen. Die Linke wählt nur noch aus Protest, während parallel dazu Bewegungen auftauchen, die nach keiner Repräsentation mehr suchen wie beispielsweise die Aufstände in Argentinien 2001 / 2002 („Que Se Vayan Todos“, also „Alle sollen abhauen“) oder die Unruhen in den Banlieues 2005. Aufstände, die ihren Hass auf die herrschende Gesellschaft ausdrücken und worauf die Antwort der Herrschenden Repression und die Produktion von Angst sind. In sieben Abschnitten geht es um die Beschreibung der herrschenden Gesellschaft in ihren Widersprüchen. 1) Ziel des aktuellen Kapitalismus ist die Selbstverwirklichung. Ein großer Teil der Bevölkerung scheitert daran und das Leiden wird medikamentös bekämpft. Das Krank-Werden ist aber auch ein Ausdruck des Widerstands (We are not depressed; we are on strike). 2) Traditionelle Gemeinschaften wie Communitys und Familien zerfallen. Der Rassismus gegen die Unterprivilegierten, etwa in den Vorstädten, ist eigentlich der Neid, dass dort noch so etwas wie Gemeinschaft existiert. Das sollte als Chance gesehen werden, weil es die Möglichkeiten schafft, mit neuen Formen des Zusammenlebens zu experimentieren. 3) Gerade jetzt, wo die (geregelte) Arbeit am Verschwinden ist, wird die Arbeit am meisten ideologisiert. Von den technologischen Möglichkeiten her genügte relativ wenig „Arbeit“. So werden jetzt Produzent_innen und Konsument_innen erzeugt (immer mehr persönliche Dienstleistungen) und nicht mehr Produkte. Darum der Hass auf jene, die sich gegen die Arbeit organisieren. 4) Es gibt keine Städte mehr, sondern nur noch Metropolen, und diese werden immer mehr zu direkten Kriegszonen. Ein Krieg, der manchmal nicht offen geführt wird, aber sichtbar wird etwa in der Behandlung der Banlieus vor und nach den Aufständen. Diese Metropolen sind immer mehr abhängig von Kommunikation und Verkehr. Diese „Flüsse“ sind jedoch viel verletzbarer durch Angriffe und Unterbrechungen. 5) Nicht die Wirtschaft ist in der Krise, sondern die Wirtschaft ist die Krise. Organisationen wie ATTAC glauben die Wirtschaft vor den Krisen zu retten, dabei retten sie die Ursachen der Krisen, nämlich den Kapitalismus. Ähnliches gilt für jene, die an einen ökologischen Kapitalismus glauben, der genauso auf Arbeit und Ausbeutung basiert. 6) Es gibt keine Umweltkatastrophe, sondern die kapitalistische Umwelt ist die Katastrophe. So sollte mensch die Krisen nützen und nicht auf einen Umweltdiskurs einsteigen, der z.B. dazu führen kann, dass Atomkraftwerke wieder salonfähig werden. Die Katastrophen ereignen sich ja, weil der Kapitalismus funktioniert. Wir sollten uns auf die Möglichkeiten der Selbstorganisation nach den Katastrophen einstellen. Nichts erscheint so unwahrscheinlich wie ein Aufstand, aber nichts ist so notwendig wie dieser. Bis jetzt haben alle Versuche der radikalen Linken in ihrer Organisationsstruktur den Staat im Miniformat kopiert (selbst wenn sie sich nicht an Wahlen beteiligten, sondern Community-Arbeit machten). Der Anfang aber muss ein anderer sein: 1940 ging der erste Resistance-Kämpfer in den Maquis, ein „madman“, 1944 waren es bereits 20.000 „Verrückte“ in der Umgebung von Limoges. Die Arbeiter_innen wiederum fanden sich in den Kämpfen in der Fabrik zusammen, heute aber ist es der gesamte soziale Raum, in dem der gemeinsame Kampf gesucht werden kann und muss. Hierbei sind „Freundschaften“ entscheidend, um die unbefriedigenden bestehenden Organisationsformen zu meiden. Diese laufen nämlich schlussendlich immer darauf hinaus, sich als Organisation zu reproduzieren. Ebenso aber sind soziale Milieus zu meiden, die konterrevolutionär sind, weil sie ihre eigene Bequemlichkeit in ihren informellen Hierarchien erhalten wollen. Die Alternative dazu ist die Bildung von Kommunen, die jedes Mal entstehen, wenn sich einige Menschen auf sich selbst verlassen: in jedem wilden Streik, in Hausbesetzungen, in den Aktionskomitees von 1968 oder auch Radio Alice in Italien 1977. Kommunen werden allerdings zu Milieus, wenn sie sich von ihren Ursprungsaktivitäten und Ideen lösen. Sich gegen die Arbeit zu organisieren, bedeutet, so wenig wie möglich zu arbeiten, indem anderweitig Geld aufgestellt wird (Sozialleistungen, Schwarzmarkt). Unsere Kreativität soll den Staat oder die Unternehmer_innen ausnützen, so gut es geht. Wir müssen lernen, wie mensch überlebt, wenn die Transportflüsse unterbrochen sind, so wie es notwendig ist, für den Aufstand zu trainieren und lernen. In den Kommunen gibt es genug unterschiedliche Lebenserfahrungen. Die lokale Organisation ist genauso wichtig wie die Kommunikation, die durch Reisen stattfindet, weil es nicht genügt (und auch zu sehr überwacht ist), über das Internet zu kommunizieren. Überall soll Widerstand geleistet werden, überall soll sabotiert werden. Es ist notwendig, unsichtbar zu bleiben, hauptsächlich, um der Repression zu entgehen, aber auch, weil Sichtbarkeit die Repräsentation durch bestimmte Personen befördert. Selbstverteidigung ist wichtig, aber die eigene Initiative ist immer noch die bessere Waffe, weil der Staat technisch/militärisch immer überlegen sein wird. Die vorgeschlagenen Organisationsformen ähneln sehr dem, was die „Autonomen“ in den 1980ern diskutierten, die allerdings selten auf einen offenen Aufstand hofften. Die Organisation des Aufstandes beginnt in den sozialen Bewegungen: Besetzung von Institutionen, Blockaden der Verkehrswege, um möglichst viel Störung zu verursachen (die französische Regierung versucht seit den großen Streiks 1995, die Störungen möglichst gering zu halten). Um den Aufstand voranzutreiben, muss jede repräsentative Autorität in Frage gestellt werden. Generalversammlungen sind zu vermeiden, da sie die Tendenz haben, zu Miniparlamenten mit blockierenden Abstimmungen zu verkommen. Auch die „Koordinationen“[1] werden kritisiert, die nur eine Tribüne für eine entstehende „Mikro-Bürokratie“ bildeten. Wenn möglich, soll jede Hierarchiebildung vermieden werden, wobei es kein Rezept gibt, sondern immer wieder neu experimentiert werden muss. Die Ökonomie muss blockiert werden, parallel dazu ist die Selbstorganisation des Lebens notwendig. Territorien sollen befreit werden, trotzdem muss versucht werden, eine direkte Konfrontation mit der Staatsmacht zu vermeiden. Wenn sehr viel sehr zerstreut passiert, kann auch die Polizei nicht adäquat eingesetzt werden. Und es ist notwendig, bewaffnet zu sein, um zu vermeiden, die Waffen einsetzen zu müssen – weil der Staat immer die besseren Waffen hat. Jeder erfolgreiche Aufstand war bewaffnet, aber relativ gewaltfrei, etwa weil am 18. März 1871 die Soldaten zur Pariser Commune überliefen. Der Aufstand muss auf lokalen Ebenen ablaufen, weil es kein Zentrum des Kapitalismus und des Staates mehr gibt, kein zu stürmendes Winterpalais. Das Vorwort zur englischen Ausgabe wurde im Jänner 2009 unter dem Eindruck der Unruhen in Griechenland im Dezember und einer Reihe von Kämpfen der Studierenden in Italien, Spanien und Frankreich geschrieben. Noch einmal werden wichtige Punkte erwähnt und ergänzt. Revolutionäre Bewegungen verbreiten sich nicht durch „Ansteckung“, also Agitation und direkten Kontakt, sondern durch Resonanz: es kommt zu gegenseitigen Verstärkungen, weil von anderen Kämpfen berichtet wird, wobei immer von den eigenen Bedingungen ausgegangen wird. Noch einmal wird betont, dass Organisationen die Selbstorganisation prinzipiell behindern. Die Ausbrüche der letzten Zeit, insbesondere jene in Griechenland, lassen als Warnsignale den zukünftigen Aufstand am Horizont erscheinen. Teile der Bevölkerung von New Orleans organisierten sich nach der Katastrophe, machten das Leben wieder möglich und verhinderten, durch die Regierung zu Katastrophenflüchtlingen gemacht zu werden. Die Übersetzer_innen kritisieren allerdings in einer Fußnote, dass sich gerade dort wieder politische Repräsentation verfestigte. Das ist ein Beispiel für das Problem der kontinuierlichen Organisation: Es ist sehr schwierig, die Kritik an der Repräsentation auch in einer revolutionären Situation oder im Aufstand durchzuhalten. Was bei Michael Hardt und Antonio Negri genauso auf einer abstrakten Ebene bleibt (Konstituierende Macht vs. Konstituierte Macht) wie bei John Holloway (power-to-do vs. power-over), scheitert am konkreten Beispiel. Es werden so genannte Milieus kritisiert, aber was unterscheidet Kommunen von solchen Milieus oder informeller Struktur. Das bezieht sich speziell auf die französische Situation und deren Vielfalt von unterschiedlichen linken und linksradikalen Organisationen (trotzkistisch, anarchistisch, aber eben auch als Milieus / soziale Felder und Zusammenhänge). Es kann nicht darum gehen, solche Milieus in Bausch und Bogen abzulehnen, sondern permanent zu kritisieren, um eine Verfestigung in Repräsentationen zu erschweren. Erstaunlich ist auch, dass des Öfteren die Commune 1871 als Beispiel herangezogen wird, kaum aber der Mai 1968. Vermutlich liegt das daran, dass es keine davor existierenden Strukturen (außer theoretisierende Situationist_innen und traditionelle Linke) gab, die die Kämpfe der Studierenden und Arbeiter_innen auslösten. Der kämpferische Ton ist mir manchmal zu martialisch. Das korrespondiert auch damit, dass das Patriarchat nur an einer (relativ unwichtigen) Stelle erwähnt wird. An den Milieus werden entstehende informelle Hierarchien kritisiert, die ja oft auch und gerade geschlechtlich sind, aber es wird angenommen (weil es nicht diskutiert wird), dass die sich selbst gründenden Kommunen davon unberührt bleiben. Es sollte aber immer darum gehen, auch in Aufstandsbewegungen, die Geschlechterordnung in Frage zu stellen. Es gibt keine Lösung dafür, außer in der aktuellen Situation immer wieder darüber zu reflektieren und nicht einfach anzunehmen, dass jede Form von Selbstverwaltung gut ist (wenn auch besser als jede revolutionäre Bürokratie). Bevor ich „The Coming Insurrection“ gelesen habe, habe ich vorgeschlagen, einen Arbeitskreis dazu zu gründen. Nachdem ich es gelesen habe, nehme ich davon Abstand, weil der Text theoretisch nicht besonders ergiebig ist. Der Text ist keine Aufforderung zur Gründung von Arbeitskreisen, sondern zu Gründung von Kommunen und / oder direkten Aktionsgruppen. Vielleicht bin ich zu alt dazu, ich werde doch weiter theoretisch arbeiten. An einem künftigen Aufstand gegen den Kapitalismus werde ich mich mit Begeisterung beteiligen. Aber ich werde auch kleinere emanzipatorische Bewegungen unterstützen (die dann wieder in den Kapitalismus integriert werden). Denn die Revolution wird nicht ein einziger Aufstand sein, sondern ein permanenter Prozess (Holloway). Außerdem arbeite ich schon jetzt an emanzipatorischen Veränderungen meines Alltags. Immer ein bisschen zu wenig. Vielleicht sollten wir doch Kommunen gründen? fuzi [1] Seit 1986 (zuerst bei den Krankenschwestern, dann bei den Eisenbahner_innen) bildeten sich in jeden Streik „Koordinationen“, die nach dem Kampf wieder zerfielen, aber in neuerlichen Auseinandersetzungen wieder bildeten. Durch ihr „Zerfallen“ behinderten sie die Entwicklung von Bürokratien. Koordinationen, die von linken Organisationen als dauerhaftes Projekt gesehen wurden, wurden von den neulich kämpfenden Arbeiter_innen, Studierenden oder Schüler_innen nicht angenommen. |
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