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Gerald Raunig: Tausend
Maschinen Wien: Verlag Turia + Kant, 2008, 125 Seiten, 12 Euro Das mittlerweile siebente Buch in der feinen „es kommt darauf an“ -Reihe des Verlags Turia + Kant produziert mit seinem Titel nicht zufällig Assoziationen mit der Philosophie von Deleuze und Guattari (Band 8 mit zwei wunderbaren Texten von Claude Leforts zum Mai 68 ist soeben erschienen). „Tausend Maschinen“ von Gerald Raunig hält, was es zu sein verspricht, nämlich „eine kleine Philosophie der Maschine als sozialer Bewegung“ (so der Untertitel). Zunächst allerdings tritt uns die soziale Bewegung nicht als für ein politisches Ziel öffentlich eintretende Menschenmenge entgegen, vielmehr wird getreten: in die Pedale. An ausgewählten Beispielen filmischen Darstellens von Fahrrädern und Fahrenden (wie „Themroc“ und der wunderbare „Ladri di biciclette“ von Vittorio de Sica) werden wir in die Welt der Verkettungen von Mechanik und sozialem Leben ent- und eingeführt. Bereits hier wird vorgezeichnet, was in den folgenden fünf Kapiteln – scheinbar – äußerst divergierenden Inhalts folgen wird: Maschinenfragmente, Theater-, Kriegs-, Mayday- sowie abstrakte Maschinen. Im zweiten Kapitel skizziert Raunig eine Theorie der sozialen Maschine vor dem Hintergrund des Marxschen „Maschinenfragments“ in den Grundrissen. Die ursprüngliche Bedeutungsvielfalt von Maschine „als komplexe Zusammensetzung und in seiner Zweckmäßigkeit gerade nicht durchschau- und bestimmbares Gefüge“ (18) wurde zwischen 13. und 19. Jahrhundert zunehmend auf die Dimension des unbelebten technischen Apparats vereindeutigt. Das Marxsche Maschinenfragment hingegen bezeugt die Abkehr von dieser Tendenz, bezeichnet doch der dort beschriebene „general intellect“ gerade die unentwirrbare Verschränkung von technischer Maschinerie und sozialem Wissen. In den Schriften Felix Guattaris (gemeinsam mit Gilles Deleuze) der 1970er Jahre mündet diese Bewegung schließlich in die Ununterscheidbarkeit beziehungsweise Nicht-Äußerlichkeit von Mensch und Maschine. Es geht nicht (mehr) um eine moralische Technik- oder Zivilisationskritik, sondern, so Raunig, „darum wie Menschen mit anderen Dingen eine Maschine konstituieren“. Einen erneuten Wechsel in der Abstraktionsebene bringt das dritte Kapitel, „Theatermaschinen“. Nach einem erfrischenden Exkurs zur Genese des „deus ex machina“ im antiken Theater setzt der Text zu einem großen Sprung vorwärts an, ohne allerdings die historisch-deskriptive Ebene völlig zu verlassen. Wir finden uns wieder in den Experimenten des postrevolutionären Theaters in der jungen Sowjetunion, im Versuch, sowohl die traditionelle Entgegensetzung von AkteurInnen und Publikum zu durchbrechen, als auch den (Fabriks)Alltag auf die Bühne zu bringen (bzw. die Bühne in die Fabrik aufzulösen). An den Experimenten Meyerholds, Tretjakows und Eisensteins zeigt sich die Ambivalenz der postrevolutionären Theatermaschinen: Im Anschluss an eine Aufführung von „Hörst du, Moskau?!“ von Tretjakow und Eisenstein am sechsten Jahrestag der Oktoberrevolution „soll das emotionalisierte Publikum in tumultartigen Szenen singend und ‚wild gegen Schaufensteranlagen fuchtelnd’ durch die Straßen gezogen sein“ (48), im Rahmen tayloristischer Phantasien kam es jedoch auch im Rahmen der Revolutionierung des Theaters zur Zurichtung des Publikums zum wissenschaftlichen Forschungsobjekt (wie am Beispiel des Mayerholdschen Theaters gezeigt wird). Auch die Theatermaschinen bleiben uneindeutig. Die Kriegsmaschine hingegen begegnet uns als Melange, wenn nicht gar als Synthese des bisher gelesenen. Einem der dunkelsten Begriffe des Deleuze-Guattarischen Universums nähert sich Raunig vordergründig nicht philosophierend, sondern über die Verknüpfung von politischen Bewegungen und ihren Kontakten mit den – vorzüglichen repressiven – Staatsapparaten. Die Verfolgung der Volxtheater-Karawane im Gefolge von Genua 2001 ist längst – tragische – Legende, die Beamtshandlung derselbigen durch ein oberösterreichisches „Dorfgericht“ die dazugehörige(?) Farce. Beiden Fällen gemeinsam ist jedoch die Vereinnahmung der Kriegsmaschinen durch den jeweiligen Staatsapparat. Flucht und Erfindung, beides konstitutive Merkmale der Kriegsmaschine, die eines nicht will: den Krieg, werden durch die vom ungesunden Menschenverstand diesem entgegengesetzten verrechtlichten Mächten in die Schranken gewiesen: Der legale Ausnahmezustand als Grenze von Flucht und Erfindung, notfalls als quasi-kriegerische Gewalt. Trotz dieser deutlichen Ausführungen aber war allerdings dem Autor dieser Zeilen der epistemologische Mehrwert des Kriegsmaschinen-Begriffes nicht ganz einsichtig. Die Maschinen des Mayday wiederum flüchten seit 2001 die ausgetretenen Pfade der arbeiterInnenbewegten Maifeierlichkeiten. Galt anfänglich noch der Sichtbarmachung von Prekarisierungsprozessen, dem diskursiven „Ins-Spiel-Bringen“ von Begriffen und Sichtweisen die ganze Aufmerksamkeit der AktivistInnen der Mayday-Bewegung, so zwangen sowohl die Ausbreitung der Bewegung als auch die Umdeutung der Kampfbegriffe durch die bürgerlichen Medien (remember „abgehängtes Prekariat“) zur Veränderung von Form und Inhalt. Ging es zunächst um eine Umdeutung des ersten Mai, um den Nachweis der Existenz prekarisierter Subjekte und migrantischer Arbeit im Rahmen nicht-repräsentativer Darstellungsformen, so folg(t)(e)n analog zur Ausdehnung der (Euro)Mayday-Bewegung auf immer mehr Städte nicht nur die Vervielfältigung, sondern auch interne Auseinandersetzungen um Repräsentation, um die Notwendigkeit von Forderungen und nicht zuletzt um die Festschreibung eines Europa-Begriffes, der alleine schon durch globalen Kapitalismus und ebenso globale Migrationsströme, im Rahmen der Bewegung auch durch in Tokio stattfindende Paraden ad absurdum geführt wurde. Mitunter ist die Darstellung der Mayday-Maschine eine all zu glatte, die umkämpfte Felder zwar nicht verschweigt aber doch etwas unterbewertet – ist doch die praktische Repräsenationskritik in einer mittlerweile doch schon 7jährigen Erfahrung des Mayday reiches Anschauungsfeld für die – trotz alledem noch produktiven – Widersprüchlichkeit dauerhafter sozialer Bewegungen. Nicht zuletzt diesem Spannungsverhältnis – zwischen Dauer und Bewegung, oder Prozess und Ereignis – könnte mensch sich im Rahmen einer Lektüre des Schlusskapitels „abstrakte Maschinen“ widmen. Raunig setzt die Maschine als sozialer Bewegung, Das „Monster Prekariat“ von „zwei großen Klassifikationsmuster[n]“ ab: „vom Staat und von der Gemeinschaft“. Ihre soziale Zusammensetzung erinnere mehr an zwei Figuren, die Marx einst scharf von der ArbeitERklasse schied: Die zerstreuten und vereinzelten Parzellenbauern und das Lumpenproletariat als Nicht-Klasse, als die diffusen, umherschweifenden und nicht der Fabriksdisziplin unterwerfbaren Subjekte, die nicht und nicht zur „Klasse für sich“ werden wollen. Wie aber kollektives Handeln und alternative Strukturen – wenngleich auch ohne Einheitlichkeit und Repräsentation – organisiert werden können, bleibt im Dunkeln: „Verkettungen von kettenlosen Maschinen, verbunden durch das Fehlen jeglichen Bands“ (101) Bei aller Ablehnung des Gemeinschafts-Begriffes (in all seinen Varianten) muss Raunig doch einen Hinweis auf die Logik des Zusammenhandelns der verstreuten Subjektivitäten geben. Erneut ist es der Marxsche „general intellect“, der auf die soziale Dimension des Handelns verweist, im Sinne einer „allen offen stehenden, von allen geteilten Potenzialität“ (104). Hier verschwimmt trotz der kritischen Distanz die Grenze zu den zeitgenössischen Versuchen, politisches, also kollektives Handeln hinsichtlich dessen Gemeinschaftlichkeit zu theoretisieren. Raunigs Vorsicht gegenüber dem Denken der Gemeinschaft mag vor dem Hintergrund der gescheiterten Emanzipationsversuche des 20. Jahrhunderts berechtigt sein, den Gefahren von diskursiven Abschließungen und identitären Verengungen können wir politisch Handelnde nicht entgehen – es sei um den Preis der Aufgabe praktischer „Kritik im Handgemenge“. Ob als Maschine oder Multitude (die bemerkenswerte Abwesende!), der Horizont der Revolution liegt noch immer im Nebel, die Zukunft ist schon wieder offen, der KOMMUNismus bleibt nach wie vor „die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“ (Marx). Der Versuch, das Kommune zu denken, um nicht im Inneren des postfordistischen Kapitalismus (nur) zu dessen Erneuerung und somit Stärkung beizutragen, bleibt so notwendig wie unerschöpflich: „Was bleibt, ist eine gemeine Baustelle“ (Jean-Luc Nancy). Und die Baulücke zwischen (Fahrrad)Filmmaschine und Theatermaschine schließt das Nachwort des postoperaistischen Theoretikers Maurizio Lazzarato, mehr wird jetzt allerdings nicht mehr verraten. Martin Birkner |
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