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Alain Badiou, „Über Metapolitik“ Zürich-Berlin: diaphanes 2003, 193 Seiten, 19,90 Euro Systematischer Ausgangspunkt der Metapolitik ist eine Kritik der politischen Philosophie Hannah Arendts, die als symptomatische Theorie für die politische Philosophie nach Kant gelesen wird. Das politische Geschehen werde von ihr als objektive Gegebenheit aufgefasst, die Philosophie habe diese Gegebenheiten nur mehr in ihr Denken zu integrieren. Folge man einer solchen Analyseart, unterwerfe sich die Philosophie automatisch der herrschenden politischen und ethischen Ordnung. „Handeln“ können wir in dieser Zuschauerrolle nur noch, indem wir das Dogma der Konsensdemokratie akzeptieren, denn das Politische sei die Diskussion im Unterschied zur Wahrheit, die autoritär funktioniere, da sie keine Alternativen zuließe. Die politische Philosophie Arendts sei also von Beginn an dem Ziel verschrieben, ein bestimmtes politisches System, nämlich das der Massenkonsensdemokratie, zu rechtfertigen. Badiou mag den entgegengesetzten Weg gehen: von einer Politik des Beobachters zu einer Politik der Praxis, von einer Politik der staatlichen Festschreibung zu einer Politik des Prozesses, kurz zu einer Politik als Selbstzweck. Die Politik, wie sie hier skizziert wird, ist reines Denken; die politische Philosophie diejenige, die dieses Denken denkt, somit zur Metapolitik wird. Mit Althussers Philosophie der Praxis wird uns der Weg zur Prozesshaftigkeit eröffnet: bei den Begriffen „Subjekt“ und „Objekt“ handle es sich um inhaltslose Festschreibungen von Prozessen in Form von Namen; es gibt weder Subjekt noch Objekt, sondern nur diesen Begriffen zugrundeliegende Prozesse. „Der subjektlose Prozeß läuft nicht weniger auch als Prozeß ohne Objekt ab.“ (72) Diese Prozesse gilt es den Praktikern der Politik, den Teilnehmern am revolutionären Klassenkampf, intellektuell zu erfassen indem sie sich den Begriffen entziehen und „das Neue“ denken. Masse und Partei Diese zwei bestimmenden Faktoren vergangener emanzipatorischer Politik greift Badiou auf, um die Position seiner Metapolitik genauer zu bestimmen: befreie man Masse und Partei von der „etatistischen Last“, an der vergangene revolutionäre Systeme letztendlich gescheitert sind, blieben zwei Funktionseinheiten, die sich in der entstaatlichten Form als Grundlage emanzipatorischer Politik zeigen könnten. Die Masse nimmt sich der „Massenprozedur Politik“ an (und wird somit zur Masse von Individuen, die jeweils allein und auf sich gestellt im Angesicht der Situation entscheiden), die Partei wird wieder zur eigentlich wahren Partei Marxens und Lenins, in den Worten Badious „mannigfaltig, weil sie sich aus den radikalsten Singularitäten aus allen Arbeiterparteien zusammensetzt“, geschmeidig und dem Ereignis gegenüber offen, „eine nicht fixierbare Omnipräsenz“.(87) Dem Staat wird seine gottgleiche Rolle (zumindest theoretisch) genommen, im Sinne einer gesellschaftlichen Singularisierung löst sich die politische Bindung zugunsten der individuellen Entscheidung in der Masse auf; Massenpolitik untergräbt durch ihre gesellschaftliche Breite notwendigerweise den Staat, der als Verwaltungsinstrument immer nur Teile derselben anspricht. Idealtypisch verbindet sich in der Masse das Denken aller und unterbricht die Staatsmacht. „Die egalitäre Maxime nämlich ist mit dem Irren des staatlichen Exzesses inkompatibel.“ (158) Hier liegt allerdings ein Problem begraben: Badiou geht davon aus, daß die Politik als kollektive Wahrheitsprozedur „allen gehöre“, was in Form der Phrase „Die Leute denken“ auch immer wieder erwähnt wird. Ich sehe allerdings die Gefahr, daß von noch nicht erreichten gesellschaftlichen Zuständen ausgegangen wird und im Moment noch, also zu Lebzeiten des „Gottes“ Staat, funktionierende Kontroll- und Disziplinarmechanismen übersehen werden, die eine einfache Partizipation am wahren Politikprozess vielleicht gar nicht ermöglichen. Die Darstellung des Staats als leere Verwaltungsorganisation, dem die lebendige Masse entgegensteht, halte ich für etwas zu einfach, die Thematisierung der Massenbildung fehlt jedenfalls. Taktisch richtige Entscheidungen Einzelner, denen ein übermächtiger, alles andere als rein formaler Repressionsapparat gegenübersteht, werden wohl weiterhin wenig Wirkung zeigen. Da ich Badiou als Kenner Althussers einen solchen Staatsbegriff nicht unterstellen möchte, sehe ich die Ursache des Problems an anderer Stelle, und zwar im Begriff der Masse selbst, die nach dem Muster der klassischen Arbeitermassen Lenins gedacht wird. Was hier fehlt und eindeutig nachzuholen wäre, ist eine Einarbeitung der ökonomischen und gesellschaftlichen Brüche im 20. Jahrhundert; diese sind unumgänglich, wenn man heute mit marxistischem Erbe arbeiten möchte. Demokratie Weiters klar antietatistisch geht es dem Demokratiebegriff an den Kragen: Er wird als „wichtigste[r] Organisator des Konsenses“ erkannt, der über den Weg der zu erwartenden Bloßstellung als ethische Norm funktioniert. Demokratie bezeichnet derart eine bestimmte Staatsform, einen bestimmten politischen Modus, und ist somit nicht als philosophische Kategorie zu verwenden. Nachdem Badiou wiederholt Klarheit über die Bindung Demokratie-Staat verschafft hat, beginnen allerdings eigenartige Pirouetten, um die Demokratie doch noch für die Philosophie urbar zu machen. Es wird aus der Norm „Demokratie“ ein Prozeß konstruiert, der letztendlich die Freiheit und Gleichheit aller zur Grundlage haben soll. Aus der Demokratie, die als Funktionsweise des Staats nur partikular auf die Gesellschaft zugreift, wird durch einige Wendungen ein egalitäres Massenphänomen zur Schaffung kollektiver Freiheit und Gleichheit. In den Worten Badious: „Man könnte auch sagen, daß die Demokratie als philosophische Kategorie das ist, was die Gleichheit präsentiert.“ Ob Badiou den von ihm selbst als hochspekulativ bezeichneten Abschnitt nur als Überleitung zur Gerechtigkeit als masseninterne/gesellschaftliche Verfasstheit verwendet oder damit auch andere Ziele verfolgt, ist unklar. Im ersteren Fall wäre es wohl unmissverständlicher gewesen, den mit staatlichen Konnotationen überladenen Begriff im Sinne Žižeks „dem Feind [zu] überlassen“. Auf den Punkt gebracht ist Politik als Wahrheitsprozedur dann wirkmächtig, wenn „die Leute denken“, wenn in einer Situation dem Denken aller entsprechend gehandelt wird, ein kollektiver Prozess stattfindet, der den inegalitären Weg des Staats durchkreuzt. Die Treue zur Wahrheit, die ausführlicher in der „Ethik“ behandelt wird, spielt hier eine zentrale Rolle. Bei der gesamten Lektüre bleibt ein schaler Nachgeschmack in Bezug auf den badiouschen Staat, der durchwegs als leere Hülle erscheint, sei es in obiger formaler Verwaltungsorganisation oder z.B. im Kontrast zur Masse: „Der Staat denkt nicht.“ (99) Abstrahierte Figuren denken nicht, real wirksame Institutionen und deren ideologische Arme passieren jedoch zumindest nicht zufällig. Klärung über das sonderbare Verhältnis Badious zum Staat sucht man in der „Metapolitik“ jedoch vergeblich, was eine sonst durchwegs interessante Konzeption politischer Praxis leider etwas unvollständig bleiben lässt. Bewusst offen bleibt auch die Frage ob die eindämmende Reaktion des Staats notwendigerweise auf die seltenen echten massenpolitischen Momente folgte. Wollen wir einfach das Beste hoffen! Michael Motal |
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